Die Amtsanwaltschaft hat die Geister gerufen, das Gericht hat sie hereingelassen. Und die stehen nun dem angeklagten Ladendieb grimmig gegenüber.
Sechs Seiten lang ist mein Beweisantrag. Gefüllt mit einer hochprozentigen Vita, die vor 55 Jahren mit einer alleinerziehenden betäubungsmittelabhängigen Mutter begann. Für jede Flasche des Sixpacks Pils eine Seite.
Ziel ist die sachverständige Feststellung, daß dem Mann mit seiner 40jährigen Drogenkarriere nicht mehr vorgeworfen kann, daß er das Bier ohne Bezahlung trinken wollte. Weil er den Suchtdruck nicht mehr aushielt. Und weil er die 3 Euro für das Suchtmittel nicht hatte.
Herr Verteidiger, wegen dieser Kleinigkeit wollen Sie doch nicht ernsthaft ein Sachverständigengutachten?!
… muß ich mir anhören. Von demjenigen, der im Strafbefehlsverfahren die Kleinigkeit von sechs Monaten Freiheitsstrafe beantragt hat, dafür daß ein zitternder Junkie versucht hat, sich mit Billigbier unterm Arm an der Kassiererin vorbeizuschmuggeln.
Bild: CFalk / pixelio.de
Es wird häufig geistlos ermittelt, unbedacht angeklagt, unbesehen eröffnet und ohne Überlegung eine Hauptverhandlung angesetzt. Wenn das Ergebnis dieses staatsanwaltlich-gerichtlichen Kontrollversagens dann zu plötzlicher Arbeitsbelastung führt, stellt sich Unverständig und Verärgerung ein. Schuld an der Misere ist dann natürlich der Verteidiger. Dabei wäre das zumeist voraussehbar, wenn man einmal vor der Eröffnung des Hauptverfahrens und der Terminierung der Hauptverhandlung die Akte gelesen hätte.
Besonders unverständlich ist dies, wenn sich in der Akte schon obergerichtliche Zwischenentscheidungen finden, die feststellen, daß aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen gar kein Tatverdacht gegen den Beschuldigten vorliegt. Gleichwohl gehe ich natürlich NICHT davon aus, daß es Richter gibt, die ohne Studium der Akte einfach unbesehen das Hauptverfahren eröffnen.
6 Monate für drei Euro? Das gibt es ja nicht einmal bei uns im wilden Süden der Republik…..
@ T.H., RiAG: Wär ich mir nicht so sicher. Ich wurde jedenfalls als Referendar noch angewiesen, 1 Monat ohne für den Diebstahl von Hackfleisch im Wert von 39 Pfennig zu beantragen.
@RARitterhof
Eine Freiheitsstrafe „ohne“ halte ich bei entsprechend „unsolidem“ Lebenswandel in Ausnahmefällen auch bei Kleindiebstählen nicht für verkehrt, die hin und wieder vertretene Auffassung, wonach es unterhalb bestimmter Werte immer nur Geldstrafe gebeb dürfe, hielt ich noch nie für richtig. Mich erstaunt vielmehr die Höhe des Antrags, ein halbes Jahr (egal ob mit oder ohne) bei einem einstelligen „Beutewert“ ist auch bei einem langjährigen „Stammkunden“ unverhältnismäßig.
Was bekommt der schuldlose Täter denn dann? Der ebenso schuldlose Eigentümer der Waren muß doch durch die Staatsmacht vor Wiederholungen geschützt werden. Wird in so einem Fall dann eine geschlossene Behandlung verordnet, bis der Suchtdruck weg ist?
Das OLG Oldenburg hat 2008 deutliche Worte gefunden zu derart überzogenen Strafmaß-Vorstellungen:
http://openjur.de/u/322652.html
Für eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt ist der Fall am falschen Gericht, das geht nur ab LG aufwärts. Sinnvollerweise bekommt der Angeklagte hier eine Einstellung wegen geringer Schuld verbunden mit der Auflage eine Therapie zu beginnen (§ 153a StPO). Weder von Geld- noch von Freiheitsstrafe ist hier eine die Legalbewährung fördernde Wirkung zu erwarten. Der Eigentümer soll die drei Euronen unter Schwund abbuchen und mir nix vorheulen; die Anteilseigner werden deswegen schon nicht den Maserati verpfänden müssen… Im übrigen ist der wirksamste Schutz vor Wiederholungen diejenige Maßnahme, die die geringste Rückfallwahrscheinlichkeit hat. Und das ist statistisch immer die mildeste und ambulanteste (d.h. nichteinsperrendste) der zu Verfügung stehenden Reaktionen.
@ RA Müller:
Wenn sie schon auf die Entscheidung des OLG Oldenburg verweisen, dann sollte doch auch erwähnt werden, dass auch von dort aus eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung für angebracht gehalten wurde.
Dieser Beschluss ist aus dem Jahr 2008; angesichts der jüngeren bis jüngsten Entscheidungspraxis des BGH und des BVerfG zur Strafbemessung und Verfahrensabsprachen in Wirtschaftsstrafverfahren darf man durchaus die Frage stellen, ob die zentrale Erwägung des OLG Oldenburg (verkürzt: „in Wirtschaftsstrafverfahren wird eh alles eingestellt und verdealt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist!“) so überhaupt noch tragfähig ist – wenn das nicht ohnehin gänzlich in den Bereich der Rechtspolitik gehört.
@jensalterego:
Bitte teilen Sie doch mit, bis zu welchem Betrag man von Schwund auszugehen hat. In dieser Höhe kürze ich dann künftig auch sämtliche Rechnungen. Schließlich werden die Anteilseigner schon nicht den Maserati verpfänden müssen…
Die Unterbringung nach § 64 StGB kann übrigens auch durch den Strafrichter angeordnet werden (siehe § 74 Abs. 1 GVG, danach ist die Strafkammer erstinstanzlich „nur“ für die Unterbringungen nach § 63 und 66 StGB zuständig). Ob man hier überhaupt zu einer Unterbringung kommen kann, dass weitere erhebliche Straftaten drohen, ist dann noch eine andere Frage; dazu ist aus dem Beitrag zu wenig zu sehen (Vorstrafen, ggf. der Verlauf früherer Bewährungszeiten und auch noch weitere laufende Verfahren).
Eine Einstellung nach § 153a StPO dürfte ohne Zustimmung der StA schwierig werden, zumal der Gutachter ja auch herausfinden mag, dass eine rein ambulante Behandlung bei einer entsprechend schwerwiegenden Suchterkrankung keine Erfolgsaussicht verspricht.
Insgesamt ein netter Versuch, die Verfahrensbeteiligten in eine Einstellung zu drängeln. Wenn das Gericht Zeit und einen Arsch in der Hose hat und es schlecht läuft, kann das für den Mandanten freilich auch für zwei Jahre in der Entzugsklinik enden.
Wenn der Angeklagte vom Typ „Alkoholiker und Junkie mit 27 Vorstrafen“ ist, wird das mit einer Einstellung nach § 153a nichts, da der Angeklagte die Auflage eh nicht erfüllt.
Ich gehe aber davon aus, dass das auch C.H. weiß.
Nur Kleinigkeit?
Die Vorlage des StA das Verfahren einzustellen aufgreifen und unterstützen.
Scheint ja nicht der erste Sixpack gewesen zu sein, den der Alki da mitgehen lassen wollte…
@jansalterego: frag doch mal bei der Gegenseite, beispielsweise dem Shopblogger, nach, was er von Einstellung des Verfahrens gegen Junkies hält…
Und der Supermarktbesitzer der davon Angestellte und eine Familie ernähren will? Ehrlich gesagt habe ich wenig Mitleid mit „Suchtkranken“, wenn irgendwann das Einzelhandelsunternehmen pleite geht hat damit niemand Verständnis und gibt ihm noch eine Chance…
Und wer von den geneigten „wenn das jeder täte“-Kommentatoren hier erwägt ernsthaft, selbst stark alkoholabhängig zu werden, weil man dann eventuell für den versuchten Diebstahl von Billig-Plörre nicht bestraft wird?
„Wenn das jeder täte“ ist hier ein wirklich schlechtes Argument. Es tut nicht jeder, ob mit oder ohne Strafe.
Erstmal vielen Dank Herr Ra. C.H. für ihr ambitioniertes Vorgehen
in einer vermeintlichen Bagatellsache ,das Leben in allen Formen ist
keine Bagatelle.
Meine Hochachtung ,es gibt nicht mehr viele Menschen Ihrer Sorte
schon gar nicht in diesem Tätigkeitsbereich .Ich nehme mal an das der
Betroffene wohl nicht gerade in der Lage war sie dafür entsprechend
zu entlohnen .
Meine Empfehlung an den Staatsanwalt der “Kleinigkeiten“ ,3 Euro
nehmen ,in den betroffenen Einzelhandel gehen ,das Sixpack Dröhngold
bezahlen ,sich den Herren mit dem “unsolidem” Lebenswandel schnappen
und unter der Hilfe des Dröhngoldes mal raus finden worin den
die Alkoholsucht begründet liegt .Bitte ohne Mitleid ,der ist im deutschen
Einzelhandel notwendig ,die sind gebrochen von den 11 Mrd. Tonnen
Lebensmitteln ,die sie jedes Jahr in den Müll werfen müssen um ihre Preise
stabil zu halten ,für den Edelsprit ihrer teuren Hustensaftverdampfer.
Wobei sich vielleicht mal einer darum Gedanken machen sollte ,bei dem
Zustand der Lebensmittel in diesem Land ,ob da nicht schon Illegal
Giftmüll entsorgt wird….