„Was soll ich machen? Sie sind doch mein Anwalt!“

Ganz zu Beginn des Weges, den der Mandant mit seinem Verteidiger gehen wird, ist es noch recht einfach. Alles steht unter der Prämisse: Erst einmal eine solide Informationsbasis schaffen, danach können die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Der Klassiker in diesem Zusammenhang lautet: Erst die Akteneinsicht, dann die Stellungnahme – niemals (NIEMALS!) anders herum!

Im weiteren Verlauf dann wird sich zeigen, wie eine Verteidigung optimal aufgebaut werden kann, ob, wann und in welchem Umfang auf die Tatvorwürfe reagiert werden soll.

An dieser Stelle muß folgendes klar ein:

  • Es ist nicht die Verteidigung des Verteidigers, sondern die Verteidigung des Mandanten.
  • Nicht der Verteidiger entscheidet, sondern der Mandant.
  • Der Verteidiger liefert die Beratung, also die Grundlage, auf der der Mandant dann (s)eine Entscheidung treffen kann.

Mit der in der Überschrift gestellten Frage werden Verteidiger oft konfrontiert. Zum Beispiel dann, wenn der Verteidiger über die Gespräche berichtet, die er mit dem Richter und dem Staatsanwalt geführt hat, und es um eine Verfahrensabrede (§ 257c StPO) geht. Dazu folgender Fall:

Dem Mandanten wird vorgeworfen, im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit gewerbsmäßig (§ 263 III StGB) betrogen zu haben. Es gibt zahlreiche, vor allem komplexe zivilrechtliche (UrhG, MarkenG …) Probleme. Richter und Staatsanwalt machen folgendes Angebot, weil sie die Sache vom Tisch haben wollen:

Wenn der angeklagte Mandant ein Geständnis ablegt, kann er mit einer „Bewährung“ rechnen. Wird es streitig und wird er dann verurteilt, dürfte die Freiheitsstrafe über (nicht mehr bewährungsfähige) drei Jahre hinausgehen.

Der Mandant ist überzeugt davon, daß er alles richtig, sich also nicht strafbar gemacht hat. Der Verteidiger hat also eigentlich den Auftrag, eine Freispruchverteidigung zu führen.

Eine ganz schwierige Situation, in dem sich das Mandant-Verteidiger-Gespann da befindet. Nimmt der Verteidiger dem Mandanten an dieser Stelle die Entscheidung ab, entscheidet er also anstelle seines Mandanten, fahren beide mit einem enormen Risiko. Denn nur, wenn das Verfahren dann mit einem Freispruch endet, ist es ein glückliches Ende. Alle Varianten bleiben belastend:

Bei einer Bewährungsstrafe nach einem Geständnis wird die Frage offen bleiben, ob es nicht zu einem Freispruch hätte kommen können, wenn dieses Ziel energisch genug verfolgt worden wäre.

Bei einer Verurteilung nach einer streitigen Verhandlung fragt der Mandant sich, warum er nicht gestanden hat, um die Bewährung zu bekommen.

Dies muß der Verteidiger seinem Mandanten verdeutlichen. Die Aufgabe kann also nur darin bestehen, dem Mandanten sämtliche Informationen zu liefern, die er braucht, um eine eigene Entscheidung zu treffen. Der Mandant muß vom Verteidiger in die Lage versetzt werden, die Sachlage zu verstehen und bewerten zu können. Das ist im Einzelfall schwieriger, als die Informationen zu beschaffen.

Die Antwort auf die Frage der Überschrift – Was soll ich machen? – kann also nur lauten: Entscheiden Sie!

Schon der Hinweis des Verteidigers: „Ich würde es an Ihrer Stelle so machen: …“ ist in den meisten Fällen schon zuviel und für das Seelenheil des Mandanten nur eine kurzfristige Erleichterung.

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Verteidigung veröffentlicht.

9 Antworten auf „Was soll ich machen? Sie sind doch mein Anwalt!“

  1. 1
    John Doe says:

    „Wird es streitig und wird er dann verurteilt, dürfte die Freiheitsstrafe über (nicht mehr bewährungsfähige) drei Jahre hinausgehen.“

    => Nicht zwei Jahre? § 56 Abs. 2 S. 1 StGB?

  2. 2
    Trino says:

    Aber die Erfolgsaussichten für einen Freispruch im Falle der Ablehnung des Deals sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Abwägung … sind die denn inbegriffen, wenn sie dem Mandanten „sämtliche Informationen“ liefern, „die er braucht um eine eigene Entscheidung zu treffen“? Wenn ja, dann ist das doch schon ein „wink mit dem Zaunpfahl“ und m.E. genauso wie ein „ich würde es an ihrer Stelle so machen: …“. Wenn nein, dann lassen Sie den Mandanten im Regen stehen …

    Also mein entgegengesetzter Ansatz:

    Der Verteidiger muss sich seiner Verantwortung stellen und dem Mandanten einen Rat geben. Gibt er ihm den falschen Rat, so müssen eben beide damit leben … der Mandant hat dann wenigstens den „Trost“ dass er sich auf den Rat des Fachmanns verlassen hat.

    • Ihr Ansatz setzt voraus, daß der Verteidiger zuverlässig vorhersehen kann, wie das Urteil lauten wird. Sobald er nur imstande ist, eine Quote mitzuteilen (z.B. 90:10), muß die Entscheidung bei demjenigen liegen, der am Ende die Folgen zu tragen hat. crh
  3. 3
    BV says:

    @ John Doe:

    crh meinte sicherlich, dass die Strafe dann > 3 Jahre ausfallen wird und diese konkrete Strafe – wie auch schon abstrakt > 2 Jahre – nicht mehr bewährungsfähig wäre.

  4. 4
    RA Lupo says:

    Puh, verteidige selber gerade sowas, dann hab ich wohl alles richtig gemacht im Sinne der Entscheidungslasr.

  5. 5
    Thomas B. says:

    Wenn Sie alle Fakten beisammen haben, brauchen Sie doch keine Kristallkugel um zu sehen, ob eine Verurteilung „wahrscheinlich“ ist.

    Aus dieser Ausgangslage muss man dann entweder den Deal annehmen, oder energisch verteidigen und das ganze womöglich zur Berufung bringen. (Wobei ich die Sanktionsschere im konkreten Fall für unzulässig halte – 1/3 der Strafe soll vom Geständnis abhängen ?! Never)

  6. 6
    Ra Will says:

    Diese Fragen werden immer wieder gestellt und sind immer wieder schwer zu beantworten. Und ich mag sie auch nicht beantworten.

    Den Verlauf eines Verfahrens – gerade größerer Verfahren – kann man ganz schwer vorhersagen. Es kann so viel passieren, dass man im Vorfeld schwer prognostizieren kann, wo die Reise hin geht.

    Gibt man einen konkreten Rat, ist man als Anwalt hinterher nämlich immer der Arsch.

    @ Thomas B. 1/3 ist durchaus realistisch. Die hiesige Btm-Kammer gibt generell einen Abschlag von 1/3 bei Geständnis vor Beginn der Beweisaufnahme.

  7. 7
    Caron says:

    Verstehe ich nicht. Bei einem Geständnis geht es doch wohl in erster Linie darum, die Fakten auf den Tisch zu legen, nicht zu sagen „ich bin schuldig“.
    Wenn der Mandant der Ansicht ist, alles richtig gemacht zu haben, dann kann er doch alles auf den Tisch legen. Dann „gesteht“ er eben (seiner Ansicht nach) legales Handeln. Das sollte ihm doch schon einmal im Sinne der Mitarbeit positiv angerechnet werden.
    Wie sollte denn die Verteidigung bei „ich habe alles richtig gemacht“ sonst aussehen? „Ich habe alles richtig gemacht, aber das sage ich niemandem!“?

  8. 8

    […] Der Anwalt soll entscheiden […]

  9. 9
    Merlino says:

    http://blog.beck.de/2013/01/22/wenn-der-staat-zum-t-ter-wird-bemerkungen-zur-ard-reportage-unschuldig-in-haft

    Auch Unschuldige können verurteilt werden oder gestehen. (Auch ein bekannter farbiger Schauspieler gestand unschuldig einen Mord.)