Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt seit 2011, packt das Ergebnis der Ermittlungen in Papierform zwischen Pappendeckel und dekoriert damit die Wände von Abstellkammern. Ich habe darüber schon ein paarmal berichtet. Dabei bin ich davon ausgegangen, die Ermittler können es nicht besser, als mit mittelalterlichen Methoden ein Cybercrime Verfahren zu führen.
Jedenfalls ist es der Behörde auf diesem Wege schonmal gelungen, eine Anklage zu schreiben und die rund 500 Seiten ans Gericht zu schicken. Vorn dort haben wir dann – auf Altpapier kopiert – die Zustellung der Anklage und Gelegenheit zur Stellungnahme im Zwischenverfahren erhaten. Das war Mitte/Ende Juni 2014.
Die Zustellung der Anklage löst einen Textbaustein hier aus, der unter anderem den Antrag auf Akteneinsicht enthält. Da es sich um ein etwas – sagen wir mal höflich – ungewöhnlich geführtes Ermittlungsverfahren gehandelt hat, war dieser Akteneinsichtsantrag ebenso ungewöhnlich, nämlich recht ausführlich.
Ich habe dann noch das eine oder andere Mal an die Akteneinsicht erinnert, und nun ist es dem Gericht endlich gelungen, auf dieses Akteneinsichtsgesuch zumindest einmal zu reagieren:
Es sind insgesamt 31 Aktenbände, verteilt auf 36 Dateien, die laut Dateinamen insgesamt 13.520 Blatt umfassen sollen. Inhaltlich sind es noch ein paar Seiten mehr, gnadenlos jedes Blatt Papier wurde von vorn und hinten eingescannt; nur etwas weniger als die Hälfte der Seiten bildet ausschließlich die beiden Löcher ab, die zum Abheften ins Papier gestanzt wurden. Alles in schwarz/weiß. Soweit man von weiß sprechen kann, wenn man graues Altpapier durch einen alten Scanner mit verfusselter Optik zieht.
Aber nur die wesentlichen Teile der Ermittlungsakte; die unwesentlichen Teile habe ich bisher noch nicht einsehen können, wobei ich bisher nicht sicher bin, ob die „unwesentlichen“ Teile – aus wessen Sicht auch immer – sich dann doch als wesentlich herausstellen soll. Darüber reden wir noch …
Wobei das Gericht ja auch nur an die „wesentlichen“ Verteidiger (u.a. an den hier) die CD geschickt hat; die „unwesentlichen“ Verteidiger warten noch auf ihre beantragte Akteneinsicht.
1925 wurde bereits einmal über einen Prozess berichtet, der gewisse Ähnlichkeiten mit dieser Potsdamer Wirtschaftstrafsache aufweist. Entweder hatte der gute alte Franz K. hellseherische Fähigkeiten, oder die Potsdamer Justiz ist auf dem Stand jener Zeit.
Aber ich erkenne an, daß sich das Gericht nach Kräften zumindest bemüht hat. Insoweit schönen Dank auch. Und ich bin heilfroh, daß ich nicht Vorsitzender einer Wirtschaftskammer bin, der sich von einer überforderten Staatsanwaltschaft mit chaotischen Papierbergen zuschütten lassen muß.
Aber mit ein bisschen Glück hat der Vorsitzende heute Anlaß zur Freude, wenn er dieses Verfahren los wird (besser: … das Verfahren ihn los wird); ich drücke ihm jedenfalls die Daumen.
Ein bißchen tut mir der Richter dann doch leid: ersäuft in Papier, kein CD-Laufwerk, und jetzt kassiert er – vermute ich mal – noch einen Befangenheitsantrag :)
Bin auf dem Weg ins kaffkaeske Land und werde berichten. .. ;)
Bitte haltet mich auf dem Laufenden, ich habe auch so gern Mitleid, mit wem auch immer.
Eigentlich ist das ja ein noch sehr viel schlimmeres Trauerspiel: Die ganze Gesellschaft beschwert sich über langsame Justiz, beklagt die Gefahren von jedem und allem möglichen usw. Gleichzeitig müssen Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei mit Museumstechnik arbeiten, sind personell unterbesetzt und eigentlich kaum in der Lage ihren Pflichten so nach zu kommen, wie der Anpruch der Gesellschaft und sicherlich auch die Akteure an sich selbst dies verlangen würden.
Ich bin kein Jurist, aber ich möchter derzeit weder als Polizist oder Staatsanwalt Ermittlungen führen müssen, bei denen ich technisch wenigstens ein Jahrtausend hinter den verfolgten her hinke. Und ich würde auch nicht der Richter oder Anwalt sein wollen, der sich mit den Ergebnissen ineffizient herumschlagen muss. Und für die Angeklagten und Opfer ist das letztlich auch mist, wenn alles ewig dauert, weil die Prozesse im Verfahren antiquert sind.
Andererseits ist immer Geld für neue Vorhaben der Symbolpolitik vorhanden. Aber die „Basics“ sind offensichtlich egal…
Zu Nr. 4 Johannes:
„Gleichzeitig müssen Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei mit Museumstechnik arbeiten“
Das ist in diesem Fall aber wohl keine Ausrede zumindest keine Stichhaltige. Da es sich um ein „Cyber“-Verfahren handelt, fällt ein Großteil des Aktenbestandteils originär digital an. Wenn die Staatsanwaltschaft das dann meint ausdrucken zu müssen würde es schon an Lächerlichkeit grezen sich zu beklagen, dass man nicht den modernsten Scanner hat um es danach wieder einzuscannen.
Mir drängt sich allerdings die Frage auf, weshalb die Dateien auf CD und nicht einfach auf USB-Sticks kopiert wurden. Dann könnte das Gericht vielleicht auch nachschauen, ob alles drauf ist. Ein CD-Laufwerk habe ich, zumindest an meinem Arbeitsplatzrechner auch nicht mehr. ich weiß auch nicht, wann ich zum letzten Mal eine CD benutzt habe…
Aber USB-Sticks sind wohl zu modern…
Unabhängig von der Museumstechnik, gibt es ein einfaches Handwerkszeug. Nennt sich StPO. Mangels Beachtung gibt es zum Nachtisch heute einen weiteren Befangenheitsantrag.
Habe ich das richtig gelesen? Das Gericht hat die Akten mit den technischen Mittel *der StA Potsdam* digitalisieren lassen?
Soll heißen: die StA Potsdam hat diese technischen Mitteln, nutzt sie aber nur nicht ausgiebig genug?
@Thomas Will
In Behörden ist es oftmals untersagt, USB-Sticks an Computer anzuschließen, die mit dem Behördennetzwerk verbunden sind (Virengefahr).
Wie lief es denn heute?
@IT-Freak: Ich weiß. Das macht es aber auch nicht besser.
@IT-Freak
Dann dürfen sie auch nicht ins Internet, sollten sich besser nicht in irgendeinem Netzwerk befinden und den Computer am besten auch nicht anschalten dürfen. Die Drucker sind u.a. potenziell auch gefährlich. Es könnte dann aber schwierig werden, ein Cybercrime Verfahren zu führen, da sich die Richter „etwas“ an Sachkunde aneingnen müssen.
Überspitzt gesagt, kann der Richter die entsprechende Sachkunde in solch einem Verfahren nicht haben, was das eigene Gericht damit wenigstens konkludent bestätigt hat. Darf er ja gar nicht.
Dass ein Richter, der im Rahmen eines Cybercrime-Verfahren über Menschenleben entscheidet, aber nicht entscheiden darf, ob er einen Datenstick der StA anschließt oder ihm ein (auch versiegeltes) CD/DVD Laufwerk zur Verfügung gestellt wird, ist einfach nur saumäßig komisch.
Jedenfalls dann, weenn man nicht einer der Beschuldigten oder der am Verfahren Beteiligten ist.
Kleines Bonmot am Rande. Zu Beginn des vorgestrigen Sitzungstages geht einer der drei Staatsanwälte an mir vorbei, trägt eine große blaue Plastekiste mit Aktenordnern und raunt mir zu, „da sind unsere Laptops drin“. Humor hat er, muss man ihm lassen.