Paradiesisches Deutschland

Wenn ich mir die Regeln anschaue, die die Rennleitung südlich des Bodensees anzuwenden hat, haben wir hier – nördlich des Bodensees – geradezu paradiesische Verhältnisse:

Ich zitiere mal zwei Vorschriften aus dem Strassenverkehrsgesetz (SVG) der Schweiz (pdf) nach der Änderung vom 15. Juni 2012:

Artikel 16c Abs. 2 SVG:

Nach einer schweren Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis entzogen für mindestens zwei Jahre, wenn durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bestand, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen; Artikel 90 Absatz 4 ist anwendbar.

Das „Risiko“ muß nur abstrakt bestehen; eine konkrete Gefährdung ist nicht erforderlich. Wann dieses Risiko erstens „hoch“ ist, und zweitens unwiderlegbar besteht, regelt der besagte Artikel 90 Abs. 4 SVG, der da lautet:

… ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um:

a. mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b. mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c. mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d. mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.

Aber Artikel 90 Absatz 3 SVG setzt noch einen oben drauf:

Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.

Ich übersetze das mal in eine verständliche Ansprache:

Wer in einer Tempo-30-Zone schneller als 70 km/h unterwegs ist, fährt mindestens für 1 Jahr ein und gibt seine Fahrerlaubnis mindestens(!) 2 Jahre lang ab.

Bei uns (nördlich, s.o.) sähe das – laut Bußgeldrechner auf verkehrsportal.de – so aus:

Bußgeldrechnerergebnis

Und: „Waghalsiges Überholen“ – was das ist, entscheidet dann im Einzelfall das linke oder rechte Bein des Richters, mit dem er morgens aus seinem Bette aufgestanden ist.

Bevor ich es vergesse: Wer solcherarts erwischt wird, kann zuverlässig damit rechnen, daß sein Kraftfahrzeug als „Tatmittel“ eingezogen wird (Art. 90a SVG). Und das tut ja nun richtig weh …

Es könnte also eine ernsthafte Überlegung Wert sein, in der Schweiz die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Schwarzfahren (Erschleichen von Leistungen) wird dort nicht so hart bestraft wie Schnellfahren.

Besten Dank an Stefan Gerber, Rechtsanwalt und Notar in Steffisburg (Schweiz) für diese Warnung.

update:

Wie die ersten Tage (die Novelle ist seit 1.1.13 in Kraft) zeigen, wird diese Regelung sehr konsequent umgesetzt…

Ergänzt Rechtsanwalt Stefan Gerber noch

Dieser Beitrag wurde unter Ordnungswidrigkeitenrecht veröffentlicht.

17 Antworten auf Paradiesisches Deutschland

  1. 1
    Ö-Buff says:

    Tja, wenn die Verstöße nachweisbar sind? Das würde auch hierzulande eine gewisse Wirkung nicht verfehlen.

  2. 2
    Caron says:

    Ich sehe das Problem auch nicht. Das sind alles Hausnummern, die nicht aus versehen passieren. Ich würde in Deutschland vielleicht noch eine Klausel reinsetzen, die sowas ausschließt auf Autobahnen, wo die Begrenzung nicht auf die STraßenverhältnisse zurückgeht, also z.B. Lärmschutz. Da kann man thgeoretisch ein Schild übersehen und 190 statt 100 fahren, ohne jemanden mehr zu gefährden als auf unbegrenzten Stücken. Das könnte man hier aber sicher auch reindiskutieren, ohne dass es konkret da steht.
    DIe Schweiz braucht das nciht, weil man dort keine unbegrenzten Straßen hat und so auch immer absolute Höchstgrenzen überschreitet.

    Wer auf einer Landstraße 160 oder 180 fährt macht das mit voller Absicht, gefährdet massiv fremde Leben und ist eindeutig kriminell. Ich sehe kein Problem damit, dass der dafür einfährt.

  3. 3
    Räder says:

    Da versteht man das ständige Genöle der Anwälte über die OWi-Rechtsprechung in D tatsächlich nicht.

  4. 4
    tapir says:

    „Es könnte also eine ernsthafte Überlegung Wert sein, in der Schweiz die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Schwarzfahren (Erschleichen von Leistungen) wird dort nicht so hart bestraft wie Schnellfahren. “

    Och, ich habe die Erfahrung gemacht, dass man auch ganz gut damit fährt, wenn man sich an die Fahrregeln hält. Sogar das Autofahren in der Schweiz soll mit diesem Mittel gut funktionieren und fahrlässige Überschreitungen beinhalten bei meinem Fahrstil höchstens minimale Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, sodass ich dafür selbst im Tobleroneland niemals dafür einfahren werde. Abgefahrn, nech?!

  5. 5

    […] Paradiesisches Deutschland | Ordnungswidrigkeitenrecht | Kanzlei Hoenig Info | Strafverteidiger in K… Zitieren […]

  6. 6
    IANAL says:

    Ich bin eher erschrocken, wie billig jemand davon kommt, der bei uns mit 70 durch eine 30-Zone rast. Das passiert erstens nicht aus Versehen und ist zweitens tatsächlich gemeingefährlich.

    Im Übrigen hat die Schweiz tatsächlich ein vorbildliches öffentliches Verkehrssystem, das ich jedem nur empfehlen kann.

  7. 7
    BV says:

    @ Räder:

    Jeder klagt halt auf seinem Niveau. Wer sich über die Haftbedingungen in Deutschland beschwert, hat vermutlich noch nicht in einem südamerikanischen Zuchthaus eingesessen. Und wer sich über den allzu milden „Hotelvollzug“ in Deutschland beschwert, hat vermutlich noch in keinem (deutschen) Knast eingesessen.

  8. 8
    Radio says:

    Der Grund, warum Bußgelder bei uns in Deutschland so verhältnismäßig niedrig sind: Man will nicht wirklich, dass die Verkehrsteilnehmer die Bußen vermeiden, sondern man möchte die Einnahmen aus Verstößen.
    Es geht garnicht um die Verkerssicherheit …..

  9. 9
    Alex says:

    Siehe dazu auch hier http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Rasern-drohen-haertere-Strafen/story/30423224

    Das Gesetz ist unter dem Eindruck einiger schwerer Verkehrsunfälle entstanden, die vor allem von jungen, männlichen Fahrern stark motorisierter Fahrzeuge verursacht wurden.

  10. 10
    IANAL says:

    @ Radio: Wäre aber schön, wenn es darum ginge. Insofern von mir aus gerne Übernahme des Schweizer Modells. Nur will ich nicht wissen, wass dann bspw. in diesem Blog los wäre.

  11. 11
    Arnonym says:

    Wenn in den Schweizer Bergen die Serpentine am Fels mit 30km/h beschildert ist und man fährt 70km/h, dann ist das bei ‚freier‘ Fahrbahn ’nur‘ eine gute Gelegenheit nen Darwin-Award zu bekommen. Wenn dann noch jemand unschuldiges mit reingezogen wird, ist das fahrlässige Tötung.

    Und wer bei uns in einer Tempo-30 Zone mit 70km/h erwischt wird handelt genauso fahrlässig. Da verdienen unsere Strafen den Namen tatsächlich nicht.

    Man fährt in der Schweiz tatsächlich entspannter, auch wenn man ab und zu nen langsamen Berner oder einen ängstlichen Touristen überholen muss.

  12. 12
    Senior says:

    Nun ja — und weils in CH so teuer ist rasen die Brüder dann halt auf der A5 ab Weil/Rhein :-(

  13. 13
    Sonstwer says:

    Ja, das ist auch immer schön zu sehen, wenn man am Darmstädter Kreuz Richtung Süden nach dem zweiten 120er-Schild den drängelnden Schweizer vorbeilässt…

  14. 14
    IANAL says:

    @Senior, @Sonstwer

    Das zeigt: Die Schweizer sind auch keine besseren Menschen. Sie haben aber bessere Gesetze.

  15. 15
    matthiasausk says:

    @Alex: Unter dem von Dir verlinkten Beitrag steht folgender Kommentar:
    „(…) aber trotzdem sei der Hinweis gestattet: was bei uns als verantwortungsloser, schwer zu bestrafender Raser gilt, ist ein paar Kilometer nördlich ein korrekter Autofahrer. Entweder sind also unsere Nachbarn nicht dicht – oder wir sind es. „

  16. 16
    verbellin says:

    Hier gibt es ähnliches.
    § 315b StGB Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr

    Oder Gefährdung
    $ 315c

    2. grob verkehrswidrig und rücksichtslos

    a) die Vorfahrt nicht beachtet,

    b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,

    c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt,

    d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,

    e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,

    f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder

    g) haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,

    und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

  17. 17
    KaSandra says:

    @IANAL
    Ein empfehlenswertes und vorbildliches öffentliches Verkehrssystem in der Schweiz? Wo finde ich dies?

    Als in der Hinsicht verwöhnte Berliner Göre ist der ÖV im Kanton Aargau nach 2,5 Jahren noch immer ein Reizthema für mich. Wäre aber daran interessiert, dass man das von dir geschilderte System auch in der Deutschschweiz umsetzt. Also falls du da jemanden kennst, der jemanden kennt .. ;c)