Eigentlich sollte ich mich nicht mehr ärgern; denn nach all den Jahren, in denen ich als Strafverteidiger unterwegs war, ist mir das Verhalten mancher Behördenvertretertypen schon so vertraut wie das werktägliche Frühstück. Aber manche Jungs und Mädels von der Kavallerie schaffen es immer mal wieder, meinen orbitofrontalen Kortex in Schwingung zu versetzen.
Der niedrigschwellige Anfangsverdacht für eine kleine Straftat, die in den meisten Fällen mit einer Geldstrafe belegt wird, führte Mitte November 2013 zu einer Wohnungsdurchsuchung.
Die Tante (!) meines Mandanten, die – wie jede Woche – gerade dabei war, professionell mit einem Feudel den Staub auf den Möbeln zu pflegen, gestattete den Beamten „freiwillig“ die Durchsuchung der Wohnung, sie verzichtete auf die Hinzuziehung von Zeugen und mit der Beschlagnahme des Smartphones und des Tablets (das Zeugs störte sowieso beim Saubermachen) sowie mit der Durchsicht der „Papiere“ erklärte sie sich einverstanden.
Der Mandant war derweil unterwegs, um das Geld zu verdienen, mit dem er seine Zugehfrau entlohnte und die Sozialabgaben dafür entrichtete.
All das war sauber und ordentlich im Protokoll vermerkt. Einen Durchsuchungsbeschluß gab es augenscheinlich nicht.
Ein paar Tage später kam der Mandant zu mir und beauftragte mich mit seiner Verteidigung. Und: Er wollte seine Elektronik wiederhaben. Deswegen habe ich Anfang Dezember bei der Staatsanwaltschaft einen angemessen begründeten Antrag auf Herausgabe der Sachen gestellt.
Passiert ist nichts. Nun, dann habe ich Mitte Dezember nochmal höflich an die Bearbeitung meiner Post erinnert. Das hat auch zu keiner Bewegung geführt. Deswegen habe ich zu Jahresbeginn eine ganz knapp formulierte Dienstaufsichtsbeschwerde an die Behördenvertreter geschickt. Ergebnis: Keine erkennbare Reaktion.
Ziemlich genau zwei Monate nach der Durchsuchungsmaßnahme, also am 15. Januar, verließ unsere Kanzlei ein Fax in Richtung Elßholzstraße. Dort sitzt der General, die Aufsichtsbehörde der Staatsanwaltschaft. Auch dieses Fax trägt in Sperrschrift das böse Wort mit den drei „F“.
D I E N S T A U F S I C H T S B E S C H W E R D E
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß solche Hilferufe (sic!) entgegen mancher Gerüchte in aller Regel nicht fruchtlos verhallen. Denn an vereinzelten Stellen der schneidigsten Behörde der Welt sitzen durchaus noch Menschen, die ihre Verstand nicht gegen die Ernennungsurkunde eingetauscht haben.
Soweit, so gut. Ich warte nun auf das Ergebnis.
Zum Feierabend, nachdem ich den Faxbericht zur Akte gespeichert hatte, habe ich mich noch auf Twitter erleichtert:
Drei Stunden später reagiert die Staatsanwaltschaft:
Es ist nicht das Beamtenmikado, über das ich mich hier aufrege. Sondern dieser Bedienstete, der sich samt seiner Arroganz in der alimentierten Hängematte ausruht, die Arme vor der Brust verschränkt und ein süffisantes „Du-kannst-mich-mal“ rübertwittert.
Ich bringe es mal ernsthaft auf den Punkt: Es findet hier ein massiver Eingriff in Freiheitsrechte eines Bürgers statt. Der Verteidiger versucht mit den Mitteln der StPO und auf dem Dienstweg eine richterliche Kontrolle und gegebenenfalls eine Korrektur für seinen Mandanten zu erreichen, dessen Rechte auf den ersten Blick verletzt sein könnten.
Und dann kommt aus dieser Ecke des (nur scheinbar) anonymen Universums der arrogante Hinweis eines Staatsanwalts, Dienstaufsichtsbeschwerden gingen ihm am Arsch vorbei. Staatsanwälte, die mit so einer Einstellung – auch wenn sie „nur“ privat und feige vermeintlich anonym geäußert wurde – ihren Dienst schieben, verdienen (nicht nur) meine Verachtung!
Aber was rege ich mich hier eigentlich über den Kerl auf? War von dieser twitternden Krähe eigentlich was anderes zu erwarten?!
Das Schöne für einen Staatsanwalt ist ja gerade, dass er mit einer Hausdurchsuchung recht unbürokratisch durch Beschlagnahme der Geräte und deren „Auswertung“ jemand sozial bestrafen kann, ohne erst dessen Schuld feststellen zu lassen. Es reicht ein Bauchgefühl, alias Anfangsverdacht.
Ich habe unzählige – total unterschiedliche – Erfahrungen mit Verteidigern gemacht. Aber eins kann ich ganz sicher bestätigen: wenn es welche gab, die den Ruf ihre Zunft eher beschädigt haben, dann waren es fast ausschließlich solche, die Strafsachen nur nebenbei gemacht haben. Es gab schon früher den einen oder anderen, der sich fast ausschließlich mit Strafverteidigungen befasst hatte. Aber nach der Einführung des »Fachanwalts für Strafrecht« ist es noch mal deutlich besser geworden. Die meisten derer, die sich nahezu ausschließlich mit Strafsachen beschäftigen, sind ausgesprochen fachkundig – jedenfalls fast immer wesentlich fachkundiger als jüngere Richter, die gerade mit dem Beruf anfangen oder ewig keine Strafsachen gemacht haben. Und daher viele Berufsanfängers zunächst bei der Staatsanwaltschaft beschäftigt werden, ist dort die Situation noch einmal deutlich schlechter.
Wer den Job kennt, weiß, dass natürlich im Gerichtssaal einen »Kampf« stattfindet, auf dessen Seite nur einer zur Einseitigkeit verpflichtet ist. Und das ist ja auch gut so, weil auf der anderen Seite als Staatsanwalt steht, der mit wesentlich größeren Machtbefugnissen ausgestattet ist. Und dass die Staatsanwaltschaft die entlastenden Umstände gleichermaßen ermittele wie die belastenden, ist das, was ich immer als »die Lebenslüge der Staatsanwaltschaft« bezeichnet habe.
Ich hatte neulich mal von dem Fall berichtet, in dem ich quasi die Rolle des Verteidigers übernommen und die Behauptung des Rechtsmediziners widerlegt hatte, der Angeklagte habe einen aufgesetzten Nahschuss abgegeben. Aber glaubt mir, was ich danach bei meinen Kollegen erlebt hatte, war nicht gerade lustig. Es ist schon so, wenn der Staatsanwalt mit einem Freispruch »nach Hause kommt«, muss er den mehr als ausführlich rechtfertigen. Was nicht besagt, dass es nicht auch andere gibt.
Ich möchte niemandem zu nahe treten und ich weiß, dass es wirklich eine Menge Staatsanwälte und Staatsanwältinnen gibt, die ein anderes Berufsbild haben. Aber sie bleiben eine Minderheit wie die kritischen Polizisten.
@Arn. O. Nym:
„bestrafen kann, ohne erst dessen Schuld feststellen zu lassen“ ???????
Da haben Sie offenbar den Teil „Ermittlung“ im Wort Ermittlungsverfahren nicht so ganz verstanden. Man muss also Ihrer Auffassung nach erst einmal eine Tat nachgewiesen haben und ein rechtskräftiges Urteil, um dann erst die Beweismittel dafür einsammeln zu dürfen, die man für den Nachweis braucht (oder zu brauchen glaubt)?
Zitat: „Der niedrigschwellige Anfangsverdacht für eine kleine Straftat, die in den meisten Fällen mit einer Geldstrafe belegt wird, führte Mitte November 2013 zu einer Wohnungsdurchsuchung. “
Hier scheint also der Richter versagt zu haben?! Es gibt bekanntlich für Durchsuchungen den Richtervorbehalt. Ich habe auch mal gelernt, dass im Prinzip bei jeder Straftat eine Durchsuchung möglich ist (§ 102 StPO), jedenfalls beim Beschuldigten selbst. Die Korrektur erfolgt ja nicht durch die StPO selbst sondern durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als (wie sagte das BVerfG?) „Leitregel allen staatlichen Handelns“.
Zitat: „gestattete den Beamten „freiwillig“ die Durchsuchung der Wohnung, sie verzichtete auf die Hinzuziehung von Zeugen“… hab mal gehört, dass nach § 105 Abs. 2 StPO ein Gemeindebeamter zur Durchsuchung als Zeuge mitzunehmen ist. Oder war der Staatsanwalt vor Ort?
„All das war sauber und ordentlich im Protokoll vermerkt. Einen Durchsuchungsbeschluß gab es augenscheinlich nicht.“ Also Gefahr im Verzug… hmm wer hat da noch mal die Anordnungsbefungnis, ach ja… der Richter. § 98 StPO. Ordnet die StA oder Polizei an, ist die Gefahr im Verzug hinreichend durch Berichte oder Vermerke zu dokumentieren. Das ist aber in Berlin nahezu nicht mehr möglich. Bekanntlich müssen auch die Strafrichter des Nächtens den Ermittlungsrichter geben (§ 81 a StPO lässt grüßen). Also ist entweder fernmündlich richterlich angeordnet worden, oder die Durchsuchung ist rechtswidrig, weil
a) keine Gefahr im Verzug vorlag oder
b) die Notkompetenz von StA oder Polizei nicht vorlag, da nicht dokumentiert wurde, dass ein Richter zu erreichen versucht wurde.
Zitat: „…Beschlagnahme des Smartphones und des Tablets (das Zeugs störte sowieso beim Saubermachen) sowie mit der Durchsicht der „Papiere“ erklärte sie sich einverstanden. “
Beschlagnahme wieder analog. Ich gehe davon aus, dass diese durch einen Richter (Beschlagnahmeanordnung) angeordnet war „fernmündlich?“ oder es stellt sich analog die Frage nach der Kompetenz. Die Polizei darf mal gar nicht beschlagnahmen, außer bei Gefahr im Verzug, s.o. § 98 StPO grüßt erneut aus der Ferne. Also hat ein Richter oder Staatsanwalt angeordnet? Sonst Anordnung rechtswidrig. Beschlagnahme wäre ohnehin – auch ohne Ihre Beschwerde – dem Amtsgericht Tiergarten vorzulegen und zu bestätigen (nein, falsch). Sie ist aufzuheben (!) und u.U. neu anzuordnen, nämlich vom Ermittlungsrichter.
Was das Smartphone und Tablet angeht, würde hier in Berlin kein Richter die Beschlagnahme anordnen. Selbst bei potentieller Beweiserheblichkeit, die ja Mindestvoraussetzung einer Beschlagnahme wäre. Hier wäre die Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht der Papiere nach § 110 StPO das richtige Mittel. Denn erst durch diese Durchsicht der Geräte ließe sich feststellen, ob diese potentiell beweiserheblich sind. Oder wieder herauszugeben sind.
Zitat“ sowie mit der Durchsicht der „Papiere“ erklärte sie sich einverstanden.“ – Waren das wirklich Polizisten da vor Ort? Oder waren da Steuerfahnder? Wer erinnert sich noch an § 404 AO? Oder war gar die Staatsanwaltschaft resp. die StraBu vor Ort. Klingt mir sehr nach einem Fall des § 110 Abs. 1 StPO. Steuerfahnder und Staatsanwälte dürfen sowieso (Polizei auf Anordnung) die Papiere durchsehen. Andernfalls stellt sich die Frage, was die lieben Kollegen in grün gesucht haben wollen? Also Wirtschaftsstrafrecht wohl sicher (Computer, Telefon, Papiere durchsehen).
Auf einem anderen Papier steht geschrieben, dass auf die Beschwerde nichts passiert ist. Das Amtsgericht ist in diesen Dingen eigentlich ziemlich flink. Und als Staatsanwalt ist es ein leichtes die Herausgabeentscheidung bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Durchsuchung und Beschlagnahme zurückzustellen. Niemand, der ein wenig Ahnung hat, wird diese (potentiellen?) Beweismittel auswerten. Dann kommt Herr RA Hoenig in der Hauptverhandlung im Zweifel mit der Widerspruchslösung. Daran kann keinem „Herren des Verfahrens“ gelegen sein! ;-)
Ich würde gern mehr erfahren :-D
Natürlich ist § 98 StPO nicht die richtige Norm für die Anordnung der Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug. Man möge mir dies nachsehen.
Es scheint ja keine Hausdurchsuchung gewesen sein, sondern nur ein „freundlicher Besuch“ und die Beamten wurden freiwillig eingelassen.
Wahrscheinlich sowas wie „Sie haben doch nichts zu verbergen“ oder „Wir wollen nur mal schnell gucken, ob alles in Ordnung ist, damit der junge Mann nicht noch mehr in Schwierigkeiten kommt“. Lol. Telefone auswerten und zurückgeben kann ja Jahre dauern. Davon 1 Stunde während es mit speziellen Systemen ausgelesen wird.
Auch dieses Fax trägt in Sperrschrift das böse Wort mit den drei „F“.
D I E N S T A U _F_ S I C H T S B E S C H W E R D E
Ich zähle nur eins.
Die drei Fs beziehen sich auf die bekannten Folgen und Voraussetzungen einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Sie ist
– formlos
– fristlos
– fruchtlos.
Ich bezweifele stark, dass die Polizei sich erdreisten (?) würde ohne Beschluss eine Durchsuchung zu machen, die sie als „nur mal gucken bezeichnen würde“.
Geräte die länger als sechs Monate in amtlichen Beschlag sind, bedürfen der genaueren Eräuterung, warum die Beschlagnahme andauern soll. Anderfalls rechtswidrig. Folge: Herausgabe.
Danke für die Erklärung, Jens. Eine Frage habe ich noch. Was ist eigentlich wenn ich selbstständig bin und meine Daten zum Arbeiten brauche? Kann ich eine Kopie meiner Daten beantragen? So wie ich das verstehe, werden in so einem Fall ja alle Geräte und Datenträger, also auch Backups beschlagnahmt. Heutzutage ist ein PC ja kein Lifestyle Gerät mehr, sondern zentraler Bestandteil einer Lebensführung. Also jetzt mal abseits von irgendwelchen Facebook-Brains.
Ach so.
Ich hatte gedacht:
Fressen, Fernsehen, Fö…..
Eine Tante, die die Wohnung regelmäßig putzt, das wäre unser Traum gewesen.
Sogar die ganzen Bierflaschen hätte sie als Pfand mitnehmen können. Und wie das hier wieder ausgesehen hat, als Gluffke und Müller „bloß zum Skat“ kamen und nicht wieder gehen wollten.
Was für ein Glück, dass die Bullen das nicht noch fotografiert haben.
[…] eine Dienstaufsichtsbeschwerde und die drei F, […]
Tut mir leider Herr Koch, aber ich glaube Ihnen nicht. Ich kann nichts von dem bestätigen, was Sie geschrieben haben.