Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs teilt am 11.04.2013 mit:
Freispruch im Rechtsbeugungsverfahren gegen Richter aufgehoben, gegen Oberstaatsanwalt hingegen bestätigt
Das Landgericht Potsdam hat einen 45 Jahre alten Richter und einen 55 Jahre alten Oberstaatsanwalt vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung freigesprochen. Eine zunächst ergangene Verurteilung beider zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und acht Monaten hatte der Senat wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09; Pressemitteilung Nr. 158/2010).
In dem nunmehr ergangenen Urteil hat das Landgericht zum Teil abweichende tatsächliche Feststellungen getroffen. Auf deren Grundlage ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagten zwar erhebliche Verfahrensverstöße begangen, den Rechtsbeugungstatbestand aber gleichwohl nicht verwirklicht hätten, da ausreichende Anhaltspunkte für eine den Verfahrensfehlern zugrunde liegende sachwidrige Motivation und die Gefahr einer falschen Entscheidung zum Nachteil der Betroffenen nicht gegeben seien. Bei dieser Bewertung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die in erster Linie in Frage stehenden Entscheidungen – die Beantragung bzw. der Erlass von Haftbefehlen durch die Angeklagten – inhaltlich zumindest vertretbar gewesen seien.
Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der beiden Nebenkläger den Freispruch gegen den Richter aufgehoben, weil bei ihm eine sachwidrige Motivation bei den Haftentscheidungen nicht rechtsfehlerfrei verneint wurde. Zwar waren die Haftentscheidungen inhaltlich nicht unvertretbar; die Zuständigkeit des angeklagten Richters für den Erlass der Haftbefehle war hingegen unter keinem Gesichtspunkt gegeben. Die Sache wurde deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen. Der Freispruch gegen den angeklagten Oberstaatsanwalt hat hingegen Bestand, weil dieser nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts von der Zuständigkeit des Richters ausging.
Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12
Landgericht Potsdam – Urteil vom 8. Dezember 2011 – 25 KLs 4/10 456 Js 47221/05
Nun, der OStA wird in diesem seit 2011 andauernden Verfahren sicherlich keine Freude gehabt haben. In seiner Position ist ein Freispruch zwar sicherlich hilfreich – u.a. was seine Pensionsansprüche angeht; die Nerven, die er in diesem Verfahren sicherlich verloren hat, repariert ihm allerdings auch niemand mehr.
Der Richter hat dann wohl noch einige Monate lang Gelegenheit, den Strafprozeß von der anderen Seite der Theke zu beobachten. Und ob das Ganze dann auch so ausgeht wie bei dem Mitangeklagten, steht noch in den Sternen.
Mir ist in Berlin 1993 einmal jemand begegnet, der behauptete, ein Landgerichtsurteil für
250 000,– DM gekauft zu haben. Das soll ihm
12 Jahre Tegel-Urlaub erspart haben.
Glauben heißt wissen ? Nichtwissen ist Sicherheit.
Ich bin auf die Urteilsbegründung sehr gespannt. Denn es ist nur schwer nachvollziehbar, wie ein Oberstaatsanwalt die gesetzlichen Bestimmungen zur Zuständigkeit für Haftentscheidungen nicht gekannt haben will/soll.
Ich habe versucht, dier Entscheidung beim BGH anzusehen. Das Aktenzeichen ist in der dortigen Datenbank jedoch überhaupt nicht bekannt!?
@ Ingo: Das kann häufiger mal ein paar Tage dauern, bis eine Entscheidung online steht. Nur Geduld.
Mal ne dumme Frage: gilt eigentlich für Richter als Angeklagte auch die Unschuldsvermutung?
@Purist:
Die Unschuldsvermutung gilt für jeden Angeklagten – ohne Ausnahme.
Nur die Meßlatte für die Frage des Verschuldens dürfte für Juristen – zumal im Staatsdienst und dort im Bereich Strafrecht – ziemlich hoch hängen, wenn es um die Frage geht, ob sie „hätten wissen können/müssen/sollen“ – also den Haftungsmaßstab. Denn immerhin sollten diese Personen Sachkunde haben.
Selbst wenn die beiden rechtskräftig freigesprochen werden, dürfen sie aufgrund der Feststellungen zum objektiven Tatbestand in Zukunft vermutlich nur noch Briefe aufdampfen, will sagen: der Richter erhält bis zum Lebensende das mieseste Mietnebenkostendezernat, der Oberstaatsanwalt darf künftig nur noch Ladendiebstähle bearbeiten. In jedem Fall dürften beide sowohl bei Kollegen als auch bei der Anwaltschaft unten durch sein und in jedem Verfahren mit Befangenheits- bzw. Ablösungsanträgen rechnen.
Wer sich also Richter derart in einer Hauptverhandlung benimmt – ob mit oder ohne Rechtsbeugungsvorsatz – und wer als OStA bei einem solchen Theater mitmacht, gehört nicht mehr in einen Gerichtssaal.
Im übrigen scheint mir die Auffassung des BGH, der OStA sei von der Zuständigkeit des Richters ausgegangen, einigermaßen kühn. Soviel Unwissenheit (die bekanntlich nicht vor Strafe schützt) wird juristischen Laien nicht zugebilligt.
Kann jemand kurz den Hintergrund des Verfahrens beleuchten? Für mich als interessierten Laien klingt es so, dass eine „Urteilsverschiebung“ zu Lasten eines Angeklagten stattgefunden hat. Kann jemand Genaueres dazu ausführen?
Die Sache spielt am Amtsgericht Eisenhüttenstadt. Dort herrschten bis ca. 2000 im Strafdezernat unter dem unseligen Einfluss eines früheren Strafrichters unhaltbare Zustände. Insbesondere im Bereich der Kleinkriminalität wurden dort über alle Maßen harte Strafen verhängt, häufig kein notwendiger Verteidiger bestellt, obwohl es geboten war und die StPO kreativ ausgelegt. In der Lokalpresse wurde dieser zitiert, dass in seinem Saal nicht die StPO, sondern das „Hütter Landrecht“ gelte.
Ich habe dort in den letzten Jahren wiederholt verteidigt und indessen nur ordnungsgemäße Zustände vorgefunden.
http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-eisenhuettenstadt-richter-staatsanwalt-rechtsbeugung/
Hier wird der Ausgangsfall geschildert.
Danke für die Aufklärung. Gab es Hinweise auf die Beweggründe der Beschuldigten? Law and Order Zwang, Selbstherrlichkeit oder sogar Korruption? Wobei ich letzteres aufgrund der anscheinend härteren/krasseren Strafen natürlich der Logik entsprechend ausschliessen würde.
Gut zu hören, dass sich die Verhältnisse eingerenkt haben zu scheinen.
Hat jemand weitergehende Reads zu den ursprünglichen Anschuldigungen und „Hütter Verhältnissen“?
Hier stehen noch ein paar Hintergrundinformationen:
http://www.berliner-zeitung.de/archiv/richter-und-staatsanwalt-wegen-rechtsbeugung-verurteilt-haft-nach-huettenstaedter-art,10810590,10647460.html
Unglaublich.
Nicht erwähnenswert. Nur bei Pferdefleisch in der Lasagne ist jeder empört.
der von cepag gennante ehemalig amtsgerichtsdirektor nimmt regelmäßig im lokalfernsehen zu bestimmten themen stellung.
http://www.osf-tv.de/sendungen/Ruppert/archiv.html
anhand seiner ausführungen ist wohl jeder in der lage sich selbst ein urteil über zustände am AG Eisenüttenstadt zu bilden