Monatsarchive: April 2015

Nicht lustig: Kosten in unbekannter Höhe

717584_web_R_by_FotoHiero_pixelio.deIn meinem ersten Beitrag über den geplatzen Pillenprozeß vor dem Landgericht Potsdam habe ich ein Schlaglicht auf die Kosten geworfen, die dem Steuerzahler entstehen werden, weil das Gericht bei der Besetzung an Ersatz-Schöffen gespart hat. Weil ein Hauptschöffe verstorben war, muß nun die Reset-Taste gedrückt werden.

Das sei schrecklich bedauerlich, sagte Gerichtssprecherin Sabine Dießelhorst dem rbb. Also nicht das Sparen oder der Neustart, sondern der Tod des Schöffen. Selbstverständlich.

Die Einsparung sei der Schwierigkeit geschuldet, Schöffen zu finden, teilte Alexander Julian Kitterer, Sprecher des brandenburgischen Justizministeriums, dem rbb ergänzend mit. Man muß aber auch nicht alles glauben, was in der Zeitung steht.

Wie man für eine angemessene Anzahl von Schöffen sorgen könnte, wenn man wirklich wollte, soll nicht das Problem der Verteidigung sein. Ideen hätte ich schon, wenn ich mir mal das Gesetz anschaue. Das steht nämlich ziemlich detailliert da drin.

Das Problem ist die Kostenfolge für die Angeklagten. Die haben nämlich das Problem. Wer hat am Ende – also im Fall einer Verurteilung – denn für die Kosten des durch diese Mißwirtschaft notwendig gewordenen zweiten und dritten (usw. …) Durchgangs gerade zu stehen?

Die rbb-Journalistin Lisa Steeger hat mir diese Frage auch gestellt:

Unklar ist derzeit, wer die Verteidiger bezahlt. „Die Anwaltskosten werden explodieren“, prognostiziert Rechtsanwalt Carsten Hoenig, der in einem anderen Pillen-Prozess einen Angeklagten verteidigt. „So etwas kann auch im sechsstelligen Bereich liegen.“

Selbst wenn der zweite Satz des Richters bei der Urteilsverkündung lauten sollte …

Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte, mit Ausnahme der Kosten und Auslagen, die durch die Aussetzung des Verfahrens entstanden sind.

… bleiben an dem Angeklagten, der sich durch einen Wahlverteidger mit einer Vergütungsvereinbarung verteidigen läßt, im Ernstfall immer noch immense Kosten hängen. Das sind dann nicht nur die Verteidigerkosten, sondern zusätzlich (!) solche Kleinigkeiten wie Verdienstausfall, Verlust des Arbeitsplatzes oder Insolvenz des eigenen Unternehmens. Das ist nicht lustig!

Und das alles nur, weil ein Vorsitzender Richter Rücksicht nimmt auf die prekäre Lage des Justizhaushalts und auf das Unvermögen der Justizverwaltung, für eine angemessene Ausstattung des Gerichts zu sorgen.

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Bild: © FotoHiero / pixelio.de

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Potsdam platzt zum zweiten Mal

462613_web_R_by_Dieter_pixelio.deDie Ressourcen der (Straf-)Justiz sind knapp. Aus welchen Gründen auch immer. Die einen sagen, es gibt Wichtigeres, als sich um Strafverfahren zu kümmern. Die anderen vertreten die Ansicht, einen Rechtsstaat gibt es nicht zum Schnäppchenpreis.

Warum auch immer: Es wird versucht, mit möglichst wenig Aufwand wenigstens einen Mindeststandard anzubieten. Diese justizielle Geiz-ist-geil-Methode ist jetzt in am Landgericht Potsdam (erneut) nach hinten losgegangen.

Statt (wenigstens) die Schöffenbank mit einem Ersatzspieler zu besetzen, der im Fall einer Verletzung oder anderen Gründen (Befangenheit wäre z.B. ein solcher) die Fortsetzung des Spiels zu gewährleisten, hat die Kammer voll auf Risiko gesetzt. Und ist dabei wieder auf die Nase gefallen.

Das Verfahren, das wegen Erkrankung einer (Berufs-)Richterin kurz nach dem Start ausgesetzt und von vorn beginnen mußte, ist nun erneut geplatzt: Ein 61 Jahre alter Schöffe ist verstorben. Das Verfahren dauerte bis hierher bereits anderhalb Jahre. Alles für die Katz.

Denn sobald die Strafkammer wieder vollständig ist, fängt das Spiel ganz von vorn an: Die Angeklagten werden erneut gefragt, wie sie heißen, wo sie wohnen und wie alt sie sind …

Der Geizige Steuerzahler bezahlt doppelt. Na wenigstens wird sich das beim Strafmaß bemerkbar machen müssen. Auch an jenem Ende wird dann gespart.

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Bild: © Dieter / pixelio.de

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Ungeklärter Verteidiger

Welche Folgen eine vom Rückenmark gesteuerte Verwendung von Textbausteinen haben kann, zeigt dieses illustre Beispiel.

Das Verfahren gegen meinen Mandanten wurde eingestellt. Nach dieser Einstellung habe ich beantragt, zu meinen Gunsten die Wahlverteidigergebühren festzusetzen. Diesen überschwenglichen Reichtum gönnte mir der Rechtspfleger nicht. Er wird sich geärgert haben. Vermute ich mal. Oder wie kommt sonst ein solcher Unsinn zustande?

unbekannt und ungeklärt

Vielleicht sollte ich künftig bei meinen Verteidigungsanzeigen statt einer schriftlichen Vollmacht eine auf mich lautende Geburts- und Abstammungsurkunde beifügen.

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Ausflugsplanung

Ein Mann braucht ein Ziel. Erst Recht in dem Alter!

Ausflugsplanung

Und das Beste daran: Es wird in jener Augustwoche nicht regnen!

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Strafbarer Sprung vor die Münchener S-Bahn

582px-S_Bahn_MuenchenKann ein Suizidversuch eigentlich strafbar sein? Wenn man dem Urteil des Amtsgericht München vom 27.06.2014 – 122 C 4607/14 – folgen möchte, dann kann sowas durchaus eine Geld- oder Freiheitsstrafe nach sich ziehen.

Folgender Fall lag der Entscheidung zugrunde:

Eine 23-jährige Frau warf sich vor die S-Bahn. Dadurch kam es zu einem Unfall, den die Frau überlebte. Die Triebwagenführerin erlitt aufgrund dieses Erlebnisses einen erheblichen psychischen Schock und leidet seitdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Das reichte der Zivilrichterin für einen Schadensersatzanspruch der Lokführerin gegen die Lebensmüde. Dazu heißt es in der Pressemitteilung 20/15 vom 24. April 2015:

Das Gericht stellt fest, dass die Beklagte durch ihren Suizidversuch bei der Klägerin eine Körperverletzung verursacht hat. Die psychische Fehlverarbeitung des Unfalls durch die Zugführerin sei eine ganz typische Reaktion auf Unfälle dieser Art und durch das Ereignis ausgelöst. Für die Beklagte sei vorhersehbar und erkennbar gewesen, dass sie bei dem Sprung vor den einfahrenden Zug bei dem Zugführer einen psychischen Schaden verursacht.

Diese Feststellung begründet obendrein zumindest einen Anfangsverdacht, der für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichen sollte; denn eine zivilrechtliche Körperverletzung hat sehr große Ähnlichkeit mit einer strafrechtlichen.

Mich würde es nicht überraschen, wenn irgendein bayerischer Staatsanwalt nun auf die Idee käme (gekommen ist?), und tatsächlich auf einen roten Akten-Deckel den Namen der Überlebenden schreibt. § 229 StGB – die fahrlässige Körperverletzung – wäre sicherlich eine Option für die Strafverfolgung; aber warum eigentlich dann nicht gleich auch – billigend in Kauf nehmen – den Vorsatz unterstellen, § 223 StGB? Und hinterlistig ist so ein Sprung vor eine S-Bahn bestimmt auch, § 224 I Nr. 3 StGB. Für die Verkehrsstrafrechtler ist auch noch etwas dabei: §§ 315, 315a StGB. Da ist sicher noch einiges zu machen …

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Bild: „S Bahn Muenchen“ von Usien

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Verdachtsinverwahrnahme beim Kirchentagsbesuch

In seinen Lichtenrader Notizen berichtet Rechtsanwalt und Notar Rolf Jürgen Franke über die 16. Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG), das Berliner Polizeigesetz:

Auffällig ist die vorgesehene Verdachtsinverwahrnahme von Bürgern auf Grund richterlicher Anordnung für einen Zeitraum bis zu 4 Tagen gemäß §§ 30 Absatz 1 Nr. 2, 33 Absatz 1 Nr. 3 ASOG auf Grund richterlicher Anordnung.

Anders als die Regeln der Strafprozeßordnung (StPO), die – repressiv – angewandt werden, nachdem möglicherweise eine Straftat begangen wurde, findet das ASOG Anwendung, um – präventiv – Straftaten zu verhindern, bevor sie begangen werden. Deswegen heißt es in der Begründung:

Die Neuregelung ist unerlässlich, um die bevorstehende Begehung von Straftaten, insbesondere im Umfeld von länger andauernden Großlagen (wie beim 1. Mai oder Staatsbesuchen), Versammlungen, (sportlichen) Großveranstaltungen (wie der Kirchentag oder bei Fußballspielen) oder äußerst gewaltbereiten Gruppierungen (z.B. im Rockermilieu) zu verhindern.

Also, liebe Kirchentagsbesucher; immer präventiv eine Zahnbürste mit sich führen, man weiß ja nie … und vier Tage sind dann unter den gegebenen Umständen eine lange Zeit.

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Die Informationslage des Amtsgerichts Fürth

Um sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, braucht ein Gericht eine gesicherte Informationsbasis. Dem Amtsgericht Fürth kennt sich dort aus, wo es beheimatet ist; und das was in Bayern paßt, muß auch in Berlin so hinhauen. Mir san mia.

Bei erwachsenen Angeklagten entscheidet in der Regel (mit einigen Ausnahmen) das Gericht, in dessen Sprengel der Tatort liegt. Strafsachen gegen einen Heranwachsenden werden dort verhandelt, wo er seinen Wohnsitz hat, § 42 JGG.

Das war in dem vorliegenden Fall ein Problem, mit dem die Bayern in Fürth schlecht zurecht kamen. Unser Mandant war nämlich so frei, einfach von Bayern wieder nach Berlin zurück zu kommen. Für den Richter in Fürth ist sowas eigentlich nicht vorstellbar, deswegen kam ihm auch nicht in den Sinn, sich nach gut zwei Jahren, in denen das Verfahren vor sich hindümpelte, mal nach dem aktuellen Wohnsitz zu erkundigen.

Über die Frage der Zuständigkeit hat sich dann eine Auseinandersetzung zwischen Verteidigung und Gericht entwickelt, die zu einem – erwartungsgemäß nicht „erfolgreichen“ – Ablehnungsgesuch führte.

Die Argumentation der Bayern ist selbstbewußt. Das reicht aus, Sachkenntnis ist dann entbehrlich:

AG Fürth

Richtig ist, daß es in Berlin mehrere Amtgerichte gibt, unter anderem auch ein Amtsgericht Spandau. Für Strafsachen sind die Spandauer aber nicht zuständig, auch dann nicht, wenn der Angeklagte direkt im Gericht wohnen würde.

Gut, das ist einem Berliner Strafverteidiger bekannt. Aber die Zuständigkeit des Amtsgerichts Tiergarten für alle Strafsachen, die in Berlin verhandelt werden, ist kein Geheimwissen. Ein Blick ins Internet – hier oder hier – erleichtert die Rechtsfindung, auch einem bayerischen Amtsrichter. (Für Fortgeschrittene gibt es die Verordnung zur Umsetzung der Neustrukturierung der Amtsgerichte vom 25. Januar 2010 GVBl. Seite 25.)

Bayern sama, Bayern bleima, uns kennt die ganze Welt …

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Wer steht da eigentlich vor Gericht?

Ist das nur der greise Buchhalter? Oder auch die Justiz, die sich drei Generationen Zeit ließ, um die Vorschriften zur Beihilfe zum Mord zu entdecken? Oder gibt es die §§ 211, 27 StGB erst seit dem 12.05.2011?

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Verbrechen lohnt sich doch!

Das Ermittlungsverfahren begann mit reichlich und großem Getöse im Jahr 2010. Ziemlich schnell hatte die Staatsanwaltschaft allerlei Gerät beschlagnahmt, auf denen sie Daten vermuteten, die den Beschuldigten u.a. eines gewerbsmäßigen Betruges überführen sollten. Die Rechner und Datenträger genügten den Strafverfolgern aber nicht, sie beschlagnahmten daher auch gleich ein paar Kontenguthaben. Runde 2,5 Millionen Euro.

Das war vor rund 5 Jahren. Seitdem ist nicht allzuviel passiert. Die Anklage wurde zwar (aber nur knapp) zum Hauptverfahren vor der Strafkammer zugelassen, es wurde auch ein paar Tage verhandelt und dann stockte das Verfahren. Es wurde im Rahmen der beginnenden Beweisaufnahme zunehmend deutlich, daß der Staatsanwaltschaft es nicht gelungen war, den Sachverhalt so auszuermitteln, daß die Strafkammer damit arbeiten konnte. Die Verteidigung tat das, was eine Verteidigung tun muß: Finger und Salz in offene Wunden.

Das Verfahren wurde ausgesetzt und die Staatsanwaltschaft bekam ein paar Hausaufgaben. Das war irgendwann im Jahre 2014. Genützt hat es nichts:

Arrestaufhebung

Der dingliche Arrest wurde nun aufgehoben; die Pfändungsmaßnahmen sind durch den Wegfall der Arrestgrundlage unwirksam geworden. Der Beschuldigte ist wieder liquide.

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Sprachprobleme der Schuster

OLYMPUS DIGITAL CAMERANicht nur normale Menschen unterscheiden sich von Juristen, was die Sprache angeht. Sondern auch Juristen untereinander.

Bene­dikt Meyer berichtet in seinem ZPO-Blog über die Risiken eines Adhäsionsantrags im Strafverfahren und zitiert eine Entscheidung des des Bun­des­ge­richts­hofs vom 20.01.2015 – VI ZR 27/14.

Im dem zugrunde liegenden Fall erhoffte sich der Geschädigte einer Körperverletzung ein Urteil des Strafrichters, in dem er den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgelds verpflichtete. Das ist aus Sicht des Geschädigten grundsätzlich ein relativ bequemer und kostengünstiger Weg, einen Ausgleich für seinen (Personen-)Schaden zu erhalten.

In diesem Fall machte der Geschädigte – aus meiner Sicht als Strafverteidiger – aber gleich zwei grobe Fehler:

1.
Er rief keine konkrete Zahl auf und überließ es so dem Strafrichter, die Höhe zu beziffern. Das mag im Zivilprozeß sinnvoll sein. Wenn dort jemand 10.000 Euro fordert und er bekommt nur 5.000 Euro, bleibt er auf der Hälfte der Gerichts- und Anwaltskosten sitzen. Ein vergleichbares Risiko besteht im Adhäsionsverfahren nicht.

2.
Noch schlimmer ist aber, daß der Adhäsionskläger bzw. sein Rechtsanwalt den Mund nicht aufgemacht hat. Warum fragt er den Richter nicht einfach rechtzeitig, welcher Betrag am Ende hinten rauskommen wird? Im Strafprozeß ist es üblich, über das voraussichtliche Ergebnis des Verfahrens offen zu sprechen. Hätte eine solche Kommunikation stattgefunden, wäre es dem Rechtsanwalt des Geschädigten möglich gewesen zu reagieren, wenn der Richter nicht so will, wie er es wünscht. Zum Beispiel hätte er den Adhäsionsantrag schlicht und ohne böse Kostenfolgen zurücknehmen können, § 404 Abs. 4 StPO. Dann kann er seinen Anspruch vor einem Zivilgericht erneut verfolgen. Hier hat der Strafrichter jedoch abschließend entschieden, und damit ist der Deckel zu, wie der BGH zutreffend entschieden hat.

Vielleicht wäre es insgesamt sinnvoll, wenn Zivilisten im Strafprozeß und Strafverteidiger im Zivilprozeß sich entweder vom jeweiligen Spezialisten beraten ließen. Oder einfach nicht in fremden Teichen zu fischen versuchen. Das Risiko, den jeweils anderen nicht (richtig) zu verstehen, ist groß.

Ob das Sprichwort mit dem Schuster und seinen Leisten hier zutrifft, wird die Strafverteidigerin, Sprichworttesterin und Damenschuhspezialistin Kerstin Rueber bestimmt irgendwann mal prüfen.

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Bild: © CFalk / pixelio.de

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