Eine Rechtsnorm, die besonders für größere Kanzleien von enormer Bedeutung ist, verbietet Rechtsanwälten das Vertreten widerstreitender Interessen: § 356 StGB sanktioniert die Prävarikation, also den Parteiverrat, und zwar heftig. Zu Recht.
Parallel dazu ist der § 203 StGB zu sehen, der in diesem Zusammenhang eine vergleichbare Funktion hat.
Begleitet werden diese Strafrechtsnormen noch von allerlei berufsrechtlichen Regeln, auf deren Einhaltung die Tugendwächter der Rechtsanwaltskammern (als Zulassungsbehörde für Rechtsanwälte) achten.
Verhindert werden soll folgender Standard-Fall:
Rechtsanwalt Rudolf Ratte vertritt den gegelten Inhaber des Gebrauchtwagenhandels Wilhelm Brause Ltd.
Mütterchen Mü hat sich in diesem Autohaus einen Automatik-Golf I gekauft. Wer Brause kennt: Der Golf hat 300.000 km gelaufen, auf der Uhr standen aber nur 80.000 km. Am Unterboden wird ein versteckter Unfallschaden entdeckt.
Mü will das Auto wieder los werden und den Kaufpreis zurück haben. Sie geht zum Anwalt, zu Rudolf Ratte, der ihr verschweigt, daß er auch den Verkäufer Brause vertritt.
Es liegt auf der Hand, daß das nicht gutgehen kann. Die weiteren Einzelheiten überlasse ich dem Kopfkino der Leser.
Wie sieht das nun im richtigen Leben aus?
Über einen komplexen Fall, in dem am Ende der Verlust von 200 Millionen Dollar für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) steht, berichtet Sebastian Heiser in der taz.
Die Kanzlei Clifford Chance vertritt das Bankhaus JPMorgan.
Die BVG möchte beim Bankhaus JPMorgan Geld anlegen. Die Mitarbeiter der BVG brauchen dafür kompetenten Rat und wenden sich an die spezialisierten Berater der Kanzlei Clifford Chance.
Die Anwälte haben nun auf der einen Seite die Interessen der Bank zu vertreten. Und auf der anderen Seite die der BVG. Daß die Interessen gegenläufig sind, sollen die Rechtsanwälte relativ schnell erkannt – und zum Nutzen der Bank gebraucht – haben.
Ein Standardfall mit weitreichenden Konsequenzen,
- für die BVG (und die Steuerzahler), die den Schaden haben
- für die Bank, die sich zumindest (nur) über ihren Ruf Gedanken machen muß, solange niemand auf die Idee kommt, die Bankster könnten sich durch diesen Deal selbst strafbar gemacht haben
- für die Rechtsanwälte der Großbude, die lernen müssen, daß Honorar und Ethik in einem ausgewogenen Verhältnis zu stehen haben; dieser Lernprozeß wird sicher schmerzlich, vgl. § 356 Abs. 2 StGB.
Moderne Anwaltssoftware hat eine Kollisionsprüfung. Wenn man die Warnhinweise der Soft aber mit dem gestreckten Mittelfinger wegdrückt, nützt diese nichts. Dieser Mittelfinger wird dann in diesem Fall wahrscheinlich hinter einem Richtertisch gespiegelt werden.
Und wenn ich das nächste Mal wieder mit der U-Bahn unterwegs bin, wird der Hinweis kurz vor dem Schließen der Waggon-Türen
Zurückbleimbitte!
jedenfalls für mich eine völlig neue Bedeutung haben.
Danke an Sebastian Heiser für diesen Bericht.
Bild: Lupo / pixelio.de
Früher, in guten alten Zeiten, da hätte man Mütterchen Mü eben den ADAC empfohlen.
Heute ist das Leben sehr, sehr kompliziert.
Frauenberatungsstellen, die nicht über lesbische Leihmütter mit doppelter Staatsbürgerschaft, sondern über Autokauf informieren, das wäre eine echte Marktlücke!
Ansonsten gilt, was die Oma immer gesagt hat:
Augen auf beim Eierkauf!
Inhaltlich bin ich bei Ihnen; rein praktisch ist die Sache aber nicht ganz so einfach.
Auf der Seite der Kanzlei sprechen wir eben nicht über eine Einpersonenkanzlei, sondern über eine Firma mit über 3.000 Anwälten und Büros in allen Jurisdiktionen.
Und auch auf Mandantenseite ist nicht Mütterchen Mü, sondern jeweils Konzerne mit Tochterunternehmen die vollkommen anders heißen können, als andere Konzerngesellschaften.
Die Kollisionsprüfung ist in diesen Fällen in denen die Mandanten von verschiedenen Anwälten aus unterschiedlichen Büros betreut werden (sollen) alles andere als trivial.
Ich kenne für den deutschen Markt nicht allzu viele Kanzleiprogramme, die bei einer Kollisionsprüfung problemlos Konzernstrukturen und informelle Abhängigkeiten berücksichtigen und auch externe Datenquellen für eine Hintergrundrecherche einbinden. Mit einem einfachen Knopfdruck funktioniert es soweit ich weiß nie.
(Das ist im übrigen auch der Grund dafür, warum es Kanzleien gibt, die zentrale Abteilungen für die Prüfung der Kollision haben und diese Prüfung ein paar Tage dauert).
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Die Notwendigkeit, eine Kollisionsprüfung gewissenhaft zu veranlassen, entfällt nicht durch die Größe der Kanzleistruktur. Deswegen arbeiten solche Law Firms auch oft nicht mit Software von der Stange (wenngleich es darunter auch hochwertige und geeignete Angebote gibt (wir arbeiten mit so einer, obwohl wir es eigentlich nicht müßten)). Außerdem scheint es in dem von Sebastian Heiser beschriebenen Fall auch nicht um das Versagen einer Softwarelösung zu gehen, sondern möglicherweise um knackigen Vorsatz beim Verschaukeln der Mandanten. crh
Allerdings braucht man keine work acceptance Abteilung, um in so einem Fall wie bei Clifford/BVG/JPMorgan den Interessenskonflikt zu entdecken.
Ich hab mal einen Blick in die bei der taz verlinkten Dokumente geworfen. Das sieht schon ziemlich, ZIEMLICH übel aus… Interessant auch, dass dort vornehmlich ein recht junger (nunmehr Ex-)Associate auftaucht, während der Partner auffällig selten in Erscheinung tritt.
Wenn die Vorfälle so geschehen sind, wie in der TAZ dargestellt, dann geht es hier mitnichten darum, dass bei CC verschiedene Rechtsanwälte in verschiedenen Büros sowohl die BVG als auch JPMorgan beraten haben. Also ist es auch kein Problem irgendwelcher komplizierten Risk-Management-Systeme.
Hier wäre es dann ja offensichtlich derselbe Anwalt, der eine Stellungnahme gegenüber der BVG abgegeben hat, dieser vorgaukelte, dass diese in ihrem Interesse geprüft und abgefasst wurde, tatsächlich aber auf Seiten von JPMorgan stand, und den Deal durchbringen wollte.
Eigentlich unerklärlich, dass CC hier aufgrund einer vergleichsweise lächerlichen Summe von EUR 45.000 einen Parteiverrat begehen sollte. Es sei denn, ihnen war klar, dass ein anderer Berater der BVG von dem Deal abgeraten hätte und der Deal nicht gestoppt werden sollte. Das wäre dann aber schon ein starkes Stück.
Ziemlich viele Ausrutscher von Clifford Chance in letzter Zeit. Letztens haben Sie im Zusammenschlussverfahren beim BKartA von Progesur/Brinks auch versehentlich Preislisten eingereicht, was zur Einleitung eines Verfahrens wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB) führte. Das wird zur Anwaltshaftung in Millionenhöhe führen.