Lieber Heinrich, mir wird kalt!

Selbstverständlich hat es den betroffenen Protagonisten Gustl Mollath am schlimmsten erwischt. Die Details sind hinreichend bekannt. Betrachtet man aber die größere Fläche, auf der sich dieses Drama abspielt, läuft es einem eisekalt den Rücken runter.

Gestern habe ich über das Ermittlungsverfahren berichtet, das seit zwei Monaten gegen den Verteidiger, Rechtsanwalt Gerhard Strate, geführt wird, um mit einer einspännigen Retourkutsche von eigenen Fehlern abzulenken.

Ziemlich zeitgleich wird auf Telepolis berichtet, daß vertrauliche Telefonate zwischen der Verteidigerin Erika Lorenz-Löblein und Gustl Mollath von Mitarbeitern der forensischen Psychiatrie in Bayreuth abgehört wurden.

Die Gesprächsinhalte wurden laut Telepolis in einer vom Leiter des Bezirkskrankenhauses, Dr. Klaus Leipziger, sowie von der Oberärztin Ines Bahlig-Schmidt, verfaßten Stellungnahme verarbeitet, um die erneut prognostizierte Gefährlichkeit von Mollath weiter zu untermauern.

Eine vertrauliche Beschwerde des Patienten Mollath bei seiner Verteidigerin über kontroverse Sachverhalte, die sich innerhalb der forensischen Psychiatrie in Bayreuth abgespielt haben, wird abgehört und anschließend als Argument dafür benutzt, die Fortdauer der Unterbringung zu empfehlen. Ich glaub das einfach nicht!

Gegen diesen Eingriff wehrt sich laut Telepolis in einem Beitrag vom 23.06.2013 nun wohl auch die Münchner Rechtsanwaltskammer, die sich für meinen Geschmack aber nicht stark genug macht.

Es reicht meiner Ansicht nicht aus, wenn die Kammer dezent auf ein mögliches Verwertungsverbot von Inhalten dieses mitgehörte Telefonat verweist, und um Unterstützung der Rechtsanwaltskammer in Bamberg nachsucht. Es genügt auch nicht, wenn sich die Vorstandsmitglieder der Rechtsanwaltskammer dafür einsetzen, dass Mollath „die Möglichkeit geschützter Telefonate mit seiner Verteidigerin eingeräumt wird.“

Dafür gibt es ein eindeutiges Gesetz, das die Vertraulichkeit von Verteidigergesprächen regelt und sie schützen soll! Es ist unter Strafe gestellt, wenn die Vertraulichkeit des Wortes verletzt wird! Jedenfalls in den meisten Teilen Deutschlands.

Den Lauschern gehören die Ohren abgeschnitten; ein Bewurf mit Wattebällchen ist nicht das geeignete Instrument, um öffentlich-rechtliche Rechtsbrecher wieder in die Spur zu bringen.

Seit 1844 ist zwar schon reichlich Wasser den Roten Main runter geflossen. Mit einer kleinen Korrektur paßt der alte Heine aber immer noch ganz gut:

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland Bayern, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!

[…]

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!

Heinrich Heine: Die schlesischen Weber

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Knast, Strafverteidiger veröffentlicht.

9 Antworten auf Lieber Heinrich, mir wird kalt!

  1. 1
    Trino says:

    Also wenn das die Stellungnahme des BKH ist, die ich gelesen habe, dann wird dort moniert, dass Mollath sich am Telefon lautstark und abwertend über Klinikmitarbeiter äußert … d.h. das BKH wirft Mollath vor, dass er am Telefon absichtlich so laut spricht, dass vorüberkommende Mitarbeiter verstehen was er sagt. Soviel zu diesem Vorwurf …

    Der wahre Skandal ist m.M. nach die Logik der BKH Stellungnahme, die im Kern sagt: Solange Mollath nicht anerkennt, dass er geisteskrank ist, kann er nicht geheilt werden. Entlassung ist erst nach Heilung möglich. Dass Mollath anerkennt, dass er geisteskrank ist, erkennt man daran, dass er freiwillig in der Klinik bleibt. -> Entlassen werden könnte Mollath erst, wenn er nicht mehr entlassen werden will …

    Wer da ruhig bleibt, ist meiner Meinung nach geisteskrank …

  2. 2
    Arno says:

    Der Skandal ist, dass die Verantwortlichen nicht zurücktreten oder angeklagt werden. Wie stellen die sich die Vertuschung vor? Sesselkleber auf den Amtssitz und sitzenbleiben? Das Verhalten von Justiz und Politik erinnert an das tiefste Mittelalter!

  3. 3
    tobi says:

    Es ist eine unglaubliche Mauschelei. Es ist naheliegend, dass mehr von dieser Art von Aktion in Deutschland existieren.

    Die Justiz ist ja wohl noch relativ sauber, aber in der Politik sind solche Aktionen an der Tagesordnung. Auch gemessen an Umfang und Dreistigkeit.

    Unser Land gehört teilweise nicht mehr dem Volk.

  4. 4
    ??? says:

    Für das, was die SZ-Redakteure der Franken-Redaktion dieser auflagenstarken Zeitung für Mollath unentgeltlich tiun, kann er Gott auf Knien danken.

    Er müsste, wenn er jemals wieder herauskommt, die Hultschiner Straße entlangrutschen und in dem SZ-Hochhaus auf jeder Treppenstufe eine Verbeugung machen.

    Die Medien sind nun mal die vierte Macht im Staate.

  5. 5
    Dieter Ecksturm says:

    Die einen haben gesündigt durch die Tat, die anderen durch ihr teilnahmsloses Zuschauen. Wieder andere, die die Macht dazu gehabt hätten, haben nicht eingegriffen und dem Bösen, dem Wahnsinn nicht Einhalt geboten, als es noch möglich war.

    Aus welchem Boden hat das Böse seine Kraft gewonnen? Die tiefsten Wurzeln liegen in dem ungezügelten Materialismus, der seit vielen Jahren unser ganzes Volk ergriffen hat, und in einer aus materialistischem Streben erwachsenen, bis ins äußerste vorgetriebenen Fortbildung des Staatsgedankens, der seit längerem im ganzen deutschen Volk herrschend geworden war.

    Dr. Konrad Adenauer; Aufruf an die Kölner Bevölkerung am 7. Juli 1945

  6. 6
    Euler Hartlieb says:

    All diese fortdauernden Merkwuerdigkeiten, Unglaublichkeiten und Verirrungen der Gerichte, die unselige Verflechtung von Politik, Psychiatrie und Justiz sind schwer verstaendlich ohne einen Bilick auf die Entwicklung von HVB, der Muenchner HRE bis hin zur nun bundeseigenen FMS Wertmanagement; deren schrittweise Bundesbesicherung und Uebernahme mit einem 3-stelligen Milliardenbetrag (!!), bei der fast das gesamte Who is Who der bundesdeutschen Bankenszene und Wirtschaft auf Kosten des Steuerzahlers (vielleicht ja auch in dessen Interesse) „gerettet“ wurde und wird.
    Zumindest die Ueberlegung eines moeglichen, von manchen vermuteten, Zusammenhangs zwischen einem dreistelligen Milliardenverlust (!!), den kritisierten Schwarzgeldverschiebungen und dem was Mollath widerfaehrt, muss ohne Einschraenkung, Scheuklappen und Verschwoerungsschelte zur Loesung dieses „magischen Raetsels“ moeglich sein.
    Zur Erhellung neben opa bspw. ein HRE-Link aus Wikipedia:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Hypo_Real_Estate#cite_note-206

  7. 7
    mxb says:

    @trino:
    Dass mir diese „logische“ Figur (die der BKH) einmal in freier Wildbahn über den Weg läuft…
    Bisher war sie mir nur aus Catch-22 von Joseph Heller bekannt (btw: Leseempfehlung!), dort in der Form: „Wer verrückt ist braucht keine Kampfeinsätze mehr zu fliegen, wer aber keine Kampfeinsätze mehr fliegen will, kann nicht verrückt sein, weil es völlig normal ist, sein Leben nicht aufs Spiel setzen zu wollen.“

    kopfschüttelnd

  8. 8
    Psychiater says:

    @ Euler Hartlieb:

    Sind Sie Gustl Mollath?

  9. 9
    Euler Hartlieb says:

    Wie ist die Frage gemeint?