Einige unserer Mandanten sind gesundheitlich nicht immer auf der Höhe. Deswegen werden sie auch in der Regel betreut. Eine Folge dieser – oft psychischen – Erkrankungen ist manchmal die – so nennen es die Mediziner – fehlende Impulskontrolle oder erhöhter Suchtdruck. Das führt dann zu kleinen Ladendiebstählen, Schwarzfahrten, auch schon mal zu kurzweiligen Rangeleien oder zum brüderlichen Teilen von verbotenen Kräutern und Pulvern.
Unsere Staatsgewalt nimmt sich – unter strenger Beachtung des Legalitätsprinzips – auch dieser kranken Menschen an und überzieht sie mit gewaltigen Strafverfahren, weil sie mal wieder eine Dose Haarspray bei Kaisers geklaut haben oder ohne Fahrschein vom Hermannplatz zum Kotti mit der U-Bahn gefahren sind.
Nun ist es ja mit der Gesundheit dieser Leute nicht unproblematisch. Die zusätzliche Angst vor einem möglicherweise Weggesperrtwerden ist auch eher nicht förderlich, was die Verhandlungsfähigkeit angeht. Das ist absehbar und kann auch von medizinischen Laien recht einfach nachvollzogen werden.
Das scheint sich nun auch in der Provinz herumgesprochen zu haben. Dort ist man jedoch – anders als im harten Berlin – eher freundlich im Umgang mit diesen Menschen. Die mir als sehr höflich bekannte Richterin schreibt den ihr als gesundheitlich sehr labil bekannten Angeklagten an (der sich dann mit diesem Schreiben über seinen Betreuer an unsere Kanzlei wandte):
… ist doch schön, daß das Gericht die Verhandlngsfähigkeit abwartet, um dann erst den Termin festzulegen. [X] Gefällt mir.
Erinnert mich an „Catch-22“ von Joseph Heller:
Wer mitteilt, nicht verhandlungsfähig zu sein, gibt damit zu erkennen, daß er das Verfahren ausreichend durchschaut und seine Interessen zu wahren weiß, womit er unbeabsichtigt bewiesen hat, doch verhandlungsfähig zu sein. Wer dagegen zugäbe, verhandlungsfähig zu sein, muß übersehen haben, daß er sich damit eine Verhandlung gegen ihn einhandelt, was nicht in seinem Interesse sein kann, so daß er damit seine fehlende Verhandlungsfähigkeit zum Asudruck gebracht hat.
Natürlich kann man verschiedener Meinung sein, ob ein nicht gelöstes Ticket oder eine geklaute Schokolade strafrechtlich verfolgt werde müssen. Da hat jeder so seine eigene Meinung.
Aber implizit zu sagen „der ist labil und darf deswegen nicht so hart angefasst werden“ ist nicht zielführend. Könnte ja jeder mit so einer Ausrede kommen (versuchen viele bestimmt auch).
Gesetze sind nur – ansatzweise – gerecht, wenn sie für alle gelten.
Selbstverständliche sollte auch geklaute Schokolade verfolgt werden. Dass dabei ein anderes Urteil als bei einem Raubüberfall oder eine Einstellung gegen Auflagen rauskommen sollte, ist aber auch klar.
@Bilbo Beutlin,
und wofür gibt es die §§ 20, 21 StGB, wenn die Psyche eines Täters keine Rolle spielte?
[…] Freundliches Gericht – gibt es auch , […]
Der Inhalt des Blogbeitrages ist für mich unspannend, aber die Art IHRES Schreibens ist doch faszinierend:
„Unsere Staatsmacht nimmt sich – unter strenger Beachtung…“ Na wie geil ist das denn…
Ich finde es immer wieder seher erfrischend ihren Blog zu lesen, wünschte ähnlich Gutes zu den Lustigkeiten der Versicherungswirtschaft darbieten zu können, scheue jedoch den enormen Aufwand des Blogbetriebes.
Herzlichen Dank für Ihe Leistung zu meinem Vergnügen…
Robert