Gegen den Mandanten wird ein Ermittlungsverfahren geführt. Ihm wird Verrat von Geschäftsgeheimnissen und versuchter Betrug vorgeworfen. Hintergrund ist ein gestörtes Verhältnis zwischen ihm als leitender Angestellter und seiner Arbeitgeberin, eine Gesellschaft die noch weitere, mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigt.
Nachdem die Staatsanwaltschaft (nicht die Polizei!) ihm eröffnet hat, daß gegen ihn ermittelt wird, schreibt er an die Ermittlungsbehörde:
In der Strafsache gegen mich beantrage ich, bevor ich mich zur Sache äußern möchte, Akteneinsicht gem. § 147 Absatz 7 StPO und bitte höflichst um Mitteilung, in welcher Form mir die Einsicht in die Akte gewährt werden soll.
Er bittet ferner um Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme, die er im detaillierten Umfang ankündigte.
Eigentlich ein klassischer Fall von Antrag auf Akteneinsicht durch den Beschuldigten, der anwaltlich nicht vertreten ist, sauber formuliert und sachlich.
Die Staatsanwaltschaft reagiert mit folgendem Text:
Der Staatsanwalt hält das Ganze für überschaubar und meint dann noch zu dem Fristverlängerungsantrag:
Das führte dazu, daß der Mandant mich als seinen Verteidiger beauftragt hat. Der § 147 Abs. 7 StPO ist ein schöner Text, der in der Praxis leider so gut wie keine Bedeutung hat.
Ich habe das Akteneinsichtsgesuch daher nochmal wiederholt und wenig später die zwei Bände mit zusammen rund 250 Blatt erhalten. Die Videoaufzeichnung habe ich dann nochmal gesondert anfordern müssen.
Wenn ich dann später einmal einen Antrag auf meine Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragen sollte, rechne ich damit, daß dieser Staatsanwalt sich dagegen aussprechen wird: „Einfache Sach- und Rechtslage, der Beschuldigte weiß doch auch ohne Verteidiger, daß man keine Geheimnisse verraten und nicht betrügen darf.“
Das ist der eiserne Besen, mit dem manche überforderte Staatsanwälte versuchen, ihre Resopalschreibtische von den staubigen Akten zu befreien.
Nur nebenbei
Die Verteidigungsschrift wird den Tenor haben: „Der Staatsanwalt sollte eigentlich wissen, daß man Tatvorwürfe nur dann erheben sollte, wenn man die entsprechenden Beweise hat.“ Ganz einfach, die Sach- und Rechtslage, sofern man den Akteninhalt aufmerksam studiert hat. Aber dazu scheint manchem Strafverfolger irgendwie die Zeit zu fehlen. Denn für die Unterstellung, der Staatsanwalt wollte mit seiner Erwiderung an den Mandant etwas verbergen, besteht ja wohl kein Anlaß. Oder so.
Ergänzung
Was ein Beschuldigter tun kann, wenn er keinen Verteidiger beauftragen möchte und die Staatsanwaltschaft ihm die Einsicht in die Akte verwehrt, habe ich hier kurz beschrieben.
Der Reglung des §147 Abs.7 StPO ist einfach furchtbar und sollte mMn umgehend geändert werden.
Das „faire Verfahren“ beinhaltet nunmal auch die Akteneinsicht, damit der Beschuldigte sich über die Beweislage informieren und sich darauf einstellen kann.
Das dieses Recht einem verteidigten Beschuldigten problemlos gewährt wird und einem unverteidigten nur unter etlichen Bedingungen und mit üblen Einschränkungen ist mit keinem Grund zu rechtfertigen und so auch nicht EMRK konform!
Ich hatte leidergottes schon 3 Mal das Vergnügen mit so einem lustigen „Ermittlungsverfahren“ konfrontiert zu werden und bei keinem davon (!) wurde mit Akteneinsichtsrecht einfach so akzeptiert.
Stattdessen wollte der erste StA mit nur die „Anzeige“ mit geschwärzten Daten des Anzeigeerstattert gönnen, der zweite hingegen gar nichts und bei der 3. StA’in habe ich immerhin ganze 5 Seiten bekommen.
Das ganze lief dann immer so ab.
http://s7.directupload.net/images/140228/l8heqwcm.jpg
und als Antwort
http://s7.directupload.net/images/140228/wryiu6zy.jpg
@Thomas B.
Juristen halt.
@@Thomas B., Kai:
Das hat wenig mit „Juristen halt“ zu tun. Es ist schlicht so, dass manchmal Rechtskunde schlechterdings hilfreich oder gar notwendig ist. Es würde mich interessieren, wie die Staatsanwaltschaft Bochum auf dieses meisterhafte Schriftstück reagiert hat. Gibt es dazu auch einen Scan ;)?
Das Problem ist m.E., dass eben Rechtspflege doch nicht so einfach ist, wie man es sich gerne vorstellt und auch die – Sie erlauben mir die insoweit etwas deutlichere Wortwahl – „mutmaßlich informierte juristische Selbstverteidigung“ daher oft einfach Unfug ist.
Das möchte ich in der Sache „Auslegung StPO an der EMRK“, ausgehend vom Post von @Thomas B., illustrieren:
1.) Es wird die Behauptung aufgestellt, die Staatsanwaltschaft habe – mit Bezug auf deren Schreiben also ausdrücklich wahrheitswidrig – nicht in dem Umfang Einsicht erteilt, den sie angekündigt hat. Begründet wird das nicht – wieso sollte diese Behauptung dann aber ernst genommen werden?
2.) Hernach wird gepoltert, dass etwas „vollkommen verkannt werde“. Dabei hat die Staatsanwaltschaft dazu lediglich nichts gesagt. Und das auch korrekter Weise, denn die rechtliche Darstellung bei @Thomas B. ist schlicht grob falsch.
a) Die EMRK ist kein „europäisches Recht“ sondern ein völkerrechtlicher Vertrag. Ihre Rechtsnatur und auch die sich daraus ergebenden Weiterungen sind damit grundverschieden! Sie kann deswegen schon nicht den Vorrang des „EU-Rechts“ (seit dem Vertrag von Lissabon sollte korrketer Weise vom „Unionsrecht“ gesprochen werden) genießen. Hier wird der Staatsanwaltschaft also gezeigt, dass versucht wird eine rechtliche Drohkulisse ohne Rechtskenntnisse aufzubauen. Wie ernst wird man das wohl nehmen?
[Exkurs: Die EMRK ist zu weiten Teilen in die EU-Grundrechtecharta eingegangen, die tatsächlich wg. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV im Rang des Unionsprimärrechts steht. Allerdings ist sie auch nur bei Durchführung von Unionsrecht (wozu die StPO ersichtlich nicht gehört) anwendbar, Art. 51 Abs. 1 EU-GRCh]
b) Viel tragischer ist, dass dem Autor nicht klar zu sein scheint, dass es für das hier in Rede stehende Strafrecht, insb. das Strafprozessrecht, keine Kompetenz der Union gibt. [Zur nach wie vor vergleichweise geringen Bedeutung des Strafrechts im Europarecht vgl. Art. 83 AEUV]
Von der Union erlassene Rechtsakte könnten hier insofern nur als ohne Kompetenz erlassene (sog. „ultra vires“) Rechtsakte nichtig sein. Ein nichtiger Rechtsakt kann jedoch keinen Vorrang genießen. Gehen Sie bitte davon aus, dass bei den meisten Staatsanwaltschaften (zumindest die jüngeren Kollegen) wissen dürften, wie es um die Europäisierung des Strafrechts bestellt ist.
c) Auch die Aussage, die EMRK genösse einen faktischen Anwendungsvorrang, ist nicht korrekt. Dass Sie insofern das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 111, 307 – EGMR-Entscheidungen) zitieren macht es nicht richtiger.
Das Gericht hat mitnichten einen Anwendungsvorrang der EMRK festgestellt, sondern lediglich dass sie „in den Vorrang des Gesetzes einbezogen“ ist. Das heißt, dass sie Gesetzesrang hat und dass nicht gegen sie verstoßen werden darf (Rz. 53 der Entscheidung).
Zur Auslegung verhält sich das BVerfG dahingehend, dass eine konventionskonforme Auslegung vorzugswürdig ist, soweit sie möglich ist (RZ. 62) – möglich ist sie indes nur soweit, als der Wortlaut des § 147 Abs. 7 StPO dem nicht entgegensteht. Was Sie in Ihrem Schreiben (dezent) übergehen. Noch deutlicher das Gericht (Tz. 62):
„Auch auf der Ebene des Bundesrechts genießt die Konvention nicht automatisch Vorrang vor anderem Bundesrecht […]“.
3.) Schließlich fallen formale Dinge ins Auge: Die EMRK wurde weder im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) noch – was wohl gemeint war – im Bundesgesetzblatt (BGBl) transformiert. Sie wurde durch eigenständiges Gesetz transformiert und dieses, entsprechend der verfassungsmäßigen Vorgaben zur Gesetzgebung des Bundes im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht.
Bitte missverstehen Sie mich nicht: Jeder Bürger der sich um seine Rechte und deren Schutz bemüht ist mir grundsätzlich sympathisch. Davon bräuchten wir auch mehr, keine Frage!
Allein, im Kontakt mit manchen Behörden ist halt doch, wenn es um Gesetzesauslegung und -anwendung geht, eine gewisse Fachkunde erforderlich. Natürlich kann man sich auch versuchen selbst zu behelfen. Dann ist ein Ausruf wie „Juristen eben“, wenn es schief geht, aber unangebracht und despektierlich – denn das Risiko war dann ein selbst gewähltes.
„…nachdem sie den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat…“
Ist vielleicht ein nicht ganz unwichtiger Aspekt bzgl des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, oder?
@Silux
Ich nehme mal an, dass du Jurist bist. Ich möchte dir persönlich nicht zu nahe treten, aber du begründest in sehr langer und komplizierter Form, warum einem Bürger eine Selbstverständlichkeit verweigert wird, nämlich, dass er ausreichend Akteeinsicht bekommt, um sich anständig zu VERTEIDIGEN!
Das meinte ich mit „Juristen halt“
Auf die Idee, einem Beschuldigtem die Einsicht in die Ermittlungsakten zu verweigern oder zu erschweren, damit er sich ohne Rechtsanwalt nicht anständig verteidigen kann, auf diese Idee würde kein Mensch kommen, der nicht Jura studiert hat. Vielmehr kommt ein Jurist auf die Idee, dem Beschuldigten, der sein Recht (im Übrigen eine Selbstverständlichkeit) wahr nehmen will, es entweder zu verweigern (kommt oft genug vor, hier kursieren sogar Textbausteine für den Fall, dass das passiert) oder zu erschweren (wie in diesem Fall Thomas B).
Dass dieses ganze Konstrukt selbst der EGMR peinlich fand, spricht auch nicht für die deutschen Juristen in Form des Gesetzgebers und der Justiz.
Was wäre los, wenn Finanzämter ab sofort nur noch Steuererklärungen annehmen würden, die von einem Steuerberater unterschrieben sind?
Die Reaktion ist unter dem 2. Link gepostet worden. Sang- und klanglos Akteneinsicht erhalten.
1.) Die StA hat weitergehende Akteneinsicht (die ich zuvor beantragt habe, per Berfügung abgelehnt)
2) Auch die Verkennung bestand darin, dass mir mitgeteilt wurde, dass komplette Akteneinsicht nur einem Verteidiger zusteht.
a) Es mag sein, dass die EMRK kein „Europarecht“ ist. Ist auch vollkommen egal. Die Machtspielchen zwischen EMGR und dem BVerfG sowieso schon eine Sache für sich.
Fakt ist, dass der EGMR bereits 2 Urteile gefällt hat, indem das Akteneinsichtsrecht für den nicht verteidigten Beschuldigten aus Art. 6 III + Art, 6 I festgestellt wurde.
Fakt ist auch, dass in der Rechtspraxis die EGMR Rechtsprechung zu berücksichtigen hat und auch berücksichtigt wird. Da kann man lammentieren wie man will.
Klar dass das BVerfG kein Stück von seiner Kompetenz abgeben will und trotzdem nicht auf Konfrontationskurs gehen will. Daher ja auch die Kommentare: Letztentscheidung obliegt dem BVerfG bzw. dem deutschen Gesetzgeber bla bla…
Die Feinheiten interessieren hierbei gar nicht..
Wenn es tatsächlich soweit kommen würde, dass ein unverteidigter Beschuldigter keine Akteneinsicht erhält, würde Deutschland vor dem EGMR nunmal Schiffbruch erleiden, so wie Frankreich und die Türkei zuvor!