Ungenießbares Revisionsgeschwätz

153685_web_R_by_Manfred Rose_pixelio.deWenn der Antrag der Verteidigung und das Urteil sich nicht decken, ist die Enttäuschung des Verurteilten und seines Verteidigers ohne Frage groß. Dies gilt ganz besonders, wenn es um Knast oder nicht Knast geht.

Wie sollte ein Verteidiger mit dieser Enttäuschung nun umgehen? Eine Möglichkeit besteht darin, seinem Ärger Luft zu machen und quasi unmittelbar nach der Verkündung des Urteils die Revision anzukündigen.

Die Alternative? Schweigen. Schlicht das Ende der Instanz auf sich wirken lassen. Und zur Ruhe kommen. Neben der Vermeidung von Fehlern, die bei emotionsgeladenen Spontanäußerungen eher nicht auszuschließen sind, hat das Abwarten weitere Vorteile.

Die Staatsanwaltschaft weiß nicht, was der Verurteilte vorhat. Sie wird auch nicht durch das öffentlichkeitswirksame Muskelspiel der Verteidigung provoziert, ihrerseits Revision einzulegen. Und das ist im Rahmen eines Rechtsmittelverfahren essentiell.

Wenn nämlich (auch) die Staatsanwaltschaft das Urteil mit der Revision angreift, ist der Deckel nach oben offen. Wenn nur und ausschließlich der Verurteilte zum Rechtsmittel greift, darf das Ende nicht noch dicker kommen, als es schon ist.

Auch wenn Staatsanwälte sich nicht provozieren lassen (dürften, eigentlich), weiß man nie, was in den Köpfen der Verfolgungsorgane vorgeht. Die Verteidigung kann also in aller Ruhe abwarten, ob sich auf jener Seite irgendwas bewegt.

Ein, zwei Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist sorgt ein Anruf auf der Geschäftsstelle des Gerichts für Klarheit: Entweder liegt die Rechtsmittelschrift der Staatsanwaltschaft dort auf Tisch oder eben nicht.

Erst dann ist der richtige Moment gekommen, in dem sich der Verurteilte und sein Vertediger entscheiden sollten. Hat die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, ist es in vielen Fällen sinnvoll, sich anzuschließen, um den Deckel nach unten offen zu halten.

Entscheidet sich die Verteidigung dafür, das Urteil nun anzugreifen, hindert den Verteidiger niemand daran, die Rechtsmittelfrist bis zu letzten Stunde auszunutzen. Was spricht dagegen, kurz vor 24 Uhr am Tage des Fristablaufs ein Fax ans Gericht zu schicken? Nichts, jedenfalls nicht in einer gut organisierten Strafverteidiger-Kanzlei.

Und was spricht dafür? Man provoziert keine eigentlich unprovozierbaren Staatsanwälte, an besagtem oberen Deckel herumzuhantieren.

Und es gibt noch einen Grund. Weiß der Verurteilte, daß weder der Staatsanwalt noch er selbst sich gegen die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteil wehren, kann er einen Rechtsmittelverzicht erklären (völlig egal, ob der nun wirksam ist oder nicht). Diese Erklärung sollte dann eben nicht nur ein Einzeiler sein, sondern könnte durchaus ein Rückblick auf das Verfahren und das Urteil werfen, getragen von Einsicht und Reue.

Das dient zum einen dem Ansehen bei den laienjuristischen Medienfuzzis auf der Galerie. Aber viel wichtiger ist der Eindruck, der bei denjenigen entstehen wird, die den Verlauf der Vollstreckung der Freiheitsstrafe begleiten. Über den den dicken Daumen gepeilt: Je früher die Einsicht in eigenes Fehlverhalten dokumentiert ist, desto früher setzen Vollzugslockerungen ein.

Es spricht jedenfalls nichts, aber auch rein gar nichts dafür, sich nach der Urteilsverkündung in die Karten schauen zu lassen. Der Kenner genießt überlegt und schweigt.

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Bild: Manfred Rose / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

10 Antworten auf Ungenießbares Revisionsgeschwätz

  1. 1
    Karsten Koch says:

    Dass man unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf jeden Fall schweigen sollte, ist ganz sicher richtig. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass danach fast immer eine Verständigung zwischen StA und Verteidigung möglich ist, ob man in die nächste Instanz geht oder nicht. Sollte das Klima das nicht zulassen, ist es selbstverständlich vernünftig, die Frist bis zur letzten Minute auszunutzen (ich hatte mal einen StA-Kollegen, der warf eine handschriftliche Revisionseinlegung beim LG in den Nachtbriefkasten). Aber ich habe als StA auch oft genug auf eine eigene Revision verzichtet und dem Angeklagten geraten, es auf jedem Fall zu versuchen.

    Wie auch immer: Im Fall Hoeneß waren keine Strafverteidiger am Werk, sondern angebliche Starverteidiger – das ist ein gewaltigher Unterschied! Ich habe sie alle erlebt, alle. Und bei der StA gab es einen Spruch, den hat man mir am ersten Tag beigebracht: »Wenn du 10 Jahre willst, brauchst du nur 7 zu beantragen, für die restlichen drei sorget schon der …«

  2. 2
    Kai says:

    @ Karsten Koch

    Wie muss ich mir das konkret vorstellen, wie ein Staatsanwalt dem Angeklagten eine Revision empfiehlt? Oder meinen Sie über den Verteidiger des Angeklagten?

  3. 3
    cepag says:

    Wieso sollte man die Rechtsmittelschrift erst vor Mitternacht des letzten Tages einlegen?
    18:00 h ist doch spät genug, da ist doch auf der Geschäftsstelle eh schon Geisterstunde und keiner kann mehr bei der StA petzen….

  4. 4
    Navi says:

    Ich könnte mir vorstellen je später die Stunde desto weniger Zeugen. Wer lungert schon freiwillig um 23:30h vor dem Nachtbriefkasten des Gerichtes rum. Und 18h ist ja noch hell…

    Ein Schelm wer böses dabei denkt.

  5. 5
    Martin Overath says:

    Der Rechtsmittelverzicht war vermutlich Bestandteil der informellen Absprache vor der HV. – Hon(n)i soit qui mal y ponse!

  6. 6
    Fry says:

    Laie = Fuzzi?
    So denken auch andere Berufsgruppen oft.
    Schade, wenn man seinen Kunden verachtet.

  7. 7
    Mirco says:

    Vielleicht war sogar das Gepolter des Anwalts Teil der PR Strategie, weil Uli umso wirkungsvoller auf Rechtsmittel verzichten konnte.

  8. 8
    Fry says:

    …und noch was zu den „Medienfuzzis“: auch und gerade diese sind eine wichtige Komponente unseres Rechtssystems, nämlich die „Öffentlichkeit“ bei Verhandlungen. (Wobei die oft nicht wirklich vorhanden ist, weil der gerade anliegende Fall keine Sau interessiert – aber wenn die Öffentlichkeit in Form von Medienfuzzis da ist, sollte man das erstmal positiv würdigen. Meine ich.)

  9. 9
    Staatsawalt says:

    Die Verfahrensstrategie – zielgerichtete Verteidigung im Hinblick auf den Vorwurf der Steierhinterziehung kann man das wohl kaum noch nennen – kann unter Insidern nur für Spekulationen sorgen.

    Ich hab da meine eigene Hypothese zu den Hintergründen, mangels ausreichender Faktenkenntnis werde ich jetzt aber hier (noch nicht) offen spekulieren.

    Nur soviel: Sinn macht der ganze Theaterdonner nur um mit einem kleinen Scheinrückzugsgefacht das Verfahren sehr schnell ohne echte Beweisaufnahme zu beenden und einen noch größeren Imageschaden abzuwenden.

    Beeindruckt hat mich auch wie schnell die Kammer eigene (!!!) Feststellungen zur Höhe der hinterzogenen Steuer treffen konnte, nachdem die Finanzbehörde immerhin 2 Wochen für eine grobe konservative Schötzung brauchte, die Verteidigung fast 1 Jahr.

  10. 10
    ct says:

    „Hat die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, ist es in vielen Fällen sinnvoll, sich anzuschließen, um den Deckel nach unten offen zu halten.“

    Als Zivilist verstehe ich zwar nicht viel von der StPO, aber ich glaube, den „Deckel nach unten“ gibt es gar nicht. Jedenfalls regelt § 301 StPO:

    „Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.“

    Zugegebenermaßen dürfte sich ein eigenes Rechtsmittel aber aus prozesstaktischen bzw. psychologischen Gründen empfehlen.