Mistverständnis

607387_web_R_K_B_by_chnurrli46_pixelio.deZum Thema: Wie ein Arzt sein Gutachten nicht formulieren sollte, wenn er eine Disqualifikation vermeiden möchte.

Der psychisch kranke Mandant hat einen engagierten Betreuer, seit langen Jahren schon. In regelmäßigen Abständen muß über die Fortsetzung der Betreuung befunden werden. Das ist Aufgabe des Betreuungsgericht. Und weil Richter – entgegen anders lautenden Berichten, meist eigenen – doch nicht allwissend sind, engagieren sie Ärzte, im Idealfall z.B. einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie-Psychotherapie.

Diese Ärzte schreiben ein Gutachten und sprechen eine Empfehlung aus. Etwa in dieser Art:

Daher ist die Fortführung der Betreuung im bisherigen Umfang notwendig. Die Betreuung sollte für einen Zeitraum von weiteren fünf Jahren angeordnet werden.

Das ist klar und verständlich formuliert, so daß der Richter damit umgehen kann.

Eine zweite Erkenntnisquelle ist der (bisher) Betreute selbst; deswegen ist in dem Betreuungsverfahren seine Anhörung vorgesehen. Auch dazu äußert sich der Sachverständige:

Gesundheitliche Nachteile bestehen nicht, falls der Betroffene persönlich angehört oder ihm die Begründung des Gerichtsbeschlusses übersandt wird.

Soweit, so gut.

Wenn der Gutachter aber dann sowas hier schreibt …

Von der Übersendung des Wortlautes des Gutachtens sollte abgesehen werden, da der Betroffene höchstwahrscheinlich einiges missverstehen und missdeuten würde.

… dann sei die Frage gestattet: Um wen geht es hier eigentlich? Sollte nicht gerade auch ein psychiatrisch gebildeter Arzt in der Lage sein, eine Formulierung zu wählen, die sein Patient (sic!) auch versteht? Verfügt der Medizinmann nicht über sprachliche Qualitäten, die ihn in die Lage versetzen sollten, einem psychisch kranken Menschen unmißverständlich zu erklären, was gut für ihn ist?

Wenn ich so einen Satz in einem Zweiseiter (!) lese, auf dessen Grundlage über das Leben eines Menschen in den nächsten fünf Jahren entschieden werden soll, ziehe ich eindeutige Rückschlüsse auf die Qualifikation des Arztes. Das ist echt Mist, auch wenn das Ergebnis in Ordnung erscheint.

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Bild: © chnurrli46 / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Psychiatrie veröffentlicht.

5 Antworten auf Mistverständnis

  1. 1
    Ein Ermittlungsrichter (der früher mal Betreuungsrichter war) says:

    Der Betreute ist nicht der Patient des Sachverständigen. Er hat keinen Behandlungs-, sondern einen Gutachtensauftrag. Das Gutachten schreibt er nicht für den Betreuten, sondern für das Gericht. Eine Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten des Betreuten bei der Abfassung würde letztlich zu einer Verwässerung des Gutachtens führen, die niemandem dient. Und es gibt in der Tat viele psychiatrische Krankheitsbilder, bei denen einen Lektüre eines solchen Gutachtens nicht dazu geeignet ist, die Lage für den Betroffenen zu verbessern.

    Das FamFG gibt dem Gericht viele Möglichkeiten, auf solche Befindlichkeiten des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Es gibt die Möglichkeit, die Beschlussgründe nicht bekanntzugeben, sondern nur den Tenor (§ 288 Abs. 1 FamFG) oder sogar von einer Anhörung des Betroffenen abzusehen (§ 288 Abs. 4) – jeweils im Interesse des Betroffenen (anders als Strafverfahren werden Betreuungsverfahren für einen Betroffenen, nicht gegen einen Betroffenen geführt). Und wenn das Gericht dann dem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen (und anwaltlich nicht vertreten sind über 95%) einen Verfahrenspfleger bestellt, dann ist dagegen nichts einzuwenden.

    Will heißen: Der Sachverständige gibt einfach nur eine Empfehlung, mit der er den Rahmen seines Gutachtensauftrags nicht übersteigt. Das mag für einen Strafverteidiger, der mit dem Rechtsgebiet sonst nichts zu tun hat, irritierend sein, hält sich aber vollkommen im Rahmen der Gesetze und des üblichen.

    • Danke für die Vermittlung dieser Hintergründe. Meine Empörung über dieses Gutachten hing auch mit der Enttäuschung zusammen, es nicht für die Begründung eines Beweisantrags verwenden kann, mit dem ich das Vorliegen der Voraussetzungen für §§ 21, 20 StGB vortragen will. Aber Sie liefern mir ein paar schöne Argumente, mit denen ich einer etwaige Ablehnung meines Antrag begegnen kann. crh
  2. 2
    Mr. Gaunt says:

    Im medizinischen Bereich ist es doch ähnlich wie im Rechtswesen: Es existiert eine gewisse Sonderform von Sprache, die eigene Regeln hat aber in der jeweiligen Welt sehr präzise sein kann und muss. Die dafür genutzten Ausdrücke müssen nicht zwingend komplett unverständliche Fachausdrücke sein, sondern sind alltäglich genutztes Vokabular.

    Wenn wir Apotheker beispielsweise von Drogen reden, dann ist für uns klar, dass es sich um in der Umgangssprache Kräuter handelt, also Kamille, Pfefferminze usw., wohingegen umgangsprachliche Drogen eher Betäubungsmittel sind oder genauer bezeichnete Gruppen wie Opiate oder Benzodiazepine.

    Ich kann mir gut vorstellen, dass ein psychiatrisches Gutachten durchaus Passagen enthält, die auch ein Otto Normalverbraucher falsch verstehen kann. Auch ohne dass er Betreuungsbedarf hat. Wenn dann noch eine geistige Einschränkung hinzukommt, dann ist das möglicherweise wirklich nicht förderlich.

    • Besten Dank für die hilfreichen Erklärungen. Ich habe da aus einer enttäuschten Erwartungshaltung wohl ein wenig zu empfindlich reagiert. crh
  3. 3
    Fry says:

    Wenn Betroffenen Informationen vorenthalten werden, weil das „gut für sie ist“, dann gehen bei mir alle, aber auch ALLE Alarmglocken an. Denn selbst wenn das im Einzelfall mal stimmen mag, so ist das Missbrauchspotenzial unglaublich groß. Daher hoffe ich sehr, niemals auf der Empfängerseite solcher Fürsorge zu stehen, und wünsche es auch keinem anderen.

  4. 4
    Thorsten says:

    Mir ist grob bekannt, dass Patienten grundsätzlich das Recht zur Einsichtnahme in ihre Patientenakten haben – mit Ausnahme psychiatrischer Akten, eben aus den hier beschriebenen Gründen.

    Nun aber ein anderer Fall, der mir negativ aufgestoßen war: eine Mandantin von mir wurde per Gerichtsbeschluss für 6 Wochen in der Psychiatrie untergebracht und bat mich, dagegen vorzugehen. Das Gericht hatte ihr eine Kollegin beigeordnet, die regelmäßig in solchen Fällen von diesem speziellen Amtsgericht beigeordnet wird. Ich rief die Kollegin an und teilte ihr mit, dass die Mandantin gerne durch mich vertreten werden möchte. Die Kollegin antwortete: „Ist kein Problem! Eigens beauftragte Rechtsanwälte übernehmen dann ja – im Gegensatz zu mir – eher sowas ähnliche wie die Rolle eines Strafverteidigers.“

    Lasse ich an dieser Stelle dann auch mal unkommentiert.

  5. 5
    WPR_bei_WBS says:

    @ Thorsten
    Wenn die gute das so offen sagt scheint sie sich ja keiner Schuld bewußt. Kann man ihr das vielleicht dann auch per E-Mail, Brief, einer TV-Kamera o. ä. entlocken. Und dann der Anwaltskammer (Ziel: Berufsverbot) melden?
    Ich bin echt schockiert, so jemand gehört aus dem Verkehr gezogen.

    Zudem ein Beispiel dafür, das Gerichte offenbar nicht immer uneigennützig entscheiden, wenn sie den beigeordneten Anwalt selbst aussuchen.