Saalverhaftung des Alibi-Zeugen

Ein Alibi-Zeuge ist aus Sicht des Angeklagten das Optimum. Wer zur Tatzeit nicht am Tatwort war, kann kein Täter sein. Deshalb ist es natürlich verlockend, einen solchen Zeugen zu präsentieren, wenn man sonst nichts in der Hand hat und es ein Freispruch werden soll.

Der Kollege Müller berichtet in einem Blogbeitrag auf „Kanzlei und Recht“ über eine Zeugin, die zugunsten eines Angeklagten aussagte, daß er

“die ganze Zeit” bei ihr gewesen sei. Man habe sich in einem Einkaufscenter, zu dem auch eine Diskothek gehört, aufgehalten.

Fragen zu weiteren Details konnte sie allerdings nicht beantworten:

Keine Ahnung!

Man muß keine Aussagepsychologie studiert haben, um zu erkennen, daß das kein Alibi sein kann. Sondern eher eine Falschaussage.

Ich war in einer vergleichbaren Situation einst Zuhörer in einem Berufungsverfahren vor der kleinen Strafkammer beim Berliner Landgericht. Der Staatsanwalt sah so aus, als wollte er den Saal räumen lassen, weil die Deckenbalken bedrohlich ihre Form veränderten. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden entschieden sie sich dann allerdings dafür, den Zeugen am weiteren Reden zu hindern und ihn durch die Saalwachtmeister festnehmen zu lassen. Der Verdacht einer Straftat nach § 153 StGB gepaart mit einem Wohnsitz außerhalb der Europäischen Union löste ein massives Festhaltebedürftnis aus.

Ein Strafverteidiger hat auch die Aufgabe, seinem Mandanten solche Ideen nachhaltig auszutreiben. Denn ein lügender „Entlastungs“-Zeuge, wenn er denn als solcher erkannt wird (und das ist meistens überhaupt kein Problem!), stellt den Super-GAU für eine Freispruchverteidigung dar. Vor allem dann, wenn es „nur“ um Kleinkriminalität geht. Nicht nur dann steht die Falschaussage, auch wenn sie uneidlich geschieht, mit ihrer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren (§ 153 StGB) völlig außer Verhältnis. Und für den Angeklagten gibt es dann zu der aktuellen Verurteilung noch ein Ermittlungsverfahren wegen Anstiftung zu dieser weiteren Straftat.

Einem Verteidiger ist es auch wesentlich wohler, wenn er eine solche Wendung in einem Verfahren ausschließlich auf der Zuschauerbank miterleben kann.

Dieser Beitrag wurde unter Strafverteidiger, Zeugen veröffentlicht.

5 Antworten auf Saalverhaftung des Alibi-Zeugen

  1. 1
    Trino says:

    In diesem Zusammenhang fällt mir was ein:

    Ich habe gestern gelesen, dass die Verteidigung in dem Prozess gegen Pfarrer König (Spiegel online berichtete) die Vereidigung eines Zeugen (Polizisten) verlangt habe, der eine recht zweifelhafte Aussage gemacht hatte. Der vorsitzende Richter hat dies aber abgelehnt.

    Das wunderte mich nicht wenig, war die „Vereidigung“ in meinen Augen eine Art Recht der Verteidigung (aber auch der Staatsanwaltschaft) zu einem Zeugen zu sagen: „Überleg dir nochmal, ob das wirklich die Wahrheit war, was du gerade ausgesagt hast, denn wenn nicht, dann hast du echt ein Problem wenn du es nochmal wiederholst!“

    Weiß hierzu ein Mitleser mehr ?

  2. 2
    Schussel says:

    Ach, immer die Frauen…

    Ich erinnere mich an die schriftliche Alibi-Einlassung eines Beschuldigten: “ Am Tattag war ich bei meiner Freundin, die das bestätigen wird und im übrigen bereit ist, jeden Meineid für mich zu schwören!“

    Schöner kann man sich selbst nicht ins Knie schießen…

    Dramturgisch interessanter ist natürlich die der Lüge entlarvte „Zeugin der Anklage“ (Marlene Dietrich). Kommt leider in der Praxis nicht so oft vor.

  3. 3
    hansi says:

    »Wer zur Tatzeit nicht am Tatwort war, kann kein Täter sein.«

    So ganz richtig ist das auch nicht, oder!? ;-)

  4. 4
    Janus says:

    Ja, und wenn verschiedene Zeugen völlig gegensätzliche Aussagen machen wird im Saal verhaftet

    – der Ausländer
    – der Nichtpolizist
    – der Ungebildete
    – der Schlechtgekleidete
    – der Unsichere.

    Alle Saalverhaftungen, die ich erlebt habe, betrafen Personen aus der o.g. Kategorie. Lügende Polizeibeamte, Akadameiker und Anzugträger habe ich jedoch noch nicht im Saal verhaftet gesehen.

  5. 5
    Miraculix says:

    Ich habe oft genug erlebt, dass man mit Falschaussagen sehr gut durchkommt und diese eben nicht als solche erkannt werden.
    Ich halte das Risiko für sehr gering (wenn man sich nicht gerade blöd anstellt). Und so richtig nachgegangen wird dem auch nicht.