Fluchtanreiz für S&K – Kaution für den Rechtsanwalt

S&KObwohl die Beschuldigten nun seit Februar 2013 auf die Anklageschrift warten und seitdem in Untersuchungshaft sitzen, hält das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt es für verhältnismäßig, zum dritenn Mal die Haftfortdauer anzuorden. In Anbetracht der für den Verurteilungsfall zu erwartenden erheblichen Freiheitstrafen von bis zu zehn Jahren läge der Haftgrund der Fluchtgefahr vor. So ist jedenfalls in der Pressemitteilung des OLG Frankfurt vom 01.12.2012 zu lesen.

Gehen wir mal – ohne genaue Aktenkenntnis und rein hypothetisch – von einer zu erwartenden Freiheitsstrafe in Höhe von 7 1/2 Jahren aus. Das sind 90 Monate. Betrüger haben in der Regel angenehme Umgangsformen, so daß zumindest mit einer Reststrafenaussetzung zu Bewährung „wegen guter Führung“ zu rechnen ist. Auch hier einmal unterstellt: Die so genannte „Zweidrittelstrafe“. Dann wäre es noch 60 Monate bis zum „2/3-Zeitpunkt“. Bereits verbüßt sind runde 22 Monate. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bleibt also eine – hypothetische – Nettostraferwartung in Höhe von 38 Monaten, etwas mehr als drei Jahre. Ist das wirklich noch eine Fluchtanreiz bietende Straferwartung?

Drei Jahre sitzen und gut ist. Oder 10 Jahre lang aufschrecken, wenn es an der Tür klingelt? Es ist den OLG-Richtern nur schwer vermittelbar, daß es sich nicht „lohnt“, wegen dreier Jahre sich auf eine über 10 Jahre lange Flucht zu begeben und dabei psychisch krank zu werden.

Und dann gibt es ja noch die Halbstrafe; nicht sehr wahrscheinlich, aber eben auch nicht ausgeschlossen und bei der Frage „Absitzen oder Abhauen?“ keine unbeachtliche Entscheidungshilfe.

Nebenbei, den mitbeschuldigten Kollegen hat es da besser getroffen:

Einen weiteren Beschuldigten – einen 50-jährigen Rechtsanwalt – hat das OLG gegen Kaution von 100.000,- € und unter Auflagen von der Haft verschont.

Das Geld wird er später sicher noch brauchen, denn mit der Zulassung als Rechtsanwalt könnte es Probleme geben, wenn es zur Verurteilung kommt.

Wer jetzt immer noch nicht weiß, wovon hier die Rede ist, kann sich das hier nochmal in Erinnerung rufen.

Dieser Beitrag wurde unter Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht veröffentlicht.

12 Antworten auf Fluchtanreiz für S&K – Kaution für den Rechtsanwalt

  1. 1
    Der wahre T1000 says:

    Man kann sich sein Weltbild auch zurechtlegen.

    • Es geht nicht um’s Weltbild, mir jedenfalls nicht. Sondern um das Bild, das in einem rechtstaatlichen (Straf-)Verfahren gezeichnet wird. crh

    Wenn 10 Jahre Haft drohen, dann ist keineswegs gesagt, dass es nur 7,5 werden. Angesichts des Umfangs und des Schadens können es durchaus mehr werden. Ob die Täter wegen guter Führung früher entlassen werden, das ist reine Spekulation. Ich finde weniger als zwei Jahre U-Haft (immerhin besser als richtige Haft) bei 10 Jahren Strafandrohung jedenfalls nicht völlig unverhältnismäßig.

    • Es ist – jedenfalls unter Informierten – nicht streitig, daß eine Untersuchungshaft deutlich (ganz deutlich) schwerere Beeinträchtigungen mit sich bringt als die Vollstreckungshaft. crh

    Davon abgesehen wissen wir nicht, was sich das OLG dabei gedacht hat. Angesichts der eher milden Ansichten der meisten OLG wird es schon handfeste Gründe für die Entscheidung geben – mal genauso spekuliert, wie Sie es machen.

    Statt an die Täter, welche jetzt nach zwei Jahren gern Frischluft hätten, sollten Sie mal an die vielen Opfer, deren Existenzen ruiniert sind und die damit faktisch „lebenslang“ bekommen haben, denken.

    • Nein, das ist nicht die Aufgabe eines Strafverteidigers (wobei ich in jenem Verfahren nicht engagiert bin). Die Interessen der Geschädigten werden von Nebenklägervertretern oder Zivilanwälten vertreten. crh
  2. 2
    Alles Wuscht says:

    @Der wahre T1000

    Straferwartung: Ich halte es für sehr realistisch, dass es nicht die volle Strafe von 10 Jahren werden. Andere Urteile bewegen sich in Bereichen zwischen 5 bis 8 Jahre.

    Benehmen im Strafvollzug: Der typische Betrüger ist nicht der Querulant und Schlägertyp, sondern berechnend und unauffällig. Das hat er nun mal so gelernt. Sprich er bekommt am Ende 2/3, weil er bei den Schließern als umgänglich bekannt ist.

    Anrechnung der U-Haft: 22 Monate sind schon eine ordentliche Hausnummer. Da wird am Ende ein guter Rabatt zusätzlich bei raus kommen.

    Berechnung der Reststrafe:
    Die 38 Restmonate sind meinem Empfinden nach sehr realistisch. Ich vermute sogar etwas weniger.

    Opferlämmer:
    Die „lebenslangen“ Opfer sollten sich mal an die eigene Giernase fassen. Wäre man da durch die eigene Gier nicht erblindet, hätte man dort gar nicht „investiert“.
    Ausspruch meines Opas: „Nichts ist schlimmer, als als Schnapper vom Schnapper geschnappt zu werden.“

  3. 3
    David says:

    Achtung: Einer der mutmaßlichen Betrüger hat bereits einen halsbrecherischen Fluchtversuch (Sprung ausm Fenster während einer Zivilsache) unternommen.

    Zumindest für ihn dürfte daher eine Außervollzugsetzung (gibt es dieses Wort?) nicht in Betracht kommen.

    Sonst sind 22 Monate UHaft schon ganz, ganz bitter.

  4. 4
    jj preston says:

    U-Haft ist keine Aufjedenfall-Haft für den Gerechtigkeitssinn von Vox Populi, keine Ersatzhaft und auch keine Vorabhaft. Untersuchungshaft soll dazu dienen, ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten. Dazu müssen aber auch die Ermittlungsbehörden beitragen. Allzu oft kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass die Staatsanwaltschaften nach dem Motto vorgehen: „Der sitzt erstmal, darauf einen Kaffee, und ich wollte ja noch meine Mutter anrufen…“

    Wer es mit Unschuldsvermutung und Rechtsstaatlichkeit allerdings ernst meint, der muss auf eine möglichst schnelle Verfahrenseröffnung drängen, und dann sind fast zwei Jahre wesentlich zu lange. Strafhaft wird NACH dem Urteil verbüßt, nicht VORHER.

  5. 5
    Noch mehr blub says:

    Man schließt oftmals von sich auf die Anderen.

    Passiert auch Richtern. Dementsprechend sagt auch ein Beschluss bisweilen mehr über den Verfasser als über den oder die Betroffenen aus.

  6. 6
    Dante says:

    Ich werf‘ jetzt einfach mal den § 57 Abs. 6 StGB in den Ring.

    Von der 2/3-Aussetzung kann abgesehen werden, wenn keine hinreichenden Angaben über den Verbleib der erlangten Millionen gemacht werden.

    Mit solchen Angaben ist hier wohl kaum zu rechnen.

    Zugegeben: Angewendet wird der § 57 Abs. 6 StGB kaum.

    Hier rächt sich halt mal wieder, dass der Staat nicht bereit ist, die Staatsanwaltschaften zur zeitnahen Aufklärung von Wirtschaftsstraftaten hinreichend auszustatten.

  7. 7
    RiLG says:

    Ohne Details über Ausmaß des Schadens im vorliegenden Fall zu kennen, ist zumindest aus der Rechtsprechung des KG bekannt, dass die hohen Herren mit Betrügern recht gnadenlos sind. Halbstrafe ist bei hohen Schäden de facto ausgeschlossen, je höher die kriminelle Energie desto problematischer auch 2/3. Hohe Rückfallquote etc wird – wohl zu Recht – bemüht. Wie sieht es denn vorliegend mit hoher Kaution und Pass weg nehmen aus? Sollte mit ner knackigen Meldeauflage eigentlich genügen oder?

  8. 8
    bambino says:

    Gibt es Rechtsprechung, ab wann auf jeden Fall die Verlängerung der U-Haft unverhältnismäßig ist? (hab kein juris)

  9. 9
    werner says:

    bin kein jurist aber ih hab da was von “ max 6 monate uhaft“ im hinterkopf.

    wieso greift das nicht hier?

    • Gucksduhier: § 121 StPO. Wenn die Staatsanwaltschaft es mal wieder nicht geschafft hat und

      … wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

      darf auch mal über 2 Jahre gekerkert werden. Das Leben kann gemein sein, nicht wahr? crh

  10. 10
    werner says:

    danke für die aufklärung!

  11. 11
    Helling says:

    Da scheint selbst das LG Waldshut-Tiengen weiter zu sein. Das hat mir auf meine Beschwerde hin vor kurzem einen Haftbefehl bei einer zu erwartenden Mindeststrafe von 5 Jahren und trotz Arbeitsplatz außerhalb der EU einen Haftbefehl nach 5 Tagen vollzogenen U-Haft aufgehoben. Begründung: Lange Straferwartung alleine genügt nicht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen wird. Das ist schlicht konsequent.

  12. 12
    Schweizer says:

    @Helling: Die Schweiz liefert Deutsche auch problemlos an D aus. Da kann das Gericht gelassen bleiben.