Quod licet Ermittlungsbehörde …

Rudolf_von_Jhering_Büste_von_Ferdinand_Hartzer_1888Es ist schon bemerkenswert:

Wenn ein Verteidiger in einer Revisionsschrift zum Kammergericht oder zum Bundesgerichtshof nicht jede kleinste fieselige Formvorschrift genauestens beachtet, wird ihm (bzw. seinem Mandanten) das Rechtsmittel um die Ohren gehauen: Unzulässig, unbegründet. Und das meist auch noch „offensichtlich“.

Wenn allerdings eine Ermittlungsbehörde sehenden Auges eine Formvorschrift umgeht, hat das keine (in Worten: NULL) Konsequenzen:

Ein Verstoß der Ermittlungsbehörden gegen die Dokumentations- und Begründungspflicht im Falle der Anordnung einer Blutentnahme unter der Annahme von Gefahr im Verzuge nach § 81a Abs. 2 StPO begründet kein Beweisverwertungsverbot.

KG, Beschluss vom 09.10.2014 – 3 Ws (B) 507/14 – 122 Ss 147/14 (PDF)

Wenn „die“ wenigstens ehrlich wären, dann würden sie die Formvorschriften entweder gleich aufheben oder zumindest als bloße Höflichkeits-Empfehlungen kennzeichnen.

Damit dieser Klassiker nicht wieder in Vergessenheit gerät, sei er ein weiteres Mal hier zitiert:

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.

Rudolf von Jhering (* 22. August 1818, † 17. September 1892)

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Bild: via Wikipedia

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

13 Antworten auf Quod licet Ermittlungsbehörde …

  1. 1
    f.loskel says:

    Aber der auf dem Bild ist Berti Vogts!

  2. 2
    Phil says:

    Der Link zur PDF ist leider tot.

    • Danke, repariert. crh
  3. 3
    Daarin says:

    Wenn’s nicht so ernst wär‘, würd’s mich an Fußball erinnern. Da hat man auch immer verschiedene Auslegungen der Regeln, je nachdem wer dagegen verstoßen hat und ich wünsch‘ mir auch immer dass man halt die Regel ändert.
    Dummerweise könnt‘ man dann aber keinen mehr willkürlich zurück pfeifen. Zumindest nicht aufgrund dieser Regel.

  4. 4
  5. 5
    RA JM says:

    So fragwürdig man die amerikanische Justiz auch finden kann, die Fruit-of-the poiso-ned-tree-Doktrin sollte dringend in die deutsche StPO übernommen werden.

  6. 6
    Jocha says:

    @RA JM: Die Forderung ist populär. Jedoch muss man dabei Bedenken, dass die Staatsanwaltschaft im US-Rechtssystem (formal) eine andere Rolle hat. Diese ist eindeutig zum Nachteil von Ärmeren.

  7. 7
    Zwerg says:

    Wo ist das Problem? Beide Arten der Anwendung des Rechts führen dazu, dass die bösen Jungs nicht wegen Lächerlichkeiten unbestraft davonkommen. Ich verstehe, dass das den Verteidiger nicht erfreut.

    • Sie verkennen das formelle Recht, das alles andere als „lächerlich“ ist, sondern gerade im Strafprozess essentiell für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Urteile aus dem Bauch heraus (vulgo: Gesundes Volksempfinden) will keiner mehr, der seine Sinne beieinander hat. Und genau davor, vor der Willkür „der Mächtigen“, schützt uns das formelle Recht. Materielles Recht ohne Form wird recht schnell unerträglich. crh
  8. 8
    RA JM says:

    @ Jocha:

    Die Forderung ist nicht nur populär, sondern auch mehr als berechtigt:

    Es kann doch nicht ein, dass es Regeln über die Beweiserhebung gibt, deren Verletzung im Ergebnis in aller Regel folgenlos ist. Mit der Rolle der Staatsanwaltschaft hat das wenig bis nichts zu tun. Entscheidend sind letztlich die Gerichte – die hier viel zu großzügig sind.

  9. 9
    Jocha says:

    @RA JM:
    Doch es hat sehr viel damit zu tun, dass die Rolle der Staatsanwaltschaft anders ist.
    Bei uns sollte das Ideal ja „die objektivste Behörde der Welt“ sein. Verstöße bei der Beweiserhebung sind also Verstöße gegen die Dienstpflichten. Der Dienstherr müsste also da mehr hinterhet sein und öfters Disziplinarverfahren einleiten.
    In den USA ist der Staatsanwalt nur Ankläger. Dort gibt es ein Beweisverwertungsverbot, damit der Staatsanwalt fair spielt und weil es keine anderen Sanktionsmöglichkeiten gibt.
    Ich finde man sollte eine unabhängige Instanz schaffen, die dann eben Disziplinarverfahren einleitet, falls ein Verstoß begangen wurde.

  10. 10
    RAJM says:

    @ Jocha:
    Sorry, aber völlig realitätsfremd. Gefordert sind die Gerichte, illegal erhobene Bewei-se nicht zuzulassen. „Disziplinarverfahren“ sind hier abwegig.

  11. 11
    Phil says:

    @GIDF Das Urteil habe ich auch ohne Sie finden können, vielen Dank. Aber finden Sie nicht, dass man darauf hinweisen soll, wenn ein Link nicht funktioniert?

  12. 12
    RA Jede says:

    … und wo ein Volk sich wirklich auf den Dienst der Freiheit verstand, da hat es instinctiv auch den Werth der Form herausgefühlt und geahnet, daß es in seinen Formen nicht etwas rein Äußerliches besitze und festhalte, sondern das Palladium seiner Freiheit.

  13. 13
    Lexus says:

    @RAJM

    Wenn es nicht um „Disziplinierung“ geht, um was geht es dann?

    Also die Frage nach der Ratio der Beweisverwertungsverbote steht hier ja im Raum (und die ist nicht selbsterklärend). In den USA wird es damit begründet, dass nur so die Ermittlungsbehörden diszipliniert werden können.

    In Deutschland haben wir aber Disziplinarverfahren für den einzelnen Beamten und aus dem Strafrecht § 344 StGB. Das heißt bei uns könnte die Disziplinierung theoretisch über diese Instrumente funktionieren. Eine zusätzliche Disziplinierung über ein Beweisverwertungsverbot ist überflüssig und daher überwiegt das Strafsvefolgungsinteresse.

    Man muss sich bei der Frage immer bewusst sein, dass der Staat keinen Grund braucht um ein Beweismittel zu verwerten, sondern es immer einen Grund für das Beweisverwertungsverbot geben muss.

    In der Wissenschaft gibt es verschiedene Ansätze (Generalprävention, Spezialprävention, Staat als moralisch überlegen usw…). Dies alles bietet aber in Verbindung mit unserem reformierten Strafprozess keine überzeugende Grundlage für ein allumfassendes Beweisverwertungsverbot. Die diskutierten Ansätzen laufen am Ende immer auf eine Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteressen und Fair Trial hinaus.

    Fruit of the poisonous tree-Doktrine (die übrigens auch in den USA nicht so weit geht, wie mancher in Deutschland meint) wäre in der StPO ein Fremdkörper.