Nicht erforderlich: Fluchtgefahr bei Mord und Totschlag

Der Tagesspiegel, den ich viele Jahre immer wieder gern gelesen habe, berichtet über den Fall des getöteten Kollegen aus dem Berliner Westend. Leider nicht in der gebotenen Qualität.

Die unvollständige bzw. falsche Berufsbezeichnung des Verstorbenen – er war Notar, Rechtsanwalt und (nicht nur) Steuerberater – ist eine (mit Googles Hilfe einfach vermeidbare) Nachlässigkeit. Geschenkt.

Aber dieser Satz hier zeigt, daß die beiden Journalistinnen auch juristisch unsauber gearbeitet haben:

Für einen Haftbefehl müssten zudem Gründe wie Fluchtgefahr vorliegen, was in diesem Fall nicht zutrifft.

Dabei erschließt sich auch einem juristischem Laien, der sich nicht scheut, mal kurz ins Gesetz zu schauen, sofort: Für Mord und Totschlag braucht es keine Fluchtgefahr, wenn die Untersuchungshaft angeordnet werden soll. Der dringende Tatverdacht allein reicht.

Kann man hier nachlesen: § 112 Abs. 3 StPO.

Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat […] nach den §§ 211, 212, des Strafgesetzbuches […] dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

In diesem § 112 Abs. 2 StPO sind die Haftgründe, u.a. auch die Fluchtgefahr, genannt.

In dem vorliegenden Fall kommt eine Inhaftierung nicht in Betracht, weil der dringende Tatverdacht nach Auskunft der Staatsanwaltschaft nicht besteht. Bereits das ist das KO-Kriterium für den Erlaß eines Haftbefehls.

Ok, ich kann es ja nachvollziehen, daß ein Nichtjurist Pickel bekommt, wenn er ein Gesetz, insbesondere die StPO, lesen soll. Aber dann kann man doch irgendeinen Strafverteidiger mal anrufen und nachfragen. Ich verstehe das nicht …

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Strafrecht veröffentlicht.

8 Antworten auf Nicht erforderlich: Fluchtgefahr bei Mord und Totschlag

  1. 1

    Vielleicht haben die angerufen, nur den falschen …..

  2. 2
    anon says:

    Vllt wollte der befragte Strafverteider direkt Geld dafür haben. ;-)

  3. 3
    le D says:

    Vielleicht haben sie auch angerufen und eine zutreffende Antwort erhalten – die hat dann aber evtl. nicht in das Konzept gepasst und ist dann wieder aus dem Artikel geflogen.

    Ist mir in meinem Bereich schon mehrfach passiert, sowohl bei Telefoninterviews für Print, als auch bei Radio-Interviews, die nicht live über den Äther gingen.

  4. 4
    Ein Student says:

    Nach BVerfG braucht man auch bei § 112 Abs.3 StPO einen Haftgrund nach § 112 Abs.2 StPO.
    Nur reicht bei § 112 Abs.3 StPO schon eine geringe oder entfernte Flucht- bzw. Verdunklungsgefahr, die allerdings nicht unbedingt mit konkreten Tatsachen belegt sein muss (BVerfGE 19, 342 ff).
    Also lag der Tagesspiegel nicht ganz falsch, auch wenn es ziemlich unpräzise war

  5. 5

    Bei den vielen Schießereien in Berlin kann selbst ein Redakteur des Tagesspiegel einmal durcheinander kommen.

    Oder waren die besagten Fehler eine Art der Provokation im noch legalen Bereich ?

  6. 6
    Mirco says:

    Es ist zu vermuten, dass gefragt wurde , nur die Antwort stimmt im Kontext, zwischen Mord und Totschlag, nicht so ganz. Insoweit ein lässlicher Fehler. Immerhin wissen wir nun, das Gründe wie Fluchtgefahr nicht vorliegen, die den Staatsanwalt auch dann vom Haftbefehlen abhalten könnten, wenn der Tatverdacht doch dringenden sollte.

  7. 7
    ui-ui-ui says:

    Das war mir jetzt neu mit dem § 112 III StPO.

  8. 8
    rakuemmerle says:

    jetzt müsste eigentlich so ein schlauer Studentenspruch kommen: Steht immer eins dahinter…