Monatsarchive: Januar 2015

Überforderte Justiz in Brandenburg?

Brandenburgertor in PotsdamAn den Landgerichten des Landes Brandenburg werden zur Zeit ein paar größere Strafsachen verhandelt. In einem Verfahren vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) geht es um den mutmaßlichen Maskenmann. Wenn die Frankfurter Richter mit ihm fertig sind, können sie anschließend über den ehemaligen Betreiber des Hotels „Resort Schwielowsee“ (noch einmal) richten.

In Potsdam liefen im vergangenen Jahr gleich drei Prozesse um die so genannte „Pillenbande“; zwei davon werden das Gericht auch in 2015 beschäftigen. Parallel dazu hat dieselbe 5. Strafkammer des LG Potsdam auch noch mit dem ehemaligen Chef der Firma „Human Bio Sciences“ aus Luckenwalde zu tun.

Einen ausführlicheren Überblick über das Programm liefert Lisa Steger auf rbb-online. Sie beschreibt das (mühsame) „Ringen der Brandenburger Justiz mit Mammutverfahren“, das einen „Rückstau der Angeschuldigten“ ausgelöst habe.

Rabatt für Verzögerungen und Geständnisse
Die Gerichtsreporterin stellt fest, daß Verfahrensverzögerungen sich grundsätzlich günstig auf das Strafmaß auswirken. Als ein möglicher „Ausweg für lange Verfahren“ gelte der „Deal“ als Hilfsmittel, „einer Art Handel zwischen Justiz und Beschuldigten“. Grundlage für solche Abreden, die eine Umfangstrafsache beenden, zumindest aber verkürzen soll, ist das Geständnis des Angeklagten. Wenn er gesteht, gibt es einen Nachlaß.

Vermißte Reue
55469_web_R_by_Dieter Wendelken_pixelio.deFrau Steger kritisiert, wie einige Angeklagte mit diesem Handel umgehen. Sie vermißt ein wenig die von Ernsthaftigkeit getragene Reue. Es gibt reichlich strenge Formvorschriften seit August 2009 in der StPO, die Reue gehört indes (noch) nicht zu diesem Geständnishandel.

Vier Jahre nach Einführung der Handelsregeln, nämlich am 19. März 2013, hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sich die Praxis der Gerichte angeschaut. Ihm lag ein Gutachten vor, das einer großen Zahl der deutschen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte – eigentlich und aus objektiver Sicht – der Rechtsbeugung und Strafvereitelung attestierte; man hat sich schlicht über die gesetzlichen Dealregeln hinweg gesetzt und eigene Spielregeln praktiziert.

Teilweise werden die Geständnisse für Deals recht locker vorgetragen.

liest man in dem Beitrag über die „spektakulären Gerichtsfälle“ auf rbb-online über die Angeklagten. Das ist jedoch zulässig. Nicht zulässig ist aber das, was die Organe der Rechtspflege teilweise veranstaltet haben, um möglichst noch zu retten, was zu retten ist.

Schlampige Ermittlungen
Der Verteidiger des Angeklagten im „Maskenmann-Prozeß“, Rechtsanwalt Axel Weimann

… erklärte immer wieder, dass einseitig gegen seinen Mandanten ermittelt worden sei, und erhob Vorwürfe gegen die Polizei …

Der Verteidiger liegt allein aus statistischen Gründen sicherlich nicht daneben. Denn ein großer Teil der Strafprozesse wird heute praktisch von der Polizei geführt, bei den überlasteten Staatsanwaltschaften durchgewunken und von überforderten Gerichten in ausgedealten Verfahren dann irgendwie beendet. Ich empfinde es als ungeheuerlich, wenn erst das Bundesverfassungsgericht diese Richter „ernsthaft ermahnen“ muß, ihre Pflicht zu tun. Eine Justiz, die solche Zustände zuläßt, ist nicht akzeptabel.

Kostspielige Ermittlungen
Lisa Steger skizziert kurz die „äußerst kostspielige Ermittlungen“ gegen den „mutmaßliche Hintermann der Pillenbande“:

An seiner Ergreifung in Uruguay wirkten Behörden in Deutschland, Österreich, Rumänien, Tschechien, Spanien, Argentinien und eben Uruguay mit.

Ob die Ermittlungen tatsächlich teuer waren, geht aus den Akten nicht hervor. Wie auch sonst nichts darüber dokumentiert wurde, wie, ob und unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen diese Auslieferung stattgefunden hat. Wenn auf diese Art und Weise ermittelt wurde, darf man sich nicht wundern, wenn am Ende aufgeräumt werden muß. Schlampige Ermittlungen, die von niemandem – außer in der Beweisaufnahme dann von den Verteidigern – kontrolliert wurden, sind eine wesentliche Ursache für „Mammutprozesse“.

Unzeitgemäße Ausstattung der Justiz
Eine weitere Ursache habe ich in der Vergangenheit hier – zum Leidwesen mancher gelangweilter Blogleser – bereits wiederholt benannt:

StA PotsdamDas sind die vorsintflutlichen Methoden, mit denen die Staatsanwaltschaft Potsdam immer noch „arbeitet“. Wer in einer Cybercrime-Sache nicht mit adäquaten Arbeitsmitteln ausgestattet ist, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, maßlos überfordert zu sein. Auf die Kostenaspekte dieser Rückständigkeit sei hier nur am Rande hingewiesen.
 

Leidtragende Richter
Ausbaden müssen das zum einen die Richter. Die Staatsanwälte haben palettenweise die Aktenkartons bei der Strafkammer abgeladen und sitzen während des weiteren Verfahrens mit filmdünnen Handakten entspannt zurückgelehnt auf bequemen Schaukelstühlen im Gerichtssaal. Die Richter schreiben „Überlastungsanzeigen“, damit sie nicht noch mit weiteren Verfahren zugeballert werden. Und ärgern sich über Anträge, die die Verteidiger stellen müssen, weil die Angeklagten das Recht auf Verteidiger haben, die ausschließlich ihre und nicht heimlich die Interessen der Justiz vertreten.

Genötigter Angeklagte
Und dann waren da noch die Angeklagten. Die reisen jetzt auf eigene Kosten aus Thüringen und Hessen nach Potsdam. Zweimal pro Woche, bisher geplant bis Ende März. Wie es danach mit dem Broterwerb aussieht, mag sich jeder leicht vorstellen, der einen Arbeitsplatz hat.

Und was macht ein solcher Angeklagter dann, wenn ihm ein solchermaßen überforderter Richter ein Angebot macht: Geständnis gegen ein kurzfristiges Ende des Verfahrens? Wie reagiert ein Berufstätiger auf den Vorschlag: Entweder Du verzichtest auf Deine Rechte und legst ein Geständnis ab, oder wir verhandeln bis in den Sommer? 2016 wohlgemerkt!

Schweigen als Trumpfkarte?
654040_web_R_B_by_Hans-Joachim Schüngeler_pixelio.deIst es wirklich die „Trumpfkarte im Ärmel“, von der Frau Steger spricht, wenn ein Angeklagter sich durch Schweigen verteidigt? Oder ist das der Schuß ins eigene Knie?

Die Selbstverstümmelung erscheint unter den genannten Voraussetzungen – insbesondere in Brandenburg – als die derzeit einzige Möglichkeit, sich nicht der Rechtlosigkeit zu ergeben, die entstanden ist, ja entstehen mußte, weil die armselige Justiz nicht mit Personen und Sachmitteln in notwendigem Umfang ausgestattet ist und wird.

Was nützt dem Angeklagten der Joker, wenn es am Ende heißt:

Operation gelungen / Verteidigung erfolgreich – Patient tot / Existenz vernichtet.

Zu den im Zusammenhang mit diesem Beitrag stehenden Themen „U-Haft schafft Rechtskraft“ und „Aussageerpressung“ schreibe später noch einen kleinen Besinnungsaufsatz. Dann das sind „Argumente“, die der Brandenburger Justiz im Ringkampf mit Mammutverfahren entscheidende Vorteile liefern.

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Bild Tor: Petra Schmidt / pixelio.de
Bild Hund: Dieter Wendelken / pixelio.de
Bild Joker: Hans-Joachim Schüngeler / pixelio.de
Bild Geschäftsstelle: shorpy.com

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Dukatenvermehrungskarussell

684970_web_R_by_Uwe Wagschal_pixelio.deEine geniale Idee, die der Umsatzsteuergesetzgeber da hatte, sich mit dem Betrieb eines Karussell die Taschen vollzustopfen.

Eigentlich sind es ja keine Rundfahrten, richtiger wäre die Bezeichnung „Umsatzsteuerketten“. Egal, jedenfalls kann sich der Fiskus dumm und dusselig „verdienen“, wenn man ihn läßt. Und das funktioniert ganz einfach so:

Es gibt einen Unternehmer. Nennen wir ihn Wilhelm Brause. Er bekommt von Gottfried Gluffke eine Rechnung für eine Maschine, die aber gar nicht an Brause geliefert wird. Es ist eine Scheinrechnung, aber das weiß jetzt noch niemand.

I. Steuerrechtlich sieht das so aus:

1. Ausgaben für den Einkauf:

    100 Euro – Rechnungsbetrag Netto
    019 Euro – Umsatzssteuer
    119 Euro – Rechnungsbetrag Brutto

Weil er diese „Maschine“ für seinen Betrieb gekauft hat, kann Wilhelm Brause die Umsatzsteuer in Höhe von 19 Euro, die er an den Scheinlieferanten Gluffke gezahlt hat, als Vorsteuer vom Finanzamt zurück verlangen. Also: Er hat ein Vorsteuerguthaben in Höhe von 19 Euro.

Nun verkauft Brause die „Maschine“ wieder, und zwar an Bulli Bullmann. Diese Rechnung sieht genauso aus, nur anders rum:

2. Einnahmen für den Verkauf:

    100 Euro – Rechnungsbetrag Netto
    019 Euro – Umsatzssteuer
    119 Euro – Rechnungsbetrag Brutto

Brause muß von diesen Einnahmen die 19 Euro Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Er rechnet mit dem Fiskus ab:

3. Abrechnung / Umsatzsteuererklärung:

    19 Euro Umsatzsteuerzahllast
    19 Euro Vorsteuerguthaben
    00 Euro Ergebnis: Ausgeglichen

Brause hat fertig.

II. Jetzt kommt aber Vinzenz, der Verräter.
Der steckt der Finanzverwaltung, daß der ganze Handel ein Fake ist. Und nun passiert folgendes:

1. Abführen
Da Brause an Bullmann eine Rechnung mit Ausweis der Umsatzsteuer geschrieben hat, muß er diese Umsatzsteuer auch an das Finanzamt abführen. Daß diese Verkaufsrechnung nur scheinbar eine solche war, spielt für die Umsatzsteuerzahllast keine Rolle. Brause muß die 19 Euro an den Fiskus abführen. Basta.

2. Keine Erstattung
Anders sieht das mit der Einkaufsrechnung aus. Weil die falsch ist, hätte Brause die 19 Euro Vorsteuer nicht erstattet bekommen dürfen.

3. Abrechnung durch die Steuerfahndung:
19 Euro Umsatzsteuerzahllast
00 Euro Vorsteuerguthaben
19 Euro zu zahlen

Brause ist fertig. Mit den Nerven. Obwohl beide Rechnungen (Einkauf und Verkauf) falsch sind, fließt einmal die Steuer und das zweite mal fließt sie nicht.

III. Die Steuerfahndung sagt:
Der Finanzverwaltung ist ein Schaden entstanden. Und zwar in Höhe von 19 Euro. Weil Brause die Vorsteuer bekommen hat, obwohl er sie nicht hätte bekommen dürfen. Das versteht kein logisch denkender Mensch. Die 19 Euro, die Brause an das Finanzamt abgeführt hat, sollen außen vor bleiben, weil das ja gesetzlich so geregelt sei.

Wer Umsatzsteuer einnimmt, muß sie abführen. Wer Umsatzsteuer zahlt, obwohl er nicht zahlen gemußt hätte, bekommt sie nicht zurück.

IV. Nota bene
Der Gluffke hat die 19 Euro, die Brause an ihn gezahlt hat, brav an das Finanzamt abgeführt. Trotz Scheinrechnung. Und genau diese 19 Euro hat Brause gutgeschrieben bekommen. Ich sehe den Schaden nicht, den der Fiskus hier haben will.

V. Jetzt für Fortgeschrittene
GoldeselKommen wir nochmal zurück auf diesen Vinzenz. Der hat sich – sagen wir mal – im Januar 2013 bei der Finanzverwaltung beliebt gemacht. Und wie so Beamte eben sind, lassen die sich erstmal Zeit. Sagen wir mal bis Dezember 2013. Also 12 Monate lang bekommt der Finanzbeamte monatlich die Umsatzsteuervoranmeldung, die er in die auf der Fensterbank liegende Akte packt.

In diesen 12 Monaten hat das Trio Gluffke – Brause – Bullmann jeden Monat einmal eine unsichtbare Maschine an- und verkauft. Dann berechnet das Finanzamt einen Schaden in Höhe von 12 mal 19 ist gleich 228 Euro. Wenn der Finanzbeamte jetzt noch ein Sabbatical macht und dann erst im Dezember 2014 wieder an seinen Plastikschreibtisch zurück kehrt, hat der „Fiskalschaden“ sich durch schlichtes Nichtstun verdoppelt, also 456 Euro.

Genialer Trick, um mit Nichts, mit Garnichts, mit Überhauptnichts, aus schierer Luft den Staatshaushalt zu sanieren. Und zwar völlig legal.

VI. Der freie Lauf der Phantasie
Man stelle sich vor: Der Nettowert der „Maschine“ liegt im 6- oder 7-stelligen Bereich (Papier ist geduldig!). Es werden monatlich mehrere davon „verkauft“. Und weil eine Kette aus mehreren Gliedern besteht, verkauft Bullmann weiter an Mütterchen Mü, die wiederum vertickt die macchina invisibile an Frollein F. und so weiter. Auch am anderen Ende der Kette sind weitere An- und Verkäufe leicht vorstellbar.

So kommen dann schnell mal 3-stellige Millionenbeträge für die Statistik zusammen. Und für die Begründung von Gerichtsbeschlüssen, mit denen dann Kontenguthaben und sonstige Werte gepfändet und beschlagnahmt werden können.

VII. Berufliche Perspektiven

Manchmal frage ich mich angesichts solcher Möglichkeiten, warum ich eigentlich immer noch mein Geld als Strafverteidiger verdienen soll.

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Bild Karussell: Uwe Wagschal / pixelio.de

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