Bundesrichter, Staatsanwälte und Rocker-Kutten

Jetzt ist es raus: Das Tragen von Rocker-Kutten, auf denen gleichzeitig Kennzeichen des Motorrad-Clubs und die Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen Chapters angebracht sind, ist nicht strafbar.

Das hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15 – entschieden.

Die Mitteilung der Pressestelle des BGH vom 09.07.2015 dazu:

Das Landgericht Bochum hat die Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, durch das Tragen von Lederwesten mit den Abzeichen der weltweit agierenden Rockergruppierung „Bandidos“ Kennzeichen eines verbotenen Vereins öffentlich verwendet zu haben. Die dagegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom heutigen Tage verworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts sind die Angeklagten Mitglieder örtlicher „Chapter“ in Unna und Bochum des weltweit auftretenden Motorrad-Clubs „Bandidos“. Zwei andere Ortsgruppen in Deutschland, die „Chapter“ Aachen und Neumünster, sind durch Verfügungen der zuständigen Innenministerien verboten, wobei das Verbot des „Chapters“ Aachen noch nicht rechtskräftig ist. Das Auftreten der „Bandidos“ wird wesentlich auch durch das gemeinsame Tragen von Lederwesten, sog. Kutten, bestimmt, deren Gestaltung sich weltweit im Wesentlichen einheitlich darstellt: Unterhalb des Schriftzugs „Bandidos“ (sog. Top-Rocker) befindet sich als Mittelemblem die Figur eines mit einem Sombrero und einem Poncho bekleideten, mit einer Machete und einem Revolver bewaffneten Mexikaners (sog. Fat Mexican). Darunter steht ein weiterer Schriftzug (sog. Bottom-Rocker), der in Deutschland entweder auf die nationale Hauptgruppe „Germany“ verweist, oder die Bezeichnung der jeweiligen Ortsgruppe enthält.

Die Angeklagten begaben sich am 1. August 2014 in Begleitung ihrer Verteidiger zum Polizeipräsidium Bochum. Sie trugen jeder eine Weste, auf der sich als Mittelabzeichen der „Fat Mexican“ und darüber der beschriebene Aufnäher mit dem Schriftzug „Bandidos“ befanden. Jeweils als untere Abgrenzung waren Aufnäher mit den Ortsbezeichnungen ihrer „Chapter“ Unna und Bochum angebracht.

Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, dass sich die Angeklagten hierdurch nicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5; § 9 Abs. 1 VereinsG strafbar gemacht hätten. Es sei nicht auf eine verbotene Ortsgruppe hingewiesen worden. Das mit den unterschiedlichen „Bottom-Rockern“ zusammengesetzte Kennzeichen sei mit dem der verbotenen Vereine in Aachen und Neumünster auch nicht zum Verwechseln ähnlich. Schließlich könne auch nicht festgestellt werden, dass die Ortsgruppen der Angeklagten die Ziele der beiden verbotenen „Chapter“ geteilt hätten.

Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch im Ergebnis bestätigt. Die Angeklagten hatten auf ihren Kutten mit dem stilistisch einheitlich gestalteten „Bandidos“-Schriftzug und dem „Fat Mexican“ zwar Kennzeichen auch des verbotenen „Chapters“ Neumünster angebracht. Darin allein liegt indes, wie der Bundesgerichtshof bereits in ähnlicher Konstellation zu § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) entschieden hat, dann kein tatbestandsmäßiges Verwenden der Kennzeichen, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Schutzzweck der Norm im konkreten Fall nicht berührt wird. So verhält es sich hier: Aus dem jeweiligen Ortszusatz ergibt sich eindeutig, dass die Angeklagten den „Bandidos“-Schriftzug und den „Fat Mexican“ nicht als Kennzeichen des verbotenen „Chapters“, sondern als solche ihrer jeweiligen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsgruppen trugen und damit gerade nicht gegen den Schutzzweck des – auf die jeweiligen Ortsgruppen beschränkten – Vereinsverbots verstießen.

Eine Strafbarkeit wegen Tragens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von einem – nicht verbotenen – Schwesterverein verwendet wird (§ 9 Abs. 3 VereinsG), hat der Senat aus Rechtsgründen ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber diese Regelung nicht in die Strafvorschrift des Vereinsgesetzes einbezogen hat.

Im Jahr 2003 hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 9 Abs. 3 in das Vereinsgesetz eingeführt, um „klarzustellen“, dass die Hinzufügung eines Ortszusatzes zur Abgrenzung von dem verbotenen Verein nicht ausreichen solle, wenn der Schwesterverein dessen Zielrichtung teile. Diese Regelung betrifft jedoch unmittelbar nur das polizeirechtliche Kennzeichenverbot des § 9 VereinsG. Die hier anzuwendende Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG enthält jedoch keinen ausdrücklichen Bezug auf § 9 Abs. 3 VereinsG, sondern (in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG) lediglich auf dessen Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2. Eine Verurteilung der Angeklagten ohne eine ausdrückliche Einbeziehung von § 9 Abs. 3 VereinsG in die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 VereinsG durch den Gesetzgeber verstieße aber gegen den verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB).

Dies bedeutet, dass das Tragen einer Kutte mit den von allen „Chaptern“ der „Bandidos“ benutzten Kennzeichen („Bandidos“-Schriftzug und „Fat Mexican“) zusammen mit dem Ortszusatz eines nicht verbotenen „Chapters“ unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 VereinsG nach derzeitiger Rechtslage zwar polizeirechtlich verboten sein kann, nicht aber strafbar ist.

Nun, dann kann es ja endlich wieder bunter werden auf unseren Straßen. Diese Null-Toleranz, die da seitens der Strafverfolgungsbehörden an den Tag gelegt wird, treibt schon seltsame Blüten. Ein bisschen Gelassenheit täte auch den Jungs und Mädels in den schwarzen Kutten gut.

Nebenbei: Es gibt auch Staatsanwälte (mindestens einer ist mir persönlich bekannt), die sich nach Dienstschluß eine „Rocker-Kutte“ überwerfen.

Dieser Beitrag wurde unter Motorradrecht, Rocker, Strafrecht veröffentlicht.

5 Antworten auf Bundesrichter, Staatsanwälte und Rocker-Kutten

  1. 1
    WPR_bei_WBS says:

    Richtiges Urteil! Ich bin beileibe kein Fan von Hells Anges, Bandidos und ähnlich ‚gepolten‘ Vereinen. Aber das man einem erlaubten Verein sein bereits existierenden Emblem verbietet, weil es blöderweise dem eines gerade verbotenem Verein ähnelt, dass hat in meinen Augen nicht mehr viel mit „richtig“ zu tun.

  2. 2
    Tim says:

    Wäre es aus Sicht der StA nicht sinnvoller gewesen, das Ganze gar nicht erst zur Anklage zu bringen? Dann hätte es keine Urteile gegeben, und man hätte in anderen Fällen in Zukunft das evtl. als weiteres „Druckmittel“ benutzen können.
    So ist die Katze aus dem Sack und keiner wird sich hierdurch mehr einschüchtern lassen…

  3. 3
    Anno Nüm says:

    Der Staatsanwalt: Hells Angels oder Bandidos?

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    Ich bin nicht sicher, ob die StA diese Möglichkeit (de facto) hatte. Die hier verhandelten Bochumer Rocker haben sich nach dem Erlaß des Innenministeriums ja die Kutte übergeworfen und sind schnurrstracks zum Polizeipräsidium gefahren, um sich selbst anzuzeigen. Mit einer Einstellung des Verfahrens hätte die StA ja quasi mitgeteilt, dass sie das ganze nicht für sanktionsfähig hält.

    Was ich allerdings daraus mitgenommen habe: Will man Rechtssicherheit, muß man sich (potentiell) strafbar machen. Wäre es da nicht sinvoll, ein strafrechtliches Äquivalent zur negativen Feststellungsklage einzuführen?

  5. 5
    Non Nomen says:

    Demnächst tauchen noch Kutten auf mit Städte-Chaptern die es gar nicht gibt: Hamgart, Münchfurt, Bottlingen an der Schlucke, Hangover…Wie mag Justizia da wohl reagieren???