Ein Überraschungs-Fax vom Haftrichter: Er hat mich zum Pflichtverteidiger bestellt. Mein neuer Mandant ist beim Klauen eines abgeschlossenen Fahrrades erwischt worden. Versuchter Diebstahl im besonders schweren Fall, §§ 242, 243 Abs. 1 Ziff. 2 StGB iVm §§ 22, 23 StGB, und das unter den wachsamen Augen zweier Polizeibeamter.
An sich wäre das kein ausreichender Grund für einen Untersuchungshaftbefehl. Allerdings hat der Mandant keinen festen Wohnsitz in Deutschland. Das hingegen reicht in Berlin für die Untersuchungshaft: Der Ausländer als personifizierte Fluchtgefahr sozusagen. Auch wenn er – wie hier – keine Vorstrafen hat. Der Haftbefehl wurde vollstreckt und der Mandant in eine Zelle der Moabiter Untersuchungshaftanstalt gesperrt.
Man – d.h. der Verteidiger – kann sich nun auf die Hinterbeine stellen und mit allerlei Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz argumentieren. Das hilft vielleicht der Rechtsfortbildung weiter. Nicht aber dem in seiner Zelle schmorenden Mandanten.
Also Wahl des praktikablen Wegs
Step One:
Zunächst mal der Antrag auf mündliche Haftprüfung und Akteneinsicht. Dieser Haftprüfungsantrag ist der ultimativer Beschleuniger. Und zwar wegen des § 118 Abs. 5 StPO. Diese dort festgeschriebene 2-Wochen-Frist bringt Schwung in die Bude der Ermittler. Denn bekommt der Verteidiger bis zum Haftprüfungstermin die Akte nicht, hat der Haftrichter ein massives Problem mit der Aufrechterhaltung des Haftbefehls.
Step Two:
Und dann der Anruf beim Staatsanwalt, der in diesem Fall aber auch nicht von gestern war, er kannte das ultimative Gegenmittel: Sofortige Fertigstellung der Anklageschrift. Das war in diesem Fall kein Problem, weil der Sachverhalt mehr als eindeutig war. Und dann ab mit der Anklage und der Ermittlungsakte zum Amtsrichter. Das genau war das Ziel meines Anrufes.
Step Three:
Der arme Richter muß nun zusehen, wie er mit der 2-Wochen-Frist klarkommt. Deswegen ruft er beim Verteidiger an, wenn er – wie in diesem Fall – erfahren genug ist. Vereinbarung eines Hauptverhandlungstermins innerhalb von 5 Tagen (Freitag bis Mittwoch, also inklusive Wochende und Freitagnachmittag), sofortige Zustellung von Anklage und Ladung unter Verzicht auf die Einhaltung aller Fristen, nachdem der Verteidiger den Haftprüfungsantrag zurück genommen hat.
Step Four:
Im Termin wird die Anklage verlesen, der Mandant erklärt über seinen Verteidiger ein „schlankes“ Geständnis, der Staatsanwalt beantragt eine Freiheitsstrafe von 4 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Verteidiger schließt sich den überzeugenden Worten des Staatsanwalts an und beantragt nur die Aufhebung des Haftbefehls.
Step Five:
Das Gericht verkündet das Urteil, 4 Monate zur Bewährung, erklärt auuuuuuuusführlich die Folgen einer etwaigen weiteren Straftat während der Bewährungszeit, hebt dann erst den Haftbefehl auf. Der Mandant wird noch im Saal aus der Haft entlassen.
Wenn ich jetzt so zurück blicke, ist das der klassische Fall einer schieren Verurteilungsbegleitung. Im Haftbefehl standen quasi schon die Urteilsgründe. Der Spielraum einer Verteidigung war so gut wie nicht vorhanden. Ziel konnte also nur sein, so schnell wie möglich zu einem Urteil zu kommen. Richtig wohl ist mir bei so einem Verfahren nicht. Aus dogmatischen Gründen. Aber mit Dogmen wäre dem inhaftierten Mandanten nicht geholfen.
Finish:
Alle sind zufrieden: Der Fahrradfahrer hat sein Fahrrad behalten, die Polizeibeamten haben ein Erfolgserlebnis, der Staatsanwalt eine erledigte Akte, der Richter ein Urteil mit einer zweizeiligen Begründung, der Angeklagte hat nach knapp 2 Wochen Haft seine Freiheit zurück und der Verteidiger hat einen dankbaren Mandanten.
Und Ihre Blog-Leser sind wieder etwas schlauer. ;-)
Der Kerl hätte die vier Monate ruhig absitzen können >:-(
(und ja, mir ist neulich ein Fahrrad gestohlen worden, warum?)
Das wäre dann aber einen Blogeintrag wert: „Der Anstifter als Verteidiger“ ;-)
Ich stelle mir gerade vor, der Tatvorwurf hätte gar nicht zugetroffen. Wäre das dann Step 1 bis Finsh genauso gelaufen?
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Wenn ein solcher Vorwurf nicht zutrifft, kann man (als Verteidiger und als Richter!) so einen Weg – über ein falsches Geständnis – grundsätzlich nicht gehen. Aber auch von diesem Grundsatz gibt es bisweilen (seltene) Ausnahmen. crh
Der Kollege Hoenig als „Verurteilungsbegleiter“. Wer hätte das gedacht :-) :-) :-) ?
Der „Warnschussarrest“ in seiner analogen dogmatisch falschen Anwendung im Erwachsenenstrafrecht :D
Wobei ich mich ernsthaft frage, weshalb U-Haft, wenn bei Zutreffen der Anklage nach Ansicht aller Beteiligter eine Bewährungsstrafe eindeutig ist…
Ich finde das OK die Sachlage war eindeutig und die Täter haben gestanden sowie die „Übermacht“ an Zeugen.
Das mit der U-Haft ist fragwürdig aber der weg daraus ist meiner meinung nach Der kostengünstigste für alle und der Schnellste und solange das Urteil/Strafmaß angemessen ist können alle zufrieden sein.
Ein Unbestrafter? Dann gleich vier Monate und die zur Bewährung? Alles schief. Wenn ich in § 47 StGB gucke und die Rechtsprechung des Kammergerichts lese, sollte mir aufgehen, dass die kurze Freiheitsstrafe de facto abgeschafft ist. Krimineller Ausländer hin oder her. Richtig wäre gewesen, den gar nicht erst einzusperren. Das hätte das folgende Arbeitsbeschaffungsprogramm für eine japsende Justiz vermieden und die Vorschriften geachtet. Ihmchen hätte dann zunächst zwei, drei Mal § 154f StPO gut gehabt …
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Vielleicht noch als Ergänzung: Der Mandant hat sich mit der außergerichtlichen Einziehung der beschlagnahmten (und nicht unbedingt ungefährlichen) Gegenstände einverstanden erklärt. Wenn Sie wissen, was ich meine … ;-)
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Und ja: 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11 sind mir bekannt. crh
§419 StPO wird in Berlin nicht durchgeführt? Wäre doch ein absolutes Paradebeispiel hier
Na ja, wenigstens gab es noch einen Verteidiger zum Begleiten.
@RiLG:
Zu beachtende Vorschriften gibt es in der Tat. Andernorts gibt es für diese Fälle der mobilen Kleinkriminalität den § 127 b Abs. 2 StPO mit bis zu einer Woche Haft und ohne Pflichtverteidiger, weil § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO da nicht gilt. Ob in einem beschleunigten Verfahren dann Geldstrafe oder eine kurze Freiheitsstrafe rauskommt, ist bei § 127 b StPO egal.
Ich komme einmal zurück auf Kommentar Nr. 4 (Mirco), dessen Frage ich für noch nicht vollständig beantwortet halte:
Kollege Hoenig, was tut der kenntnisreiche Strafverteidiger in dem — womöglich theoretischen — Fall, mit Blick auf die materiell nötigende Zwangslage des Mandanten, wenn an dem Vorwurf zumindest Zweifel bestehen. ein „falsches Geständnis“ selbstredend als untragbar ausgeschlossen? Kollege Zuck anrufen?
Und sollte doch noch eine richtige Verteidigung gewünscht sein, gibts ja noch die nächste Instanz.
Step Six: Der Mandant fährt nach der Entlassung zum nächsten Baumarkt/Werkzeugladen und dann wieder zum Abstellort des bekannten Fahrrads. Beim »Testen der Werkzeuge« wird er von den ihm bereits bekannten Polizeibeamten begrüßt und zu einer erneuten »Besichtigung« der Diensträume eingeladen.., .
Step Seven: RA Hoenig erhält wieder einen Anruf vom Haftrichter, das der ihm bekannte und (bisher) zufriedene Mandant seine ertolgreichen Dienste wieder benötigt…
Ein schönes Beispiel dafür, dass Dinge ganz gut laufen können, wenn ausschließlich Profis mitwirken.
Ich finde die Frage von RiLG ist nicht so wirklich beantwortet: Zum Einen war von einem Rucksack im Artikel nicht die Rede.
Und zum Anderen ist der Inhalt doch egal: Selbst wenn da eine Atomrakete drin gewesen wäre – die Strafe lautete nunmal auf 4 Monate auf Bewährung bei einem Nicht-Vorbestraften. Sie wäre nach § 47 StGB also praktisch zwingend in eine Geldstrafe „umzuwandeln“ gewesen, was dann 120 Tagessätze bedeutet hätte.
Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass dem Mandanten, der sich regelmäßig sowieso nicht in Deutschland aufhält, die Bewährungsstrafe sogar lieber war als eine Geldstrafe, da erstere mit ziemlicher Sicherheit nach Ablauf der Bewährungszeit (in der Regel in so einem Fall 2-3 Jahre) erlassen wird, während die Geldstrafe spätestens bei seinem erneuten Aufgriff in Deutschland (auch noch in vielen Jahren bis zur Verjährung der Vollstreckung) zu zahlen oder in Form einer Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen wäre. Und wo kein Rechtsmittel eingelegt wird, lässt sich dann halt auch mal ein Urteil fällen, das einer Revision nicht standhalten würde…
In anderen Gerichtsbezirken hat sich für solche Fälle allerdings der oben bereits erwähnte § 127b StPO durchaus bewährt. Da hat man dann auch nicht solche Probleme mit der Verhältnismäßigkeit.
Das interessante und zugleich heikle am Strafrecht ist ja, dass die rechtlich falschesten Dinge rechtskräftig werden können, weil der Mandant (zunächst oder auch dauerhaft) gut damit leben kann und eine schnelle Erledigung einen hohen Wert für alle Beteiligten darstellt. Das wird auch immer so bleiben, selbst wenn man 100 Richter/StA mehr einstellt. 127b/417 kommt in der Form in Berlin nicht vor und wäre glatt mal eine Erwägung. Es steht zu befürchten, dass das Präsidium des AG TG eine Weile nicht in die StPO geguckt hat… Die zwei für die Schnellverfahren zuständigen Richter am T-Damm würden sich wahrscheinlich bedanken. Wenn die AA/StA Zeit und Muße hat und der Beschuldigte geständig ist kommt es am Tag der Festnahme oder danach zum Schnellverfahren. Ansonsten ggf. „normaler“ HB.
Die schnelle Erledigung ist vor allem für die Justiz wertvoll.
Dass die U-Haft für so manchen EU-Ausländer, dem allenfalls eine Bewährungsstrafe droht (siehe hier), als Maßnahme dient, ihm der schnellen Erledigung zugänglich zu machen, könnte man gelegentlich meinen. Den Euro fürs Phrasenschwein spare ich mir jetzt mal…
In solchen Haftsachen könnte man einerseits mit der Verhältnismäßigkeit argumentieren, andererseits auf die Möglichkeiten des Europäischen Haftbefehls hinweisen oder sich auch mal die konkreten Anhaltspunkte für die Annahme der Fluchtgefahr darlegen lassen – nicht jede Ausreise in die Heimat ist gleich Flucht. Für solche Gedanken hab ich schon Lob bekommen. Nur helfen tut es nichts, solange die Mandanten, so schnell wie möglich rauswollen und gegen die U-Haft nur schnell über die Sache verteidigt werden wollen. Das ist nachvollziehbar, das ist ihr gutes Recht.
Weniger gutes Recht ist es, über die Haft solche Erledigungen herbeizuführen. Daher auch die Bauchschmerzen, denn über Beantragung und Erlass des Haftbefehls entscheiden Juristen.
[…] Hoenig ist mal Verurteilungsbegleiter, s. auch die […]
Als nicht von der Staatskasse bezahlter Verteidiger hätte man vielleicht noch an das Strafbefehlsverfahren denken können :-)
[…] scheitert an Richtern Verurteilungsbegleiter Bewerbung: Richterin soll Konkurrenten ausspioniert haben Wann ist ein Mord […]
1. Es gibt keine Schuldigen in diesem Land.
2. Seit wann lässt sich denn der Verteidiger CRH von seinem Mandaten sagen was der gemacht hat. Strafzumessungsverteidigung für unsere „Verteidigung ist Kampf“-Verteidiger? ich bitte Sie!
3. Wovon wird der Verteidiger in solchen Fällen überhaupt bezahlt?