Gottfried Gluffke hatte – wie gestern hier berichtet – einen Termin bei einem Haftrichter an einem kleinen Amtsgericht in Norddeutschland. Mit seinen Katzen am Pool unter der südeuropäischen Sonne liegend, wartete er auf seine Auslieferung. Ich habe ihm ziemlich genau erklärt, wie das Ganze von Statten gehen wird.
Er hatte noch eine gute Woche Zeit, seine Klamotten zu packen, um dann am Freitag bei der Flughafenpolizei auf der Matte zu stehen. Ein freundlicher Uniformierter würde dann die Bordkarten überreichen und ihn in den Flieger nach Deutschland begleiten.
Und ich habe ihm eine Alternative aufgezeigt:
Statt am Freitag zum Flughafen zu fahren, bietet sich an, zwei oder drei Tage vorher mit dem Zug nach Norddeutschland zu fahren. Ich könnte seine Ankunft dem Staatsanwalt und dem Richter ankündigen und mit ihm dann gemeinsam zur Haftbefehlsverkündung schreiten.
Die Tatvorwürfe für sich genommen würden eine Untersuchungshaft kaum rechtfertigen. Und daß eben keine Fluchtgefahr besteht, hätte er dann durch sein „freiwilliges“ Erscheinen bestens glaubhaft gemacht. Das sollte eigentlich reichen für eine Haftverschonung.
Aber nein, das war nicht sein Ding. Gottfried hat eine richterliche Weisung erhalten – wenn auch nur telefonisch durch einen ausländischen Rechtsanwalt – und der dürfe man sich ja als guter Deutscher nicht widersetzen. Punkt und aus!
Und so ging’s dann weiter:
Gluffke trottete wie befohlen am Freitagvormittag zum Flughafen und bestieg einen Flieger, der ihn erst einmal – nein, nicht nach Hamburg – nach München transportierte. Dort wurde er von freundlichen Polizeibeamten mit einem fröhlichen „Grüß Gott!“ in Empfang genommen. In gutem Glauben, daß er nun auf kürzestem Weg aus Bayern nach Norddeutschland gekarrt würde, rief er mich noch abends aus dem Freistaat an. Den Zahn mußte ich ihm aber leider ziehen.
Daß, was dem armen Gluffke jetzt bevorstand, wünscht man seinem ärgsten Feind nicht.
„Verschubung“ heißt die Überschrift über das nun folgende Kapitel.
Gluffke wird erst einmal von Freitag bis Montag vor Ort frisch gehalten. Und erst dann geht es los. Aber nicht auf direktem Weg nach Norddeutschland. Gluffke wird eine Rundreise durch die Republik machen, um dann 10 Tage später (also am übernächsten Donnerstag) die Ansage zu hören: „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“.
Und weil es so unglaublich ist, zitiere ich noch einmal den Kollegen Andreas Mroß aus Lübeck, der die (Tor-)Tour beispielhaft beschrieb:
Die Person wird in eine Kabine eingesperrt. Die Kabine befindet sich eingebaut in einem Bus. Die Fahrt wird mehrere Stunden dauern. In Stehhöhe dieser Kabine ist ein Sehschlitz angebracht. Die Milchglasscheibe lässt sich nicht öffnen. Die Person kann die Außenwelt nicht sehen. Eine Frischluftzufuhr von außen gibt es nicht. Ebenso wenig ist der Raum klimatisiert. An sonnigen Tagen wird es in der Kabine unerträglich heiß. Die Grundfläche der Kabine beträgt weniger als einen halben Quadratmeter. Die Person erreicht irgendwann am Tag ein Zwischenziel. Sie wird nun in einen spärlichst eingerichteten Haftraum verbracht. Nichts persönliches ist vorhanden. Den Rest des Tages bleibt sie unter Verschluss. Findet die Weiterfahrt erst am übernächsten Tag statt, mag die Person am Folgetag an einem einstündigen Hofgang teilnehmen dürfen. Eine Kontaktmöglichkeit zur Familie, zu Angehörigen oder zum Verteidiger gibt es in dieser Zeit nicht. Die Behandlung kann zwei Wochen oder länger dauern.
Ich bin mir ganz sicher, daß Gluffke sich, wenn er denn das Ziel noch einigermaßen lebend erreicht hat, heftigst Gedanken darüber machen wird, wie er sich künftig gegenüber richter- und behördlichen Anordnungen zu verhalten hat und welchen Wert er dem Rat seines Verteidiger beimessen sollte.
Einen Trost werde ich aber für ihn haben: Das, was er auf dem Schub erlebt hat, wird sich beim Strafmaß deutlich bemerkbar machen. Hoffentlich.
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Bild: Peter Reinäcker / pixelio.de
Ähm… die Sache mit dem Bus… *räusper*
Um welche Bananenrepublik ging es doch gleich?
Weißrussland?!
Wie ein Mandant mal nach einer Verschubung von Saarbrücken nach Dresden und wieder zurück sagte:“Der Saarbrücker Knast kommt mir jetzt vor wie das scheiß Hilton“
Nicht vergessen, duschen geht immer „gerade heute aus Zeitgruenden nicht“. Das gilt fast fuer die gesamten zwei Wochen. Kleidung zum Wechseln hätte man eh nicht dabei und bekommt auch keine gestellt.
Wer Glueck hat und über Wochenende irgendwo bleibt kann zumindest duschen, muss aber wieder die einzige Kleidung anziehen, die er hat.
Was wird aus den Katzen?
Ein guter Rechtsanwalt kauft Milch und frisches Schabefleisch vom Bio-Metzger.
Dann nimmt er die Katzen ohne Beschluss in Vormundschaft und Betreuung.
Äääh, ich muss da jetzt mal ganz dumm fragen:
Ist so eine Verschubung noch durch den Art. 1 GG abgedeckt?
Ich finde das ganze doch schon mächtig grenzwertig…
Zu der Frage nach Art. 1 GG: Bei Schlachtvieh würden die Aufsichtsbehörden einen Schreikrampf bekommen.
@Dirk
(Fast) jeder deutsche Fachrichter wird Ihnen auf Antrag schwarz-auf-weiß bescheinigen, daß das alles rechtmäßig und nicht zu beanstanden sei und das Beschwerdevorbringen „keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung gibt“. Einige Strafrichter haben vom Grundgesetz nämlich letztmalig im 2. Semester gehört.
Man müßte einen solchen Sachverhalt einmal dem Bundesverfassungsgericht vortragen. Leider kommt man da nur selten hin, weil die Mandanten darauf keinen Bock haben oder der Anwalt, der einen verfassungsbeschwerdewilligen Mandanten hat, seinerseits keinen Bock auf oder keine Ahnung von Verfassungsbeschwerden hat.
Aber selbst wenn ein Fachgericht oder das BVerfG diese Praxis für rechtswidrig erklärte, wäre nicht zu erwarten, daß die Bundesländer die Praxis änderten (kein Geld für neue Busse, kein Personal, keine Zeit). Der Beschuldigte/Verurteilte ist zwar eine arme Sau, fällt aber nicht unter den Tierschutzartikel des Grundgesetzes (Art. 20a GG).
Naja aber ich denke Todesfälle beim Transport wird es nicht oft geben, und bleibende Schäden bei den Insassen eigentlich auch nicht, zumindest keine körperlichen. Ich habs ja auch überstanden. Es könnte alles viel schlimmer sein. Und wenn es sich strafmildernd auswirkt hätte es sogar noch was positives.
Der Hinweis auf unseren schönen ersten Artikel unserens schönens Grundgesetzes wird nach meiner Beobachtung höchst inflationär in Kommentarspalten des Internets verwendet. Das schwächt die Lust, Kommentatoren dieser Art ernst zu nehmen, sehr deutlich ab.
Nur mal so nebenbei bemerkt…
Also den Rat, die ausländische Auslieferungsprozedur in den Wind zu schießen, halte ich für äußerst gefährlich. Wer weiß, welche Konsequenzen es gehabt hätte, wenn er sich nicht zum vorbestimmten Zeitpunkt am ausländischen Flughafen befunden hätte… Könnte dann einen dortigen Haftgrund oder eine Strafbarkeit provozieren. Und warum ist der Mann nicht direkt nach Hamburg geflogen?
Wurden die Details zu Verschubung dem Mandanten schon vor der Auslieferung dargelegt?
@ RA Bauke
Danke für die sachliche / ernüchternde Einschätzung.
Nun, dann bleiben wir lieber mal artig.
Oder, falls nicht, nehmen uns halt die Tips vom Verteidiger mal zu Herzen, der wird sich ja was dabei gedacht haben.
Ich habe immer totalen Bock auf Verfassungsbeschwerden und bin kurz davor, eine Beratungsstelle für Rechtsanwälte zu eröffnen.
@RA Bauke,
über Art. 101 GG bräuchte nur ein Fachgericht „Bock“ auf Verfassungsrecht haben.
Sorry, Art. 100 GG war gemeint.
Ich kaufe ein ‚w‘, ‚a‘ und ’s‘ für den letzten Absatz.
Laut aktuellem „Kursbuch für den Gefangentransport“ (s. http://www.andreasmross.com/general/pdf/Kursbuch%20Gefangenentransport%20-%20Stand%202013-03-01.pdf ) dauert der Transport von München z.B. nach Hamburg oder Bremen genau 4 Tage (Mo – Do). Die reine Fahrtzeit beträgt dabei ca. 20 Std.