Es hat einen Freispruch für den Deutsch-Libanesen Khaled el Masri gegeben. Jedenfalls soweit es um den gegen ihn erhobenen Vorwurf der Körperverletzung an einem Vollzugsbeamten ging. Nur wegen der damit im Zusammenhang stehenden Beleidigung und Bedrohung wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. So wird es berichtet, zum Beispiel in der Süddeutschen.
Die Körperverletzung war keine Körperverletzung, sondern eine Berührung mit zwei Fingern.
wird der Richter am Amtsgericht im bayrischen Kempten auch von anderen Medien zitiert.
Das soll aber nicht Thema dieses Beitrags sein. Interessant ist vielmehr, was die Blätter aus dem Hause Springer zusätzlich berichten.
Freispruch statt beantragter Haftstrafe – das kann einem Verteidiger passieren, wenn er das Gespür für den Verlauf der Verhandlung und den beim Gericht entstandenen Eindruck vom Ergebnis der Beweisaufnahme verloren hat. Ich würde jedenfalls vor Scham in den Boden versinken und könnte dem Mandanten wohl kaum noch in die Augen schauen.
Einen Vorschlag, dem auch ich mit zunehmender Erfahrung gefolgt bin, machte hier Franz Xaver Dimbeck, ein Strafrichter im Ruhestand:
Ich hab es immer als unklug empfunden, wenn der Verteidiger eine ganz konkret bestimmte Strafe beantragt hat. Wenn man da als Richter etwas milder gesinnt ist, kostet es doch ein ganz klein wenig Überwindung, dem Verteidigerantrag nicht zu entsprechen.
Nicht nur um Fehler oder den von Herrn Dimbeck beschriebenen Effekt zu vermeiden, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, stelle ich nur im Ausnahmefall einmal einen konkreten Antrag, meinen Mandanten zu einer Freiheits- oder Geldstrafe zu verurteilen. Anträge der Verteidigung sind ohnehin meist nur etwas für die Galerie und fürs Protokoll. Meine Mandanten wissen das in der Regel und freuen sich, wenn ich darauf verzichte, sie in den Knast zu wünschen.
Besten Dank an Herrn Dimbeck, der zwischenzeitlich einer sehr schönen Nebenbeschäftigung nachgeht, für die Anregung zu diesem Blogbeitrag.
Ja, als Verteidiger eine Freiheitsstrafe zu beantragen und das Gericht spricht nachher frei oder verurteilt zu einer Geldstrafe, ist eine wirklich dumme Sache. Aus diesem Grund habe ich noch nie – außer in ganz besonders gelagerten Sonderfällen – einen bestimmten Strafantrag gestellt. Wozu auch?
Nun ja, ich könnte mir vorstellen, dass es auch den umgekehrten Effekt gibt: der Richter geht mit der Verteidigung konform, würde aber 8 Monate geben … fühlt er nicht einen ganz kleinen Zug in Richtung der von der Verteidigung beantragten 6 Monate? Sehr schwierig …
Da stellt sich auch immer die Frage, wie man handelt, wenn man eine Veurteilung für sehr wahrscheinlich hält oder der Mandant sogar gestanden hat?
Ein „Hilfsplädoyer“ bzw. im Geständnisfall nur ein Plädoyer, aus welchen Gründen die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe völlig überzogen ist? Nun gut, dieses muss man nicht zwingend mit einem Antrag beenden. Aber für den Richter wäre es eine gute Richtschnur, wo er sich einpendeln soll. Denn die Staatsanwaltschaft beantragt auch gerne „höher“, damit der Täter die tatsächlich gewünschte Strafe erhält.
Vlt. sollte man mit dem Kollegen nicht zu hart ins Gericht gehen. Wir wissen doch alle, dass es sich von außen leichter lästern lässt. Wer hat schon Einblick ohne dabei gewesen zu sein? Zeitungsberichte sind, wie jeder weiß, nicht geeignet, um hieran en detail Kenntnisse über den Fall zu sammeln. Lassen wir doch das Kollegen Bashing, um uns besser darzustellen. Jeder kann hinterher sagen, er hätte es anders gemqcht. Hätte, hätte Fahrradkette…
Der beste Antrag, der mir bislang zu Ohren gekommen ist, lief wie folgt:
StA beantragt Freiheitsstrafe.
Verteidiger: „Die Tat konnte meinem Mandanten nicht nachgewiesen werden. Deshalb beantrage ich, ihn zu einer Geldstrafe zu verurteilen.“
Lösung: Immer auf viel zu milde Strafen plädieren. Ich halte es für einen Fehler, keinen konkreten Antrag zu stellen. Man gibt dem Richter nicht den richtigen Drall, vielleicht doch noch ein paar Monate oder Jahre weniger zu geben. Und die Mandanten halten einen für eine Lusche, wenn man als erfahrener Verteidiger nicht souverän genug ist, eine konkrete Zahl im Plädoyer zu vertreten. Und wenn es auch nur ein bisschen nach Freispruch riecht – auf einen solchen plädieren, peinlich ist das nicht.
Wenn die Kommunikation zwischen Verteidiger und Mandant auch sonst in Ordnung ist, wird Letzterer sicherlich nachvollziehen können, was der Hintergrund dieses „Verzichts“ ist.
Der Antrag, seinen Mandanten freizusprechen, ist natürlich jedenfalls dann immer sinnvoll, wenn er nicht völlig abwegig erscheint. Insoweit haben Sie natürlich Recht.
Aber der folgende abschließende Satz nach einem vierstündigen Schlußvortrag …
… hat oft einen ganz besonderen Effekt. Er führt in sehr vielen Fällen zur Rückfrage durch den Richter, ob das denn auch der Antrag sei. Und dann kann man noch einmal bei völlig ungeteilter Aufmerksamkeit das Anliegen der Verteidigung in ernsthaft nachhaltigen und knappen Worten ausformulieren. Einen Antrag muß man dann nicht mehr stellen, um den von Ihnen beschriebenen Effekt zu erreichen.
crh
Zahlen stehen auf dem Zeugnis, auf dem Kontoauszug und manchmal auch in Eheverträgen. Alle haben sie eines gemeinsam. Man bekommt sie nicht weg! Genau so wie im Schlussvortrag. In der Presse heißt es dann nur: Der Verteidiger forderte … Jahre. Der Rest des Vortrags ist nicht mehr interessant. Ich erlebe auch oft Kollegen, die schon vor Beginn der Hauptverhandlung mit Zahlen kommen. Diese Zahlen kriegt man dann nicht mehr weg, so gut es auch für den Mandanten später aussehen mag.
Der Name El-Masri steht stellvertretend für das Totalversagen des Rechtsstaats, liefert den den Gegenbeweis gegen das „nothing to hide, nothing to fear“ – Prinzip. Wie oft muß man eigentlich jemandes Menschenwürde verletzen, bis ihm das Gesetzbuch des Staates, dessen Paß er besitzt, gleichgültig wird? Welche Erfahrung haben der Verteidiger und das Gericht mit Gefolterten? Fragen über Fragen, aber vielleicht bringt die nächste Sesamstraße für Opa Blaubär die Erklärung.