Justizmoloch, Vernunft und Erfahrung

molochUm in einer Massenjuristenhaltung arbeiten zu können, braucht man ganz besondere Eigenschaften: Dickes Fell, stoische Ruhe und weitestgehende Freiheit von emotionalen Schwankungen. Anders ist das doch in einem Justizmolloch – wie zum Beispiel Moabit – nicht auszuhalten.

 
Ein Fall aus dem prallen Leben der Strafjustiz:
Es gibt ein recht großes Verfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln. Ein paar Jahre läuft das dort schon; Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung toben sich derzeit im Zwischenverfahren aus. Das Oberlandesgericht Köln soll Ruhe in den Karton bringen, das wird aber noch etwas dauern.

Wegen anderer Taten, die sich aber in demselben Lebenssachverhalt (wie in der Kölner Sache) zugetragen haben, gibt es ein weiteres Verfahren, und zwar in Berlin. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat hier Anklage zum Schöffengericht erhoben. Der Richter, ein ganz vernünftiger und erfahrener Mann, packt sich an den Kopf: Warum müssen wegen ein und derselben Sache zwei Gerichte bemüht werden? Er will die Berliner Anklage nach Köln abgeben.

Die Kölner aber sind satt; sie wollen nicht noch einen Nachschlag und verweigern die Annahme.

Über diese Zuständigkeitsfragen muß nun ein drittes Gericht entscheiden. Aus mir nicht bekannten (mir aber gleichgültigen) Gründen ist dieses Gericht der Bundesgerichtshof (BGH), dem der Streit per Vorlagebeschluß des AG Tiergarten auf den Tisch gelegt wird.

Vorlagebeschluß

Wie es sich gehört, muß nun – audiatur et altera pars – auch die Gegenseite gehört werden. Diese wird vom Generalbundesanwalt vertreten.

GBA

… bekommt nun im September 2014 …

Aktenbände

… zur Stellungnahme übersandt.

Stoisch, wie auch Generalbundesanwälte nun mal sind und sein müssen (s.o.), werden die Akten eingehend studiert, um dann im April 2015 die gewünschte Stellunggabe an den BGH zu übermitteln. Nicht ohne den für Staatsanwälte typischen Reflexantrag, alles abzulehnen, was nicht aus dem eigenen Hause stammt:

StellungnahmeGBA

Soweit der normale Gang.

Exkurs:
Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle, daß mir – als Verteidiger – anschließend der Vorlagebeschluß des AG und die Stellungnahme des GBA (ohne die Akten!) zur meinerseitigen Stellungnahme – audiatur et advocatus (s.o.) – zu übermitteln.

BGH an RA

Die Unterstreichung stammt nicht von mir! Die Ri’nBGH kennt Verteidiger eben: Wenn ein GBA ein halbes Jahr für eine Stellungnahme braucht, schafft das ein Verteidiger locker in zwei Wochen.

Aber was ich eigentlich sagen wollte.
In der vergangenen Woche erhielt ich von dem vernünftigen und erfahrenen Mann (s.o.) einen Anruf. Der Richter wäre mir sehr verbunden, wenn ich ihm die Stellungnahme des GBA übermitteln könnte.

BGH und GBA halten es offenbar für entbehrlich, den Initiator dieses Verfahrens über dessen Fortgang zu unterrichten. Das ist ja auch nur ein kleiner Richter am Amtsgericht, was hat der denn schon zu melden. Aus einem solchen Verhalten spricht dieselbe Arroganz, die mir als Verteidiger mit dieser Zweiwochenfrist entgegen gebracht wird.

Mir als freies Organ der Rechtspflege stehen ein ganzer Strauß von Möglichkeiten zur Verfügung, auf diese Gedankenlosigkeit zu reagieren. Ich muß nicht frustiert anmerken: „So ist das nunmal bei uns!“

Mich wundert, warum vernünftige, erfahrene Männer sich das bieten lassen und nicht laut schimpfend den Moloch verlassen. Vernunft und Erfahrung sind offenbar nicht die entscheidenden Qualitätskriterien für die Ausübung des Richterberufs.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Richter veröffentlicht.

11 Antworten auf Justizmoloch, Vernunft und Erfahrung

  1. 1
    Ein Ermittlungsrichter says:

    Vernunft und Erfahrung lehren, dass auch Rechtsanwälte über den Moloch schimpfen, und auch der ganze Strauß von Möglichkeiten daran nicht wirklich etwas ändern kann. Und jedenfalls ich schimpfe lieber von innen als von außen.

    (Übrigens: Der BGH entscheidet wegen § 14 StPO.)

    • Danke für den Hinweis auf die Norm, die nicht zum Alltagsgerät eines Strafverteidigers gehört. Streit um Zuständigkeiten („Wieso denn ich schon wieder?“) sind dem öffentlichen Dienst immanent, nicht dem freien Beruf. Wobei wir wieder bei dem bereits erwähnten Strauß wären. ;-) crh
  2. 2
    WPR_bei_WBS says:

    Also, ein halbes Jahr halte ich ja auch für heftig. Aber um mal advoctus diaboli (dafür braucht man kein zweites Staatsexamen, oder :-)?) zu spielen:

    – der Verteidiger in dem Verfahren sollte das Verfahren ja kennen – dass man der GBA, die davon bei der Bitte um Stellungnahme ja zum ersten mal hört, ein bißchen mehr Zeit gewährt macht schon Sinn
    – äußert die GBA sich einfach nur nach Aktenlage (also Prozeßakten), oder fungiert sie auch als „Aggregator der zur Diskussion stehenden Staatsanwaltschaften (also hier: Berlin und Köln)? In diesem Fall muß man ja auch noch die Zeit für die Stellungnahmen dieser Staatsanwaltschaften (an die GBA) mit einbeziehen, im Falle der Kölner auch noch die zusätzlich nötige Einarbeitungszeit (weil sie anders als die Berline Kollegen zum ersten mal davon hören)

  3. 3
    Staatsanwalt says:

    15 Bände Hauptakten nebst diversen Nebenbänden beim Schöffengericht in einem hochstreitigen Verfahrenskomplex? Mit fällt da spontan § 24 Abs. 1 Nr. 3 2. Alt. GVG ein. Ich kann den Berliner Schöffenrichter gut verstehen.

    Die in Fettdruck hervorgehobenen Eigenschaften werden bei der Justiz in der Tat immer wichtiger, sind auf dem freien Juristenmarkt allerdings auch immer schwerer einzukaufen. Ich bin gespannt wann daraus mal Konsequenzen gezogen werden. Wahrscheinlich schaltet man dann erst mal Radiowerbung zur Nachwuchswerbung. Gestern hörte ich auf der Nachhausefahrt einen Spot bei der eine Teeniestimme verkündete sie ginge jetzt zum Finanzamt weil es da so interessant sei :). Immerhin kam auch noch was von einem sicheren Job.

  4. 4
    Antsgetier says:

    Der Initiator des Verfahrens – der Amtsrichter, der verständlicherweise wenig Interesse daran hat, ein LG-Parallelverfahren vor dem AG zu führen -, wird idR die Akte nach Entscheidung zurückgesandt, damit sie dann (nach beliebig intensiver Lektüre) ggf an das nunmehr zuständige Gericht (in Strafsachen über die StA, die dann gleich auch Kenntnis nehmen kann) übersandt wird. Läuft bei allen Entscheidungen höherer Gerichte so. Da man als erste Instanz eh nix zu entscheiden hat, bis die Oberen fertig sind, spart man sich damit unnötige Lesearbeit, und das Ergebnis erfährt man ja ohnehin irgendwann. Wenn man so neugierig ist, dass man es gar nicht abwarten kann, kann man ja, soweit nett,die beteiligten RAs ansprechen…;)

  5. 5
    rilg says:

    Dass Meinungsverschiedenheiten über die Zuständigkeit ausgetragen werden müssen, ist nicht „dem öffentlichen Dienst immanent“, sondern beruht auf dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des „gesetzlichen Richters“ (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Zu sagen „ist doch egal, dann mache ich das eben auch noch“ wäre damit nicht vereinbar.

    • Das Problem des Art. 101 GG habe ich in einem privaten Gespräch mit einem Bundesstrafrichter erörtert – es ging um das Engagement der Verteidigung im Zusammenhang mit einer Besetzungsrüge. Die ehrliche Antwort des Richters auf meine Frage zu den Erfolgsaussichten einer darauf gestützten Revision bestand in einem leicht nach links geneigten Kopf mit einem Blick in meine Richtung von unten nach oben (vulgo: „Das meinen Sie aber jetzt nicht wirklich ernst, oder?“). crh
  6. 6
    T.H, RiLG says:

    Wer vorlegt, verliert.

    Dieser Grundsatz kommt in 99 Prozent aller Verfahren zur Anwendung, in denen es um Zuständigkeitsfragen geht. Grund dürfte sein, dass sich der Vorlegende bei den „höheren Mächten“ IMMER dem Verdacht aussetzt, das Verfahren abdrücken zu wollen. Auf den Gedanken, dass sich das kleine Licht am Instanzgericht bei seinem Vorgehen etwas gedacht haben könnte, kommt oben niemand.

  7. 7
    Ein Ermittlungsrichter says:

    @T.H.
    Entspricht nicht meiner Erfahrung, ich habe bei Vorlagen eine „Erfolgsquote“ von 100%. Was zugegebenermaßen aber auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass ich meine Obergerichte bislang nur in zwei ganz besonders krassen Fällen, in denen meine Unzuständigkeit evident war, bemühen musste (beide Male in Zeiten, als ich noch auf einem anderen Rechtsgebiet tätig war; Kompetenzstreitigkeiten dieser Art hat man bei meiner jetzigen Tätigkeit zum Glück doch eher selten.)

  8. 8
    rilg says:

    @ crh: Dass Besetzungsrügen keinen Sinn hätten, wird durch eine Vielzahl aufhebender Revisionsurteile widerlegt.

    • Hatte ich erwähnt, daß mein Gesprächspartner dem 1. Senat angehört? ;-) crh
  9. 9
    T.H., RiLG says:

    @Ermittlungsrichter

    Bei Ihrer „Erfolgsquote“ kann ich mithalten, allerdings habe ich, was Vorlagen betrifft, auch eine noch geringere Fallzahl.. :-) In anderen Fällen habe ich nicht vorgelegt, sondern nach § 270 Abs. 1 StPO verwiesen.

    Ich kenne allerdings mehrere Kollegen, die den von mir zitierten Grundsatz bestätigen können. „Höhepunkte“ waren eine Streitwertfestsetzung auf 4.950 Euro durch eine Zivilkammer und die recht exklusive Ansicht der einzigen Jugendkammer eines Provinzlandgerichts, wonach der sexuelle Missbrauch eines 7-Jährigen (Oralverkehr) eine „typische“ (sic!) Jugendrichtersache darstelle.

  10. 10
    T.H., RiLG says:

    @crh

    Seit dem Wechsel des Vorsitzenden macht auch der 1. Senat ab und an wieder Jura. :-)

  11. 11
    schneidermeister says:

    @t.H. Der ach so schlimme Ex-Vorsitzende hat wenigstens nicht nur Jura gemacht, sondern anders als viele Bauchentscheider „(glaub ich/glaub ich nicht) auch Beweiswürdigung,
    Selbst in der Anwaltsliteratur wird er daher oft zitiert, ich schätze mal, der „Geipel“ enthält ca. 30 % Zitate aus Bender/Nack…