Der Unfall ereignete sich im August 2013. Unsere Mandantin wurde schwer verletzt, ihr Motorrad übelst verbogen. Im Juli 2014 haben wir den Sachschaden beziffern können, Ende jenes Jahres dann auch einigermaßen abschließend die Ansprüche aus dem Personenschaden. Nach dem ARAG-üblichen Verzögerungen und Nervereien haben wir die Deckungszusage für die Klage erhalten. Diese wurde notwendig, weil die Halterin des gegnerischen Fahrzeugs – eine Anstalt des öffentlichen Rechts – zu Unrecht die Regulierung verweigerte.
Im Februar 2015 haben wir dann die Klage – auf Zahlung von rund 25.000 Euro – erhoben und im März die Gerichtskosten – rund 1.200 Euro – eingezahlt. Es konnte also losgehen mit dem gerichtlichen Verfahren.
Wir bekamen dann Anfang Juni 2015 die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Berlin. Die sollte am 7. Dezenber 2015 stattfinden.
Nun erreichte uns die Tage ein Fax des größten deutschen Landgerichts:
Die Justizverwaltung hat in der Strafgerichtsbarkeit ein Loch entdeckt. Dieses Loch stopft man mit einer Zivilrichterin und reißt damit ein neues in der Zivilgerichtsbarkeit auf.
Man könnte nun auf die Idee kommen, eine „ordentliche Dezernentin“ des …. sagen wie mal …. Sozialgerichts zum Finanzgericht abzuordnen, um das dortige Loch zu stopfen, das durch die Abordnung eines Finanzrichters an das Arbeitsgericht … und so weiter und so fort.
Ich bin froh, einen ordentlichen Beruf gelernt zu haben und in wohl geordneten Verhältnissen arbeiten zu können.
So ist es leider in der Justiz. Dramatisch und sehr ärgerlich für alle Beteiligten. Ich habe gerade von einem Zivilrichter des örtlichen Landgerichts gehört, dass dort nach offiziellen Zahlen sechs Richter fehlten und man – mit etwas Glück – demnächst einen bekäme. Hier werden auch schon Termine für kommenden Sommer vergeben. Es müsste sich dringend was ändern.
Ich habe übrigens auch kürzlich eine Terminsabsage wegen der andauernden Tätigkeit der Dezernentin in einer Strafsache bekommen (nicht Berlin). Die hat es sich aber einfach gemacht und einfach erst einmal keinen neuen Termin anberaumt…
Naja, was man der Justiz hier vielleicht zu gue halten kann: Sie versuchen offensichtlich dem Beschleunigungsgebot bei Strafverfahren genüge zu tun. Das das global über die Justiz betrachtet kein Zustand ist, ist klar – wenn man aber mit einem begrenzten Budget auskommen muß halte ich die Priorisierung bei Strafverfahren für das richtige vorgehen. Ich hätte mir auch ein Behörden-typisches „mir doch egal“ vorstellen können.
Die Priorisierung der Starfjustiz halte ich aus konkret zwie Gründen für gut:
1.) Eben aus dem rechtsstaatlich gebotenen Beschleunigungsgebot
2.) Zivilfälle haben mehr Lobby :-). Wenn sich ein Strafprozeß verzögert interessiert das keinen, im „besten“ Fall hört man von Otto-Normal-Bild-Leser noch ein „Selber Schuld, darfst Du halt nicht kriminell werden“. Wenn die Wirtschaft dagegen in ihren Zivilprozessen nicht weiterkommt, dass noch mit (volkswirtschaftlichen) Kosten unterlegt, dann ist man vielleicht doch etwas eher bereit, das Budget der Justiz zu erhöhen.
Danke für diesen interessanten Blick hinter die Kulissen. Es gibt noch mehr Extrembeispiele:
Ein Landgericht in Brandenburg verurteilte im Juni 2012 einen Unternehmer wegen schweren Betruges zu fast sechs Jahren Haft. Im April 2014 hob der BGH das Urteil in Teilen auf, es ging um die Höhe des Betrugsschadens. Der BGH verwies den Fall zur Neuverhandlung an ein anderes Landgericht im selben Bundesland.
Dort teilt man mit, zuletzt vor ca. drei Wochen, ein Termin für die neue Verhandlung sei nicht abzusehen.
Im April kassierte ein Autohändler aus Brandenburg wegen schweren Betruges fünf Jahre und neun Monate Haft. Neun Monate galten als bereits verbüßt. Strafmildernd wurde angerechnet, dass einige der Taten bereits zehn Jahre zurücklagen – die StA hatte sich drei Jahre mit dem Händler befasst, danach brauchte das Landgericht noch einmal ein paar Jahre, um einen Termin für die Verhandlung anzusetzen. Selbst der Vorsitzende fand, dies sei alles am Rande des rechtsstaatlich Vertretbaren, so die Urteilsbegründung.
Ich kenne noch zwei, drei andere Beispiele, aber dafür reicht meine Zeit nicnt.
Böse Zungen könnten aber auch behaupten, dass – wenn die Geschädigte sich 18 Monate Zeit lässt bis zur Klageerhebung – die Sache wohl soo dringlich nicht sein könne.
Immerhin verfügt die Kanzlei Hönig über ein Arbeitsmittel, mit welchem man die Schadenshöhe bereits vor dem Unfall ermitteln kann.
@K75 S: Sie verstehen nicht viel von der Geltendmachung von Personenschäden, oder?
Ich würde schon mal in den §§ 198, 199 GVG nachlesen.
@Anonym: Nein, tue ich nicht. Habe auch solches nie behauptet.
Beschweren Sie sich bei Strafprozessen Ihrer „Kunden“ auch, wenn auf ein halbes Jahr später umgeladen wird?
Nicht wirklich, oder?
Mal geht es so und mal eben anders.
@K75 S – wenn man keine Ahnung hat, sollte man solche Aussagen vielleicht einfach lassen.
Nur mal als Denkansatz. Die Klägerin wurde beim Unfall an der Wirbelsäule verletzt. Dadurch ist sie motorisch beeinflusst. Je nach Art und Stärke der Verletzung wird kein Arzt schon am Anfang sagen können wie weit die Schäden bleiben oder sich wieder geben. das kann erst nach einer ganzen Zeit festgestellt werden. Entsprechend muss geklagt werden. Vor Gericht gibt es allerdings kein „es könnte ja sein dass….“ – also muss man abwarten bis sowas klar ist und ggf. durch ein Gutachten belegbar ist.
Und zum Arbeitsmittel der Kanzlei Hönig – ich habe irgendwo gelesen dass Glaskugeln seit dem 01.07.2015 nicht mehr zulässig sind.
Das Sozialgericht Frankfurt/Oder schreibt inzwischen auch so eine Form von Mitleidsbrief, in dem mitgeteilt wird, dass praktisch jeder Richter die Arbeit von 2 Richtern hat. Dabei stellt das Land Brandenburg sogar anders als das Land Berlin nicht wenige Richter ein, reicht aber wohl nicht.
Unter der Hand hört man immer, dass so ne neue Richterstelle mit rund 100.000 Euro im Haushalt verbucht wird (inkl. anteilige Geschäftsstelle). Tja, im Zweifel gibts ja Zinsen müsste man sarkastisch hier einwenden und meist zahlt die der Gegner oder die Behörde… oder auch nicht ;)
Nur schade, dass die Rechtsprechung so zögerlich bei der Entschädigung von überlangen Verfahrensdauern ist…
Es steht zwar in keinem Lehrbuch, und findet sich auch in keiner amtlichen Statistik, aber: Zivilprozesse, bei denen nicht zu erwarten ist, dass für den Kläger etwas herauskommt, dauert meistens viel länger als solche, bei denen ein positives Ergebnis wahrscheinlich ist. Da angesichts des perpetuierten Wirtschaftswunders seit etwa 25 Jahren in Justiz und Polizei massiv Personal abgebaut wurde, ist ohnehin nicht damit zu rechnen, dass die Dinge allzu schnell laufen. Die Zahl der juristischen Schnellschüsse in die falsche Richtung hat sich angesichts des faktisch weggefallenen Berufungsverfahrens auch deutlich erhöht.
Da das Land Berlin bekanntlich nicht gerade unter finanziellem Überfluss leidet, ist auch verständlich, dass für die Wahrung der Ordnung mehr Ressourcen investiert werden als für die Belastung des Staates mit Ersatzforderungen.
In puncto Schnelligkeit liegt Berlin immer noch weit vor anderen Bundesländern. Wenn die Sache vor einem portugiesischen oder italienischen Gericht abgehandelt werden müsste, würde das Ganze 10x länger dauern.
Das Ergebnis wäre in diesem sozusagen gedachten Fall an allen Orten vermutlich das gleiche. Was wohl?
Das sind doch alles Schnellverfahren.
Ich führe ein Verfahren (als Beklagter) welches im Jahre 2004 begonnen hat; ein Ende ist nicht absehbar…
Vor etwas mehr als einem Jahr sagte der Vorsitzende er habe nur noch weniger als 2 Jahre bis zu seiner Pensionierung. Ich bin sicher, das schafft er ohne Urteil :)
Ohne anwaltliche Terminsverlegungsanträge würde sich die Verfahrensdauer erheblich abkürzen.
Was ist jetzt eigentlich richtig: Terminverlegung oder Terminsverlegung? Das mit Fugen-s klingt irgendwie besser. Semantisch scheint es mir ohne s eher zu passen.
@Kommentar von CRH bei 13: Die hohe Kunst besteht darin zu wissen, wann man einen Anwalt braucht. Meistens ja, aber eben nicht immer. Und hinterher ist man immer klüger. :-)
@ Der wahre T1000, # 14:
Wenn man sich an der ZPO orientiert (dort tauchen Begriffe wie Terminsbestimmung, Terminstag oder Terminsort auf), würde ich die Variante mit Fugen-s bevorzugen. Klingt in der Tat auch gefälliger.
Für Klagen am Landgericht kann man sich das leicht merken: Man braucht immer einen Anwalt.
@Jens Bonn (#9):
Genau deswegen klagt man in solchen Fällen auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, die bereits bestehenden sowie die Folgeschäden auszugleichen. Entweder wenn sich der Schaden noch nicht beziffern lässt (BGH JZ 88, 978), oder auch nur die Möglichkeit besteht, dass noch nicht absehbare Leiden als Spätfolge auftreten (BGH NJW 98, 160). Es ist natürlich nicht notwendig erst einmal abzuwarten, welche Leiden der Geschädigte so entwickelt.
Zu den wichtigsten Tugenden bei der Durchführung von Prozessen gehört Geduld. Der längste Zivilprozess, an dem ich in Berlin selber beteiligt war, dauerte nach meiner Erinnerung 11-12 Jahre. Es ging nur um eine Ehescheidung. In einer anderen Sache wurden etwa in Italien beim Versuch, aus einem Urteil zu vollstrecken, 15 Anwälte verschlissen. Einer von ihnen hatte sogar für Fiat gearbeitet. Ergebnis: null.
Hier oben im Norden soll es Verfahren geben, die vor den 30-jährigen Krieg begonnen worden sind.
@Max: „Genau deswegen klagt man in solchen Fällen auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, die bereits bestehenden sowie die Folgeschäden auszugleichen.“
Oder – so hat man mir mal eine, im damaligen Fall durchaus sinnvolle und im Endeffekt erfolgreiche, Strategie erklärt – man machts genau andersrum als Sie vorschlagen:
Man wartet ein wenig ab, bis man Gutachten hat, daß es sich bei bestimmten Schäden tatsächlich um Folgeschäden handelt und klagt konkret diese Schäden „sowie die Folgeschäden“ ein.
Sonst wird jedes Vorbringen eines Folgeschadens von der Gegenseite in einen Rattenschwanz von weiteren Verfahren umgewandelt, was den Kläger sicherlich viel Zeit und Energie kosten wird.
Dürfte wie so oft eine Abwägung im konkreten Fall wert sein.