Der Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. hat heute folgende Presseerklärung veröffentlicht:
Am 20.02.2013 wurde Meikel K. von dem Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen. Das Gericht folgte mit seinem Urteil den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Der Tagesspiegel berichtet darüber in seiner Ausgabe vom 21.02.2013 und zitierte den Gerichtssprecher wie folgt:
Zwar ist es kein 1-A-Freispruch, wie ein Sprecher sagt. Das Gericht habe festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit der Unschuld sehr viel größer sei als die der Schuld. „Das Gericht hat aber nicht festgestellt, dass er es nicht war“ – das wäre ein Freispruch erster Klasse. „Ein Restverdacht bleibt.“
Diese Verlautbarungen können nicht unwidersprochen bleiben.
Die Strafprozessordnung kennt nur eine Art der Freisprechung. Einen Freispruch erster oder zweiter Klasse gibt es nicht. Diese Differenzierung hat der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen in den 1970er Jahren zu Recht aufgegeben. Nach einem freisprechenden Urteil ist für Restvermutung oder Restverdacht kein Platz. Mit einem Freispruch stellt das Gericht fest, dass die gesetzliche Unschuldsvermutung nicht widerlegt ist.
Es wäre wünschenswert, wenn nicht der Eindruck entstünde, dass Gerichte meinen, sich für prozessordnungsgemäß zustande gekommene Freisprüche entschuldigen zu müssen. Es spricht viel dafür, dass das eigentliche Problem ein achtmonatiges Verfahren gegen einen Unschuldigen ist – und der Unschuldige die gesamte Zeit in Untersuchungshaft verbringen musste.
Der Vorstand
Ich meine, es wäre zudem wünschenswert, wenn unsere Justiz auf Gerichtssprecher verzichten würde, die allenfalls für das Nachtmittagsprogamm der privaten Fernsehsender qualifiziert sind.
Ich frage mich, was genau die Kritik der Strafverteidiger ist. Kritisieren sie, dass ein Gericht überhaupt sich zu der Frage äußert, ob der Angeklagte erwiesenermaßen nicht der Täter war oder ob er nur aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde? Wenn das die Kritik ist, dann müsste man konsequenterweise fordern, dass ein Gericht im Falle eines Freispruchs nur noch eben diesen Freispruch als Rubrum verkündet und darauf verzichtet, auch seine Entscheidungsgründe zu nennen. Dann wäre allerdings eine Revision nicht mehr möglich: Wie sollte eine höhere Instanz prüfen, ob das Gericht fehlerhaft vorgegangen ist, wenn das Gericht über sein Vorgehen nichts mitteilt.
Oder haben die Strafverteidiger gar nichts dagegen, dass ein Gericht auch bei einem Freispruch seine Entscheidungsgründe nennt – und die Kritik besteht nur darin, dass ein Gerichtssprecher diese auch an die Presse weitergegeben hat? Zu solchen Auskünften ist er gesetzlich verpflichtet (Landespressegesetz) und es ist ja auch richtig so, dass Behörden und Gerichte verpflichtet sind, ihr Handeln und ihre Urteile öffentlich zu machen. Es gibt ja gute Gründe, warum Geheimprozesse abzulehnen sind. Schließlich würde es auch im Ergebnis nichts bringen, wenn der Gerichtssprecher in Zukunft über die Entscheidungsgründe schweigt. Journalisten wären dann gezwungen, sich selbst in die Prozesse zu setzen (oder interessierte Blogger oder freie Mitarbeiter damit zu beauftragen). Der Artikel sähe dann genauso aus, nur statt eines Gerichtssprechers würde dann direkt das Gericht zitiert.
Herr Hoenig, können Sie bitte Ihre Position noch einmal etwas genauer erläutern?
Welche Ausbildung muss so ein Gerichtssprecher eigenlich haben? Das habe ich mich schon oft gefragt. Ein juristischer Hintergrund ist wohl weniger gefragt als der eines Boulevardjournalisten.
Dieses ewige „erster Klasse“ geistert ja seit dem Wetterfrosch-Prozess immer wieder durch die einschlägig bekannten Medien. Echt traurig sowas von „offizieller“ Stelle auch noch weiter zu befördern.
@Sebastian Heiser
Auch wenn Sie Herrn Hoenig angesprochen haben: Das Fehlverhalten des Justizsprechers liegt meiner Meinung nach darin, daß er sich nicht darauf beschränkt, das Urteil (durchaus auch mit den Hauptpunkten der mündlichen Begründung) mitzuteilen, sondern auch eine Bewertung aufgrund von freihändigen Kriterien vornimmt („kein 1-A-Freispruch“). Das kommt einem Gerichtssprecher nicht zu – und würde übrigens auch nicht der erkennenden Kammer zukommen.
Hier werden „landläufige Kategorien“ mit den Weihen einer professionellen Stellungnahme versehen. Davon abgesehen: Nach den „landläufigen Kategorien“ würde hier sogar ein sogenannter „Freispruch 1. Klasse“ vorliegen, da „die Wahrscheinlichkeit der Unschuld sehr viel größer sei als die der Schuld“ (Originalzitat). Mehr kann man realistischerweise in Indizienprozessen nicht verlangen. Ein „Freispruch 2. Klasse“ (nach den „landläufigen Kategorien“, die keine eines Justizsprechers sein sollten) wäre es, wenn die Wahrscheinlichkeit für Schuld und Unschuld gleich groß sind, es eben nicht für die Überzeugung des Gerichts gereicht hat.
Wenn also ein „Freispruch 1. Klasse“ (in diesem Sinne!) durch einen Justizsprecher heruntergestuft wird auf „kein 1-A-Freispruch“ (wohl: „kein Freispruch 1. Klasse mit Sternchen“), dann kann das nur so verstanden werden, daß er meint, die Justiz in Schutz nehmen zu müssen, daß überhaupt angeklagt wurde. Eine solche Abwehrhaltung hat aber in einem Strafprozeß nichts verloren, da sie dem Ziel der Wahrheitsfindung abträglich ist. Von dem Aspekt des „Nachtretens ganz abgesehen.
Der Begriff „1-A-Freispruch“ wird in dem zitierten Text, im Gegensatz zu anderen Aussagen, gerade nicht wörtlich wiedergegeben (= In Anführungszeichen gesetzt), sondern stellt den redaktionellen Beitrag des Tagesspiegels dar – ob diese Wendung durch den Gerichtssprecher überhaupt gefallen ist, oder ob sie erst durch redaktionelle Verkürzung (Herr Heiser kennt das Problem) zustande gekommen ist, lässt sich aus Ihrem Beitrag nicht herauslesen.
Es ist fein, dass solche 1B-Sprecher von heiseren Durchblickern verteidigt werden. Die Intention, auszudrücken: „Eigentlich hätten wir ihn lieber verurteilt“, wird dabei wohl gern ausgeblendet.
Also bitte! Der Tagesspiegel schreibt – ich zitiere wörtlich- :“Zwar ist es kein 1-A-Freispruch, wie ein Sprecher sagt. “ Dies kann man nur so verstehen, als dass der Gerichtssprecher den Begriff so wörtlich verwendet hat. Wenn es anders wäre, hätte der Tagesspiegel unsauber gearbeitet, weil er eine inhaltliche Aussage suggeriert, die nicht der Wahrheit entspräche. Dann aber sollten Sie sich beim Tagesspiegel beschweren, nicht aber beim Blogverfasser. Dieser nämlich darf sich – wie jeder Bürger auch – in der Demokratie grundsätzlich auf die Arbeit der vierten Gewalt verlassen.
Bleibt abzuwarten, ob man noch was vom Gerichtssprecher zu hören bekommt in dieser Sache.
Hieße es nicht besser „Zweitklassiger Gerichtssprecher“?
Ich mein, dass es wünscheswert ist., wenn ein Gericht und sein Sprecher es einfach sagen darf. wie es ist.
@Zwerg:
Dann soll der Sprecher auch sagen, wie es ist: Dass der Freispruch erfolgte, weil dem Beschuldigten nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass er die Tat begangen hat. Punkt. Ganz nüchtern.
Dass laut dem Bericht die vorliegenden Beweise und Zeugenaussagen beträchtliche Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten aufkommen ließen, wäre vielleicht erwähnenswert, ließe die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft aber in keinem guten Licht erscheinen. Dann wäre es noch etwas mehr als ein Freispruch „Aus Mangel an Beweisen“.
…. weil dem Beschuldigten nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass er die Tat begangen hat. ….
Das ist eben etwas anderes, als die Feststellung, dass der Angeklagte es nicht war. Und wenn das Gericht das so gesehen hat, dann darf sein Sprecher das auch so sagen und zwar in einer Sprache die auch von Nicht-Juristen verstanden wird.
Die zitierte Presseerklärung hat einen kleinen Fehler: Meikel K. wurde nicht am 20., sondern bereits am 15. Februar freigesprochen.
Da es Freitag nachmittag war und die Medien, die den Angeklagten zuvor in die Pfanne gehauen hatten, durch Abwesenheit glänzten, erschien am nächsten Tag nur diese kleine Meldung:
http://www.jungewelt.de/2013/02-16/047.php
Am Montag darauf dieser Artikel:
http://www.jungewelt.de/2013/02-18/030.php
Danach erst griffen andere Medien das Thema wieder auf.
Außer einer kleinen, bösen, „linksextremistischen“ Zeitung hat also niemand den Prozess von Anfang bis Ende verfolgt. Wozu auch, wussten doch Bild, BZ und Berliner Kurier schon vor dem ersten Verhandlungstag, dass Meikel K. der „Hasstreter vom Alex“ sei.
Hier eine ausführliche Reportage:
http://www.jungewelt.de/2013/02-23/004.php
Es wird hier so getan, als hätte der Gerichtssprecher entschieden, dass es kein Freispruch 1. Klasse war. Das Gericht selbst hat dies aber ja anscheinend so festgestellt.
Wobei ich auch die Definition von O. Garcia merkwürdig finde.
Freispruch 1. Klasse: Die Unschuld wurde bewiesen
Freispruch 2. Klasse: Es gibt Zweifel an der Schuld
Und selbstverständlich darf ein Gericht in seinen Urteilsgründen mitteilen, dass ein Verdacht bleibt. Das Gericht kann sogar im Urteil feststellen, dass es stark von der Schuld des Angeklagten ausgeht, jedoch Restzweifel bleiben und deswegen freigesprochen werden muss. Das ist aber gerade ein Zeichen von einem Rechtsstaat und nicht der Untergang.
Aber der letzte Satz der PM kann auch nicht ganz erst gemeint sein, oder?!
Dieser Satz IST ernst gemein! crh
Also, wenn sogar der Staatsanwalt – wie in diesem Fall – einräumt, es spreche mehr für die Unschuld des Angeklagten als für seine Schuld; und wenn sich in den Abschlussplädoyers alle einig waren, dass er freizusprechen sei, dann ist es überflüssig wie ein Kropf, als Gerichtssprecher zu betonen, dass die Unschuld aber nicht bewiesen sei.
Die Unschuldsvermutung ist mir durchaus bekannt. Und diese ist zweifelsohne ernst zu nehmen. Aber man kann doch bitte nicht allein aufgrund eines – wie auch immer zu begründenden – Freispruchs behaupten, es sei ein Problem, dass ein Verfahren gegen einen Unschuldigen geführt wurde.
Auf diese Weise könnte man aus jedem Freispruch, ganz gleich welcher Klasse, einen Justizskandal machen, weil rückwirkend betrachtet immer ein zum Abschluss des Verfahren rechtskräftig Unschuldiger mal in Untersuchungshaft saß. Man muss sich natürlich angucken, ob das Verfahren ordentlich geführt wurde und die Voraussetzungen für strafprozessuale Maßnahmen, wie z.B. die Untersuchungshaft, im Moment ihrer Anordnung und Fortdauer vorlagen.
Ich kenne nicht die Einzelheiten des hiesigen Falls. Aber es liest sich nicht so, als habe man den Beschuldigen zu Unrecht inhaftiert, sondern lediglich wie eine Retourkutsche ob des – zugegebenermaßen verunglückten – Kommentars des Pressesprechers. Ich habe überhaupt nichts gegen direkte und spitze Bemerkungen. Aber wer als Reaktion auf unglückliche Formulierungen sich der gleichen Mittel bedient, hat er schwer ernst genommen zu werden.
Stefan: Alle Gerichtssprecher, mit denen ich zu tun hatte, waren immer selbst Richter an dem Gericht. Das scheint mir bundesweit so üblich zu sein.
Ich lese den Absatz aus dem Tagesspiegel so, dass der Begriff „1-A-Freispruch“ nicht unbedingt vom Gerichtssprecher kommen muss. Die wörtlichen Zitate des Sprechers kommen ja in den folgenden Sätzen in Anführungszeichen. Mir scheint, als ob der Tagesspiegel im ersten Satz die Aussagen des Gerichtssprechers in eigenen Worten und verständlich zusammengefasst hat. Wenn das so ist und ich diesen Artikel geschrieben hätte, hätte ich vielleicht auf das Verb „sagt“ verzichtet, um hier Missverständnisse auszuschließen.
CLW:
> dann ist es überflüssig wie ein Kropf,
> als Gerichtssprecher zu betonen, dass
> die Unschuld aber nicht bewiesen sei.
Aber wenn der Journalist danach fragt?
Da die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit teil der richterlichen Selbstverwaltung ist, wird die Aufgabe des „Pressesprechers“, also des Dezernenten für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, immer von einem Richter selbst – als Teil der Verwaltung – wahrgenommen. Dieser wird an Amts- und Landgerichten in der Regel auf Vorschlag des Präsidenten des Landgerichts durch das Präsidium bestimmt und nicht vollständig, sondern nur zu einem gewissen Anteil (je nach Größe des Gerichts und Umfang der Aufgaben) von seiner Tätigkeit in der Rechtsprechung entbunden, um die Aufgaben des Pressesprechers wahrzunehmen.
Das bedeutet im Klartext: Es handelt bei Gerichtspressesprechern nicht um „Medienprofis“, die einen entsprechenden medialen Hintergrund haben und insoweit mit den Pressesprechern von Ministerien oder großen Konzernen vergleichbar wären, sondern um „normale“ Richter, die neben ihrer Tätigkeit in der Rechtsprechung die Aufgabe des Pressesprechers übernommen haben.