Höllenengel in allen Himmelsrichtungen

Die Berichterstattung aus dem Hause Springer ist nicht unbedingt ein leuchtendes Beispiel für Qualität im Bereich der Printmedien. Ich rede jetzt nicht nur von dem mit übergroßen Lettern und Brüsten bedruckten Papier aus der Rudi-Dutschke-Straße. Auch die anderen Blätter aus dieser Ecke scheinen es nicht so ernst zu nehmen mit dem Anspruch an saubere Berichterstattung.

Schauen wir uns mal ein Beispiel aus der Berliner Morgenpost vom 2. Mai 2013 an.

Der 1. Mai lieferte den Krawallmachern aus Kreuzberg kein Material; also den Reportern, meine ich. Dann müssen sie eben an anderer Stelle suchen, um das Blatt zwischen der Werbung voll zu kriegen.

Die starke Polizeikonzentration auf Grund der vielen Demonstrationen am 1. Mai haben Rocker der Hells Angels und Red Devils zu einer Demonstration der Stärke ausgenutzt.

[…]

Die Rocker haben es offenbar ausgenutzt, dass Tausende Polizisten bei den großen Demos in Schöneweide und Kreuzberg waren

Könnte es sein, daß der arbeitsfreie Tag von den Motorradfahrern offenbar genutzt wurde, um eine gemeinsame Ausfahrt zu machen? Nein, kann es nicht; denn dann könnte man ja darüber nicht berichten.

Die etwa 70 Rocker waren bei ihrer Ausfahrt auf schweren Harley-Maschinen sowie in teuren Autos und Vans unterwegs.

Kommt hier etwa der Neid eines freien Journalisten zum Ausdruck, der sich von seinem schmalen Zeilenhonorar lediglich eine Zwiebacksäge wie die Peugeot 103 oder das vierrädrige Modell 105 aus dem selben Hause leisten kann? Ja, Harleys sind schwer, es sind ja auch keine Sportmaschinen. Welchen Informationsgehalt hat dieser Satz sonst noch?

Ein starker Verband von Hells Angels und Mitgliedern von Unterstützer-Klubs hatte sich am Maifeiertag von 12.45 Uhr im Zehlendorfer Ortsteil Nikolassee auf der Spinnerbrücke getroffen.

Nun, an einem sonnigen Feiertag treffen sich an der Spinnerbrücke in aller Regel mehrere Hundert Zweiradfahrer, auf schweren Harley-Maschinen, auf leichten Supersportlern und manchmal auch auf Zwiebacksägen. Ein paar davon tragen Kutten, andere Schleifpads an den Knie und ein paar wenige auch Badelatschen (der Wannsee ist in der Nähe!).

Der Überschrift des Artikels ist zu entnehmen, daß der Haupteingang nach Berlin komplett dicht war:

Hells-Angels-Rocker blockieren die Berliner Avus

Der Unsinn wird allerdings im Text korrigiert:

Nach Angaben von Augenzeugen blockierten die Rocker dabei die Avus-Zufahrt Spanische Allee.

Es handelt sich also nicht um die komplette Autobahn, sondern schlicht um die Auffahrt, die an sonnigen Feiertagen (s.o.) von den Besuchern der ehemaligen Pommesbude auf „der Brücke“ genutzt wird.

Rocker ignorierten sämtliche Verkehrsregeln …

Das muß jetzt nicht weiter kommentiert werden, oder?

… wobei andere Verkehrsteilnehmer behindert und besonders auf der Avus stadteinwärts zum Teil genötigt wurden.

Wenn man sich vergegenwärtigt, was sonntags Nachmittags stadteinwärts auf der AVUS abgeht, braucht man keinen einzigen Rocker, um von „Behinderungen“ und „Nötigungen“ zu sprechen. Bei Lichte betrachtet sieht es doch so aus, daß ein paar Moppedfahrer nach einem Imbiss auf die Autobahn gefahren sind und ein paar Autofahrer kurzzeitig den rechten Fuß lupfen mußten, um sich anschließend ungehindert (?) weiter im zähflüssigen Verkehr in die Stadt hinein zu quälen.

Das Finale der AVUS, es naht der Ku’damm:

Im Konvoi verließen die Hells Angels aus Berlin und Potsdam die Autobahn am Funkturm und fuhren über Halensee auf den Kurfürstendamm. Dort missachteten die Rocker nicht nur massiv rote Ampeln.

Wir haben in unserer Kanzlei jedes Jahr eine hohe zweistellige Anzahl von Autofahrern, denen man einen massiven Rotlichtverstoß vorwirft. Das sind alles keine Verbrecher, sondern oftmals gut situierte Schlipsträger, teils mit Kutte (vulgo: Weste eines Dreiteilers) und gar nicht so wenige Journalisten, die mal eben schnell noch bei Dunkelgelb über die Fußgängerampel …

Eine im Amtsdeutsch genannte Verbundfahrt wäre anmeldepflichtig gewesen.

Eine spontane Fahrt von „der Brücke“ in die Stadt ist selbstverständlich nicht anmeldepflichtig, aber an sich – auch wenn es so wäre – auch nicht der Rede wert. Wenn es denn ein werthaltiger Bericht werden soll.

zudem sei das Tragen der sogenannten Rockerkutten eine Ordnungswidrigkeit.

Zum Thema „Wert“ noch eine Anmerkung: Wenn man keine Ahnung hat … Mir ist jedenfalls keine Vorschrift bekannt, nach der das Tragen einer Kutte verboten oder erlaubnispflichtig wäre. Von verbotenen Abzeichnen oder Colors („Berlin City“) berichtet hier niemand.

Erst eilig herbei gerufenen Polizeikräften gelang es, den Aufmarsch der Rocker in Schöneberg zu stoppen. Um sich beabsichtigten Kontrollen der Polizei zu entziehen, rasten die Höllenengel in alle Himmelsrichtungen davon.

Na, wenigsten ein bisschen Sprachwitz hat der Springer-Schreiber. :-)

Ich kann mir die Situation gut vorstellen. Da fahren ein paar Harleys – sagen wir mal zehn oder so – die Grunewaldstraße entlang, als die zufällig vorbeifahrende Besatzung eines Opel Corsa zur Kelle greift. Ein Teil der Kradler biegt nach links, ein anderer Teil nach rechts in die Martin-Luther-Straße ab, der Rest tuckert weiter in Richtung Kurfürstenstraße. Harleys und rasen? Also, nahörensiemal!

Dann endlich, ganz zum Schluß (genau wie in den alten Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill) kommt es doch noch zu einer Keilerei:

An der Kurfürstenstraße wurden drei der Rocker gestoppt, wobei es zu einem Angriff auf einen Beamten kam. Ein Rocker leistete Widerstand und versetzte einem Beamten einen Kopfstoß, der dadurch leicht verletzt wurde. Der Angreifer konnte überwältigt, gefesselt und festgenommen werden.

Die Qualität der Berichterstattung bis hierher deutet darauf hin, daß man über diese Situation vielleicht auch anders berichten könnte. Wenn sie sich eben anders ereignet hat. Das wissen wir aber nicht, lieber Zeilenhonorarempfänger.

Nein, ich widerstehe nun der Versuchung, am Ende dieses Beitrags über einen Polizeiübergriff mit Quarzhandschuhen und Pfefferspray zu berichten. Ich will mir ja nicht nachsagen lassen, ich würde tendenziös und ohne jeden Sachverstand berichten.

Zusammenfassung:
Also was ist eigentlich am 1. Mai passiert? Ein Journalist hat einen Bericht geschrieben.

Danke an die Donnerkatze für den Hinweis auf diesen Bericht. crh

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Rocker veröffentlicht.

6 Antworten auf Höllenengel in allen Himmelsrichtungen

  1. 1
    NurEinUnbedeutenderFan says:

    Herr Hoenig, Sie sind der Pöbel-Prinz unter den bloggenden Strafverteidigern – aber genau das macht den Charme dieses Blogs aus. Von daher: Weiter so. ;-)

  2. 2
    Thomas says:

    Besonders gefährlich scheint mir die Dame mit der Gazelle- oder Sparta-„Maschine“, die als letzte im Konvoi fährt (siehe Video), die erreicht doch niemals die Mindestgeschwindigkeit auf der Stadtautobahn.

  3. 3
    huiwgf says:

    Schlechte Berichterstattung bei der Boulevardpresse? Ich bin erschüttert!

  4. 4
    Leezist says:

    Hat Herr Hoenig halt wieder Punkte bei der finanzstarken Rockerklientel gesammelt.

    Irgendwo müssen die nächsten OK-Mandate ja herkommen.

  5. 5
    Kristoff says:

    och :) ich mag solche berichte, mit einer der grunde warum ich dieses blog abonniert habe.

    ruhig weiter so

  6. 6
    Wolfram says:

    Ich will ja keine Erbsen zählen, aber wer sich einen Peugeot 105 in die Garage stellen kann, dürfte wohl kaum neidisch auf die Leute blicken, die eine Harley bezahlen können.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Peugeot_Typ_105
    Und auch die Peugeot 103, DAS Gefährt der französischen Jugend in den Achtzigern, ist mittlerweile ein gesuchtes Sammlerstück.

    Allerdings würde es mich reizen, amüsiert zu lesen, was der Journalist über das Verhalten der Postboten auf ihren Mopeds auf der Stadtausfahrt von Saintes (17) schreiben würde…