Nicht überall, wo „Verkehrskontrolle“ drauf steht, ist auch „Verkehrskontrolle“ drin.
Es geht um die Frage der Zulässigkeit einer aktiven Täuschung eines Verdächtigen über den Anlaß der Ermittlungsmaßnahme. Die Problematik wird deutlich an folgender Fallkonstellation:
Die Ermittlungsbehörden beobachten seit längerer Zeit eine Gruppierung, die des Handels mit Betäubungsmitteln im großem Stile verdächtigt wird. Während einer Telefonüberwachung erhalten die Beamten Informationen darüber, daß drei Tage später in einem PKW eine „nicht geringe Menge“ Kokain aus Westdeutschland nach Berlin transportiert werden soll. Der Focus der Ermittler richtet sich aber nicht (nur) auf diesen Transport, sondern in der Hauptsache auf die (vermuteten) Strukturen, die hinter dieser Kurierfahrt stecken.
Um zu verhindern, daß die Organisatoren der Fahrt erfahren, daß man ihnen auf der Spur ist, fangen die Drogenfahnder an zu tricksen. Bei einem Tankstop lassen sie die Luft aus einem Reifen des Kurierfahrzeugs und gaben bei der Autobahnpolizei einen Wunschzettel ab: Die Schutzmänner sollten doch mal eine „allgemeine Verkehrskontrolle“ an dem havarierten Auto durchführen.
In der Ermittlungsakte findet sich dann später der Einleitungsvermerk der Unifomierten:
Im Rahmen einer Routinekontrolle fanden wir in der Reserveradmulde des Kofferraums …
Die Entdeckung soll also als Zufallsfund durchgehen, um die Zusammenhänge mit den Ermittlungen gegen die „Organisierte Kriminalität“ zu verschleiern.
Es stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen „Maßnahme“, die für den kundigen Strafverteidiger im weiteren Verlauf des Verfahrens den Gedanken an die Durchsetzung eines Beweisverwertungsverbotes aufkommen lassen muß. Denn der Erforschung der materiellen Wahrheit durch die Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren sind durch das formelle Recht Grenzen gesetzt.
An dieser Stelle paßt es mal wieder, das Zitat von Rudolf von Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 2. Teil, Abteilung 2, S. 471. (wiedergefunden bei Rechtsanwalt Andreas Jede):
Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.
Diese Form schreibt nun mal vor, daß Durchsuchungen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich dem Richtervorbehalt unterliegen. Eine Eilbedürftigkeit, die es ausnahmsweise gestattet, auch ohne richterlichen Beschluß zu durchsuchen, gab es in dem Beispielfall nicht. Es ist und bleibt eine heimliche Ermittlungsmaßnahme, durch die die Betroffenen getäuscht wurden.
Die Aktion ist auch nicht unter Hinweis auf einzelne in der Strafprozessordnung ausdrücklich und gesondert geregelte heimliche Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Berufung auf das Bedürfnis einer „effizienten Strafverfolgung“ – also das der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Prinzip – ist angesichts der Intensität des Eingriffs (Art. 6 Abs. 1 EMRK!) nicht zulässig. Die alleinige Anwendung des Gefahrenabwehrrechts (Verkehrskontrolle) ist nicht möglich, wenn ein Straftatverdacht (Verstoß gegen BtMG) bereits vor der polizeilichen Maßnahme besteht und sodann zielgerichtet zu Zwecken der Strafverfolgung (Beweiserhebung) in die Grundrechte des Betroffenen eingegriffen wird.
Diese Täuschungen durch Ermittlungsbehörden werden höflich umschrieben mit dem Begriff der „legendierenden Kontrollen“. Unzulässig sind sie trotzdem.
Nachlesen kann man das Ganze in BGH 4 StR 436/09 – Urteil vom 11. Februar 2010, und in einem Aufsatz von Wolfgang Müller (Leitender Oberstaatsanwalt, Celle) und Richter Dr.Sebastian Römer (Richter, Hannover) in der NStZ 2012, 543.
Bild: Arno Bachert / pixelio.de
Eine Frage aus dem südwestdeutschen Raum: Kann es sein, dass es hierzu örtlich abweichende Vorschriften gibt? §30 Nr. 6 bzw. Nr. 8 PolG-BW lesen sich so, als sei kein Richtervorbehalt für die Fahrzeugdurchsuchung nötig.
So schlimm unzulässig kann das ganze ja nicht gewesen sein, schließlich hat der BGH die Revision ja zurückgewiesen…
Mag ja sein dass es unzulässig ist, verurteilt wurde der Typ trotzdem, weil es in D keine „no fruits of the forbidden tree“ Doktrin gibt. Also wird die Polizei das auch weiter so machen und dabei grinsen.
Ich konnte es erst nicht glauben…
Luft aus den Reifen lassen um dann bei einer Verkehrskontrolle zufällig auf die BTM zu stossen.
Haben die Ermittler zu viel Tatort geschaut?
Damit wird auf ein neues mein Bild der Polizei bestätigt, sehr traurig.
Vielen Dank für den Literaturtipp. ABER:
Also, Send Data! ;-)
Im Ergebnis heißt das wohl mal wieder, die Beweiserhebung war zwar rechtswidrig aber nicht willkürlich, weshalb kein Verwertungsverbot folgt. Und dabei bleibt es auch für gleichgelagerte Fälle zumindest bis die BGH-Entscheidung in jedem Kinderbuch nachgelesen werden kann. :-/
Das Ablassen der Luft aus einem Auto- oder Fahrradreifen erfüllt in der Regel den Tatbestand der Sachbeschädigung.
Quelle: Wikipedia (mit Nachweisen)
Wäre ich Richter, hätte ich automatisch die Frage in den Raum gestellt, ob die Bereitschaft zur Manipulation des Kfz eines Verdächtigen zugunsten einer „Allgemeinen Verkehrskontrolle“ nicht zwangsläufig auch die Bereitschaft beinhaltet, einem Verdächtigen überhaupt erst Beweismittel unterzuschieben.
Aber vielleicht denke ich da zu rational.
Wenn ich das Urteil des BGH in meinen Worten zusammenfassen sollte: Die Durchsuchung war zwar illegal; ist aber egal.
Mir als juristischem Laien stellt sich daher die Frage: Es gibt zwar Regeln für die Strafverfolger, aber die haben offensichtlich nur Empfehlungscharakter. Also wen (außer Teilnehmern an juristischen Seminaren und Bloglesern) interessiert’s, ob eine Ermittlungsmaßnahme illegal ist?
Ist das Ablassen der Luft nicht ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?
Gefährdung der Fahrzeuginsassen und sogar von Unbeteiligten?
Was wäre, wenn das Fahrzeug in eine Situation gekommen wäre, in der das Fehlen der Luft die Fahreigenschaften beeinflußt? Und es zu einem Unfall, evtl mit Personenschaden gekommen wäre?
Ist das Luftrauslassen bei nem abgestellten Kfz an ner Tanke nicht eher ziemlich ungefährlich und der „Schaden“ am Reifen dank der nahen Luftdruckprüfer ohne größeren Aufwand innerhalb kürzester Zeit wieder behebbar; also das Ganze mitnichten eine Sachbeschädigung aus der Wikipedia oder noch schlimmer, ein gefährlicher Eingriff in den Lufthaushalt des Töfftöffs o.ä.?!
@tapir
So, hm, hm. Nach dieser Logik dürfte ja dann auch jeder Bürger jedem anderen Bürger die Luft aus den Reifen lassen. Ist ja nicht schlimm, passiert ja nichts.
Außerdem ignorieren sie, dass wohl kaum jemand – in diesem Fall ja auch nicht – noch an der Tankstelle bemerken dürfte, dass Luft aus dem Reifen raus ist, sondern ersteinmal losfahren würde. Womöglich mit hoher Geschwindigkeit auf eine Autobahn. Wenn das ungefährlich ist… naja.
Das Rauslassen der Luft aus dem Autoreifen ist aus anderen Gründen ggf eine Sachbeschädigung: der Gebrauchswert des Autos geht verloren, ohne Luft in den Reifen keine Autofahrt.
Rechtswidrig bedeutet nicht illegal. Aber das nur am Rande.
Ich wollte nur darauf hinweisen, dass genig Beamte wissen, dass Wahrheitserforschung um jeden Preis nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden ist. (Kriminalistik – Einführung)
@Joerg: In Anbetracht der zustand kommenden Aussage nehme ich mal an, dass der Tippfehler in ihrem Kommentar g statt w und nicht i statt u war.
Noch mehr von Jhering (Ihering):
http://drschmitz.info/?s=Jhering