Auf eine ganz tolle Idee ist die Abteilung für Verkehrsordnungswidrigkeiten einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen gekommen. Nachdem auf der Vorderseite des Zeugenfragebogens ganz massiv mit empfindlichen Übeln gedroht wurde …
… versuchen es die ordnungsbehördlichen Bußgeldjäger nun auf der Rückseite mit dieser leicht durchschaubaren Trickserei:
Ich frage mich, welche Medikamente der Entwickler dieses Fragebogens vergessen hat einzunehmen. Soll der befragte Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht damit begründen, daß er mit der/dem Betroffenen verheiratet ist??
Es ist nicht zulässig und unter Umständen sogar strafbar, dieser Ordnungsbehörde einen gestreckten Mittelfinger zurück zu schicken. Nur deswegen rate ich davon ab.
Wer von seinem Recht (sic!) Gebrauch machen möchte, die Fragen der Ermittler nach dem Täter nicht zu beantworten, dem biete(t) (s)ich maximal folgende Formulierung an:
Ich mache von meinen Rechten aus §§ 52 ff StPO Gebrauch.
Wenn dann noch Fragen offen sind, mag der Ermittler sein Verlangen kundtun, § 56 StPO.
Vorsorglich:
Niemand muß eine ernsthafte Sanktion befürchten, wenn er diese frechen Fragebögen mit zwei Löchern versieht und abheftet, ohne sie zu beantworten.
Und das hier ist die abschließende Unverschämtheit dieser Behörde, unterhalb dieses Selbst- und Ehegattenbelastungsbogens:
Soweit zu Thema:
Wie verhindert eine Behörde möglichst, daß der Bürger von den Rechten Gebrauch macht, die ihm ein Rechtsstaat bereits in der Verfassung zur Verfügung stellt. Merkwürdiges Verhalten, ganz merkwürdig.
Weitere Hinweise
Zur Fahrtenbuchauflage empfehle ich meinen Erfahrungsbericht aus 2009 und gestatte mir den Hinweis, daß der Verstoß gegen die Fahrtenbuchauflage keine Eintragung von Punkten in das Fahrerlaubnisregister (FAER) nach sich zieht.
Was ist an dem Verhalten merkwürdig?
Das ist in jedem Polizeistaat so!
Laut diesem Bogen gilt das Zeugnisverweigerungsrecht auch nur für jemand, der mit dem Betroffenen verheiratet ist UND mit ihm in Lebenspartnerschaft lebend ist UND geschieden ist und verwandt ist UND verschwägert ist, UND verlobt ist UND ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen.
Das ist schon relativ schwierig gleichzeitig.
Wenn ich den Zusammenhang richtig deute, dann ist den Bußgeldjägern der Fahrer nicht bekannt. Einen Beschuldigten gibt es demnach noch gar nicht. Ist insofern nicht schon den Verweis auf §52 StPO nicht bereits Riskant? Damit lenkt man den Verdacht doch auf Angehörige. Im Einzfall kommt vielleicht sogar nur einer in Frage.
@Philip: die Aussage im Text ist korrekt, das „nicht“ bezieht sich auf alle Bereiche der Aufzählung.
@Miraculix:
Gut, dass ich vor einigen Jahren nach Nordkorea ausgewandert bin. So muss ich mit dem Polizeistaat deutscher Couleur nicht mehr herumschlagen.
Ich kann mich da nur Miraculix anschließen. Seit dem NSA-Ausschuß muß man sich hinsichtlich der Rechtstaatlichkeit unserer Demokratie doch nun wirklich keinen Illusionen mehr hingeben.
@Obelix
Wie kommen Leute eigentlich immer darauf, dass „woanders ists noch schlimmer“ irgendein Argument wäre?
Ich verstehe die Aufregung nicht, es ist doch niemand gezwungen Angaben zu machen bzw. kann das Kreuzchen entsprechend setzen und den Bogen zurückschicken. Die Information dass richterliche Anordnungen möglich sind und ggf. ein Fahrtenbuch geführt werden muss sind doch standardmäßig, oder nicht? Ich sage nicht dass ich das gut heiße, aber mir ist nicht klar worüber konkret Sie sich aufregen.
Mir ist auch nicht klar warum ein Rechtsanwalt empfehlen würde einen Mittelfinger zurückzusenden wenn dies erlaubt wäre. Das ist doch hochgradig unseriös, solch einen Anwalt würde ich mit Sicherheit niemals beauftragen. Etwas mehr Sachlichkeit wäre doch sicher angebracht.
Beschränken Sie sich doch einfach in sachlicher Weise auf die Thematik wie es sich für Ihren Berufsstand gehört. Ich kann auf den ersten Blick bis auf den Formulierungsfehler „und …. und … und“ nichts Bedenkenswertes erkennen, lasse es mir aber gerne erläutern.
@Dopingmix:
Es ist ein Argument. Unser Staat ist nicht perfekt, allerdings immer noch der beste, den es gibt.
Sie können mir aber gern einen besseren nennen.
Man fragt sich ja manchmal, welcher Dämon den Blogautor eigentlich reitet. Mehr als dass IRGENDEIN zur Zeugnisverweigerung berechtigendes Verwandtschaftsverhältnis i.w.S. besteht, soll doch auch nach dem Fragebogen gar nicht erklärt werden.
@Cicero:
Die Formulierungen suggerieren mir empfindliches Übel für den Fall, dass ich keine Angaben mache.
Durch die Formulierungen wird versucht, mich so zu beeinflussen, dass ich meine Rechte nicht wahrnehme.
Dieses Vorgehen staatlicher Stellen verdient mehr als nur einen Mittelfinger.
@Obelix:
Die Tatsache im besten Staate zu leben (was an sich schon durchaus zu diskutieren wäre, weil Definition, Erfassung und Bewertung der Kriterien nahezu beliebig sind) bedeutet nicht, dass der „beste Staat“ ein guter Staat ist (er könnte unter den schlechten Staaten der beste sein).
Alebst wenn man voraussetzte, Deutschland wäre der beste Staat und ein guter dazu: darf man Deutschland dann so lange nicht kritisieren, bis Nord Korea „noch besser“ würde ? Oder wäre es dann nicht eigentlich erstrebenswert so nahe wie möglich an „den perfekten Staat“ zu kommen ?
Und jemand nun schreit, dass es den „perfekten Staat“ nicht geben kann, siehe erster Satz.
Wenn Sie das „Nord Korea Argument“ konsequent durchdenken, was spricht dann eigentlich dagegen russische Verhältnisse einzuführen ? Die sind vermutlich doch immer noch besser als die nordkoreanischen.
Schöne Grüße, Hend.
@Polizeistaatsdebatte:
Es mag ja sein, dass in Deutschland einige Auswuechse sind, was das Verhalten der Polizei angeht, im Grossen und ganzen denke ich aber macht unsere Polizei einfach nur ihren Job. Dazu gehoeren auch Dinge, die nicht allen gefallen. Richterliche Kontrolle und/oder oeffentliche Kontrolle wirken dem entgegen – siehe auch dieser Blog hier.
Und genauso wie es mir z.B. nicht gefaellt, dass die Einkaufsabteilung beim Kunden meine schoen ausgerechneten Preise nochmal runterverhandeln will und mir erstmal ein Ziel von vielleicht 70% oder 80% meines Angebots nennt, geht die Polizei eben auch mit Maximalforderungen vor – und dem Schrei nach mehr Ueberwachung und Befugnisse.
Zu schreien, dass Deutschland ein Polizeistaat ist tut den Leuten unrecht, die wirklich in einem Polizeistaaten leben und dort den Sicherheitsorganen ausgeliefert sind. Ich glaub das ist nochmal eine ganz andere Kategorie.
Nichtsdestotrotz: lasst uns wachsam sein und auf Auswuechse in Deutschland aufmerksam machen.
@Michael Bergbauer: Es ist schon ein kleiner Unterschied, ob Sie mit der „Einkaufsabteilung Ihres Kunden“ oder mit der Staatsgewalt konfrontiert sind.
Von Letzterer erwarte ich, dass sie mich wenigstens rudimentär über meine Rechte aufklärt und NICHT Schreiben mit Drohung staatl. Gewalt so formuliert, dass der Durchschnittsbürger geneigt ist, von seinen Rechten erst gar keinen Gebrauch zu machen. Das ist ja beleibe kein Einzelfall, wie man in div. juristischen Blogs zur Genüge nachlesen kann…
@Andreas: „rudimentär aufgeklärt“ wird doch: auf das Zeugnisverweigerungsrecht gem §52 StPO wird hingewiesen. Ebenso darauf, welche (rechtliche) Konsequenzen drohen *können*.
Dass die Möglichkeit „ich habe keine Ahnung wer gefahren ist, die Schlüssel lagen in der WG offen rum“ bzw. „möglicherweise ist jemand aus der Familie gefahren. Keine Ahnung, wer…“ zu antworten gegeben ist besteht fehlt allerdings zugegebenermaßen. Das könnte dann allerdings je nach genauer Ausgestaltung Versicherung des Autos („nur Besitzer und Ehegatte/-frau“) dann wiederum diese interessieren :-)
Und *natürlich* wird eine Stelle, die der Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit (bzw. Straftat) verpflichtet ist anders argumentieren als ein Anwalt, der für seinen Mandanten ein „Nullergebnis“ erreichen will.
Solange allerdings nur mit „real meist nicht durchgeführten aber möglichen“ Konequenzen „gedroht“ wird verstehe ich die Aufregung mancher Zeitgenossen nicht ganz. Bei (bewusst) fehlerhaften Belehrungen (wie „auch wenn sie bestreiten wird der Schufa gemeldet“) wie es manche Stelle in der Privatwirtschaft tut verstehe ich dies dagegen. Genau dieses „wir drohen was an was wir gar nicht *dürfen*“ fehlt hier allerdings meines Erachtens.
@Polizeistaatsdebatte:
Natürlich passt es im Großen und Ganzen in diesem Lande noch, getreu dem Motto „Jammern auf hohem Niveau“. Dennoch sind Anzeichen für eine postdemokratische und totalitaristischere Phase und zum „Präventionsstaat“ hin eindeutig erkennbar. Pauschal und ohne den Thread OT werden zu lassen, Gedanken:
– zunehmende Überwachung und Eingriffe in Persönlichkeitsrechte.
– zunehmende Aufweichung der Gewaltenteilung.
– Einschränkung der Meinungsfreiheit.
– Lauschangriff und Vorratsdatenspeicherung.
– Medien versagen zunehmend als 4te Gewalt.
– Datenschutz fast nicht mehr vorhanden.
– Abschaffung des Bankgeheimnisses, Bargeldverbote?
– Überwachung der Medien und Zensur.
– Beweislastumkehr.
– Biometrischer Ausweis/ genetischer Fingerabdruck.
– Bundeswehreinsätze im Inneren?
– Bundestrojaner
– Anscheinspornografie
– NSA, Snowden, etc…
– usw….
Schaut euch die Poltitk an, wie z.B. (handwerklich und mit welcher Intention) werden Gesetze gestrickt, auch im Vergleich zu früher. Welchen Wert hat die Verfassung noch. Wie ist der Zustand von Judikative und Executive? Nimmt die Macht der Lobbyisten nicht tatsächlich zu? Und bei der Gelegenheit (tschuldigung, OT): Warum zahl ich für TV-Entertainement Zwangsgebühren. Ist das wirklich Aufgabe und Recht des Staates? Warum zahl ich zwangsweise IHK Gilden-Beiträge und präventive Urheberrechtsabgaben für etliche Geräte und Medien, die niemals für Vervielfältigung dieser Art genutzt werden? Reifendrucksensoren werden mir aufgezwungen, morgen das Impfen? Versteh mich keiner falsch. Der Staat hat seine ursprünglichen Rechte und Aufgaben längst überschritten und ich werde den Eindruck nicht los, daß in diesem Maße die Justiz und Polizei mitwandert. Überwachung, Kriminalisierung, präventiv abkassieren, Einmischung und Gedankenverbrechen sind die Begriffe, die mir immer öfter in den Sinn kommen. Verzeiht mir die Gedanken eines Laien, aber selbst als Optimist kann man den Zustand der Republik noch als demokratisch oder „zum Wohl des Volkes“ bezeichnen. Schon mal mit dem Finanzamt zu tun gehabt? Andere Behörden? Von fair oder auf Augenhöhe keine Spur mehr… LG