Weder Flucht, noch Vertreibung

Es ist immer wieder enttäuschend, wie wenig differenziert und anspruchslos manche Medienvertreter an eine Sache herangehen, wenn sie eine „Story“ wittern.

Statt hilfreiche Beratungsangebote von Strafverteidigern anzunehmen, schreiben einige Journalisten (und ich rede jetzt noch nicht einmal von den Vögeln auf der nördlichen Seite der Rudi-Dutschke-Straße) munter drauf los, obwohl eine solide Informationsbasis eine wesentliche Voraussetzung für Qualität darstellt. Einer fängt an, Unsinn zu schreiben, den andere dann ungeprüft und nicht hinterfragt übernehmen.

Ich gebe an dieser Stelle die Presseerklärung der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. vom 31. Juli 2013 zum Kanzleiwechsel von Rechtsanwältin Anja Sturm in vollem Wortlaut wieder:

Die Umstände des Wechsels der Kollegin Anja Sturm in eine Kölner Strafrechtskanzlei waren in den letzten Tagen Gegenstand umfangreicher Presseberichterstattung. In zahlreichen Artikeln wurde dabei der Eindruck vermittelt, Frau Sturm sei in der Berliner Anwaltschaft isoliert, weil sie die Verteidigung von Beate Zschäpe im Münchener NSU-Prozess übernommen habe. Wegen dieses vermeintlichen „Killermandats“ werde sie stark kritisiert und habe keinen Platz in einer Berliner Anwaltskanzlei gefunden, so dass sie schließlich habe nach Köln gehen müssen.

Der Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger stellt hierzu klar:

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger steht für das Recht auf Verteidigung eines jeden Menschen. Die Forderung, bestimmte Personengruppen sollten aus politischen Gründen nicht verteidigt werden, liegt ihr fern. Sie hat Frau Rechtsanwältin Sturm nicht dafür kritisiert, dass sie die Verteidigung von Beate Zschäpe übernommen hat und würde einer solchen Kritik auch jederzeit entgegentreten. Der unterschiedslose Anspruch auf effektive Verteidigung ist eines ihrer zentralen Anliegen. Er gilt selbstverständlich auch für Beate Zschäpe.

Sofern der Umstand, dass Anja Sturm bei der letzten Vorstandswahl im Januar 2013 von den Mitgliedern nicht in den Vereinsvorstand gewählt worden ist, in der Presse als Indiz für die Annahme herangezogen wird, dort herrsche die Meinung vor, die Verteidigung von Neonazis gehöre sich nicht, so entbehrt diese Schlussfolgerung jeder Grundlage.

Anja Sturm ist bei der Wahl nicht als einzige Kandidatin und auch erst nach mehreren Wahlgängen gescheitert. Von den drei Kandidaten, die es nicht in den Vorstand geschafft haben, erhielt sie die meisten Stimmen. Es gab bei ihrer Vorstellung vor etwa 120 anwesenden Mitgliedern zwei kritische Äußerungen, die sich auf das Zschäpe-Mandat bezogen, aber auch unterstützende Stimmen. Ob und ggf. wie sich die Diskussion auf das Wahlergebnis ausgewirkt hat, lässt sich objektiv nicht feststellen. Jede Äußerung hierzu wäre Spekulation. Anja Sturm selbst ging kurz nach der Wahl jedenfalls nicht davon aus, dass ihr knappes Scheitern auf das Zschäpe-Mandat zurückzuführen sei, wie sie laut Artikel vom 29. Januar 2013 gegenüber der TAZ erklärte. Bei der Vorstandswahl handelt es sich demnach um einen normalen demokratischen Vorgang, der mit Ausgrenzung oder gar Mobbing nicht das Geringste zu tun hat.

Den Hintergrund des Ausscheidens von Anja Sturm aus ihrer Berliner Kanzlei vermag die Vereinigung mangels Kenntnis der Kanzleiinterna ebenso wenig zu beurteilen wie die GrUnde einzelner Kollegen, sie nicht in ihrer Kanzlei zu beschäftigen. Dass es für eine Absage eine Fülle von Gründen geben kann, die mit der Verteidigung von Beate Zschäpe überhaupt nichts zu tun haben, versteht sich allerdings von selbst. Eine ideologische Grundhaltung der Berliner Anwaltschaft, die die Übernahme bestimmter Mandate verbietet, lässt sich hieran nicht festmachen.

Der Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger kennt Anja Sturm als engagierte Kollegin. Er bedauert ihren Wechsel nach Köln ausdrücklich.

Frank Jansen vom Tagesspiegel mißversteht (bewußt?) Mitteilungen eines erfahrenen Kollegen; vielleicht weil sie nicht in sein Konzept der Sensationsberichterstattung passen. Hannelore Crolly von der Welt dreht in ihrem Artikel überdies noch auf der Glatze eine Locke:

Nach heftiger Diskussion senkte sich der Daumen über Sturm. […] Das Zschäpe-Mandat galt offenbar als degoutant.

Hätte Frau Crolly sauber recherchiert, hätte sie erfahren, daß ein einziger Kollege, der rüpelhaftes Auftreten zu seiner Marke gemacht hat, in seiner ihm eigenen Art begonnen hatte, erst Stimmung zu machen gegen einen honorigen Verteidiger, der einen Polizeibeamten (Wie kannst Du so einen bloß verteidigen!?) vertritt. Seine von mir als schiere Pöpelei empfundenen Wortmeldungen setzten sich unter Beibehaltung des Tenor fort, als Anja Sturm von Kollegen zur Wahl für den Vorstand vorgeschlagen wurde. Dann gab es noch einen an sich verträglichen Altlinken, der diesen Mist jedoch mit abseitiger Dogmatik zu untersetzen versuchte. Das war es aber auch schon.

Wenn Frau Crolly bei der Mitgliederversammlung anwesend gewesen wäre, oder sich zumindest profund darüber informiert hätte, wäre aus ihrem Beitrag sicher auch etwas Vernünftiges geworden. Vorhandene Informationen wurden durch den Wolf gedreht, damit sie die Form der Sensation passen; was nicht vorhanden war, wurde aus der der Boulevard-Schublade (von der Nordseite, s.o.) ergänzt.

Schade, daß Anja Sturm unsere Stadt verlassen hat; ich freue mich aber für sie, daß sie in Köln und im Rheinland herzlich willkommen ist. Sie ist weder vertrieben worden, noch ist sie geflüchtet. Sie ist dort und hier stets willkommen (… und sei es „nur“, um in Kreuzberg mal einen leckeren Caffè zu trinken. ;-)).

Ich danke dem Vorstand für die klarstellende Presseerklärung. Gleichwohl bedauere ich die verpaßte Chance; die Wahl einer Kollegin, die auch und gerade „so eine wie Frau Zschäpe“ verteidigt, in den Vorstand einer unabhängigen Strafverteidigervereinigung, hätte ein gutes Beispiel dafür liefern können, für was wir uns eigentlich einsetzen: Ein rechtsstaatliches Verfahren ohne Ansehung der Person.

Auch gefährliche Dumpfbacken müssen in einem Rechtsstaat engagiert verteidigt werden. Menschen vom Schlage Mutter Theresas brauchen keinen Verteidiger, meint nicht nur Rechtsanwalt Jacques Vergès.

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Strafverteidiger veröffentlicht.

10 Antworten auf Weder Flucht, noch Vertreibung

  1. 1
    Jörg says:

    Die primäre Aussage sowohl im Tagesspiegel als auch in der WELT war, dass sie in ihrer Kanzlei weggemobbt wurde. Und das wird weder durch Ihre Aussagen noch durch die der Strafverteidigervereinigung im mindesten relativiert.

    • Thema der Presseerklärung sowie dieses Blogbeitrages ist ausschließlich das Verhältnis zwischen Anja Sturm und den Berliner Strafverteidigern, unabhängig davon, ob diese in den zitierten Zeitungsartikeln die primäre oder die ultimative Aussage war. Es war und ist notwendig festzustellen, daß der Vorwurf, Strafverteidiger verkennen ihre eigene Rolle im Strafverfahren, grob falsch ist (die ein, zwei – nahezu bedeutungslosen – Ausnahmen bestätigen hier die Regel!) crh
  2. 2
    Wolf-Dieter says:

    Abseits der Umtriebe einiger Quasi-Zeitungen die Meinung eines politisch interessierten Jura-Amateurs:

    Eine Verurteilung von Zschäpe darf nur aufgrund eines fairen Verfahrens geschehen, nicht aber infolge einer unzureichenden Verteidigung. Insofern Daumen hoch für RA Anja Sturm.

  3. 3
    rajede says:

    Lieber Carsten: Das ist doch Quatsch!
    Sie ist nicht gewählt worden – Punkt.
    Die anwesenden Mitglieder der chronisch linkslastigen Berliner Strafverteidigervereinigung haben eine Chance vertan. Sie hat auch die Chance vertan, diejenigen Kollegen auszuschließen, die meinen, „solche“ verteidige man nicht. Vor ein paar Jahren gab es einen Antrag, einen Minister auszuschließen, weil er den Grundsätzen der Vereinigung nicht _mehr_ entspreche.
    Der Druck der Öffentlichkeit auf die Kollegin ist pervers. Nicht nur des Pöbels, sondern auch des politischen Establishments.
    In einer Stadt, deren etablierte Anwaltschaft immer noch durch die Mauerzeiten und deren Schutz vor Wehrdienst geprägt ist, ist kein Platz für die Verteidigerin einer Angeklagten, deren Verurteilung von der Öffentlichkeit gefordert wird. Bestenfalls liest man, daß die Verurteilung rechtsstaatlich zu erfolgen habe.

  4. 4
    RA Benvater says:

    Herr Ströbele hat ja bereits verlauten lasse, er hätte Beate Zschäpe nicht verteidigt, denn dazu gehöre ein Vertrauensverhältnis, das im Verhältnis zu Frau Zschäpe nicht entstehen könne. Zu Linksterroristen offenbar schon…

  5. 5
    Thorsten says:

    Schöner Beitrag!

    Das mit den Gerüchten, die um Rechtsanawälte ranken, die umstrittene Personen vertreten, kenne ich nur zu gut.

  6. 6
    Mirco says:

    Ich hab als Thema dieses Blogbeitrages schon die Presseartikel gesehen, worin Flucht und Vertreibung vor allem auf die Ex-Kanzlei bezogen sind.

    Das wäre auch kein Widerspruch zu der Presseerklärung. Ich kann mir schon vorstellen, dass es ein Problem für eine Kanzlei sein kann, die „falschen“ zu verteidigen, weil es zukünftige Mandate verhindert.

  7. 7
    alfred says:

    Ich hatte gehofft, dass Sie ein paar klärende Worte dazu schreiben, nachdem ich darüber vor einigen Tagen in der Hamburger Morgenpost gelesen habe. Dort stand (auch) in der Printausgabe: „Kritik an ihrem Mandat gibt es schon länger – speziell aus linken Berliner Anwaltskreisen. Deshalb fiel Sturm offensichtlich auch bei den Wahlen zum Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger durch“, online ist es immer noch so nachzulesen. Und viele weitere Blätter schreiben es ebenso.
    Wenn es denn so war, wie Sie es jetzt beschreiben: Wie kommt es dann zu so einer Berichterstattung? Und weiter (und vo allem): wem nutzt sie?

    rajede hat schon Recht. Dass Frau Sturm nun nicht gewählt wurde empfinde ich allerdings nicht als „verpasste Chance“. Diejenigen nicht auszuschließen, die meinen, dass „solche“ nicht verteidigt gehören ist allerdings schon sehr … misslich. Sätze wie „Von den drei Kandidaten, die es nicht in den Vorstand geschafft haben, erhielt sie die meisten Stimmen“ kommen vor diesem Hintergrund eher hilflos und obendrein lächerlich daher.

  8. 8
    Jens says:

    Wenn ich das richtig verstanden habe, versteht sich die Anwaltschaft als Garant eines rechtsstaatlichen Verfahrens? Umso mehr überrascht es, dass Rechte nicht verteidigt werden, wegen der von ihnen mutmaßlich begangenen Taten. Im Umkehrchluss müsste man die – von mir durchaus provokativ gemeinte – Behauptung aufstellen, die Rechten hätten ein rechtsstaatliches Verfahren nicht verdient, da a) die Justiz von Altlinken durchzogen ist und b) Altlinke wie Ströbele kein Problem damit haben Baader oder Enslin zu vertreten, wohl aber eine vermeintliche Neonazi-„braut“. Anwälte sind ja Organe der Rechtspflege, die nur einseitig den Mandanteninteressen verpflichtet sind. Im empfinde dies als zu kurz gegriffen. Sie sind Garanten dafür das Strafprozessrecht und materielle Strafrecht nicht von den Verfolgungsbehörden missbraucht werden. Sie garantieren die Rechtsstaatlichkeit. Dieses Verständnis scheint aber nicht vollständig in der Anwaltschaft vorhanden zu sein. Damit fehlt es aber am Anerkenntnis, dass die Zschäpe – bei all den schweren und nicht zu verstehenden Taten, die ihr vorgeworfen werden – ein solches rechsstaatliches Verfahren verdient hat. Das empfinde ich wiederum als Beleidigung des aufgeklärten Rechtsstaat.

  9. 9
    jansalterego says:

    Meh.
    @ alfred: Eine solche Berichterstattung ist dem Reflex geschuldet, immer mal wieder über „Linke“ pöbeln zu müssen, damit selbst angesichts von Prism und NSU-Vertusch… äh -Ermittlung klar ist, dass nicht nur die politische Rechte eine verdrehtes Verständnis vom Rechtsstaat hat.

    @ alle:
    Selbst wenn man aber zu denjenigen Strafverteidigern gehört (oder gehören würde, wenn man den einer wäre), die knallhart alles und jeden zu verteidigen bereit wären, muss man die Ansage von Ströbele respektieren. Es bleibt schlicht eine persönliche Entscheidung, welche Art von Mandaten man – insbesondere als Strafverteidiger – zu übernehmen bereit ist. Selbst der hochgeschätzte Herr Hoenig hat vor einiger Zeit den Hut vor Frau Sturm hebend geschrieben, dass das Verteidigen von Nazis nicht seine Tasse Tee ist.
    Im übrigen wage ich zu bezweifeln, dass alle, die sich hier über Strafverteidiger aufregen, die das Zschäpe-Mandat ablehnen würden, mit der gleichen Verve argumentieren würden, wenn es bspw. um jemanden ginge, der wegen § 176 StGB angeklagt ist.

  10. 10

    Wenn ich ein Mandat hätte, das mich die nächsten 2 Jahre komplett in Beschlag nimmt, so daß ich keinerlei andere Mandate nebenbei bearbeiten kann, würde ich auch aus einer Kanzlei oder Bürogemeinschaft ausscheiden wollen. Wieso denn die Infrastruktur der anderen Anwälte mitfinanzieren, die man selbst nicht mehr benötigt? Frau Sturms Mandantin kann ja nicht mal in der Kanzlei anrufen, was braucht sie also ein Sekretariat? Was braucht sie Werbung oder Marketing, wenn sie doch ständig im Fernsehen ist?