Opportun in die Verjährung

Meinem Mandanten wurde eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Laut Anklage soll er gemeinsam mit einem Mitangeklagten am 14.02.2010 einen anderen mit einer Bierflasche körperlich mißhandelt haben.

Beide Beschuldigte haben zur Sache nicht ausgesagt, sondern sich durch Schweigen verteidigt. Auch schon im Ermittlungsverfahren, nachdem sie zwei Tage nach dem Vorfall von Zeugen angeblich wiedererkannt wurden. Einfach mal nichts gesagt, außer ihren Namen.

Bei den beiden Gerichtsterminen waren alle Beteiligten anwesend. Nur der Geschädigte erschien nicht. Zweimal nicht. Seit dem 03.02.2012 dümpelte das Verfahren also vor sich hin. Nun habe ich dann nochmal vorsichtig beim Gericht nachgefragt, was denn los sei. Drei Tage später bekam ich die folgende Antwort:

Opportunitätsprinzip

Also als Verteidiger bin ich ja nun der allerletzte, der gegen diese Art des Totmachens einer Akte nichtsetwas einzuwenden habe. Aber das mit dem Legalitätsprinzip und der Pflicht der Justiz, Straftaten zu verfolgen, habe ich in der Juristenschule noch anders gelernt.

Nun, dann warte ich eben noch ein Weilchen, bis ich dann beantragen kann, das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen.

Übungsfrage an die versammelten Jurastudenten: Wann hätte mein Antrag Aussicht auf Erfolg?

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

9 Antworten auf Opportun in die Verjährung

  1. 1
    Die andere Seite says:

    „Also als Verteidiger bin ich ja nun der allerletzte, der gegen diese Art des Totmachens einer Akte nichts einzuwenden habe.“
    Nochmal überdenken? Doppelte Verneinung?

  2. 2
    Ein Ermittlungsrichter says:

    Auch eine merkwürdige Art der Sachbehandlung. Die StPO sieht ja doch vor, dass frühere Aussagen von Zeugen, die nicht erreichbar sind, auch auf anderem Wege (Einvernahme der Vernehmungsperson, Verlesung) in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Und falls das (trotz ja offensichtlich vorhandener weiterer Zeugen, die die Angeklagten ja erkannt haben wollen) für einen Tatnachweis nicht ausreichen sollte, spricht man die beiden eben frei und die Sache ist auf dem Wege sauber vom Tisch (auch für die beiden, die jetzt – ohne den Jurastudenten die Antwort vorwegnehmen zu wollen – immer noch knapp 7 Jahre lang.ein offenes Verfahren rumdümpeln haben).

    Darf ich davon ausgehen, dass das Verfahren in einer deutschen Großstadt mit über dreineinhalb Millionen Einwohnern geführt wird? Das würde dann nämlich so einige meiner persönliche Vorurteile gegen die Hauptstadtjustiz bestätigen.

  3. 3
    C.J. says:

    @ Ein Ermittlungsrichter
    Ich bin sehr für die Freispruchslösung. Das wäre juristisch sauber, aber, das muss man auch sehen, recht kostenträchtig. Die 7 Jahre sind mir allerdings zu lang. Wenn seit dem 03.03.12 nichts mehr passiert ist, würde ich den Antrag am 04.03.17 stellen, also in zwei Jahren. Vorausgesetzt natürlich, dass keine weitren Unterbrechungen nach § 78c Abs. 1 StGB erfolgen. Dies ist allerdings unwahrscheinlich, da es ja die erklärte Absicht ist, das Verfahren zu beerdigen. Falls doch noch einmal Unterbrochen wird gilt § 78c Abs. 3 StGB. Das wäre dann spätestens der 14.02.2020.

  4. 4
    Ein Ermittlungsrichter says:

    Also wenn es seit meiner Referendarszeit nicht zu einer überraschenden Rechtsprechungsänderung gekommen sein sollte, die vollkommen an mir vorübergegangen ist (ersteres kann man nie ausschließen, letzteres will ich eigentlich nicht hoffen), dann richtet sich die Verjährung nicht nach dem Grund- sondern nach dem Qualifikationstatbestand (anders als bei besonders und minder schweren Fällen), so dass eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB, Höchststrafe 10 Jahre) gem. § 78c Abs. 3 Nr. 3 StGB nach 10 Jahren verjähren sollte und nicht nach 5 wie die einfache Körperverletzung.

    Unterstellt, dass es am 03.02.2012 im Rahmen der Hauptverhandlung auch zu einer richterlichen Vernehmung des Beschuldigten gekommen ist, die die Verjährung unterbrochen hat, (und sei es nur, um entgegenzunehmen, dass er immer noch keine Angaben macht), würde die Verjährung nach meiner Berechnung mit Ablauf des 02.02.2022 eintreten, andernfalls dürfte die letzte verjährungsunterbrechende Handlung die Anberaumung des Termins gewesen sein. Die absolute Verjährung dürfte erst mit Ablauf des 13.02.2030 eintreten.

  5. 5
    Mirco says:

    Die Tatsache, dass der Fall hier dargestellt wird, spricht für eine Verjährung im Februar 2015.

  6. 6
    Moe says:

    Eine weitere und beliebte Möglichkeit wäre das Verfahren ggf. nach § 153 II oder § 153a II StPO einzustellen.

  7. 7
    rob says:

    § 224 StGB -> Strafrahmen im Höchstmaß bis 10 Jahre
    § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB -> hierfür 10 Jahre Verjährungsfrist
    § 78a StGB -> Frist beginnt am 14.02.2010
    § 78c Abs. 1 Nr. 8 StGB -> Verjährung wird unterbrochen nach jeder Hauptverhandlung, die letzte war hier am 03.02.2012

    Frist endet mit Ablauf des 03.02.2022. Am 04.02.2022 kann der Antrag gestellt werden.

  8. 8
    rob says:

    Moment, die Frist endet einen Tag früher, sorry. Bin dem Irrtum und Fluch des § 187 I BGB verfallen.

    Aber stimmt die Sache mit § 78c Abs. 1 Nr. 8 StGB? Hier ist ja nur die Rede von der Anberaumung einer Hauptverhandlung, nicht von der Durchführung einer Sitzung. Das fällt ja nicht zeitlich zusammen. Un § 78c Abs. 1 Nr. 2 StGB passt wohl nicht, da ich mal annehme, dass der Beschuldigte in der letzten Sitzung nicht nochmal vernommen wurde.

  9. 9
    Gesamthansgesellschafter says:

    Auf § 51 Abs. 1 S. 3 StPO hatte das Gericht keine Lust oder war das erfolglos?