Ein Kollege aus den veralteten Bundesländern berichtete mir über einen illustren Fall aus dem Fuhrgewerbe.
Meinem Mandanten (Ex-Taxiunternehmer) wurde die Manipulation von Wegstreckenzählern an Taxis vorgeworfen. Der Strafbefehl warf ihm vor er habe in zehn Fällen irgendwann irgendwen angestiftet die Tachos zu verstellen. Dabei zeigte ein Fahrzeug 1.000 km mehr, als angeblich tatsächlich gefahren.
In der Juristen-Schule haben wir gelernt, daß dem Angeklagten in einem Rechtsstaat eine ganz bestimmte, genau bezeichnete Tat vorgeworfen werden muß. Das hat den Sinn, daß er sich auch entsprechend gezielt gegen den Vorwurf verteidigen kann. Dem Kollegen genügte – zu Recht – das „irgendwann, irgendwo, irgendwer“ des Strafbefehls nicht.
Der Verteidiger reklamierte also zutreffend einen Verstoß gegen § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, der da lautet:
Die Anklageschrift [und damit auch der Strafbefehl. crh] hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz).
Das wiederum nahm der Verfassers des Strafbefehls persönlich. Der Staatsanwalt reagierte empfindlich:
Zu dem Schriftsatz des Verteidigers vom 03.04.12 (Bl. 345 ff, Bd. IV) wird wie folgt Stellung genommen.
An angeblich formalen Fehlern des Strafbefehls herumzunögeln, macht sich eigentlich nie gut, denn immerhin ist er ja erlassen worden. Die Hinweise des Verteidigers treffen auch nicht zu:
Tatzeitraum: Dem Angeklagten wird vorgeworfen, von Dritten die Tachometer manipulieren lassen zu haben. Es käme also auf den Zeitpunkt der Beauftragung des Dritten oder der Manipulation selbst an. Diese Daten sind jedoch nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, dass die Fahrzeuge bis zum 31.01.2011, nämlich dem Tage der Durchsuchung, manipuliert gefahren sind.
Auf die Zulassungsdaten der einzelnen Fahrzeuge kommt es nicht an, ebenso wenig auf den Tag, an dem der Angeklagte in die Firma eingetreten oder ausgeschieden ist.
Der konkrete Strafbefehlsvorwurf erfüllt auch die Vorgaben der RiStBV. Wie der Verteidiger selbst zitiert, heißt es darin, der Satz soll klar, übersichtlich und leicht verständlich sein, d.h. „in der Kürze liegt die Würze“. Daher kann er nicht argumentieren, der „Anklage“satz sei zu kurz.
Es ist schon bemerkenswert, mit welchem Selbstbewußtsein manche Juristen ausgestattet sind. Oder ist es einmal mehr die schlichte Arroganz der Macht, mit der die mangelnde fachliche Kompetenz kaschiert werden soll?
Bild: RainerSturm / pixelio.de
Wir verhandeln gerade auf der Grundlage einer Anklageschrift, bei der hinsichtlich der „Umgrenzungsfunktion“ Hopfen und Malz verloren ist. Selbst innerhalb der Anklageschrift variiert die Zahl der inkriminierten Handlungen, mal sind es 9, dann wieder 14, der Verteidiger kommt auf 11 – wobei man sich über die Abgrenzung streiten kann. Bei anderen Angeklagten ist eine Abgrenzung aufgrund der Anklage gar nicht möglich, auch nach einer zweistelligen Zahl an Hauptverhandlungstagen ist immer noch unklar, wie die StA und auf welcher Annahme fußend, die Zahl der Handlungen errechnet und bestimmt wurde.
Natürlich hat die Kammer die Anklage ohne Probleme zugelassen.
Warum verteidigt man sich nicht genauso vage. Der Angeklagte kann es nämlich nicht gewesen sein, weil er irgendwann zu Hause war. Das kann seine Frau bezeugen. Aus diesem Grund war er auch nicht irgendwo, sondern eben zu Hause. Und irgendwen kennt er auch nicht und hat folglich noch nie mit ihm oder ihr Kontakt gehabt, vor allem nicht irgendwann…
Schein und Sein im Recht: das deutsche Strafrecht wird seit geraumer Zeit vom Opportunitätsprinzip
geprägt – verfolgt wird, was politisch unerwünscht ist. Im übrigen wird nur verfolgt, wenn es ein (wirtschaftliches ) Interesse gibt. Eine Anzeige bleibt im Normalfall liegen. Das war es. Motivationshäppchen in einem Umschlag sind hilfreich.
Und: ein Zuträger des BKA erzählte mir schon 1999
nach diversen Litern Bier, dass dort ohne Tatverdacht ermittelt wird. Was denn überhaupt ermittelt wird bleibt im Dunklen. Immerhin reicht es für die Anfertigung von Kriminalstatistiken mit regelmäßig unter 1 % liegenden Aufklärungsquoten, was dann in universitären Hinterstübchen als Ergebnis eines „Grundrechts auf Sicherheit“ verklärt wird.
Man kann sich denken, dass dann der Datensalat nicht mehr zur Anklage kommt….
Spätes Zitat aus einer Anfängervorlesung Strafrecht: Die deutsche Justiz hat schon immer denjenigen verurteilt, den sie verurteilen wollte.
Was ist „Wille“ ?
.
Wie dämlich ist es denn, einen Tacho 1000km *mehr* als wirklich gefahren anzeigen zu lassen? Oder hab ich nur den Witz nicht verstanden?
@Horst: Wenn man – wie im Taxi – die gefahrenen Kilometer bezahlt bekommt, kann das schon Sinn machen. Natürlich nicht in der Form, dass der Tacho irgendwann mal 1.000 km „vorgestellt“ wird, sondern so, dass das Taxameter (keine Ahnung, ob das für die Messung der Wegstrecke an den Tacho gekoppelt ist oder selbst zählt) „zu schnell“ geht, also auf einer Strecke von 10 km tatsächlich 11 gefahrene km anzeigt. Und irgendwann sind dann mal 1.000 km zu viel „drauf“.
Wie wird eigentlich im Taxameter die gefahrene Wegstrecke ermittelt? Ist das fest an den Tacho gekoppelt (oder wenigstens an dieselben Sensoren) oder wird hier auf andere (genauere) Weise ermittelt (GPS?)?
Wenn hier zwei verschiedene Methoden vorliegen kann sich das prinzipiell schonmal aufsummieren (z.B. über andere Reifengröße).
@Horst (4): wenn der Tacho mehr als die Taxameteruhr anzeigt kann „schwarz“ gefahren worden sein. Warum dann allerdings der Tacho manipuliert worden sein soll…
In meinem Ref-Durchgang sollte ein Kollege eine Anklage vertreten, deren Anklagesatz wie folgt aussah:
„xy wird angeklagt
Staatsanwalt“
nichts dazwischen. Leider hat er nicht berichtet, was die Rücksprache mit dem Ausbilder gebracht hat…