Monatsarchive: Juni 2015

Fortbildung: Neue Rechtsfolgen für Mord und Totschlag

Demnächst neu: Die Tötungsdelikte werden umsortiert. Und damit jeder weiß, was ihn alsbald erwartet, wenn er jemanden ins Jenseits befördert hat, veranstaltet die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger eine Fortbildung:

Fortbildung 18.06.2015

Die Reform der Tötungsdelikte steht aktuell auf der politischen Agenda. Das Bundesministerium der Justiz hat eine Expertenkommission ins Leben gerufen, die Vorschläge für eine Neuregelung unterbreiten soll. Vertreter der Anwaltschaft ist u.a. der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer Rechtsanwalt Dr. Ignor, der uns seine Sicht der Dinge schildern und seinen eigenen Reformvorschlag zur Diskussion stellen wird.

Weitere Informationen gibt es hier (als PDF) und auf der Website der Berliner Strafverteidiger.

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Art. 5 Abs. 5 EMRK: Schadensersatzanspruch für rechtswidrig erlittene Untersuchungshaft

Killinger,Art5VEMRKGanz neue Perspektiven tun sich da auf, wenn ich an viele Fälle denke, in denen ich meine Mandanten erfolgreich gegen die Vollstreckung der Untersuchungshaft verteidigt habe. Selbst in Fällen, in denen es im Nachhinein zu einer Verurteilung gekommen ist, kann ein Schadensersatzanspruch entstanden sein.

Interessant ist, daß über diesen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht mehr der Strafrichter entscheidet, sondern das Landgericht in Zivilsachen. Und die haben oftmals eine andere Vorstellung von Haftgründen und vom dringenden Tatverdacht.

Insofern war die Fortbildungsveranstaltung am Donnerstagabend in der Humboldt-Uni ein Anlaß für mich, alte Denkstrukturen aufzubrechen und über neue Wege nachzudenken. Dabei lasse ich mich unterstützen von der Referentin, Rechtsanwältin Dr. Iris-Maria Killinger, Fachanwältin für Strafrecht in Hamburg, die Ihre Promotion in ein Buch gegossen hat:

Staatshaftung für rechtswidrige Untersuchungshaft in Deutschland und Österreich im Lichte von Art. 5 Abs. 5 EMRK (*)

Die Kollegin berichtete übrigens auch über (ihre) Fälle, in denen die Justizbehörden quasi auf ersten Zuruf – und ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe – einen Schadensersatz an ihren Mandanten zahlten. Und sie wies warnend auf mögliche Schadensersatzansprüche hin, die ein Mandant gegen seinen Verteidiger haben kann, weil er es unterlassen hat, die Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK geltend zu machen.

Bestellt! Damit meinen Mandanten und mir das künftig nicht mehr durch die Lappen geht. ;-)

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Provokation durch instinktgesteuerte Ermittler

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs berichtet am 10.06.2015 über eine Selbstverständlichkeit; jedenfalls aus Sicht eines Bürgers, der sich nicht zum Objekt von jagdinstinktgesteuerten Ermittlern machen lassen will.

Rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler der Polizei führt zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses

Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch Urteil vom 10. Juni 2015 ein Urteil des Landgerichts Bonn aufgehoben, durch das zwei Beschuldigte wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Der Senat hat das Verfahren wegen eines auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhenden Verfahrenshindernisses eingestellt.

Hintergrund des Verfahrens war ein vager Tatverdacht gegen die zwei Männer, diese könnten in Geldwäsche- und Betäubungsmittelstraftaten verstrickt sein. Nachdem eine langfristige Observation sowie umfangreiche Überwachungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler aus Deutschland und den Niederlanden ein, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten versuchten, die Beschuldigten dazu zu bringen, ihnen große Mengen „Ecstacy“-Tabletten aus den Niederlanden zu besorgen. Die Beschuldigten weigerten sich, dies zu tun. Erst als einer der Verdeckten Ermittler drohend auftrat und ein anderer wahrheitswidrig behauptete, wenn er seinen Hinterleuten das Rauschgift nicht besorge, werde seine Familie mit dem Tod bedroht, halfen die Beschuldigten in zwei Fällen ohne jedes Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr von Extacy aus den Niederlanden.

Diese Feststellungen hat das Landgericht auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten getroffen, weil die Polizei nicht bereit war, die Verdeckten Ermittler offen als Zeugen vernehmen zu lassen.

Nach bisher ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts reichte es in Fällen einer solchen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation durch Polizeibeamte zur Kompensation des Eingriffs aus, wenn die Strafe für den Angeklagten gemildert wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 23. Oktober 2014 aber entschieden, dass eine solche „Strafzumessungslösung“ nicht ausreiche, um die Menschenrechtsverletzung zu kompensieren, die darin liegt, dass ein unschuldiger, unverdächtiger Mensch zum „Werkzeug“ der Kriminalpolitik gemacht wird, indem staatliche Behörden selbst ihn anstiften, eine Straftat zu begehen, um diese anschließend – zur Abschreckung anderer – bestrafen zu können. Daher war die Bundesrepublik in einem anderen Fall vom EGMR verurteilt worden.

Der 2. Strafsenat hat vor diesem Hintergrund die Rechtsprechung geändert. Da der Begriff der so genannten „rechtsstaatwidrigen Tatprovokation“, wie ihn der EGMR definiert, weiter ist als der des Bundesgerichtsgerichtshofs – also die Voraussetzungen bereits bei geringeren aktiven Einflussnahmen erfüllt sind –, gilt der Rechtssatz des EGMR, wonach eine bloße Strafmilderung nicht ausreicht, jedenfalls auch in allen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof eine rechtsstaatswidrige Provokation als gegeben ansieht.

Auf der Rechtsfolgenseite war der 2. Strafsenat daher nicht an die bisherige Rechtsprechung gebunden, weil diese durch die Entscheidung des EGMR überholt ist und der Bundesgerichtsgerichtshof gehalten ist, die europarechtliche Rechtsprechung des EGMR in nationales Recht umzusetzen, um weitere Verurteilungen der Bundesrepublik wegen Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Daher war auch eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nicht geboten, denn über die Rechtsfrage, die sich stellte, war auf der Grundlage der neuen menschenrechtlichen Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden.

Der Senat hat offen gelassen, ob die Rechtsfolge einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines endgültigen Verfahrenshindernisses in allen Fällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eintreten muss, wie es die Rechtsprechung des EGMR allerdings nahe legt, oder ob eine „abgestufte“ Lösung je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverletzung möglich wäre. Bei der Sachlage im konkreten Fall hat er auf der Basis der Feststellungen des Landgerichts jede andere Kompensation ausgeschlossen.

Damit ist in Deutschland erstmals die rechtswidrige Überredung von Bürgern zu Straftaten durch die Polizei oder von ihr gesteuerter Personen als ein Verfahrenshindernis anerkannt worden.

Vorinstanz: LG Bonn – 21 KLs 4/12 900 Js 721/10 – vom 13. Februar 2013

Der „Rebellensenat“ des BGH wird mir immer sympathischer, und das nicht nur wegen der Kolumnen des Vorsitzenden in der Zeit. Wenn jetzt noch ein mutiger Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen diese Ermittler einleiten würde, wäre die Welt wieder einigermaßen rund. Aber jetzt fange ich wohl an zu halluzinieren.

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Fettdruck im Zitat vom Autor.

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Die Wanne aus Sicht eines Kurparkanwalts

Der liebe Kollege Philip Stühler-Walter hat seinen Kurpark in Bonn verlassen und ist hinaus in die große weiter Welt gereist. Bis nach Kreuzberg. Und was muß er da entdecken – Müll an der Wanne:

Wanne mit Müll 01

Wanne mit Müll 02

Er ist entsetzt:

Warum Dir jemand seinen Müll an die Tür gehängt hat, kann ich jetzt auch nicht so genau sagen …

Ich auch; denn er verabschiedet sich aus Berlin , ohne ein paar Meter weiter einen Caffè bei uns zu trinken (aber nicht, ohne wenigstens zu grüßen) … Lieber Philip. Das nächste Mal bitte melden!

Danke für die Schnappschüsse.

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Parkendes Ordnungsamt

Das ist jetzt aber nicht in Ordnung! Wenn ein Ordnungsamtsauto von einem Ordnungsbeamten im Parkverbot abgestellt wird …

OrdnungsamtimParkverbot01

… und dann auch noch 10 Minuten später dort rumsteht …

OrdnungsamtimParkverbot02

… um andere Autos aufzuschreiben, weil sie unordentlich im Parkverbot abgestellt wurden.

Aber das kannten ja schon die Altgriechen unter den Römern: Quid licet Ordnungsamt non licet Autofahrer.

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Die Thermoskanne im Verwaltungsrecht

Ich habe am Freitag über ein Akteneinsichtsgesuch in einer Cybercrime-Sache berichtet. Die Einsichtnahme in die 500 Bände der Ermittlungsakte hat mir der gut gelaunte Vorsitzende Richter auf der Geschäftsstelle gewährt. Der Versand der Akten scheint das Gericht vor ein paar organisatorische Probleme zu stellen.

Ein Kommentator machte in unserem Facebook-Account dazu folgenden Vorschlag:

Facebook-Kommentar

Dazu fällt mir eine kleine Geschichte ein, die ich Anfang der Neunziger als „junger“ Anwalt in der verwaltungsrechtlichen Sache erlebt hatte.

Es ging auch um die Einsicht in eine (einbändige) Akte einer ostdeutschen Behörde. Man wollte mir weder die Akte, noch Kopien schicken.

Ich bin also auf’s brandenburger Land gefahren und wurde in der staubigen Geschäftsstelle des Amts an einen Katzentisch gesetzt. Um mich herum saßen drei weitere Mitarbeiterinnen (vom Typ her irgendwas zwischen kitteltragende Hausfrau und Traktoristin im Blaumann). Eine der drei ziemlich mißtrauischen Damen gab mir (Wessi! Kreuzberger! Rechtsanwalt! Motorradfahrer!) dann recht widerwillig die IHRE Akte.

Die Luft war nicht nur wegen des DDR-weit bekannten Desinfektions- und Putzmittelgeruchs zum Schneiden. Ich habe dann meine Tasche ausgepackt: Notizblock, Stiftetasche. Damit hatten die Damen gerechnet.

MicrocasetteEtwas Unruhe an den Plaste-Schreibtischen stellte ich dann fest, als ich mein batteriebetiebenes Diktiergerät, zwei Sätze Ersatzbatterien und ca. 10 dieser microcasetten fein säuberlich im rechten Winkel zum Notizblock aufbaute.

ThermoskanneDie Schnappatmung bei den Damen setzte dann ein, als ich meine gut befüllte Butterbrotsdose und eine rote Thermoskanne (meine hatte noch einen weißen Deckel) vor mir auf dem Tisch drapierte.

Ich hatte noch nicht einmal die ersten 10 Seiten der Akten abdiktiert, als irgendein zu höheren Würden berufener Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung die Amtsstube betrat und mich fragte, wie lange es denn dauern würde, bis er die Akte wieder zurück bekäme, wenn er sie mir jetzt mitgeben würde …

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Bei Nacht sind alle Wannen grün

So’n kleiner Mini ist echt unübersichtlich.

Die Wanne bei Nacht

Es hat ein wenig gedauert, bis Frau Rechtsanwältin Dr. Manuela Sissy Kraus erkannt hat, was für ein Auto da hinter ihrem parkt. Dann aber hat sie das einzig richtige gemacht: Ein Foto von der Wanne.

Besten Dank für den schönen Schnappschuß, liebe Kollegin!

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Rockerparty statt Rechtsanwalt

496740_web_R_B_by_günther gumhold_pixelio.deIch habe da ein paar ziemlich detaillierte Fragen bekommen. Es geht um die Amtstrachten der professionellen Rocker. Also eigentlich um das Kutten-Verbot, das noch im Laufe des Juni beim Bundesgerichtshof diskutiert werden soll.

Was ist derzeit erlaubt, was ist verboten, wann und wo und überhaupt und der ganze Rest. Here we go:

1.) ich würde gerne wissen, ob das Kuttenverbot nur für die bekannten MC gilt – also Gremium MC, Hells, Bandidos u.ä. oder für alle Clubs – auch international. Weil ich würde mir gerne ne Kutte kaufen aus den USA aus der Serie „Sons of Anarchy“ oder ne Kutte anfertigen lassen von MC aus anderen Ländern, die es hier in DE nicht gibt, sodass ich dererseits nichts zu befürchten hätte. Aber wie ist es mit der rechtlichen Lage halt – kann ich solche Kutten tragen oder gilt das Verbot nur für die deutschen MC ?

2.) Und wie sieht es aus mit Schein-MC, also Kutten mit Motorradclub Patches, die es gar nicht gibt, aber das erstmal so aussieht vom Optischen ? Ich meine, dann wärs ja nur Mode und nicht strafbar oder ?

3.) Apropos Strafe: Was wäre das denn für eine – außer, dass man die schöne und vor allem teure Kutte abgezogen bekommt? Nur ne Geldstrafe oder Sozi Stunden oder gar der Vorwurf von Bandenbeteiligung oder sowas ?

4.) Was ist mit den Kutten der offiziellen DE MCs, die das aber nur teils tragen würden – also z.B. nur den Hells Angels Totenkopf und darunter die Stadt, aber eben nicht den Namen. Oder nur Hells Angels und die Stadt, aber nicht das Logo – oder gar nur die Stadt ohne die HA Schrift und das Logo.

Dazu kann ich natürlich auch was sagen, aber allein der Umstand, daß sich damit ein paar Prädikatsjuristen in roten Kutten auseinander setzen, zeigt, daß es ein wenig zeitaufwändig ist, wenn ich die Fragen des Rockers beantworte. Das habe ich ihm mitgeteilt, bevor ich loslege:

Gern beantworte ich Ihnen Ihre Fragen, allerdings ist das nicht so einfach alles aus dem Ärmel zu schütteln. Da sitze ich erstmal eine ganze Zeit dran, wenn ich es so machen möchte, daß Sie auch sich darauf verlassen können.

Ich denke aber, daß die Kosten, die dadurch entstehen, Ihr finanzielles Budget sprengen würden. Wollen Sie mir einen Vorschlag machen, was die Sache Ihnen wert ist?

Einen Tag später meldete sich der Freund nochmal, und schien völlig entsetzt zu sein von meiner Antwort:

Oh, ich wusste gar nicht, dass das Ganze was kosten würde – und dann auch noch ziemlich viel wie Sie sagen. Irgendwie fehlt mir da die Verhältnismäßigkeit, denn diese Infos kann man kostenlos bei jeder Rockerparty erfahren. Ich bin zurzeit jedoch für längere Zeit im Ausland, sodass ich es nicht selbst erledigen kann.

Ok, ich werde mich mal am Wochenende kundig machen. Hat jemand einen Vorschlag, auf welche Party ich gehen soll? Und: Darf ich die Roten Rocker aus Karlsruhe dann mitbringen?

Obiter dictum
Also, mal unjuristisch formuliert: Ich würde mich jedenfalls nicht trauen, mit nem dreiteiligen Rückenpatch auf Tour durch Berlin zu schraddeln. Und das nicht, weil ich mich vor Uniformträgern und Verwaltungsverboten fürchte.

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Bild: © günther gumhold / pixelio.de

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Elmau und Heiligendamm

Zu dem Riesenwirbel, der zur Zeit in der Bayerischen Provinz veranstaltet wird, weil ein paar Großkopferte auf „Wellness in Bayern mit Stil, Sport & Kultur“ machen, hat der Republikanische(r) Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) am 3.6.2015 eine Pressemitteilung veröffentlicht:

Geschichte wiederholt sich immer zweimal, als Tragödie und als Farce
2007 Heiligendamm – 2015 Schloss Elmau

Der G7-Gipfel auf Schloss Elmau rückt näher und so auch die Medienmaschine der Polizei. Legitimer Protest wird im Vorfeld kriminalisiert – von der Anreise gewaltbereiter Personen ist die Rede. 20.000 Polizisten, 5.000 mehr als in Heiligendamm, sind mobilisiert, 200 Polizeigewahrsamplätze eingerichtet, 100 Richter und 15 Staatsanwälte abgestellt. Die Polizeipressestellen sind Teil des Versuchs, Demonstrierende im Vorfeld einzuschüchtern. Ein Blick zurück zeigt, wie die Demontage von Bürger- und Menschenrechten funktioniert.

Nach dem G8-Gipfel 2007 wurde klar: Die Mehrheit der Ingewahrsamnahmen war rechtswidrig, Ermittlungsverfahren wurden ohne Verdacht geführt, die Praxis von Polizei und Staatsanwaltschaft verlief vielfach am Rande der Rechtstaatlichkeit, und ›unverhältnismäßig‹ war noch das höflichste Wort. Zur Erinnerung einige Zahlen:

»Von den ca. 1.600 Ermittlungsverfahren, die wegen der Proteste im Juni 2007 eingeleitet worden waren, waren am 15.11.2007 bereits 1.086 eingestellt. Von 176 Verfahren, die bis Ende Mai 2008 gerichtsanhängig waren, führten 84 Fälle zu einem Urteil: eine Urteilsrate von rund fünf Prozent«. »Von den gut 1.000 Freiheitsentziehungen im Juni 2007 waren 586 Gegenstand gerichtlicher Überprüfungsverfahren. Lediglich 158 von der Polizei gestellte Anträge auf Gewahrsamsverlängerung wurden angenommen. Gegen 102 genehmigte Gewahrsamsverlängerungen wurde Beschwerde eingelegt, in 45 Fällen wurden die Gefangenen danach entlassen, lediglich 15mal ein Gewahrsam bestätigt«. (1)

Ein Fazit aus Heiligendamm: Menschenrechtsverstöße

Kaum ein Ermittlungsverfahren führte zu einer Anklage, gerichtlich überprüfte Ingewahrsamnahmen führten zu Freilassungen, Schadensersatzklagen hatten Erfolg. »Die Polizei sollte aus solchen Statistiken lernen«, so Verina Speckin, Rechtsanwältin und Mitglied des RAV und Legal Teams in Elmau, »sonst ist es wieder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der, wie in seiner Heiligendamm-Entscheidung von 2011, im Nachhinein Menschenrechtsverstöße der Polizei feststellt«. Der Gerichtshof hatte vier Jahre nach Heiligendamm geurteilt, dass G8-Freiheitsentziehungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen – und Berlin zu Geldstrafen verurteilt.(2)

Die Stimmungsmache etwa des DPolG-Vorsitzenden Rainer Wendt spricht gegen jeden Lernprozess: Man werde gegen gewaltbereite Personen »konsequent und mit niedriger Einschreitschwelle vorgehen«, lässt der sich zitieren. »Mein Eindruck ist, ein Ereignis wie der G7-Gipfel wird gern genutzt, um Bürgerrechte einzuschränken«, so Speckin. »Dabei muss sich der Rechtsstaat gerade in diesen besonderen Situationen als Rechtsstaat bewähren«.

(1) Vgl. Prozessbeobachtungsgruppe Rostock sowie die Zahlen in Neue Justiz, 12/07: 529ff.

(2) 2007 mussten zwei junge Männern sechs Tage im Gefängnis verbringen, weil die Polizei zwei Transparente (›Freedom for all Prisoners‹/Freiheit für alle Gefangenen und ›Free all now‹/Befreit alle jetzt) als Aufforderung zur Gefangenenbefreiung bewertete, vgl. EGMR, 01.12.2011 (8080/08, 8577/08).

Eines muß man den Veranstaltern dieses G7-Gipfels allerdings lassen: Die Gegend um den Veranstaltungsort zwischen Wetterstein- und Karwendelgebirge, den die location scouts ausgegraben haben, ist ein wunderschönes Fleckchen Erde. Ich hoffe, die Herrschaften lassen sich ein wenig von der Landschaft inspirieren.

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Ernstgemeinter Humor beim Landgericht

In einer recht angestaubten Strafsache, die nach ewig langen Ermittlungen und Anklageerhebung endlich beim Landgericht Frankfurt am Main angekommen war, hatte ich Akteneinsicht beantragt. Und zwar Einsicht in *alle* Akten, die dem Gericht von der Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift übermittelt wurden.

Denn mit der Übersendung der Anklageschrift wird der Vereidigung Gelegenheit gegeben, zu dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffung der Spiele des Hauptverfahrens Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Anträge zu stellen. Damit ich prüfen kann, ob eine Verteidigung im diesem so genannten Zwischenverfahren sinnvoll ist, muß ich erst einmal in die Akten schauen. Deswegen mein Akteneinsichtsgesuch.

Darauf reagierte der Vorsitzende Richter in einer – sagen wir mal – etwas ungewöhnlichen Art:

… wird in Beantwortung Ihres Schriftsatzes vom 12.05.2015 mitgeteilt, dass eine Übersendung der Akten nicht möglich ist. So sind die Akten hier zur Vorbereitung der Eröffnungsentscheidung und zur Durchführung der Zustellung an Ihren Mandanten nicht entbehrlich. Es wird Ihnen jedoch hiermit ausdrücklich gestattet, auf der Geschäftsstelle in alle Haupt- und Beiakten Einsicht nehmen zu können.

Abgesehen von der Entfernung zwischen meinem Schreibtisch und der Geschäftsstelle des Landgerichts Frankfurt am Main gibt es da ein weiteres Problem. Das ist nämlich der Umfang der Ermittlungsakten (500 Bände – fünfhundert. Bände – nicht Blätter).

Ich habe daher den Richter gefragt:

LGFFM - ernsterZeitpunkt

Eigentlich eine eher rhetorische gemeinte Frage, aber der Vorsitzende – das sei lobend hervorgehoben – nimmt jedes Wort eines Verteidigers ernst. Und antwortet entsprechend:

LGFFM-Ernstgemeint

Der Mann hat Humor. Ich freue mich auf die gute Unterhaltung in den nächsten Monaten …

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