Gute Nachricht für Mollath aus der Waldstadt

Aus der „Waldstadt“, dem aktuellen Dienstsitz des Bundesverfassungsgerichts, kommen für Herrn Gustl Mollath freundliche Nachrichten:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im „Fall Mollath“

lautet die Überschrift der Pressemitteilung Nr. 56/2013 des Bundesverfassungsgerichts vom heutigen Tag, den 5.9.2013. Das Gericht hat bereits am 26. August 2013 unter dem Aktenzeichen 2 BvR 371/12 den entsprechenden Beschluß gefaßt. In der Mitteilung heißt es weiter:

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsbeschwerde des Gustl Ferdinand Mollath gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg stattgegeben. Die in den Beschlüssen des Jahres 2011 aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Fortdauer der Unterbringung zu rechtfertigen. Die Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:

1. Mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. August 2006 wurde der Beschwerdeführer von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung, der Freiheitsberaubung sowie der Sachbeschädigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gemäß der Urteilsbegründung sah das Landgericht den objektiven Tatbestand der angeklagten Straftatbestände als erfüllt an. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer zu den Tatzeitpunkten aufgrund einer paranoiden Wahnsymptomatik schuldunfähig gewesen sei. Die Unterbringung des Beschwerdeführers sei aufgrund der Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten geboten.

2. Mit Beschluss vom 9. Juni 2011 ordnete das Landgericht Bayreuth die Fortdauer der Unterbringung an, da nicht zu erwarten sei, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Bamberg mit Beschluss vom 26. August 2011 als unbegründet.

3. Trotz zwischenzeitlicher Entlassung aus dem Maßregelvollzug hat der Beschwerdeführer ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an der nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen, denn diese waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in sein Grundrecht auf Freiheit der Person.

a) Entscheidungen über den Entzug der persönlichen Freiheit müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben. Insbesondere darf der Strafvollstreckungsrichter die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen. In einer Gesamtwürdigung sind die von dem Täter ausgehenden Gefahren ins Verhältnis zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs zu setzen. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und die von ihm bislang begangenen Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es zudem, die Unterbringung nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und weniger belastende Maßnahmen nicht genügen.

Da es sich um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen. Bei langdauernden Unterbringungen wirkt sich das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs auch auf die Anforderungen aus, die an die Begründung einer Entscheidung zu stellen sind. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem immer stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist vor allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus.

b) Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 sowie des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 nicht zu vereinbaren. Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen.

aa) Es fehlt bereits an einer ausreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr künftiger rechtswidriger Taten. Das Landgericht setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass die Darlegungen des Sachverständigen zur Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten im schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2011 und in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 voneinander abweichen. Vor diesem Hintergrund durfte das Landgericht sich nicht auf eine bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung beschränken. Es hätte vielmehr unter Berücksichtigung weiterer Hinweise des Sachverständigen und sonstiger Umstände des vorliegenden Falles diese Einschätzungen gegeneinander abwägen und eine eigenständige Prognoseentscheidung treffen müssen. Im Rahmen einer solchen eigenständigen Bewertung hätte es darlegen müssen, welche Straftaten konkret von dem Beschwerdeführer zu erwarten sind, warum der Grad der Wahrscheinlichkeit derartiger Straftaten sehr hoch ist und auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen sich diese Prognose gründet.

Nichts anderes gilt im Ergebnis für den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. August 2011. Dieser nimmt im Wesentlichen auf das schriftliche Sachverständigengutachten Bezug, aus dem sich gerade keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten ergibt. Soweit das Oberlandesgericht ergänzend auf die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses Bayreuth abstellt, rechtfertigt dies keine andere Einschätzung.

bb) Darüber hinaus finden den Beschwerdeführer entlastende Umstände im Rahmen der notwendigen Prognoseentscheidung keine erkennbare Berücksichtigung. Zudem wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht ausreichend dargelegt, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das – angesichts der Dauer der Unterbringung – zunehmende Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag. Schließlich fehlt auch eine Befassung mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit nicht durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können.

Es ist bedauerlich, daß diese Feststellungen erst das Bundesverfassungsgericht treffen mußte. Dem interessierten Publikum erschienen die nun aufgehobenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg bereits nicht nachvollziehbar. Grund zur Erleichterung besteht nun insoweit, als daß es am Ende doch noch funktioniert mit dem rechtsstaatlichen Verfahren – auch Dank einer hervorragend betriebenen Verteidigung.

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Justiz, Strafrecht, Strafverteidiger veröffentlicht.

9 Antworten auf Gute Nachricht für Mollath aus der Waldstadt

  1. 1
    Ingo says:

    Das kann man wohl sagen! Da hat er in der Tat sehr feine Arbeit geleistet, der Herr Strate (und natürlich auch der Herr Kleine-Cosack, der für die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde verantwortlich zeichnet).

  2. 2

    Ich habe Zweifel, ob das „rechtsstaatliche Verfahren“, welches nun unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, auch so abgelaufen wäre, wenn die Medien nicht den Fokus darauf gerichtete hätten.

    Aber vielleicht bin ich nur zu pessimistisch (geworden).

  3. 3
    Palmi says:

    Ein kleiner Kommentar zur „Waldstadt“:
    Das ist keine eigene Stadt oder so, sondern nur ein kleiner Stadtteil von Karlsruhe.
    Das BVerfG ist also immer noch in der selben Stadt und hat sich nicht sehr weit weg bewegt.
    Mit dem Fahrrad braucht man vom alten Sitz zum Neuen keine 10 Minuten :)

  4. 4
    Martin Luther says:

    Ich bin dafür, dass die Gerichte ab sofort mit sachlich hervorragend kompetenten und im Berufsleben seit zig Jahren bewährten Anwälten besetzt werden.

    Anwälte dieser Güteklasse werden sicherlich nichts dagegen haben, von nun an für 4.500 Euro brutto tätig zu werden. Von Anwälten derartiger Kompetenz muss erwartet werden, dass sie nach Jahren des Geldscheffelns ihre Fähigkeiten selbstlos in den Dienst des Rechtsstaats stellen.

    Oder bin ich da im Lauf der Jahre zu pessimistisch geworden?

  5. 5
    Thomas R. says:

    @Martin Luther:

    Ich fasse ihren Kommentar mal zusammen:
    Richter werden so schlecht bezahlt, dass es akzeptabel ist, wenn sie einen so schlechten Job machen, dass es garkeinen qualitativen Unterschied mehr macht, ob sie befangen sind oder nicht.

  6. 6
    Martin says:

    nicht vergessen bitte: passiert ist der Skandal in
    Bayern!

  7. 7
    Martin Luther says:

    Ich fasse meinen Kommentar mal so zusammen:

    Die Kritiker mit den wohlfeilen Vorschlägen sollen sich mal überlegen, wie es besser gehen könnte, und ob sie bereit wären, ihrerseits ihr Scherflein beizutragen.

    Das permanente Gemecker auf die Justiz ohne Nennung von konkreten Verbesserungsvorschlägen geht mir gewaltig auf den Keks.

    Es steht allen hochqualifizierten Anwälten frei, sich für die Justiz zu bewerben und mit den Missständen aufzuräumen.

    Auf geht’s!

  8. 8
    O. García says:

    @Martin Luther

    Sie suchen konkrete Verbesserungsvorschläge?

    Dann möchte ich Sie auf die 10 Punkte des nordbayerischen Anwalts „anonymer Feigling“ hinweisen, da werden Sie fündig (nicht allen stimme ich zu, aber die meisten treffen ins Schwarze):

    http://gabrielewolff.wordpress.com/2012/12/21/der-fall-gustl-mollath-rosenkrieg-und-versagen-von-justiz-psychiatrie-iv/comment-page-1/#comment-1274

  9. 9
    schneidermeister says:

    Herr Grarcia,
    leider ist der Vorschlag Nr. 3 von Unkenntnis des anonymen Feiglings getrübt, obwohl er doch in Bayern tätig sein will. Ein Richter, der die dreijährige Probezeit überstanden hat, kann, wie in jedem anderen Bundesland auch, keineswegs wegen zu vieler Freisprüche oder ähnlicher vermeintlicher Unbotmäßigkeiten wieder zur Staatsanwaltschaft versetzt werden, sondern sitzt, wenn er nicht anders will, sein Leben lang auf seiner Richterstelle. Der Wechsel findet nur in der Probezeit statt (in Baden-Württemberg war zumindest vor einigen Jahren in der Probezeit 1 Jahr LG-Kammer, 1 Jahr Amtsgericht und dann Staatsanwaltschaft vorgesehen; in Berlin gibt es wohl ein Pflichtjahr).
    Praktisch läuft es dann so: Der Proberichter ist bei einer Kammer oder am Amtsgericht tätig (Zivil – oder Strafsachen), kommt dann innerhalb der 3jährigen Probezeit (da und nur da geht das Versetzen noch) zur Staatsanwaltschaft und wird irgendwann nach 3-5 Jahren, wenn er will, wieder Richter. Ab dann ist er als Richter auf Lebenszeit bei seinem Gericht und kommt gegen seinen Willen niemals zur Staatsanwaltschaft zurück.

    Richtig ist aber, dass aufgrund des Laufbahnwechselsn sich viele Richter und Staatsanwälte gelegentlich aus gemeinsamen Dienstzeiten bei Gericht oder StA pesönlich kennen. Dass (wie es wohl beim Fall Mollath war) eine kurze Referendarstation bei einem Richter zu besonderer persönlicher Nähe führt, glaube ich eher nicht. Speziell in Bayern sind die Referendare wenigstens 50 % der Ausbildungszeit in Arbeitsgemeinschaften und auf Lehrgängen, um das Klausurschreiben und die Pflichtfächer Familienrecht und Steuerrecht eingebimst zu bekommen, also gerade nicht auf dem Schoß des Ausbildungsrichters.