Der Querulant und die überempfindliche Richterin

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit einem Fall auseinander zu setzen, in dem es über ein Sensibelchen unter den Richterinnen ging. Folgender Sachverhalt lag dem Beschluss vom 28. Juli 2014 (1 BvR 482/13) zu Grunde:

Der Beschwerdeführer erhob eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin des Amtsgerichts, in der er unter anderem ausführte, er protestiere „gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin“ und meine, „sie müsse effizient bestraft werden um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“.

Also der übliche Vortrag eines enttäuschten Bürgers. An sich keiner Rede Wert; links rein, rechts raus – business as usual und gut. Aber nein, die Ehre einer Richterin am Amtsgerichts auf diese Art zu beflecken, geht ja gar nicht, da muß die Kavallerie in Gang gesetzt werden, weitere Richter und (Ober)Staatsanwälte hatten dann auch nichts Besseres zu tun:

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer aufgrund dieser Äußerungen wegen Beleidigung gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 €. Im Berufungsverfahren sprach das Landgericht den Beschwerdeführer zunächst frei. Dieses Urteil hob das Oberlandesgericht jedoch im Revisionsverfahren auf und verwies das Verfahren zurück. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers daraufhin als unbegründet. Die erneute Revision des
Beschwerdeführers blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg.

Aber was ein echter Querulant ist, der läßt nicht locker, so daß nun die Richter den roten Roben eine kurzweilige und unterhaltsame Sache zu entscheiden hatten.

Den lächerlichen Quatsch beurteilte das BVerfG nun ernsthaft wie folgt:

Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Das Urteil des Landgerichts, dem sich das Oberlandesgericht anschließt, nimmt in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise an, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen um Schmähkritik handle. Hierbei verkennt das Landgericht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik.

Das Bundesverfassungsgericht hat diesen in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben.

Dem genügt die Entscheidung des Landgerichts nicht. Auch in der Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate, geht es nicht allein um eine Verunglimpfung der Betroffenen, sondern auch um eine Auseinandersetzung, die einen sachlichen Hintergrund hat. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf das von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und bezweckt eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete Stelle. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage. Bezüglich der weiteren Äußerungen begründet das Landgericht seine Einordnung als Schmähkritik überhaupt nicht.

2. Soweit das Landgericht hilfsweise dennoch eine Abwägung vornimmt, verstößt es hierbei zunächst insofern gegen die Meinungsfreiheit, als es die Äußerung des Beschwerdeführers, „es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate“, dahingehend auslegt, dass hiermit der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten unterstellt wird. Mit anderen möglichen Deutungen hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist jedoch, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben.

Auch im Übrigen genügt die Abwägung nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben. Das Landgericht stellt einseitig auf den Ehrschutz ab, ohne die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ausreichend zu berücksichtigen. Insbesondere wird nicht hinreichend gewürdigt, dass der Beschwerdeführer das Schreiben zwar auch an die Gegenseite gesandt, den Adressatenkreis des Schreibens aber überschaubar gehalten hat. Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im „Kampf ums Recht“ befand und ihm hierbei zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt ist, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen.

3. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Ich weiß nicht, an welchem Amtsgericht diese Sache ihren Ursprung hat, möchte aber ausschließen, daß hier eine Berliner Richterin beteiligt war. Die Mädels aus Moabit haben eher kein so’n dünnes Fell. Wenn ich jetzt hier öffentlich raten würde, bekäme ich sicher wieder Mecker aus dem Teil der Republik, dessen Parlament in einer Sitzung in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1949 das Grundgesetz, dessen Bestandteil auch damals schon der Art. 5 GG war, ablehnte.

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Quelle der Zitate: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 86/2014 vom 2. Oktober 2014

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafrecht veröffentlicht.

15 Antworten auf Der Querulant und die überempfindliche Richterin

  1. 1
    Ernst says:

    Däääng! Leider falsch. Nach dem Rubrum spielte das ganze in (dem Bezirk des Landgerichts) Duisburg.
    http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20140728_1bvr048213

  2. 2
    Jan Brendel says:

    Herrlich. Manchmal funktioniert unser Rechtssystem also doch noch zuverlässig :)

  3. 3
    rolf says:

    die gerichte haben ja auch sonst nichts zu tun und damit meine ich die werten richter. ich habe absolut keine ahung von der materie, aber selbst ich sehe, dass lediglich das verhalten der richterin kritisiert wird und nicht die person an sich,wenn auch etwas grob.

    zolle dem querulanten respekt, dass er das bis zum ende durchgezogen hat. das er aber bis zu den roten roben muss ist dennoch sehr sehr traurig

  4. 4
    st says:

    Die Ablehnung des GG war allerdings nur teilweise, man stimmte der Ratifizierung zu sollte sich eine Mehrheit in den anderen Bundesländern ergeben.

    Die CSU selbst wollte meines eine stärkere föderalische Orentierung im GG. Davon kann man halten was man will, ich persönlich habe in den letzten 10 Jahren allerdings viele dümmere Vorschläge in Richtung GG gehört.

  5. 5
    Leser says:

    @Jan + rolf:
    Keine Bange, der gewünschte Effekt („Warnung“ an andere „Querulanten“) wird dennoch erreicht.
    Nicht Jeder hat die Zeit, Nerven und das Geld(! Kostenrisiko), bis vors BVerfG zu ziehen. Alles darüber hinaus (die rechtskräftige Verurteilung) wäre doch nur das Tüpfelchen auf dem i gewesen.

  6. 6
    Ingo says:

    Nun, bei Polizisten erlebt man diese Überempfindlichkeit bisweilen auch recht häufig…

  7. 7
    RA JM says:

    Wäre allerdings ein Anwalt in einem entsprechenden Fall betroffen gewesen und hätte Strafantrag gestellt, hätte die StA ihn mit Sicherheit kaltlächelnd auf den Privatklageweg verwiesen.

  8. 8
    Theo says:

    um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät

    Ein Schelm wer Böses denkt…

  9. 9
    lawtroll says:

    Im Ergebnis ist die Entscheidung sicher richtig, aber es ist schon traurig, dass niemand etwas daran findet, dem Richter, der nicht wie gewünscht entschieden hat, pauschal die Begehung von Straftaten zu unterstellen (ich frag‘ mich gerade ernsthaft, an welchen anderen Bedeutungsgehalt das BVerfG hier denkt), und jeder, der sich dann doch getroffen fühlt, als „Sensibelchen“ abqualifiziert wird… zumal sowas gerne in Verfahren passiert, in denen man sich wirklich Mühe gegeben hat und in denen ein Rechtsmittel oder wenigstens Anhörungsrüge zur inhaltlichen Überprüfung der ach so grauenhaft falschen Entscheidung nicht eingelegt werden, grrrr. (Das Absondern von unqualifizierter Kritik ist in der Regel halt nicht mit besonderen Kosten verbunden). Und es gibt tatsächlich Verfahren, in denen auch dem gemütvollsten Vorsitzenden die „Einbahnstraße der Beleidigungen“ irgendwann sauer aufstößt, zT genüsslich von manchen Strafverteidigern ausgenutzt (Zitat eines Verteidigers zum Vorsitzenden:
    „Wissen Sie, was der Unterschied zwischen uns ist? Ich darf Sie beleidigen, soviel wie ich will…“ – das Zitat spricht jedenfalls mE auch nicht unbedingt für das gnadenlose Überwiegen einer brutalen Staatsgewalt, denn die meisten Richter versuchen ja, im Zweifel den Mund zu halten, um das Verfahren nicht platzen zu lassen). Kurz: Verurteilung zu 80 TS – hüstel, schon merkwürdig; man hätte auch nicht unbedingt die Akte zur Prüfung eines Strafantrags an den Präsidenten LG schicken müssen; andererseits: manchmal wünscht man sich schon, dass sich auch die Parteien nur sachlich äußern dürften…;)

  10. 10
    alter Jakob says:

    @lawtroll: Der Duden findet bspw., dass „auf die schiefe Bahn geraten“ ein Synonym für „straucheln“ ist:

    http://www.duden.de/rechtschreibung/straucheln

    Und wenn man sucht, dann findet man sicher noch weitere mögliche Bedeutungen.

  11. 11
    Leser says:

    @lawtroll:
    „auf die Schiefe Bahn“ geraten bedeutet auch „vom rechten Weg abkommen“. und das ist ‚der eine oder andere‘ Richter sicher schon lange!

    Im Übrigen ist Rechtsbeugung doch ein Straftatbestand und wer Recht beugt hat sich bereits strafbar gemacht.
    Übrigens auch dann, wenn man es ihm nicht nachweisen und ihn deshalb verurteilen kann. Solche Richter sind Straftäter, wenn auch keine verurteilten…

    BTW: Es sei denn der Herr ist einschlägig mehrfach vorbestraft sind 80 Tagessätze aber -sowas- von überzogen, -nicht- tat- und schuldangemessen.
    Wie ich es oben schon andeutete ging es hier um rechtsmissbräuchliche Disziplinierung. Sagt auch das BVerfG, nur etwas diplomatischer.

  12. 12

    Das passt natürlich überhaupt nicht:

    ( aus LTO )

    „Verkaufte Examensklausuren in Niedersachsen

    Geflüchteter Richter an Deutschland ausgeliefert

    03.07.2014

    Es kommt Bewegung in den niedersächsischen Justizskandal: Richter Jörg L., der als ehemaliger Referatsleiter im Justizprüfungsamt beschuldigt wird, Examensklausuren verkauft zu haben, sitzt nach Medienberichten seit Dienstag in Celle in Untersuchungshaft. Eine Anklage gegen den Beschuldigten könnte demnach noch dieses Jahr erfolgen.

    Die Auslieferung von Jörg L. habe sich zunächst problematisch gestaltet, berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) unter Berufung auf den Verdener Staatsanwalt Lutz Gaebel. Die italienischen Behörden hätten die Auslieferung zunächst wegen eigener Ermittlungen verhindert. Der Richter hatte nämlich bei seiner Festnahme auch eine geladene Pistole bei sich. Dies habe schließlich zu einer Verurteilung in Italien zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten geführt. Eine Auslieferung war nach dem Bericht der HAZ letztlich nur möglich, weil die Vollstreckung der Haftstrafe ausgesetzt worden sei.

    Die Geschichte des angeblich bestechlichen Richters könnte noch weite Kreise nach sich ziehen: Es könnte sein, dass mittlerweile amtierende Richter die Examensklausuren als Referendare gekauft hatten. Betroffen sind über 2.000 Staatsexamina. Verkaufte Examensklausuren in Niedersachsen .“

    Der ganze Stress: nur wegen einer Pistole!

  13. 13
    Kurt says:

    Wenn Anwälte nicht wegen jeder kräftigen Äußerung eines Richters sogleich Ablehnungsanträge stellen würden und sich so ihrerseits als Sensibelchen outen, ließe mancher Richter derartige Angelegenheiten wie hier auch auf sich beruhen.

  14. 14
    Thomas Lippert says:

    Sehr geehrter Herr Hoenig,

    als Bewohner des Freistaats Bayern habe ich die Vepflichtung darauf hinzuweisen, dass das Verfahren seinen Ursprung in NRW und nicht in Bayern hat.

    • Da haben Sie Recht.

      BVerfG 1 BvR 482_13

      Und ich zitiere jetzt nicht das Ausnahme-Regel-Prinzip. ;-) crh

  15. 15
    Georg says:

    Als Anwalt erschüttert mich lediglich die Ungleichheit mit der Staatsanwaltschaften vermeintliche Beleidigungen verfolgen. Fühlt sich ein Polizeibeamter, ein Staatsanwalt oder Richter, ein beliebiger Justizmitarbeiter oder sogar nur ein Kaufhausdetektiv (!) beleidigt, wird die gesamte Maschinerie in Gang gesetzt, gleich wie „harmlos“ die angebliche Äußerung war.

    Wird aber beispielsweise ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber vor Kollegen als „das dümmste Arschloch weit und breit“ bezeichnet, wird das ganze „natürlich“ auf den Privatklageweg verwiesen oder wegen Geringfügigkeit eingestellt.

    Die Justiz schützt auch in diesem Bereich vorwiegend ihresgleichen und vermeintliche „Freunde“, läßt den „einfachen“ Bürger hingegen mit Rechtsschutz im Stich.