Ältere Insider kennen den Begriff aus dem grauen Strafjustizalltag: „Duplo-Akte“. Das hat weder was zu tun mit Pralinen für den Staatsanwalt, noch mit Spielzeug für die Mitarbeiter auf den Geschäftsstellen. Den jüngeren unter den Strafjuristen (und allen anderen) sei erklärt, daß es sich um die Bezeichnung aus einer Zeit handelt, in der in jedem Sekretariat noch eine Gabriele stand.
Und weil Juristen nun mal ein konservatives Volk sind, bei dem jahrhundertalte Traditionen nicht totzukriegen sind, stehen heute noch hochqualifizierte Fachkräfte an einem Vervielfältigungsgerät, und stellen Kopien der Ermittlungsakten her.
Nun kann es sein, daß es in einem Verfahren gleich mehrere Beschuldigte und deswegen auch mehrere Verteidiger gibt. Dann werden entsprechend viele dieser Vervielfältigungsstücke hergestellt. Und damit Oberstaatsanwälte die Originale von den Kopien unterscheiden können, bekommen diese Kopien den schönen Namen Duplo-Akte.
Man könnte natürlich auch auf die Idee kommen, in (sehr) umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen, die sich im elektronischen Delikts-Bereich (vulgo: Internet) abspielen, auch elektronische Akten anzulegen. Oder zumindest elektronischen Kopien der Papierakten. Das wird aber noch ein wenig dauern. Denn solange die Gabriele noch funktioniert, muß sie ja auch genutzt werden.
Und deswegen wird es bei der Justiz auch noch in 100 Jahren Duplo-Akten und Internetausdrucker geben.
Danke an den Kollegen Wolf Reuter für die Anregung zu diesem Beitrag.
In der Tat wird es in 100 Jahren noch Duplo-Akten geben. Genauso wie es in 100 Jahren noch Justizverwaltungen, Finanzpolitiker und Landtagsabgeordnete geben wird, die das Geld für Flughäfen, Tiefbahnhöfe oder Philharmonien verbraten und gleichzeitig die Frage stellen, ob man bei der Justiz wirklich jeden teuren neumodischen Trend mitmachen muss. Nur weil etwas außerhalb der Amtsstube Standard ist (meist ja erst seit nur wenigen Jahrzehnten) heißt das noch lange nicht, dass sich Papa Staat anschließt…..
Gabriele steht heute noch in meiner Wohnung, wenn der Drucker spinnt und streikt.
Es gibt auch die Erika aus Sömmerda, ebenfalls ein fesches Mädel und sie schafft auch, wenn man sie hart anpackt, einige Durchschläge (Blaupapier richtig herum einlegen!).
Ich erlebte in der Rechtsantragsstelle des LG München, Zivilsachen, vor ca. zwei Jahren, als man noch in Gerichtsgebäude durfte, ohne nach Waffen abgetastet zu werden, dass „wir nicht in die EDV kommen“.
Etwas begriffsstutzig fragte ich nach dem warum und wieso.
Die Antwort lautete – die Software – der Server – der Zentralrechner – der Computer spinnt…
Die holde Maid nahm ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber und reagierte verblüfft auf meine Frage nach einer alten Schreibmaschine und meinen Vorschlag, das schnell selbst zu tippen, wenn sie den Stempel der Rechtsantragsstelle draufsetzt.
Das dürfen wir nicht…. hieß es.
Linienpapier gab es auch nicht – auf weißes Papier schrieb sie, so dass die Schrift kippte, es sah unmöglich aus und war extrem schlecht zu lesen.
Ich verkniff mir schnippische Bemerkungen, schüttelte aber insgeheim den Kopf. Auch auf dem Sozialgericht ging mal eine Woche gar nichts, man hätte eine neue Software.
Das mit den elektronischen Zweitakten ist so eine Sache.
Hindernisse gab es in der Vergangenheit von Seiten der Justizverwaltung. 2007 hatte ich ein Umfangsverfahren mit ca. 650 Geschädigten, die trotz diverser Sammelmandate von einer dreistelligen Anzahl von Rechtsanwälten vertreten wurde. Für jeden Geschädigten ging es um 20 bis 25 T€. Da extra ein Sonderband alleine für die Akteneinsichtsgesuche angelegt werden musste, kam ich auf die Idee die Hauptakten einscannen zu lassen und an alle Geschädigtenvertreter eine elektronische Kopie auf CD zu versenden. Die Technik war vorhanden! Das Vorhaben wurde von der damaligen Behördenleitung gestoppt. Man hat vielmehr erst einmal bei der GStA um Erlaubnis gefragt. Die Folge waren dann Berichtsaufträge an alle Behörden des Bezirks, ob man Bedenken hätte. Diverse andere Behördenleiter teilten dann mit, so würde die elektronische Akte ohne Rechtsgrundlage eingeführt (?). Das war es dann! Als ich rund 1 Jahr später die Behörde verließ wurden die Akteneinsichtsgesuche der Geschädigten immer noch mit 2 extra dafür angelegten Duplo – Akten als Postpakete abgearbeitet. Das die damalige Justizministerin ein Jahr später öffentlichkeitswirksam die elektronische Akte propagierte gab der Sache noch einen besonderen Nachgeschmack.
Inzwischen arbeite ich in größeren Verfahren auch mit elektronischen Zweitakten, ohne dass ich um Erlaubnis fragen muss. Bevor ich diese allerdings einem Rechtsanwalt zur Einsicht zuleite erkundige ich mich jedes Mal ob er mit diesem Medium einverstanden ist. Wirtschaftstrafverteidiger haben da i.d.R. kein Problem damit und sind dankbar. Es gibt aber auch durchaus Rechtsanwälte die gerade erst den Umstieg von der Gabriele geschafft haben und für die ein PC gerade mal eine Schreibmaschine ist.
Ein Problem mit der elektronischen Zweitakte ist auch die Aktualisierung. Ein größeres Verfahren wächst in der Anfangszeit gerne mal um 50 bis 100 Blatt täglich, leistungsfähige Scanner sind allerdings nur in der zentralen Ablichtung (in den tiefen Kellergewölben) vorhanden. Der ungeliebte und kostenintensive Personalaufwand beim Ablichten bzw. einscannen ist nicht nur bei Anwaltskanzleien vorhanden. Leider kommen Posteingänge häufig genug so an, dass viel Handarbeit erforderlich ist bevor der Einzelblatteinzug sie frisst. Manche Rechtsanwaltskanzleien müssen ein sehr affines Verhältnis zu Klammern haben. Da werden Schriftsätze an die StA mit einer Abschrift (für den Gegner?) geschickt und mit zig Klammern versehen.
Die praktischen Probleme, die Sie schildern, haben wir in unserer Kanzlei auch – gelöst. Mit ein bisschen gutem Willen, Organisationsgeschick und nur geringen Investitionen klappt das. crh
Also ich habe (als Referendar von meiner Anwältin) eine DVD mit eingescannten 2000-Seiten Akten bekommen als PDF-Dateien. Es scheint also Staatsanwaltschaften zu geben, die die Technik zu nutzen wissen.
@crh
http://www.wz-newsline.de/home/politik/nrw/ermittler-ruesten-nach-im-kampf-gegen-wirtschaftskriminelle-1.242769
Die dort erwähnte Technik ist nach nur 4,5 Jahren selbstverständlich noch nicht hier angekommen. Das letzte Projekt zur Übernahme von Daten aus der Polizei EDV (IGVP) brauchte rund 10 Jahre.
Immerhin können wir (nicht durchsuchbare) PDFs dank eines 10.000 Euro (!) Scanners generieren.Die dezentralen Multifunktionskopiergeräte auf jedem Flur könnten das theoretisch auch, sind aber natürlich nicht an das Netzwerk angeschlossen weil Technik und Leitungen fehlen (wie auch für die Faxfunktion). Für die Serviceeinheiten hat man dafür vorsorgllch niedliche kleine Scanner angeschafft, die weitgehend ungenutzt verstauben.
Die von ihnen erwähnte pragmatischen Lösungen können sie einfach in einem „Unternehmen“ Anwaltskanzlei organisieren, nicht jedoch in einer Behörde wo – wie jetzt aktuell – schon die Anschaffung eines schnurlosen Telefons zum Staatsakt wird. Ich habe den direkten Vergleich aus unmittelbarer familiärer Erfahrung :)
Denken Sie auch an uns Referendare, lieber Herr Hoenig. In der Regel bekommen wir auch nur Duplo-Akten und von Datenbankzugriffsmöglichkeiten können wir nur träumen. :)
@ crh
Lesen Sie denn die Akten auch wirklich elektronisch? Ich musste mich gestern tatsächlich für ein paar Stunden mit einem etwas längeren gescannten Schriftsatz abmühen während der office service noch dabei war, für Mandant, Kollegen und mich Ausdrucke zu erstellen und zu binden. Das ist doch furchtbar, wenn man da nicht mal durchblättern kann oder sich Notizen reinmachen kann…
@ Staatsanwalt
Was waren noch einmal die Gründe, weshalb ich keine Lust hätte im öffentlichen Dienst zu arbeiten… In meiner Verwaltungsstation hat es drei Tage gedauert bis mein PC eingerichtet war. Dann musste noch ein Drucker besorgt werden, da die von der Verwaltung benutzten Drucker nicht netzwerkfähig waren und daher jeder Computer einen eigenen Drucker haben musste. Als alles halbwegs lief musste ich mich dann in Linux einarbeiten, da man sich aus Kostengründen von Microsoft verabschiedet hatte. Eine Hotline, wo man bei Fragen anrufen konnte gab es zwar, da war aber immer besetzt. — Irgendwie hat es aber trotzdem Spaß gemacht und abends musste ich auch keine Stunden aufschreiben… :-)