Ein Zeitungsverlag war mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich. Es ging um die Zusendung der Kopie eines Urteils, das noch nicht rechtskräftig war bzw. ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu am 29. Oktober 2015 die Pressemitteilung Nr. 78/2015 veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext:
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Zeitungverlags gegen eine Entscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts stattgegeben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hatte es im Eilrechtsschutzverfahren abgelehnt, einen Landgerichtspräsidenten zur Zusendung einer anonymisierten Urteilskopie über ein von hohem Medieninteresse begleitetes Strafverfahren zu verpflichten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründe lassen eine Gefährdung des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens oder weiterer Strafverfahren nicht erkennen.
Der kompletten Text der Pressemitteilung ist hier veröffentlicht.
Eine abschließende Entscheidung ist damit noch nicht getroffen worden. Das Verfassungsgericht reklamierte, daß das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung „Besonderheiten“ nicht hinreichend beachtet habe. Es sei anerkannt,
dass aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen folgt. Diese Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern kann bereits vor Rechtskraft greifen. Sie bezieht sich auf die Entscheidungen als solche in ihrem amtlichen Wortlaut.
Ob der presserechtliche Auskunftsanspruch der klagenden Medienvertreter in diesem konkreten Fall die Interessen der Strafrechtspflege überwiegt, muß nun das Oberverwaltungsgericht in einem zweiten Durchgang entscheiden. Wenn allerdings
konkrete Anhaltspunkte die Gefahr einer Vereitelung, Erschwerung, Verzögerung oder Gefährdung der sachgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 ThürPrG unmittelbar und dringend nahelegen.
müssen die Journalisten auf die Rechtskraft der Entscheidung eben warten.
Gerichtsverhandlungen sind aus gutem Grund öffentlich. Diese durch die Hintertür wieder zu Geheimgerichten zu machen ist eines Rechtsstaates nicht würdig.
Das Argument der möglichen Vereitelung der Durchführung des Strafverfahrens ist ausgemachter Dummfug. Ein Besucher der Verhandlung kann ja auch nicht zum Schweigen gezwungen werden – auch das aus gutem Grund.
@miraculix:
Mit Öffentlichkeit ist die Saal-, nicht die Weltöffentlichkeit gemeint. Wer so brennend an dem Ausgang eines Verfahrens interessiert ist, muss sich halt hinten rein setzen.
Das Wort Dummfug existiert übrigens im deutschen Sprachgebrauch nicht.
Wer Öffentlichkeit einschränkt hat offensichtlich etwas zu verbergen.
Da ich das Wort benutzt habe existiert es spätestens seit diesem Zeitpunkt.
Das Wort existiert schon lange, aber seit dem 29. Oktober gibt es auch eine weibliche Form… Nur daß der Poster #2 da ein Deppenleerzeichen einfügen musste.
„Mit Öffentlichkeit ist die Saal-, nicht die Weltöffentlichkeit gemeint.“ Mit dieser Argumentation ist jedes Femegericht, jede Geheimkonferenz öffentlich. Ein paar Leute sind ja immer im Saal, zum Beispiel Richter und Angeklagter. Öffentlich ist öffentlich, da gibt es keine Nuancen.
Au klasse, dann werden Berufungs- und Revisionsverfahren in Strafsachen demnächst noch schöner durch durch die genüßlich aus den Urteilsgründen zitierende Boulevardpresse begleitet.
Saalöffentlichkeit heißt, dass jeder Zutritt zu dem Saal hat, aber keine Live-Übertragung des Ereignisses erfolgt. Die Veröffentlichung rechtskräftiger Entscheidungen ist übrigens Standard.
Von daher verstehe ich nicht, wo hier das Problem von miraculix, Roland B. und Konsorten liegt.
@ Roland B.:
Und doch ist dies die Linie der ständigen Rechtsprechung des BGH und BVerfG. Im Übrigen muss man nicht davon ausgehen, dass das BVerfG hier die Revolution losgetreten hat (so aber die FAZ vom 30.10.2015). Ein Anspruch auf die Überlassung von Abschriften rechtskräftiger Urteile bestand auch bisher schon. Neu ist die Rechtsprechung im Hinblick auf nicht rechtskräftige Entscheidungen.