Bekifftes Arbeitsamt

Eine ganz tolle Idee des Arbeitslosenamts: Die Kunden des Jobcenters werden demnächst darauf hingewiesen, unbedingt mit voller Blase beim Amt vorstellig zu werden. Damit sie in ein Röhrchen pinkeln können. Mit diesen – bereits in den Knästen des offenen Vollzugs erfolgreich praktizierten – Urinkontrollen (UK) gehen die Arbeitsamtsbeamten dann auf die Suche nach Spuren von Amphetamin, Cannabis, Kokain, Ecstasy und Antidepressiva.

88.000 Stück von diesen Harnteststreifen hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) bereits angeschafft. Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger werden damit auf Betäubungsmittel-Missbrauch [Ja: Missbrauch steht da wirklich in der Pressemeldung!] untersucht. Der ärztliche Dienst der Arbeitsagenturen soll prüfen, ob Arbeitslose für bestimmte Tätigkeiten wie beispielsweise Lkw-Fahrer geeignet sind.

Das geht natürlich nicht auf Anordnung, sondern die Leistungsempfänger müssen zustimmen. Verweigern sie die Zustimmung, werden ihnen allerdings die Bezüge gekürzt. Sie haben also die freie Wahl.

Aus zuverlässiger Quelle ist unserer Kanzlei bereits das Formular zugespielt worden, daß die Hartzies ausfüllen und unterschreiben müssen, wenn sie weiterhin die Stütze bekommen möchten:

Freiwilliger Drogentest

Was kostet so ein Teststreifen? Ich schätze mal so um die 10 Euro. Das wären dann 880.000 Euro, die da mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Schornstein spätestens des Bundesverfassungsgerichts gejagt werden. Dafür könnte man den Lohn eines LKW-Fahrers 30 Jahre lang finanzieren.

Die Frage muß gestattet sein: Was hat der Bundesarbeitsagent da bloß geraucht, als er auf diese Shitidee gekommen ist?

Danke an Tobias Glienke für den Hinweis.

Dieser Beitrag wurde unter Behörden, Betäubungsmittelrecht veröffentlicht.

30 Antworten auf Bekifftes Arbeitsamt

  1. 1
    RA Splendor says:

    Kann mir als Nicht-Sozialrechtsexperten jemand erklären, welche Rechtsgrundlage die Arbeitsagentur für Drogentest und angedrohte Leisungskürzung heranzieht. Ich entdecke im ersten Anlauf keine.

  2. 2
    Nix says:

    Wie „zuverlässig“ ist denn diese Quelle? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Formular echt ist.

  3. 3
    \pub\bash0r says:

    @Nix: ja ich glaube das ist überspitzt ;-)

    In Realität wird man wahrscheinlich mit einem zweiseitigen Schreiben voller Drohungen konfrontiert das man dann „einfach nur ganz schnell da unten mal unterschreiben“ soll – die Details wurden ja sowieso im vorangegangenen Gespräch genannt und das ist doch alles gar nicht schlimm.

  4. 4
    Mitch says:

    Die Rechtschreibfehler sind ebenfalls geeignet, Zweifel an der Echtheit zu sähen. Wobei ich diese Fehler einer Behörde durchaus zutraue.

  5. 5
    SäenundErnten says:

    @Mitch, das Verb „sähen“ ist mir aber auch noch nicht untergekommen.

  6. 6
    Thorsten says:

    Unfassbar! Und sicherlich nicht gerichtsfest.

  7. 7
    Mephisto says:

    @SäenundErnten

    Made my day! Dem ist nichts hinzuzufügen! :D

  8. 8
    K75 S says:

    Kann es sein, dass die zugrunde liegende Pressemitteilung schon etwa älter war?

    vgl. LG Heidelberg, Az.: 3 O 403/11

    Im Übrigen wundern mich Rechtschreib- und sonstige Fehler der Jobcenter kein bisschen mehr. Auf dem aktuell verwendetem Mietbescheinigungs-formular wird z.B. das Baujahr des Hauses abgefragt … als Maßeinheit sind m³ vorgegeben.

  9. 9
    \pub\bash0r says:

    @K75 S: m³ ist schon richtig. Das bezieht sich nämlich auf den … äh … Teilchenzerfall über die Zeit …. und …. naja …. es ist schon richtig! Dort arbeiten einfach viel intelligentere Köpfe als wir uns überhaupt vorstellen können.

    P.S.: Das Traurige ist eigentlich, dass Qualität und Pünktlichkeit beim Jobcenter selbst vollkommen egal ist, hingegen von den Arbeitssuchenden beides im Übermaß verlangt wird. Dummerweise sitzt das Jobcenter meist am längeren Hebel :-/

  10. 10
    Staatsanwalt says:

    Ich weiß nicht ob die Quelle für das Formular so zuverlässig ist :)

    Der Tippfehler muss noch freiwillig korrigiert werden.

  11. 11
    Fassungslos says:

    Das BSG hat entschieden, dass eine Weigerung der Einwilligung zum Drogentest, psychiatrischen Untersuchungen etc. keine Leistungskürzung/Leistungseinstellung rechtfertigen. Die Leistungsempfänger müssen zwar zum Termin erscheinen, aber nicht mitwirken/sich untersuchen lassen.
    Die Arbeitsagentur sollte die Liste ergänzen mit:

    Bereits jetzt stimme ich einer standrechtlichen Erschießung zu

  12. 12
    Ein Pony says:

    Das scheint tatsächlich kein Hoax zu sein:
    http://tinyurl.com/p9xras7

  13. 13
    K75 S says:

    @Staatsanwalt: Ich hab´ die Dinger fast täglich auf´m Scheibtisch … zum Ausfüllen.
    – Allerdings verwenden nicht alle JC das gleiche Formular (was nicht bedeutet, dass die anderen Formulare unbedingt besser sind).

    @Fassungslos: Ich dachte eher an einen Zusatz wie: Zur Vermeidung eines negativen Befundes melden Sie sich bitte in Raus 201.

  14. 14
    K75 S says:

    Args … ich meine natürlich nicht „Raus“ sondern Raum.

  15. 15
    Fassungslos says:

    @K75 s: Könnte eins von den „Dingern“ mal anonymisiert an mich gefaxt werden (43724493) ? Oder hier veröffentlicht?
    Vorab großen Dank!

  16. 16
    Mitch says:

    @säenundernten hm joa… da „sähen“ se mal, wie ich mich fürs Beamtentum qualifiziere :)

  17. 17
    K75 S says:

    @Fassungslos: Kein Problem. Berliner Vorwahl?

  18. 18

    „Bereits jetzt stimme ich der Durchsuchung meiner Wohnung durch das LKA zu“… DAS kann nicht echt sein. Es wäre der Bankrott des Rechtsstaates.

  19. 19
    Timm Zeiss says:

    …also bei den Dingen die ich mit Berliner Behörden schon erlebt habe, glaube ich das wirklich!

    Die BA Neukölln ist ja auch der Meinung, man könne gegen einen Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung keinen Widerspruch erheben, denn Bescheide müssten ja mit einer Belehrung ausgestattet sein, sonst hätten sie nicht die Gestalt eines Bescheides….da ist mir auch beinahe der Café aus dem Gesicht gefallen….und das könnte ich noch unendlich fortführen….

  20. 20
    Fassungslos says:

    @K75 s: ja, Berliner Vorwahl und schon mal Danke!

  21. 21
    Kai Rode says:

    Nach der freiwilligen Eingliederungsvereinbarung bei der man nur die Wahl hat ob man wegen Verweigerung der Unterschrift auf einer oder Verstoß dagegen eine Kürzung kassieren will nur konsequent. /facepalm

  22. 22
    K75 S says:

    @Fassungslos: Here we go …

    Ich muss mich übrigens korrigieren … als Maßeinheit sind nicht Kubik- sondern Quadratmeter angegeben. Für´s Baujahr trotzdem merkwürdig.

    @Kai Rode: Wenn die EGV nicht unterschrieben wird, gibt´s keine „Sanktion“ (i. S. d. amtlichen Sprachgebrauchs) … dann kriegst dat Ding halt als Verfügung auf´n Hals gedrückt.

  23. 23
    doppelfish says:

    Aber wenn wir die Test-Dinger schon haben, vielleicht lassen wir mal die Bundesarbeitsagenten antreten?

  24. 24
    Seyato says:

    @ CRH

    Ich mag ihr Blog, aber manchmal (sehr selten) bin ich versucht Sie zu bitten nach Zitaten von Dieter Nuhr zu suchen .

    • Besten Dank für Ihre freundliche persönliche Ansprache. Allerdings: Wer gleich so anfängt, fliegt raus. *plonk* crh

    [Umfangreiche Stellungnahme zum verfehlten Thema „Denkt denn keiner an die Kinder?!“ gelöscht. crh]

  25. 25
    HugoHabicht says:

    Betäubungsmittelmißbrauch ist doch der richtige Begriff. Wer eine Verschreibung für Beäubungsmittel vom Arzt vorweisen kann (Morphin o.ä.) begeht keinen Mißbrauch und wird auch nicht getestet. Ob die Idee unbedingt verfassungswidrig ist, wenn zumindest Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kandidat sich seiner Pflicht zum Anbieten auf dem Arbeitsmarkt de fakto dadurch entzieht, dass er illegal konsumiert, bin ich mir auch nicht so sicher.

  26. 26
    K75 S says:

    @HugoHabicht: Muss jemand, dem z.B. Antidepressiva verschrieben wurden, dem Amt seine komplette Krankenakte vorlegen um seine Glaubwürdigkeit zu erhalten? Also meinem AG würde ich etwas husten (wobei der die Schrift meiner Ärztin ohnehin nicht entziffern könnte).

    Wenn sich jemand der Arbeitsaufnahme mittels BTM-Mißbrauch entziehen will, müssten die Urintests entweder direkt beim Vorstellungsgespräch durchgeführt werden – oder aber zuvor im Amt, wobei ein Sachbearbeiter freigestellt werden müsste, um den Leistungsempfänger sodann zum Vorstellungsgespräch zu begleiten.

    Beides erscheint mir nicht praktikabel.

    Wobei … in letzerem Fall wäre der Bedarf an „Bundesarbeitsagenten“ derart hoch, dass sich die notwendige Personalaufstockung sicherlich positiv auf die Arbeitslosenstatistik auswirken würde. Wie war das doch gleich: Wer keine Arbeit hat …

  27. 27
    K75 S says:

    @Fassungslos: Ist zu dem oben erwähnten BSG-Entscheid zufällig das Az. verfügbar?

  28. 28
    rakuemmerle says:

    @Ein Pony: saubere Recherchearbeit!

    Ich frage mich, warum die das ausschreiben. Bei Amazon gibt es Multiteststreifen im 10er Pack für knapp 20 Euro. Und wenn man alle auf einmal bestellt, ist es bestimmt versandkostenfrei. :)

  29. 29
    GaSt says:

    Bei Hr. Burhoff habe ich einen Artikel über Penisattrappen gelesen. Hat mich etwas gewundert, wofür die benutzt werden. Ich habe mir die entsprechenden Produktbewertungen beim Anbieter durchgelesen und mich darüber aufgeregt, dass es so etwas überhaupt gibt, um irgendwelche Tests zu umgehen (man erhält das synthetische Urin nämlich direkt dazu).
    Ich finde es schon schlimm, sich mit so einem Ding einen Freifahrtschein fürs nächste Besäufnis zu geben und meinte, eigentlich müsste man sowas verbieten.

    Nach Lesen dieses Eintrags und dem Link von Das Pony habe ich meine Meinung zumindest ein wenig geändert…

  30. 30
    Arno Nym says:

    Ist doch ganz einfach Hartzler, raucht irgendwo mal bei einem Kumpel etwas mit, was ansich nicht verboten ist und wenn der Test positiv ist, dann gibt es Lebensmittelmarken, weil „Süchtigen“ kein echtes Geld zusteht.

    Um diese Maximaldemütigung durchzusetzen braucht es diese Tests. Dann arbeiten Süchtige auch für noch weniger, weil sie nicht von der Allgemeinheit wegen der Marken reduziert werden wollen.
    Clever und menschenverachtend.

    Ein normal aussehender Bürger mit Staatsbürgerschaft,
    der ab und an von seinem winzigen Geld was konsumiert, vor der Supermarktkasse als Suchti zu demütigen, eine neue Qualität. So werden diese Leute
    ganz sicher keine Stütze mehr in Anspruch nehmen.

    Alles nur Verschwörungstheorie, bin kein Jurist.
    Einfach nur die Freiheit meiner Gedanken.