Aufmerksames Kammergericht

Die Mandantin hatte mich erst in der Berufungsinstanz mit ihrer Verteidigung beauftragt. Erstinstanzlich war sie zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den Auftrag, den sie mir erteilte, lautete: Strafaussetzung zur Bewährung. Dieses Ziel hatten wir vor dem Landgericht dann auch erreicht. Zum Mißfallen der Staatsanwaltschaft. Die erhob gegen das Berufungsurteil die Revision zum Kammergericht.

Nach dem üblichen Austausch der Begründungen und Erwiderungen erhielt ich in den vergangen Tagen eine Ladung zur Revisionshauptverhandlung vom und im Kammergericht. Und mit gleicher Post – zu meiner Überraschung, weil ich keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte – diese Bestellung:

Revisionverteidiger

Das war bisher so nicht üblich. Aber jetzt – und da ist das Kammergericht auf dem allerneusten Stand. Heute, am 6.10.2014, hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs die folgende Pressemitteilung herausgegeben:

In Hauptverhandlungen vor den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs über Revisionen von Angeklagten, Staatsanwaltschaften oder Nebenklägern ist es bisher üblich, auch dann zu verhandeln wenn der Angeklagte – der nur in seltenen Ausnahmefällen persönlich an der Hauptverhandlungen teilnimmt – nicht durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten ist. Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf Antrag bestellt werden. Wenn ein solcher Antrag nicht gestellt wird und ein Wahlverteidiger zur Hauptverhandlung nicht erscheint, wurde bisher in den meisten Fällen ohne jede Beteiligung des Angeklagten verhandelt. Diese Praxis ist nach Ansicht des 2. Strafsenats mit der Regelung des Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht vereinbar, die jedem Beschuldigten das Recht garantiert, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen oder den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.

Der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat deshalb durch eine Verfügung vom 25. September 2014 entschieden, dass in allen Hauptverhandlungen vor dem Revisionsgericht, wenn der Wahlverteidiger des Angeklagten nicht erscheint oder dies ankündigt, er zum Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Für den Verteidiger stellt diese Bestellung – mit einer gegebenenfalls geringeren als der bei Mandatserteilung vereinbarten Vergütung – unter Umständen ein Sonderopfer dar, das er hinnehmen muss. Der Angeklagte seinerseits kann auf eine Verteidigung in der Hauptverhandlung über die Revision, welche das einzige Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile mit besonders gravierenden Rechtsfolgen darstellt, nicht – etwa aus Kostengründen – verzichten.

BGH; 2. Strafsenat, Verfügung vom 25. September 2014 – 2 StR 163/14

Das Kammergericht scheint wohl über die aktuellen Entwicklungen in Karlsruhe informiert gewesen zu sein. Das ist ganz besonders löblich, weil hier der 2. Senat entschieden hat, obwohl nicht dieser, sondern „nur“ der 5. Senat des BGH für die Entscheidungen aus Berlin zuständig ist.

Na denn, schauen wir uns das mal an, was das Kammergericht dem Pflichtverteidiger zu den Strafmaß-Argumenten der Staatsanwaltschaft zu sagen hat.

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Richter, Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

3 Antworten auf Aufmerksames Kammergericht

  1. 1
    RA JM says:

    Man beachte:

    Verfügung des BGH vom 25.o9.2014, Beschluss des KG schon vom 16.o9.2014 – Respekt!

  2. 2
    K75 S says:

    @ RA JM:
    In der Tat – ist mir vorher garnicht aufgefallen.

    Ob meine verloren gegangene Kristallkugel vielleicht in der Elßholzstraße gelandet ist?

  3. 3
    OG says:

    Warum mußten Sie denn hier zum Pflichtverteidiger bestellt werden?

    • Ich leite die Frage an die Vorsitzende des Senats weiter und bitte sie, Ihnen direkt zu antworten. crh

    Ich hatte die PM des BGH so verstanden, daß dieser Schritt nur nötig ist, wenn im konkreten Fall abzusehen ist, daß der Wahlverteidiger der Revisionsverhandlung sonst fernbleiben würde. Das hatten Sie doch nicht vor?

    • Nein, aber ich brauchte diese Bestellung dazu nicht. crh

    Und: Müssen Sie jetzt das Sonderopfer erbringen, von dem in der BGH-PM die Rede ist? :-)

    • Der Beruf des Strafverteidigers ist ein einziges Sonderopfer. Da kann ich Ihnen was erzählen … crh