Geschlossene Gesellschaft

Das Anwaltszimmer im Kriminalgericht Moabit hat seine eigene Atmosphäre. Es geht das Gerücht, die Ursache könne irgendwie mit dem Charakter der Strafverteidiger zu tun haben. Ohrringe bei Männern, Tätowierungen bei Frauen, Kostümträgerinnern und dreiteilige Seidenanzüge an schliptstragenden Männern … dieser Zirkel ist bunt. Genauso bunt wie die Mandantschaft.

Als Berufsanfänger vor vielen Jahren war ich bestrebt, diesem illustren Kreise anzugehören. Erste gemeinsame Verteidigungen mit erfahrenen Kollegen, das wiederholte Sehen und Gesehenwerden (vulgo: Schaulaufen) mit dicken roten Akten, atmosphärische Erzählungen davon, wie man den Polzeizeugen geknackt hat … und vieles mehr war für den Integrationsprozeß hilfreich.

Äußeres Zeichen der Zugehörigkeit war seinerzeit der Besitz eines Schließfachs im Nebenraum des Anwaltszimmers. Die Fächer waren knapp und ich mußte darauf warten, bis ich die Auszeichnung „Strafverteidiger mit Schließfach“ bekam. Erst mit der Schlüsselübergabe fühlte ich mich als vollwertiges Mitglied dieser verschworenen Gemeinschaft.

Schließfach

Seitdem sind lange Jahre vergangen, in dem ich meine Akten, meine Helme und Hüte in Schließfach Nummer 109 abgelegt habe, wenn ich sie (zwischendurch mal) nicht brauchte.

Im vergangenen Monat ist diese Aera nun zu Ende gegangen. Ich habe den Mietvertrag gekündigt und den Schlüssel an Frau Jacobs zurück gegeben. Die monatliche Miete spare ich für den Fall an, daß mir vielleicht irgendwann einmal der Hut geklaut werden sollte, der nun unverschlossen dem Zugriff Dritter preisgegeben in der Garderobe herumliegt.

Ich hoffe auf die Loyalität der Berliner Strafverteidiger, die mich hoffentlich deswegen nicht zwangsexmatrikulieren.

Dieser Beitrag wurde unter In eigener Sache, Strafverteidiger veröffentlicht.

7 Antworten auf Geschlossene Gesellschaft

  1. 1
    roflcopter says:

    Der typische Kleingärtner verlangt ja noch eine Abstandszahlung für seinen Garten von dem Neupächter, kündigt er den Vertrag auf.

    Das wäre doch auch mal was. „Nachmieter für Schließfach gesucht. Toplage, 2. Reihe von oben. Kein nerviges Bücken, alles auf Augenhöhe! Inventar (Tröndle Fischer in der Auflage 2001) kann bei Bedarf übernommen werden. 50€ VB“

  2. 2
    Bulli says:

    Mit dem Alter verschieben sich die Prioritäten. Und das ist gut so.

    Was kostet ein Schließfach im erlauchten Kreis?

  3. 3
    Donnerkatze says:

    Muss man sich Sorgen machen? :-/

  4. 4

    Die 109 ist frei, sagst Du?

    • Yep. Jedenfalls Ende des vergangenen Monats noch. Bestell gegebenenfalls Frau Jacobs einen Gruß von mir … dann regelt sie vielleicht was, wenn nix mehr frei sein sollte. crh
  5. 5
    Denny Crane says:

    Wenn ich eines von Anfang an nicht gebraucht habe, war es die Aufnahme in den Kreis der „Strafverteidiger“. Die Selbstbeweihräucherung über das vermeintliche „Knacken“ von Polizeizeugen und andere ach so geschickte Schachzüge, gepaart mit einer vermeintlichen Wichtigkeit ging mir nämlich schon auf den Keks, als ich das erste (und letzte) mal an einem „Strafverteidiger-Stammtisch“ teilnahm.

    Ich halte den größtmöglichen Abstand zu solchen Kollegen, die sich vielfach vor allem dadurch auszeichnen, daß sie bei jedem Prozeß das „Beck’sche Formularbuch für den Strafverteidiger“ abarbeiten und ebenso abgedroschene wie sinnlose Anträge stellen (siehe NSU-Prozeß) und sich dafür auch noch wechselseitig auf die Schulter klopfen, aber damit im Ergebnis wenig bis gar nichts erreichen. Mir ist die gemeinsame Verteidigung mit solchen Kollegen – die sich ja oftmals nicht vermeiden läßt – ein Graus. Daher nehme ich lieber an Prozessen teil, wo es nur einen Angeklagten und einen Verteidiger gibt.

    P.S.: Ich mag auch keine Ohrringe, vor allem nicht bei Richtern, Staatsanwälten, Polizeibeamten und Verteidigern… Ich bin ja kein Freund von Vorurteilen, aber damit ist nach meinem Eindruck häufig so eine gewisse Lässigkeit in der Berufsauffassung verbunden, die ich problematisch finde (Ausnahmen bestätigen die Regel).

    • Wissen Sie, als sehr angenehm bei und an den meisten Schlips- und/oder Ohrringträgern habe ich stets deren Toleranz anderen gegenüber empfunden. Bei denen, deren Bild ich gerade beim Schreiben im Kopf habe, hätten sogar solche Miesepeter wie Sie eine Chance gehabt. crh
  6. 6
    Denny Crane says:

    @ crh

    Och, ich bin doch gar kein Miesepeter. Ich bin ein ganz fröhlicher Anwalt. Ich mag nur keinen Klamauk im Strafprozeß, gleich von welcher Seite. Klamauk mache ich nach Feierabend.

    Also ich denke z.B bei Ohrringträgern unter Richtern an folgenden Typ: Abgeordneter der Grünen in der Gemeindevertretung. Man sieht ihn jeden morgen gegen 09.50 Uhr mit Jeans und Pulli bekleidet von seinem Fahrrad steigen und ins Amtsgericht schlurfen. Auf seinem Rücken ein kleiner Rucksack. Als Privatmann und Grünen-Mitglied unterschreibt er jede Petition gegen rechtsstaatswidriges Unrecht in Rußland und China. Als Richter unterzeichnet er jeden noch so fragwürdigen Haftbefehl und Durchsuchungsbeschluß. Ich kenne sogar einen Amtsrichter dieses Typs, der sich nicht einmal zu blöd ist, Durchsuchungsbeschlüsse gegen seine eigenen Nachbarn in seinem Öko-Spießer-Stadtteil zu unterschreiben. Da ist mir ja noch das konservative Fallbeil mit Hang zu drakonischen Strafen lieber. Der heuchelt wenigstens nicht… :-)

  7. 7

    Es war mir eine Freude im Urlaub von Frau Jacobs damals grüßend Ihren Gang zum Schließfach zu begleiten.

    Das Foto sorge bei mir grad für warme Gefühle der Nostalgie. Hach. Ich glaube, wenn man solche Dinge schreibt, ist das ein Zeichen, dass man alt wird, oder?