Die Weltreise der besorgten Verwandtschaft

Kommen-Bleiben-GehenEs war nicht ganz einfach, einen Termin zu finden, zu dem der Vater und der Bruder meines inhaftierten Mandanten auf einen Caffè in unsere Kanzlei kommen wollten. Das enge Zeitfenster war schließlich gefunden, gestern Abend um 17:30 Uhr wollten die beiden kommen. Es ging nur um Informationen über den Verfahrensstand und die weiteren Aussichten.

Um 17:35 Uhr rief der Bruder an und teilte ein paar Minuten Verspätung mit. Um 18:10 Uhr hat ihn unsere Mitarbeiterin zurück gerufen und mitgeteilt, daß ich um 18:30 Uhr zu einem auswärtigen Termin die Kanzlei verlassen müsse, und gefragt, ob nicht besser ein neuer Termin vereinbart werden soll. Nein, daß sei nicht nötig, man sei gleich in Kreuzberg.

Um 18:35 Uhr klingelte es und vor der Tür standen vier Erwachsene und zwei Kinder, die sich Sorgen machten um Ihren Sohn, Bruder, Neffen und Vater: Es sei doch wohl eine Unverschämtheit, daß der Anwalt nicht da sei, sie seien schließlich extra aus Tempelhof nach Kreuzberg gefahren.

Bei Caffè, Tee, kalten Getränken und – für die Kids – Keksen haben sie sich dann von unserer Mitarbeiterin informieren lassen. Um kurz nach 20 Uhr sind sie dann beruhigt und zufrieden wieder zurück nach Tempelhof abgereist.

Bild: Pilger

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten veröffentlicht.

8 Antworten auf Die Weltreise der besorgten Verwandtschaft

  1. 1
    RA Meier says:

    Ich frage mich, ob es bei Ärzten auch üblich ist, daß die halbe Großfamilie mit ins Behandlungszimmer kommt und man für ein und dasselbe Honorar Fragen von 10 verschiedenen Leuten beantworten soll (von Schweigepflichtproblemen einmal abgesehen). Ich finde es zudem, sagen wir: sonderbar, daß Mandanten oftmals ihre kleinen Kinder mitbringen, wenn es um Schwerkriminalität, Scheidung, o.ä., geht.

    Respekt, daß bei Ihnen um 18.35 Uhr überhaupt noch jemand die Kanzleitür aufmacht. Guter Service. Also das tun wir uns nicht an… :-)

  2. 2
    Rechtslaie says:

    @RA Meier: Als Rechtslaie, nur aufgrund meines (hoffentlich) gesunden Menschenverstandes würde ich sagen, wenn mehrere Personen gleichzeitig im Raum sind und Fragen stellen, haben diese damit konkludent erklärt, dass Sie als Beratender von der Schweigepflicht gegenüber den anwesenden Personen für die Dauer des Gesprächs befreit sind.
    Bezüglich des Honorars: Wenn es bei den Personen um die selbe Sache geht (z.B. alle gemeinschaftlich angeklagt bzw. alle Zeugen zu ein und demselben Vorgang, o.ä.), dann finde ich nichts verwerfliches dabei, dass diese Herrschaften zusammen zum Termin erscheinen und diese erwarten (können), dass Sie nur einmal Ihren Stundensatz zur Anwendung bringen.
    Sollten es unterschiedliche Fälle sein, dann ist natürlich nachvollziehbar, dass sie von jedem Mandanten die angebrochene Stunde zum üblichen Stundensatz und der üblichen „Taktung“ (angebrochene Viertel-, halbe oder ganze Stunde) abrechnen (wollen).

    Analogie aus dem PC-Support:
    Wenn ein Kunde 10 PCs aus seiner Firma anschleppt, die alle von Viren gereinigt werden müssen, läuft die Uhr durch.
    Bringen 10 Kunden jeweils einen PC, startet die Uhr pro Kunde neu, auch wenn sie zusammen den Laden betreten.

  3. 3
    alter Jakob says:

    @RAMeier
    Selbstverständlich können auch 10 Personen beim Arzt Fragen zu ein und derselben Krankheit stellen. Ist ja nix anderes als wenn eine Person alle Fragen aufschreibt und sie dann stellt, zumal es immer um den gleichen Sachverhalt geht.

    Wenn sich die 10 Personen aber alle selbst untersuchen lassen wollen, dann rechnet der Arzt natürlich auch mehrmals ab.

  4. 4
    ??? says:

    Ein Lob dem Service der Kanzlei!
    Werde ich behaupten, dass es Kulturbereicherer waren? Niemals!

    Fast hat man den Eindruck, dass im Hintergrund ein Streichquartett musiziert….vielleicht Variationen über
    „Ich lade gern mir Gäste ein…“

    Ich bin bei Anwälten immer einigermaßen pünktlich, habe alle Unterlagen durch den Kopierer gejagt und weiß, was ich will.

    Zudem wird der Advokat bzw. die Anwältin mit „SIE“ angesprochen. Trotzdem, ein Mineralwasser an einem heißen Sommertag war alles, was ich jemals herausschlagen konnte.
    Was habe ich falsch gemacht?

  5. 5
    Andreas says:

    @ ???
    Vielleicht den falschen Anwalt ausgesucht ;)

  6. 6
    RA Meier says:

    @Rechtslaie + alter Jakob

    1. Es ist nicht die Frage, ob die anwesenden Verwandten mich wechselseitig von der Schweigepflicht entbinden, sondern ob der im Knast sitzende Mandant damit einverstanden ist, daß ich Hinz und Kunz, welche verwandtschaftliche Bande behaupten, Auskunft erteile. Ich kenne die Leute doch gar nicht. Und wenn 10 Leute mit der Behauptung antanzen: „Ey, bin isch Cousin von dem, gib‘ mir Auskunft“, muß ich leider antworten: „Ey, bin isch nich Auskunft, schon mal gar nicht kostenlos.“

    2. Wenn ich nach Stunden bezahlt würde, hätte ich nichts dagegen, wenn 10 Leute kommen, und mich 3 Stunden lang befragen. Oftmals erhält man aber nur die Pflichtverteidigergebühren oder bestenfalls die Wahlverteidigervergütung. Das sind feste Sätze, die Sie unabhängig davon erhalten, ob Sie dafür 5 Minuten oder 100 Stunden arbeiten. Beispiel: die Grund- und Verfahrensgebühr des Pflichtverteidigers für einen inhaftierten Mandanten, der, sagen wir des Mordes oder komplizierter Wirtschaftsdelikte angeklagt ist, beträgt für das gesamte Ermittlungsverfahren bis zur Erhebung der Anklage – und das kann Monate oder Jahre dauern – 299,00 Euro. Wenn ich auch nur den Stundensatz eines Handwerkers (ca. 45,- Euro) ansetzen würde, müßte ich nach 6,5 Stunden Arbeit alle Tätigkeiten einstellen. Diese sechs Stunden sind aber schon nach dem Haftbefehlsverkündungstermin, dem ersten Haftbesuch und den ersten Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft, der Polizei, spätestens jedoch mit der Sichtung der Akte verbraucht. In komplizierten Fällen muß man häufig 50-60 Stunden Arbeit bis zur Anklageerhebung investieren und das alles für 299,00 Euro, macht dann also 5,98 Euro brutto pro Stunde. Da stehe ich doch günstiger, wenn ich bei McDonald’s arbeite. Aber bekanntermaßen ist eine Anwaltszulassung eine Gelddruckmaschine…

    Wenn ich dann auch noch 10 Verwandten kostenlos zwei Stunden lang Händchen halten soll, ist bei soziales Engagement irgendwie ein wenig erschöpft…

  7. 7
    Rechtskundiger says:

    @ Rechtslaie:

    Wenn mehrere Beschuldigte beim Verteidiger aufschlagen, hat dieser das Problem des Verbots der Mehrfachverteidigung zu beachten.

  8. 8
    matthiasausk says:

    It’s a long way to Tipperary,
    It’s a long way to go.