Der Mandant sitzt in der Untersuchungshaft. Und nutzt dort sein Recht, an mich als seinen Verteidiger Briefe zu schreiben, die nicht von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht kontrolliert werden. Die Post des Mandanten an alle anderen Empfänger liest im Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt, später nach Anklageerhebung dann der Richter. Jedenfalls immer dann, wenn – meist gemeinsam mit dem Erlaß des Haftbefehls – solcherlei Einschränkungen vom Haft- bzw. Ermittlungsrichter nach § 119 StPO angeordnet wurden.
In der vergangenen Woche bekomme ich eine solche „Verteidigerpost“ von meinem Mandanten:
Irgend ein ganz komisches Gefühl stellte sich bei mir ein, als ich die Ortsangabe vor dem Datum gelesen habe. Diejenigen, die verantwortlich dafür sind, daß der Knast in einer Straße gebaut wurde, die einen solchen Namen trägt, scheinen über eine nur ganz eingeschränkte Sensibilität zu verfügen. Allein, daß die Bayern ein sonderbares Volk sind, kann der Grund dafür nicht nicht sein.
Ja, es ist mir bekannt, daß „ein Gaswerk eine Anlage zur Herstellung, Speicherung und Bereitstellung von technischen Gasen, insbesondere von solchen für Heiz- und Beleuchtungszwecke„, also eigentlich etwas ganz ziviles ist. Trotzdem: Die Verbindung zwischen einem Ort, an dem Gefangene in Zellen (oder Kammern?) untergebracht sind, und einem Gaswerk, ist beileibe keine glückliche.
Man kann’s auch übertreiben. Was soll man denn machen? Einen anderen Bauplatz suchen? (Nachteile dessen auf Kosten der Allgemeinheit.)
„Oh, Gas, Gefangene, Nazis, Nazis!!!“ rufen und die Straße in „Antifaschistische Blumenwiese“ umbenennen?
Vielleicht sollte der Mandant seine nächste Straftat einfach in einem anderen Bundesland begehen, vielleicht in BW. Mit etwas Glück landet er dann in der JVA Rottenburg und darf seine Briefchen mit der schönen Anschrift „Schloß 1“ schmücken….
Schöner Beitrag. Ähnliche Faux-Pas passieren ja gelegentlich in der Presse, wenn z.B. ein Artikel über den Holocaust mit Anzeigen eines Gasversorgers „garniert“ werden.
Brenngase, wie sie in dem für die „Gaswerkstraße“ namensgebenden „Gaswerk“ mal hergestellt wurden, haben mit dem „Gas“ genannten chemischen Kampfstoff oder auch mit den vom NS-Regime zur massenhaften Ermordeung von Menschen engesetzten Blausäuregiften keinerlei Verwandtschaft.
Soll der Gefangene ggf. „JVA Memmingen, Datum“ schreiben. Ich hab noch nie gehört das jemand an die Stelle die Straße schreibt.
Während es bei Gaswerbung für Holocaustgeschichten einfach ein Zeichen ist, das die Werbung von einem schlechten Algorhytmus zugeordnet wird (Und der Verlag zu Recht ausgelacht wird), kann man Straßennamen ändern lassen.
Man kann’s mit der political correctness auch übertreiben. Vielleicht könnte man mal in Berlin anfangen, alle Relikte aus dem imperialistischen Kaiserreich und der Nazizeit zu entfernen. Einige Bundesministerien sind ja in ehemaligen Nazigebäuden untergebracht.
Wenn wir damit fertig sind, können wir gerne in Bayern weitermachen. Aber erst dann.
„kann man Straßennamen ändern lassen.“
Genau. Löschen wir Gas doch gleich aus dem Sprachgebrauch. In Chemiebüchern heißt es dann „Flugflüssigkeit“.
Nun, die Gaswerkstraße gibt es noch, aber die „Wernher-von-Braun-Straße“ wird in jener Stadt, in welcher besagte JVA steht, vermutlich alsbald umbenannt.
Mir erschließt sich zwar der Sinn nicht, einen bisher verwendeten Straßennamen auf „Teufel-komm-raus“ ändern zu müssen, aber irgendwer wird sich schon was ganz tolles dabei gedacht haben.
@caron: „Antifaschistische Blumenwiese“ als neuer Strassenname hätte meine volle Zustimmung. Wäre ich Anwalt, würde ich dort dann auch eine Kanzlei gründen wollen! Think positive!
Wie wär es mit „Straße der Opfer des Faschismus“… die Außenstelle des LG Halle/S war einige Zeit dort zu finden. Ist auch gut abzukürzen mit „Straße der ODF“ wie auf nem Stempel des LG gesehen…
Es gibt Justizvollzugsanstalten, die sind einerseits als Gedenkstätte für nationalsozialistische Verbrechen ausgewiesen, weil dort in den 30er Jahren z.B. Homosexuelle in angeblich unwürdigen Zelle des 19. Jahrhunderts schmachten mußten, andererseits sitzen dort in den gleichen Zellen, die bestenfalls einmal einen neuen Anstrich oder ein neues Klo erhalten haben, noch immer Gefangene. Diesmal heißt das ganze natürlich „rechtsstaatlich“ und ist nicht zu beanstanden.
Neulich war hier im Amtsgericht eine Ausstellung über die hiesige JVA zu Zeiten des Nationalsozialismus. Schrecklich, schrecklich fanden es auch die meisten Richter, daß in den abgebildeten kleinen Zellen damals Menschen eingesperrt wurden. Darauf angesprochen, daß sie doch jeden Tag dafür sorgen, daß Menschen in die gleichen Zellen eingesperrt werden, gab es nur verwunderte Blicke (weil man war ja noch nie in der JVA, um zu schauen, was man tagtäglich vom Schreibtisch aus fabriziert).