Die Richterin am Amtsgericht Sinzig hatte wohl Spaß, mal an einer richtig großen Strafsache zu sitzen. Vielleicht hat sie sich aber auch nur treiben lassen von einem Staatsanwalt mit vergleichbaren Ambitionen. Jedenfalls hat sie die Anklage zugelassen. Dem Angeklagten wurde ein (in Worten: 1) Fall des versuchten Betruges vorgeworfen.
Der diesem Vorwurf zugrunde liegende Sachverhalt war mir bestens bekannt.
Unter anderem aus zwei anderen Verfahren.
- In der einen Sache gibt es eine Anklage zum erweiterten Schöffengericht hier in Berlin. Angeklagt sind dort etwa 184 Fälle. Formuliert auf 17 Seiten.
- Bei der anderen Sache, die vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln verhandelt werden soll, waren es round about 355 Fälle. Die Anklageschrift umfaßt 28 Seiten.
Berlin und Köln sind aber noch nicht soweit, daß dort verhandelt werden kann.
Zunächst noch einmal der Hinweis:
Sowohl in Sinzig, als auch in Berlin wie ebenfalls in Köln geht es grundlegend um den selben (nicht: den gleichen!) Sachverhalt. Der Unterschied besteht ausschließlich in den verschiedenen (vermeintlich) Geschädigten.
Was macht der kluge Staatsanwalt in so einem Fall also?
- Richtig! Er stellt den einen Fall nach § 154 I StPO ein.
Was macht der Staatsanwalt in Sinzig?
- Richtig! Er beantragt und bekommt den Erlaß eines Strafbefehls
Meine Versuche (PLUUURAL!), dann wenigstens die Richterin davon zu überzeugen, daß es nicht sinnvoll ist, den Fall zu verhandeln, waren nicht erfolgreich. Sie wollte ebenfalls unbedingt da durch. Um vielleicht – gemeinsam mit dem Staatsanwalt – Rechtsgeschichte zu schreiben?
Ich habe für den Mandanten Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, weil eine Verurteilung in Sinzig – wenn auch „nur“ im Strafbefehlsverfahren – quasi eine präjudizierende Wirkung auf die Verfahren in Köln und Berlin hätten.
Dem duo infernale schreckte es nicht, daß sich mit diesem Fall bereits
- eine Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht,
- ein Senat beim Oberlandesgericht und dann auch noch
- der Fischersenat beim Bundesgerichtshof
beschäftigt haben.
Also habe ich mich auf die Hauptverhandlung bei der Strafrichterin genauso vorbereitet, wie ein Strafverteidiger das macht, der eine streitige Verhandlung einer Anklage, die eine hochspezialisierte Staatsanwaltschaft geschrieben hat, vor einer mit qualifizierten und erfahrenen Richtern einer Wirtschaftsstrafkammer auf seinen Mandanten zukommen sieht.
Und das habe ich auch dem Amtsgericht mitgeteilt (böse Zungen sprechen: „angedroht“).
Um es für den Laien mal ein wenig greifbarer zu machen, worin die Unterschiede bestehen:
Für den Termin beim Strafrichter sieht das Rechtsanwaltsvergütungsgersetz 165,00 Euro vor. Bei der Strafkammer sind es 530 Euro.
Es ging also los.
Mit einer Orgie der Terminierung der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Sinzig.
1. Termin
Kein Schreibfehler: das war wirklich 2014! Da der Termin aber nicht mit mir abgestimmt und ich an dem 29.04.2014 verhindert war, habe ich sofort Terminsverlegung beantragt. Das Gericht reagierte auch recht flott und machte einen neuen Termin, ein paar Tage früher:
2. Termin
Weil ich an dem Tag aber anderweitig als Strafverteidiger unterwegs war (und die Richterin mal wieder nicht nachgefragt hatte), passierte dieses:
Aufhebung
Dann kam überraschend das:
3. Termin
Das wurde mir nun alles ein wenig viel. Wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage habe ich dann am 23.06.2014 einen Antrag auf meine Bestellung zum Pflichtverteidiger (§ 140 II StPO) gestellt. Erwartungsgemäß lehnte die Richterin diesen Antrag am 27.06.2014 ab – war ja alles ganz einfach.
Ich habe da eine andere Ansicht vertreten und mich in einer Beschwerde gegen die Ablehnung
- auf das AG Berlin,
- auf das LG Köln,
- auf das OLG Köln und
- auf den BGH bezogen,
mit denen ich die Probleme des Falls bereits ausgiebig erörtet hatte. Und ich habe am 29.06.2014 beantragt, den Temin am 1.7.2014 aufzuheben, damit das LG Koblenz über die Frage – schwierig oder nicht schwierig – beraten und entscheiden konnte, bevor es in Sinzig losgeht.
Die Richterin machte es richtig – der Termin mußte aufgehoben werden:
Aufhebung
Das Landgericht Koblenz entschied dann am 17.07.2014 in einem vierseitigen Beschluß:
OK, erstes Ziel erreicht. Aber da war ja noch was. Ach ja, die Terminierung der Hauptverhandlung.
4. Termin
Wenn man mich vorher mal gefragt hätte, wäre das Folgende nicht nötig gewesen:
5. Termin
Aber wenn’s einmal läuft, dann läuft’s. Nicht wahr? Na, wenigstens war ich es diesmal nicht, der keine Zeit hatte für dieses Umfangsverfahren.
6. Termin
Ok, der 25.08.2015 liegt in den Berliner Sommerferien. Und ich wollte an diesem Tag auf dem Sattel meines Fahrrads sitzen und von Sur-En zur Uina-Schlucht hochkurbeln. Man hätte mich ja mal fragen können. Also:
Ohne Murren und Knurren wird also einmal mehr umterminiert:
7. Termin
Nachdem nun mehrfach der Strafverteidiger verhindert war und einmal ein Zeuge nicht erscheinen konnte, war ja langsam mal ein anderer an der Reihe. Diesmal wohl das Gericht:
8. Termin
Netter Versuch. Allerdings, ohne den Termin mit mir abzustimmen.
Ehrlich, ich schwöre! Ich war wieder verhindert, nicht privat, sondern hatte als Strafverteidiger in Berlin einen Kokslieferanten zu verteidigen, was ich mit dem Vorsitzenden Monate vorher verabredet hatte. Es war nicht zu ändern! Warum greift man in Sinzig nicht einfach mal zum Telefon?! Aber jetzt:
9. Termin
Der 08.12.2015 war endlich abgestimmt. Er steht seit Anfang September in meinem Terminkalender. In knackigem Rot. Mit einer Erinnerung am 03.12.2015, damit ich auch nicht vergesse, mir rechtzeitig einen Stuhl bei der Lufthansa zu reservieren. Den Donnerstag Nachmittag hatte ich mir freigehalten, um für die Hauptverhandlung die Erklärungen und Beweisanträge vorzubereiten. Am Freitag trundelte dann mit der Sackpost das folgende Schreiben ein:
Aufhebung
Den Flug habe ich storniert – es bleiben Stornokosten von rund 200 Euro. Das Mietauto konnte ich kostenlos abbestellen.
Man glaubt’s wirklich nicht!
Zusammen mit den Terminsverlegungsanträgen habe ich immer mal wieder versucht, das Gericht und die Staatsanwaltschaft zur Einstellung dieses Verfahrens zu bewegen. Nix zu machen! Die Herrschaften bleiben stur. Das kann ich – gebürtiger Siegerländer – besser!
Aber vielleicht gibt der klügere Richter, der jetzt wohl das Dezernat „Versuchter Betrug in minderschweren Fällen“ übernommen hat, ja jetzt endlich nach. Denn sonst wird die Reihe fortgesetzt.
tl;dr
Und jetzt stelle ich die verbotene Frage dann doch noch:
Habt Ihr da unten in Sinzig eigentlich nichts Besseres zu tun?
Hallo Herr RA Hoenig,
in der Entscheidung des LG Koblenz ist das Aktenzeichen nicht unkenntlich gemacht. ;-)
Sie glauben doch nicht wirklich, dass die Sinziger Sie nach all der verschwendeten Mühe „ohne“ laufen lassen werden?
Ich freue mich jedenfalls auf die Fortsetzung. ***GGG***
Schade, da hätte ich ja glatt mal nach Sinzig kommen können, um Sie zu sehen. Ist nicht weit von Meckenheim.
Unfassbar. Oder – was noch schlimmer ist – völlig normal.
Gegen mich lief mal ein vergleichsweise harmloses Strafverfahren wegen einer Steuersache. Harmlos weil vollkommen unsubstantiiert, aber selbst wenn was dran gewesen wäre, wäre es keine allzu große Sache gewesen.
Dennoch, für einen (damals und heute immer noch!) unbescholtenen schwebte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ein Jahr lang über mir (faktisch schwebt sie immer noch, da ich die Einstellung bisher nur mündlich mitgeteilt bekam).
Die Verteidigungskosten und nervliche Belastung erstattet einem niemand. Und die beteiligten Schreibtischtäter finden das ganz normal – ist es ja auch. Für sie.
Zum Glück haben sie die Sache wenigstens soweit im Rahmen gehalten, dass sie den Vordereingang benutzt haben und keine Hausdurchsuchung veranstaltet haben. (Bei letzterer hätten sie wieder nichts gefunden, aber auch hier sind die Nebenwirkungen für einen Normalmenschen mit Normalnervenstärke erheblich).
@2 Non Omen: Sie wissen schon, dass „GGG“ in der Porno-Szene bekannt ist?
@Hoenig: Warum soll man einen Straftäter laufen lassen (Verfahren einstellen), wenn an der Sache was dran ist? Freibrief für Kriminelle? Den Strafbefehl wollten Sie ja nicht akzeptieren. Damit wäre die Sache doch beerdigt gewesen. Soll nun dieser Mandant extra für die Anderen leiden?
@Der wahre T000
ggg
sehr breites Grinsen
Quelle: http://www.hschoepke.de/internet/slang/g_1.htm
„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“
Da geht nun so einiges durcheinander:
1. Wenn’s tatsächlich derSELBE Sachverhalt wäre, würden Sie als Strafverteidiger vermutlich nicht so ein Gewese machen – dann könnten Sie nämlich den Strafbefehl akzeptieren oder in der Rechtsfolge noch ein bisschen runterhandeln und gegenüber den größeren Verfahren ganz entspannt auf den Strafklageverbrauch verweisen.
2. Sie scheinen die Funktion der Richterin nicht so recht verstanden zu haben. Mit welchem Argument hätte die die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen sollen? Ganz sicher nicht unter Berufung auf § 154. Und für eine Verweisung ans Schöffen- oder gar Landgericht sind die Hürden recht hoch.
@ Waschi:
Es wird der *selbe* Sachverhalt sein, aber ein Einzelfall des ganzen Sachverhalts. X Fälle werden in Berlin angeklagt, einer in Sinzig.
@WPR_bei_WBS: Das vermute ich auch, nur ist es dann eben nicht derselbe Sachverhalt, sondern nur ein gleichgelagerter: Die verschiedenen Fälle gehören zu derselben Serie.
[…] dem Dezernatswechsel beim Amtsgericht Sinzig geht es nun weiter. Neun Termine und neun korrespondierende Aufhebungen der […]
Und das alles auf Kosten des Steuerzahlers….. Oder anders: Man hat auch in Sinzig kapiert – da kommt die TSG Hoffenheim her – dass Richter nicht immer Gelder verschwenden sollen.
@ Klaus J. Stanek
Hoffenheim liegt bei Sinsheim (an der A6 zwischen Heidelberg und Heilbronn), Sinzig liegt bei Koblenz in Rheinland-Pfalz