Einen Bericht über ein Ermittlungsverfahren so zu verfassen, daß er zumindest handwerklich in Ordnung ist, muß geübt sein. Ich möchte hier mal an einem Beispiel erläutern, wie sowas (nicht) geht.
Es geht um eine Straftat, „die sich von 25 Jahren in Neukölln ereignet hat„. An dieser Stelle geht es schon los:
Hat sich die Straftat ereignet? Oder ist es besser, bis ein Richter (rechtskräftig) darüber entschieden hat, zu schreiben: „… die sich ereignet haben soll.“ Nicht jede Leiche, die ein Polizeibeamter findet, ist ein Taterfolg im Sinne des 16. Abschnitts des StGB.
Der nächste Punkt, über den sich nachzudenken lohnt:
Polizei klärt Raubmord in Neukölln nach 25 Jahren auf.
Ok, für den Fall, daß man es auf die Spitze treiben möchte: Einen „Raubmord“ gibt es in unserem Strafrecht nicht. § 211 StGB spricht in diesem Zusammenhang von Habgier. Aber Journalisten sprechen eben manchmal anders. Geschenkt.
Noch eine Frage: Klärt die Polizei eine Straftat auf? Oder stellt erst das Gericht die Tatbegehung fest? Nur eine Spitzfindigkeit, über die sich ein Berichterstatter Gedanken machen sollte. Sowas kann man ohne Mühe auch korrekt formulieren.
Aber jetzt zum Eingemachten. Ich zitiere dazu erst einmal aus dem Pressekodex, Ziffer 13:
Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.
Und jetzt lese ich in der Zeitung:
Eine alte Frau wird in ihrer Wohnung überfallen, ausgeraubt und ermordet. Die Kripo verdächtigt einen Mann, kann ihm aber nichts nachweisen. Ein Vierteljahrhundert lang wiegt sich der mutmaßliche Täter in Sicherheit – dann verrät ihn die Auswertung alter DNA-Spuren. Am Freitag wurde der heute 44-Jährige in Zehlendorf verhaftet.
Heißt das jetzt: Die Kripo hat den Mann bereits rechtskräftig verurteilt? Nein, das will uns der Berichterstatter sicher nicht mitteilen. Aber vielleicht hatte er diese Formulierung im Kopf, bevor der Vortänzer in der Redaktion seinen Rotstift zückte:
Eine alte Frau wird in ihrer Wohnung überfallen und getötet. Der oder die Täter entwendeten ihre Wertsachen. Die Kripo verdächtigt einen Mann. Ein Tatnachweis ist aber ein Vierteljahrhundert lang nicht zu führen. Dann verdichtet sich der Verdacht durch die Auswertung alter DNA-Spuren. Am Freitag wurde der heute 44-Jährige verhaftet.
Das ist selbstredend eine Formulierung, die eher nicht publikumsgeeignet erscheint. Aber vielleicht hilft sie dabei, einmal darüber nachzudenken, was man mit gut klingenden Worten so alles falsch machen kann. Vorurteile in die Welt zu setzen, ist nicht das, was man von einer sauber arbeitenden Berichterstattung erwartet.
Ich räume ein, das ist eine Kritik an einem – gemessen an dem Jargon des Gossenjournalismus – recht neutralen Bericht. Aber gerade weil der rbb-online einen gehobenen Qualitätsanspruch hat, sollten sich die Schreiber die Mühe machen, diesem eigenen Anspruch auch am Hochreck zu genügen.
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Bild: Timo Klostermeier / pixelio.de
Haarspalterei, ein wenig zumindest.
Wenn eine alte Frau überfallen, ausgeraubt und offensichtlich nichtsuizidal getötet aufgefunden wird, ist in den Augen von Nichtstrafjuristen eine Straftat passiert und nicht könnte passiert sein Punkt. Was soll es sonst sein? Mögliche Straftat?
Die Zeitung schreibt dann „mutmaßlicher Täter“, das finde ich völlig in Ordnung. Das bringt zum Ausdruck, dass er der Täter sein könnte.
Beim Satz nach dem Bindestrich bezieht sich in meinen Augen das „ihn“ auf diesen mutmaßlichen Täter und wäre damit auch wieder in Ordnung.
Nach Ihrem Weltbild hat der Journalist gut zu recherchieren und perfekt formuliert zu berichten. Dieses Ideal findet aber nahezu nie Erfüllung.
Zeitungen verkaufen sich über Schlagzeilen, nicht über juristische Formulierungen. Es bedarf keiner Erörterung, dass diese dem Prekariat – also den meisten Zeitungskäufern – wenig zugänglich sind.
Journalisten haben verkürzt formuliert die Wahl: vereinfachen, über den Kamm scheren, Schlagzeilen titeln ODER bald pleite sein.
Was würden Sie machen?
Ich werde dem HoenIrx mal die versammelte vegane Gendermafia auf den Hals hetzen!
Von wegen
Politisch korrekt heisst das:
– Der oder die TäterInnen
oder
– Der oder die Täter oder Täterinnen
oder, wirklich korrektes Neusprech:
– Der oder die TätIrx
Hoffe geholfen zu haben…
apropos korrekte, vorurteilsfreie Formulierung: Wirklich korrekt hiesse es aber
.
Denn worauf bezieht sich „der heute 44-Jährige“? Für den gewohnten Leser ist das nicht „ein Verdächtiger“, sondern „der Täter“
„Die Tat eines Schuldunfähigen ist keine Straftat. crh“
Um das zu wissen braucht man aber wieder juristisches Spezialwissen. Für den Ungebildeten wäre eher „da ist was passiert was für das Opfer und den ‚Rest der Welt‘ nach Straftat aussah, durch Schuldunfähigkeit des Täters ist die Bestrafbarkeit aber nicht gegeben“ korrekt. Laut Juristen ändert „Schuldunfähigkeit“ nicht nur die Kategorie „Bestrafbarkeit“ (was automatisch einzusehen ist, beides betrifft ja dieselbe Person) sondern auch die Kategorie der Tat selbst (die ja üblicherweise wenigstens zwei Personen betrifft)
Btw: was ist es dann? Ein „bedauerlicher Zufall“ ja wohl auch nicht – oder?
Habe diesen Text wortgleich auch noch anderswo gelesen, es scheint eine Agenturmeldung zu sein.
Sonst würde rbb online eine Autorenzeile hinzufügen.
Soweit rbb online hier eine Agenturmeldung lediglich nachplappert, macht das die Sache in meinen Augen nicht besser.
Andererseits soll es auch unter Nichtjuristen durchaus Menschen geben, die solch reißerische Artikel von Hause aus kritisch beurteilen … und bei den anderen hilft auch die korrekteste Formulierung nicht wirklich, oder?
@ K75 S,
Sie haben Recht.
„Haarspalterei“ sagen bestimmte Menschen auch nur so lange, bis sie selbst einmal eine solche vorverurteilende Negativberichterstattung über sich lesen – am besten noch in der auflagenstärksten Boulevardzeitung mit voller Namensnennung.
Ein wenig mehr Korrektheit wäre im Journalismus durchaus angebracht. Der „Raubmord“ ist m. E. okay – den Begriff gibt es im StGB nicht, aber das StGB (zzgl. anderer Gesetz) ist nur ein abschließender Katalog der Straftaten, nicht aber der Lebenssachverhalte. Man kann auch von einer „Schlägerei“ sprechen, obwohl es das als Straftatbestand nicht gibt. Damit ist eben keine korrekte juristische Definition gewollt, sondern eine Beschreibung des Lebenssachverhaltes. Aber es gibt auch häufig Unsauberkeiten, die vermeidbar und ärgerlich sind. Dass aus dem vermeintlichen Täter gerne mal ein Schuldiger wird, aus einer Strafanzeige ein Strafverfahren, aus einer Einstellung gegen Auflage ein Freispruch – dass muss nicht sein.
Die Behauptung einer „Straftat“ in der ersten Zeile geht gar nicht, aber die Möglichkeitsform („soll“) ist auch keine Lösung, weil das zugrunde liegende Ereignis offenbar stattgefunden hat, der Leser die Möglichkeit aber auf das Ereignis und nicht seine Strafbarkeit beziehen würde.
Es sollte einem/r gelernten Journalisten/in aus dem ör-Bereich aber möglich sein, an dieser Stelle einen neutralen Begriff (z.B. „Vorgang“, „Geschehen“) zu finden und nixht das Erstschlechteste hinzuschreiben, das ihm/ihr durch den Kopf geht.
Naja, „Raubkopierer“ soll auch etwas beschreiben, ist aber trotzdem juristisch falsch und umgangssprachlich unsachlich. Wenn man einen juristischen Sachverhalt beschreibt, sollte man sich auch der juristischen Fachbegriffe bedienen oder man kann es gleich bleiben lassen meiner Meinung nach. Gerichts- oder Anklägersprecher formulieren auch korrekt und sachlich und da verlangt auch niemand eine umgangssprachliche aber unkorrekte Umformulierung, damit der Rundfunk mehr Einschaltquote bekommt.
@Jemand:
§ 231 StGB ist bekannt?
@JD:
WOW!
Dann halte ich mich wohl besser zurück, wenn ein paar [whatever] auf einen Menschen einschlagen oder -treten!
Es ist ja nicht meine Aufgabe, die Gesetze zu interpretieren, is it?
@Klartextlester:
Ich weiß schon gar nicht, was Sie mir mit Ihrem Kommentar sagen wollen. Mein Verweis auf § 231 StGB war an den Kommentator „Jemand“ bezogen, um aufzuzeigen, dass die Gesetzesterminologie sehr wohl eine „Schlägerei“ kennt.
Wenn wir hier schon dogmatisch werden, ist das falsch. Die Tat eines Schuldunfähigen oder Kindes bleibt eine rechtswidrige Tat und damit auch eine Straftat, auch wenn sie nicht bestraft wird. Dass es sich weiterhin um eine solche Straftat handelt, kann man daran erkennen, dass Mittäter, Gehilfen, Anstifter und mittelbare Täter weiterhin unbeschränkt deswegen verfolgt werden. Auch ist Notwehr gegen die Straftat eines Schuldunfähigen möglich.
In Ihrem Beispiel wäre zum Beispiel auch der Hehler fällig, der bei dem „Mord mit Raub“, den man auch Raubmord nennen darf, erbeutete Gegenstände abnimmt und weiterverkauft. Warum ist das Hehlerei? Genau, weil die Gegenstände aus einer rechtswidrigen Tat, vulgo einer Straftat stammen. Das gilt auch für praktisch alle anderen Vorschriften die Rechtsfolgen einer Straftat regeln, wie das Opferentschädigungsgesetz,zivilrechtliche Regelungen usw.
Auch für den schuldunfähigen Täter bleibt die Tat ja meistens nicht ohne Konsequenzen, jedenfalls nicht bei Kapitaldelikten. Manch einer wünschte sich, wegen seiner Straftat lieber im Knast als im Maßregelvollzug gelandet zu sein.
Ja, § 231 StGB ist bekannt. Ändert aber am Argument nichts – wenn zwei Menschen sich prügeln, darf der Journalist m. E. ruhig von einer „Schlägerei“ sprechen, auch wenn es sich rechtlich um eine „Körperverletzung“ handelt, nicht um einen Fall des § 231 StGB.