Gastbeitrag: Hauptamtliche Komplizenschaft

Immer wieder werden Strafverteidiger gefragt: Wie kannst Du „so einen“ eigentlich verteidigen? Diese (Party-)Frage wird oft mit grauseligen Taten illustriert, für die es – nach Ansicht des Fragenden – eigentlich nur eine Lösung geben könnte:

„Einsperren und Schlüssel wegwerfen“, wie es der ehemalige (in den 1980er Jahren) Verteidiger von Horst Mahler einmal vorgeschlagen haben soll.

Altkanzler Schröder hatte bei diesem seinem Vorschlag seinerzeit Sexualstraftaten zu Lasten von Kindern im (leeren?) Hinterkopf. So ähnliche Gedanken werden (heute) aber auch bei politisch motivierten Straftaten geäußert.

Im Juli 2012 hatte ich in diesem Zusammenhang über ein Rückhaltloses Charakterschwein berichtet, auf die eine Gegenrede der GAF erfolgte.

Der Kollege Roland Hermann aus Wien stellt mir dankenswerter Weise aus seinem aktuellen, stets lesenswerten Newsletter das bemerkenswerte „Editorial: Hauptamtliche Komplizenschaft“ zur Veröffentlichung zur Verfügung.

In einer der vielen UVS-Verhandlungen nach der Traiskirchen-Razzia hat sich einer der beteiligt gewesenen Beamten über die Art und Weise unserer Befragung so geärgert, daß er sich zur Aussage hinreißen ließ, wir – also die Vertretung der beschwerdeführenden Opfer dieser Razzia – seien „doch ohnehin hauptamtliche Komplizen der Dealer“.

Das wurde protokolliert und einige Wochen später hat er – wohl zähneknirschend – eine schriftliche Ehrenerklärung beim UVS eingereicht, um wohlfeile zweieinhalbtausend Euro an tarifmäßigen Kosten unseres Vertreters; seinen eigenen hat wahrscheinlich die Gewerkschaft bezahlt, vielleicht den unsrigen auch, wer weiß ….

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „juridikum“ findet sich, verpackt in einen unscheinbaren Bericht über den Leipziger Kongreß des Bundesarbeitskreises kritischer Juragruppen vom Vorjahr, folgende Episode:

Eine dem Freiburger Arbeitskreis nahestehende Anwältin hatte ihren Kanzleikollegen bei der Verteidigung eines bekannten Rechtsextremen unterstützt; selbiger hatte Linksaktivisten, die sich auf ihn zubewegten, mit dem Auto niedergefahren, die Verteidigung hatte erfolgreich auf Notwehr plädiert.

Entrüstung in der linkskritischen Ethikküche: Rechtsextreme dürfe man höchstens verteidigen, wenn Mangel an Verteidigern herrsche, aber dies freiwillig und ohne Not zu tun, laufe auf die Verteidigung einer rechtsextremen Handlung hinaus, sei eine Verbündung mit dem Gegner.

Ergebnis: Der Freiburger Arbeitskreis wurde wegen seiner Weigerung, die Zusammenarbeit mit dieser Anwältin aufzukündigen, aus dem Bundesarbeitskreis ausgeschlossen.

Na holla, da hat aber jemand die Funktion des Anwalts im Rechtsstaat ziemlich gründlich mißverstanden. Ich sag’s gleich: Die Verteidigerin, um die es da ging, war es nicht. Die hat nämlich genau das getan was dem Selbstverständnis des anwaltlichen Berufsstandes entspricht: Die Interessen ihres Klienten bestmöglich vertreten.

Seine Komplizin ist sie deshalb aber noch lange nicht geworden. Sie hat lediglich den Gegenpol zur staatlichen Anklage eingenommen, was einen Kräfteausgleich zwischen den einander in jedem Prozeß naturgemäß widerstreitenden Interessen und damit ein faires Verfahren überhaupt erst ermöglicht.

Daß ein jeder Anspruch auf ein faires Verfahren hat, egal was ihm angelastet wird, sollte eigentlich unbestritten sein. Die Alternative wäre ja hinlänglich bekannt: Man würde sich qua Vorverurteilung unweigerlich auf das Niveau der Tat begeben, deren (durch Erweislichkeit bedingte) Verwerflichkeit ja gerade den Anlaß zum Verfahren gibt.

Siehe dazu trefflich den großartigen Spencer Tracy ab 5.30: (der Oscar ging übrigens trotzdem an die Verteidigung).

Der Preis des fairen Verfahrens ist, daß das gesprochene Recht dem gebrochenen nicht immer gerecht wird. Auch im Rechtsleben gewinnt der Stärkere. Derjenige, der eben die besseren Argumente parat hat oder manchmal auch nur den besseren Vertreter. Alles andere wäre aber schon von vornherein bloße Makulatur, hätte mit einem rechtsstaatlichen Verfahren kaum mehr viel zu tun.

Sich als Vertreter die Klientel aussuchen zu können, je nachdem ob man sich mit deren Rechtsstandpunkt identifizieren kann oder nicht, ist ein seltener Luxus. Gerade Strafverteidiger wäre dann eine einigermaßen brotlose Angelegenheit, da ginge sich maximal hie und da mal ein kleiner Gauner aus, weil wer ist das selber nicht eh auch oder wärs zumindest gern ?

Aber sonst – Kinderschänder, Mörder, Rechtsextreme … alle ab in die Verfahrenshilfe, ins Glücksradl ?!

Oder überhaupt nur Unschuldige verteidigen ?

Aber selbst wenn einen der Klient vorab von seiner Unschuld überzeugen kann – was tun wenn sich die Sache im Zuge der Hauptverhandlung dann doch ganz anders darstellt und plötzlich muß man einen Schuldigen weiter verteidigen ?

Bei notwendiger Verteidigung einfach mitten in der Verhandlung das Mandat niederzulegen ist disziplinär, sagte die OBDK schon einmal (aus Anlaß der „Operation Spring“ – der Disziplinarbeschuldigte hatte damals aber weniger seinen Klienten satt als vielmehr die Umstände des Verfahrens).

Also gar net erst an sowas anstreifen, von vornherein nur ideologisch einwandfreie „gerechte“ Sachen übernehmen ? Aber wer legt die fest? Eine „kritische Juragruppe“ vielleicht ?

So was – also so ein institutionelles Gutmenschtum – gibt es nur in Freiburg oder Wien? Nein, das haben wir hier in Berlin auch. Und zwar an besonders empfindlicher Stelle, wie ich meine:

Bei den letzten Wahlen zum Vorstand der traditionell „linken“ (??) Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V. wurde der bisherige Vorstandvorsitzende, Rechtsanwalt Peter Zuriel, durch zwei in Ehren ergrauter Strafverteidiger(!), von denen sich einer als „Menschenrechtsanwalt“ bezeichnen läßt und der andere auch presserechtlich sowie als „Opferanwalt“ unterwegs ist, heftig dafür kritisiert, daß er einen Polizeibeamten verteidigt, dem man vorwirft, einen Demonstranten verprügelt zu haben (siehe taz vom 14.07.2010).

Rechtsanwältin Anja Sturm wurde bei ihrer Bewerbung um die Wahl in den Vorstand der Berliner Strafverteidiger u.a. von eben diesen beiden Strafverteidigern aufgefordert, sich dafür zur rechtfertigen (sic!), daß sie in dem NSU-Verfahren vor dem OLG München die Hauptangeklagte, Beate Zschäpe, verteidigt.

Wir leben in einer sonderbaren Welt.

(Anm.: Die Verlinkungen, auch innerhalb des Gastbeitrags, stammen von mir. crh)

Dieser Beitrag wurde unter Kanzlei Hoenig Info, Strafverteidiger veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

7 Antworten auf Gastbeitrag: Hauptamtliche Komplizenschaft

  1. 1
    Arne Karl Fellner says:

    Auch ich dachte früher so, bis ich Fälle wertefrei und unvoreingenommen selbst recherchierte. Was ich herausfand, war erschütternd.

  2. 2
    Engywuck says:

    nuja, dass ein Strafverteidiger absolut ohne seine eigenen Meinungen mit hereinzubringen oder zu ändern, also echt neutral, agiert wird wohl eher Ideal- denn Realfall sein (wie auch bei Staatsanwälten, Richtern, Lehrern etc).

    Ja, jeder verdient bestmögliche Verteidigung, aber genau aus diesem Grund bin ich mir nicht sicher, ob ich mir freiwillig einen Anwalt aussuchen würde, der meine Überzeugungen überhaupt nicht teilt – aus Sorge, er würde vielleicht nicht das letzte Quentchen Engagement mit hineinbringen, das nötig wäre. (Dazu muss es natürlich mindestens zwei ähnlich gute Anwälte geben, aber weiss man das als Mandant vorher?)

    Ebenso führt längere große Nähe zwischen Menschen (Mammutprozess?) auch schon mal dazu, dass man die Überzeugungen des Anderen mental darauf abklopft „ist da doch was dran“ und dann nicht mehr so komplett ablehnt, wie das vorher war.
    Aus diesem Grund bin ich nicht sicher, ob ich die langwierige Verteidigung in einem Fall wie bei Frau Zschäpe übernehmen würde. Nennen Sie es ruhig Feigheit, meine Charakterfestigkeit zu überprüfen :-)

    Dennoch: jeder Anwalt hat das Recht, jeden Angeklagten zu verteidigen und die Pflicht für den Angeklagten das bestmögliche herauszuholen.

    Dass ich trotzdem aus „der verteidigt dauernd Linksextremisten“ auf die politische Überzeugung des Anwalts schliessen würde ist ein anderes Thema – Vorurteile sind einfach zu schön, um sie wegzulassen ;-)

  3. 3
    Katharina says:

    Ich glaube nicht, dass es viele Leute gibt, die ernsthafte Probleme mit rechtsstaatlicher Strafverteidigung von wem auch immer haben – die „Partyfrage“ bezieht sich ja meist mehr auf die Gefühle, die man dabei manchmal haben könnte (so wie man das auch einen Schlachter fragen kann, dessen Produkt man hinterher selbst verzehrt) und stellt das nicht an sich in Frage.

    Aber viele Leute haben eben mit dem „Wie“ ein Problem. Mit Strafverteidigern, die ersichtlich auch emotional im „Lager“ des Mandanten stehen, sichtbar persönlichen Hass gegen Verfahrensbeteiligte und (Kron-)Zeugen der „Gegenseite“ entwickeln, herumtricksen, Verdunkelungsbeihilfe leisten uvm. Und von solchen Leuten ist auch bei Spencer Tracy nicht die Rede.

  4. 4
    Wolfram says:

    Vielleicht ist ja urban legend, was ich mal gehört habe, aber ich stimme dem behaupteten Prinzip durchaus zu:
    ein berühmter Anwalt soll gesagt haben, gerade bei Straftaten, wo die Volksmeinung hochkocht, sei die beste aller möglichen Verteidigungen notwendig und damit ein hochkarätiger Verteidiger – eben damit der Vorwurf eines Schauprozesses gar nicht erst aufkommen kann.

    *seufz* Aber manche Leute scheinen mit dem Prinzip des Volksgerichtshofes einiger zu gehen, als sie es vor sich selbst zugeben würden.

  5. 5
    philipp says:

    der gastbeitrag verfehlt das thema – es ging in der gröbmayr-debatte nicht um die allgemeine „funktion des anwalts im rechtsstaat“, sondern um das professionelle selbstverständnis einer kritischen oder linken anwaltschaft.

    hier ein guter artikel zur debatte:
    http://forum-recht-online.de/wp/wp-content/uploads/2012/11/FoR1204_200_Mueller.pdf

  6. 6
    Martin says:

    So schreibt die Welt! heute online:

    „Zschäpes Anwälte lassen sich instrumentalisieren

    Kann man den drei Anwälten im Ernst vorwerfen, dass sie so heißen, wie sie heißen? Nein, das kann man nicht. Was man ihnen aber vorwerfen kann, ist mangelnder Sinn für Symbolik und das fehlende Gefühl dafür, dass sie sich instrumentalisieren lassen.

    Es ist doch nicht zu übersehen: Die Namen der drei Verteidiger, Heer, Stahl, Sturm, lesen sich, als habe sie Frau Zschäpe sich ausgesucht, um zu provozieren.“

  7. 7
    jansalterego says:

    Herr Hoenig, ich weiß ja, wie Sie persönlich zu Nazis stehen, aber bittebitte, können Sie sich dann deren Sprachgebrauch verkneifen und das „Gutmenschtum“ weglassen? Der Begriff ist einfach verbrannt und existiert ohnehin – ähnlich wie der begriff „political correctness“ – nur in den Reden derer, die das darunter willkürlich subsumierte Verhalten ablehnen. In der Sache haben Sie ja völlig Recht, ich wünschte nur, Sie würden es durch die Form nicht konterkarieren.
    P.S.: „Selbstgerechtigkeit“ ist ein adäquater, ideologisch unbelasteter Alternativbegriff.