Kein helmloses Mitverschulden

Auch wenn die unbehelmte Fahrradfahrerin heute schon in sämtlichen Medien die Runde gemacht hat, möchte ich hier kurz darüber berichten:

Wer keinen Fahrradhelm trägt, trägt keine Mitschuld für die Kopfverletzungen. Sagt der Bundesgerichtshof in der Mitteilung der Pressestelle Nr. 095/2014 vom 17.06.2014:

Kein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms

Die Klägerin fuhr im Jahr 2011 mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit auf einer innerstädtischen Straße. Sie trug keinen Fahrradhelm. Am rechten Fahrbahnrand parkte ein PKW. Die Fahrerin des PKW öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Radfahrerin von innen die Fahrertür, so dass die Klägerin nicht mehr ausweichen konnte, gegen die Fahrertür fuhr und zu Boden stürzte. Sie fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu, zu deren Ausmaß das Nichttragen eines Fahrradhelms beigetragen hatte. Die Klägerin nimmt die Pkw-Fahrerin und deren Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % angelastet, weil sie keinen Schutzhelm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe.

Der für das Schadensersatzrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Nichttragen eines Fahrradhelms führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens. Für Radfahrer ist das Tragen eines Schutzhelms nicht vorgeschrieben. Zwar kann einem Geschädigten auch ohne einen Verstoß gegen Vorschriften haftungsrechtlich ein Mitverschulden anzulasten sein, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Dies wäre hier zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Ein solches Verkehrsbewusstsein hat es jedoch zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin noch nicht gegeben. So trugen nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm. Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann, war nicht zu entscheiden.

Urteil vom 17. Juni 2014 – VI ZR 281/13

LG Flensburg – Entscheidung vom 12. Januar 2012 – 4 O 265/11
OLG Schleswig – Entscheidung vom 5. Juni 2013 – 7 U 11/12

Karlsruhe, den 17. Juni 2014

Den Versuch der Versicherungswirtschaft, um die Schadensersatzzahlungen zumindest teilweise herum zu kommen, wenn keine Schutzkleidung getragen wurde, hat es schon öfter gegeben. Es ist erfreulich, daß der BGH insoweit nun für Klarheit gesorgt hat. Das beschleunigt die Regulierung der Unfallschäden erheblich.

Dieselbe Problematik bzw. Diskussion existiert übrigens auch bei der Schutzkleidung von Motorradfahrern. Mit dem aktuellen Radfahrerhelmurteil läßt sich nun prima argumentieren, daß den vom Mopped geschubsten Biker kein Mitverschulden an den Schürfwunden und Knochenbrüchen trifft, wenn er keine Protektorenkombi getragen hat. Solange er – wie beim Moppedfahren vorgeschrieben – ordentlich behelmt ist. Protektorenmuffel können demnach auch auf vollen Schadensersatz hoffen, weil eben die Schutzkleidung nicht gesetzlich verordnet worden ist.

Ob es allerdings sinnvoll ist, auf den Schutz gegen üble Verletzungen zu verzichten, ist eine ganz andere Frage.

Dieser Beitrag wurde unter Motorradrecht, Unfallrecht, Versicherungsrecht veröffentlicht.

8 Antworten auf Kein helmloses Mitverschulden

  1. 1
    RA JM says:

    „Protektorenmuffel können demnach auch auf vollen Schadensersatz hoffen, weil eben die Schutzkleidung nicht gesetzlich verordnet worden ist.“

    Sollte damit die (mich ohnehin nicht unbedingt überzeugende, sorry) Mitverschuldensargumentation bezüglich Protektorenmuffel Brause vom Tisch sein? ;-)

  2. 2
    roflcopter says:

    Der Schlussfolgerung kann ich mich nicht ohne weiteres anschließen.

    Der BGH hat ausgeführt, dass ein Mitverschulden nicht anzurechnen ist, da das Tragen eines Fahrradhelmes gesellschaftlich bisher nicht üblich sei (11% der Leute tragen ihn, das war 2011 nun sind es bereits 17%).

    Es wurde jedoch auch keine Grenze gesetzt, ab wann das Tragen solcher Schutzkleidung üblich und daher zu erwarten ist… Daher kann hier durchaus noch jede Menge Rechtsfortbildung erwartet werden (oder eine Klarstellung des Gesetzgebers…. hahahahaha)

  3. 3
    Schunpf says:

    Stimmt Ihre Schlussfolgerung, dass Protektormuffel fein raus sind, wirklich?
    Hat der Bundesgerichtshof nicht viel mehr argumentiert, dass man einen Helm nicht erwarten kann, da er nicht zu den allgemein anerkannten und verwendeten Standards gehört, weil nur ein geringer Prozentsatz der
    Fahrradfahrer einen Helm trägt.
    Hier ist also eher die Frage, wie häufig diese Schutzkleidung getragen wird. Wenn sehr viele diese tragen, dann wird wohl defacto eine Tragepflicht bestehen.

  4. 4
    Mein Name says:

    Ohne eine Tragequote für Lederkombis ermittelt zu haben, wurde Stoffhosenfahrern bereits mehrfach ein Mitverschulden zugesprochen, so z.B. OLG Düsseldorf, NZV 2006,415 und OLG Brandenburg. NJW-RR 2010,538. Vor dem Hintergrund der jetzt ergangenen BGH-Entscheidung dürfte das für die Zukunft noch interessant werden – auch wenn angesichts der möglichen Streitsummen (im Prinzip kann es ja nur um mehr oder weniger schwere Schürfwunden gehen, da auch eine Lederkombi nicht vor Knochenbrüchen schützt) ein voller Instanzengang wenig wahrscheinlich ist. Die Tragequote von echter Protektorenkleidung (mit integrierten Knie-, Ellbogen und Rückenpanzern etc.) dürfte aber deutlich unter 50% liegen.

  5. 5
    DrFB says:

    M.E. macht das Abstellen auf die Helmtragequote wenig Sinn. Da ist der BGH auf dem Holzweg (wenn auch mit einem zutreffenden Zwischenergebnis). Denn Die Tragequote sagt über den objektiven Nutzen des Fahrradhelms wenig aus. So waren Anfang 1637 in Niederlanden viele Menschen davon überzeugt, dass der Kauf von Tulpenzwiebeln sie unverschämt reich machen würden. Der Kater folgte im Frühjahr. Will sagen: nur weil viele Menschen glauben, dass Fahrradhelme wirksam sind, kann man daraus keinerlei Aussage über die Wirksamkeit von Fahrradhelmen ableiten. Eine hohe Helmtragquote wäre bestenfalls ein Indiz dafür. Denn die Investition in den Helm sollte sich lohnen – sonst macht es keiner. Nette Idee, nur leider nicht korrekt (s. Tulpenmanie).

    Tatsächlich sind Helme aber bei höherer Geschwindigkeit und bei Erwachsenen, die den Kopf hoch tragen und dann tief fallen, wenig wirksam. Wenn der Unfall so schwer war, dass der Kopf Schutz gebraucht hätte, haben Fahrradhelme in der Regel versagt. Andererseits haben bei Unfällen zerborstene Helme tatsächlich nichts weiter bewirkt, als den „geschützten“ Kopf, der sonst nirgendwo angestoßen wäre, auf die Fahrbahn zu ziehen. Diese Unfälle waren so leicht, dass der kaputte Helm, der als Beweis der Wirksamkeit herumgereicht wird, eine falsche Fährte legt.

    So langsam merken auch die Unfallärzte, die lange für eine Helmpflicht waren, diese Zusammenhänge.

    Also entweder eine Motorradhelmpflicht für Radfahrer oder keine. Was wohl besser ist?

    Am besten wären Verkehrsverhältnisse, die schwere Unfälle mit Radfahrerbeteiligung sehr unwahrscheinlich machen. Was dazu nötig ist (z.B. Radfahrstreifen innerorts, gepflegte und im Winter geräumte Radwege außerorts, Tempo 30 flächendeckend, keine Parkplätze neben Radverkehrsanlagen), ist bekannt. Die Umsetzung ist allerdings noch unwahrscheinlicher als ein rechtzeitiger Ersatz für die Rader Hochbrücke.

  6. 6

    […] auch den Beitrag des Kollegen Hoenig und die Darstellung im […]

  7. 7
    Mein Name says:

    Die Helmtragequote ist ja nicht nicht das einzige, worauf sich die OLGs bisher (und der BGH vermutlich auch) beziehen. Das Recht, der Allgemeinheit vorzuschreiben, was sie als vernünftig anzusehen hat, hat nur der Gesetzgeber. Das hat er bei Motorradhelm- und Autogurtpflicht getan. Beim Fahrradhelm hat er darauf verzichtet – demzufolge liegt es im Ermessen der Allgemeinheit selbst, was sie als angemessen und vernünftig ansieht. Und das ist eben am einfachsten anhand der gelebten Praxis zu beurteilen, vulgo der Helmtragequote.

  8. 8
    RiLaj says:

    köstliche Formulierung im verlinkten „Protektorenmuffel“-Artikel!
    „Uneinsichtige Gurt- und Helmmuffel versuchen die Herrschaften von der Rennleitung mithilfe von Buß- und Verwarnungsgeldern zur Raison zu bringen.“

    Was darf man denn als Muffel so verlangen? Und auf welcher Rechtsgrundlage? ;)