Jahresarchive: 2015

Es geht noch dunkelroter

718722_web_R_by_kai Stachowiak_pixelio.deDie an die Guantanamo Bay Naval Base erinnernde Behandlung eines Untersuchungsgefangenen in der JVA Essen habe nicht nur ich zum Thema eines Blogbeitrags gemacht, sondern auch Zeit Online.

In jenem Artikel wird die „Grünen-Rechtsexpertin Renate Künast“ zitiert, die nun eine gerichtliche Prüfung dieser nicht hinnehmbaren Behandlung eines in Obhut der Staatsgewalt befindlichen Menschen fordert.

Andauernder faktischer Schlafentzug durch sogenannte Selbstmordprävention zerstört einen Menschen physisch und psychisch. Er ist eindeutig eine Verletzung der Menschenrechte und mit nichts zu rechtfertigen.

wird Frau Künast von Zeit Online zitiert.

Aber es geht noch besser. Nicht nur, daß alle 15 Minuten der Schlaf des Gefangenen unterbrochen wird; die Würde des Gefangenen kann man noch intensiver unter Beschuß nehmen.

Der erste Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm entschied am 27.01.2015 (1 Vollz(Ws) 664/14, 1 Vollz(Ws) 665/14) folgenden Fall:

Der 37 Jahre alte Strafgefangene war zeitweilig in der Justizvollzugsanstalt Aachen inhaftiert. Nach einem Selbstmordversuch in einer anderen Justizvollzugsanstalt hatte die Anstaltsleitung angeordnet, den Gefangenen in unregelmäßigen Zeitabständen von nicht mehr als 15 Minuten, auch bei Nacht, zu beobachten. Diese Beobachtungsmaßnahmen (durch das Fenster zu seinem Haftraum) führten teilweise auch weibliche Bedienstete durch. In mindestens 3 Fällen war der Strafgefangene dabei nackt, nachdem er sich nach sportlicher Betätigung gewaschen hatte.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm vom 19.03.2015 (PDF)

Die Richter des Landgerichts Aachen fanden das noch völlig in Ordnung – offenbar nach dem Motto: „Der Kerl soll sich nicht so anstellen.“ Das haben sich die Autoren des Art. 1 GG allerdings ganz anders vorgestellt, der auch für Kontrollmaßnahmen gegenüber einem Gefangenen gilt.

Das dürfen die Richter in Aachen jetzt noch einmal üben: Die Sache ist von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen erneut zu verhandeln und zu entscheiden.

Diese beiden Fälle sind bei weitem nicht die einzigen.

Die in einem Kölner Gefängnis einsitzende mutmaßliche Neonazi-Terroristin […] könnte Hafterleichterung bekommen. In Zschäpes Zelle solle das Licht künftig nicht mehr dauernd brennen. […]

Bisher sei das Licht angeschaltet geblieben, da Zschäpe als selbstmordgefährdet gegolten habe. […] Zschäpe habe zuletzt mit der Dauerbeleuchtung zu kämpfen gehabt. Außerdem sei sie „massiv in ihrer Intimsphäre betroffen“, da sie sich nicht unbeobachtet habe waschen oder zur Toilette gehen können.

berichtete Spiegel Online am 30.12.2011.

Die gute Nachricht aber ist: Die Verhältnisse in den Haftanstalten Nordrhein-Westfalens unterscheiden sich doch noch von denen in dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib. Noch.

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Bild: © kai Stachowiak / pixelio.de

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Sonderangebot: Freiwillige Auslieferung nach Bayern

Ankara-AugsburgIm Januar 2014 wurde der Mandant in der Türkei verhaftet. Die Augsburger Staatsanwaltschaft führt gegen ihn ein Ermittlungsverfahren und begehrt seitdem die Auslieferung nach Bayern.

Es hat bis August 2014 gedauert, bis der Mandant endlich gegen Auflagen aus der türkischen Auslieferungshaft entlassen wurde. Die Türken haben eingesehen, daß die Fortdauer der Haft unverhältnismäßig wäre. Eine Kaution wurde gestellt und dem Mandanten aufgegeben, die Türkei nicht zu verlassen.

Die knapp acht Monate Haft haben zum Verlust der Wohnung und des Arbeitsplatzes geführt. Der Mann stand also erstmal ohne Einkommen auf der Straße. Er war schon im Januar 2014 bereit, sich nach Augsburg ausliefern zu lassen. Und jetzt erst Recht.

Die formelle Zustimmung der türkischen Behörden zur Auslieferung liegt nun seit Sommer 2014 vor. Seitdem wartet der Mandant darauf, daß er ins schöne Bayern kommt.

Selbst ausreisen darf er nicht, wenn er nicht riskieren will, erneut in Auslieferngshaft genommen zu werden und der gezahlten Kaution verlustig zu gehen.

Die Bayern sind auch nicht bereit, für einen gewissen Zeitraum den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen, damit er „freiwillig“ ausreisen kann. Breit angelegte Fachaufsichtsbeschwerden bis zum rauf zum Bayerischen Staatsministerium der Justiz haben für Aufsehen gesorgt. Zu mehr reichte es aber auch nicht.

Haftbeschwerden, die auf den Unstand gestützt wurden, daß der Mandant nach Augsburg will, aber nicht darf, obwohl er muß, sind vom Landgericht Augsburg und vom Oberlandesgericht München als unbegründet verworfen worden.

Eine Pattsituation, an der sich seit 14 Monaten nichts geändert hat. Der Mandant muß in der Türkei warten, ob und wie es den deutschen bzw. bayerischen Behörden irgendwann am St. Nimmerleinstag gelingt, ihn nach Augsburg zu bringen.

Aber jetzt kommt ein wenig Bewegung in die Sache:

Freiwillige Auslieferung

Das scheint mir ein vernünftiger Vorschlag zur Güte zu sein, den ich mit dem Mandanten erörtern werde. Auch wenn man im Metatext Anflüge einer Verzweifelung vermuten könnte. Ich glaube aber, wir sind da in einer recht guten Verhandlungsposition, was die Definition von „kurzzeitig“ und die Frage einer „Verschubung“ angeht.

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Ostermontagslektüre: Fehler der Ermittler und die Tumultordnung

Bei einem leckeren Cappuccino in der Sonne auf dem Balkon sitzen und für gute Unterhaltung sorgen:

Polizeibeamte vor Gericht

Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht (sponsored link), von Staatsanwalt (GL) Dr. Heiko Artkämper, Dortmund.

Kleine Kostprobe (S. 17):

Auch wenn es etwas pointiert klingt, kann in vielen Fällen eine Verteidigung nur so gut sein, wie Polizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren – und später das Gericht während der Hauptverhandlung – Fehler gemacht haben.

Das hört sich erst einmal schlüssig an.

Noch ein staatsanwaltliches Bonmot (S. 18):

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass an vielen Amtsgerichten die jeweils örtliche Tumultordnung herrscht und die Spielregeln der Strafprozessordnung nicht eingehalten werden.

Ich mache mir dann mal noch einen Caffè und setze die unterhaltsame, dabei sehr lehrreiche Fortbildung auf dem Balkon fort. Der Lehr- und Studienbrief des Staatsanwalts liefert nämlich auch Wertvolles zum Verständnis des Verhaltens manches polizeilichen Zeugen. Schließlich wirbt Herr Dr. Artkämper bei der Zielgruppe seines Buchs – bei den Polizeibeamten – für Verständnis des Verhaltens der Strafverteidiger.

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Der rote Punkt an der Zellentür

In diesen Tagen berichten einige Printmedien über einen vormals hochkarätigen Untersuchungshäftling, der gut vier Wochen lang unter Schlafentzug litt. Ich habe einen Pressebericht über die sozialen Medien geschickt, mit der Anmerkung:

Auch ne Art der Folter.

Das Thema scheint es aber Wert zu sein, ein paar mehr Worte darüber zu verlieren.

Zunächst einmal:
276072_web_R_K_by_Peter Reinäcker_pixelio.deDer 61 Jahre alte Gefangene wurde im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung wurde er noch im Gerichtssaal verhaftet. Sechs Monate, ein halbes Jahr lang ist er vorher zu jedem Hauptverhandlungstermin pünktlich und „freiwillig“ erschienen.

Eine solche Saalverhaftung ist etwas, das ein durchschnittlicher Strafverteidiger in seiner gesamten Karriere wohl nicht mehr als zwei- oder dreimal erlebt.

Das Landgericht unterstellte dem – nicht rechtskräftig – Verurteilten, er würde sich dem Verfahren durch Flucht entziehen, wenn man ihn rausließe.

Der Versuch der Verteidigung, den Haftbefehl gegen Stellung einer Sicherheitsleistung in Höhe von nahezu 900.000 Euro außer Vollzug setzen zu lassen, scheiterte im März d.J. am 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm. Das Risiko, daß der Häftling einem „bestehenden Fluchtanreiz“ nachgebe, sei größer, als daß er sich dem weiteren Strafverfahren stellen werde. An dieser Stelle sei noch angemerkt: Der verursachte Schaden, den der erstinstanzlich Verurteilte angerichtet haben soll, habe rund 500.000 Euro betragen.

Nun gut, wir kennen die Akten nicht. Aber so richtig schön hört sich das alles erst einmal nicht an. Die entscheidenden Richter und beantragenden Staatsanwälte werden sicherlich ihre Gründe haben. Und hoffentlich keine sachfremden.

Jetzt aber:
Die Fallhöhe war beträchtlich. Vor Beginn des Verfahrens war der Mann – zumindest aus der Distanz betrachtet – sehr weit entfernt von seiner aktuellen Lage. Wie es jetzt im Inneren dieses Menschen aussieht, kann sich ein Außenstehender nur schwer vorstellen; selbst mir, dem den Umgang mit inhaftierten Schlipsträgern nicht fremd ist, fällt es schwer nachzuvollziehen, was in dem Essener Häftling vorgeht.

Der Essener Gefängnisdirektor hat da wohl bessere Erfahrungen. Er wird von den Medien zitiert:

„Wenn jemand alles zu verlieren droht, ist das der typische Fall eines Bilanz-Selbstmordes.“

Da isses, das böse Wort: Selbstmordgefahr. Der Supergau. Nicht aus Sicht des Gefangenen, neinein. Sondern aus Sicht der Gefängnisleitung! Denn wenn sich die Suizidgefahr realisieren sollte, müßte der Herr Direktor ganz massive Beeinträchtigungen seine Karriere betreffend hinnehmen.

RoterpunktDeswegen klebt er – in dubio pro rubrum dot – einen roten Punkt an die Tür der Zelle, in der sich der Gefangene 23 Stunden täglich aufhalten muß.

Ich kenne die Verhältnisse in der JVA Essen nicht. Für die Untersuchungshaftanstalt Moabit in Berlin hat die Journalistin Katja Füchsel im Tagesspiegel die Folgen des roten Punkts so formuliert:

 

Ein Teil dieses Überwachungssystems ist der rote Punkt. Das Signal auf der Zellentür zeigt den wachhabenden Justizvollzugsbeamten die Risikofälle an, bei denen sie stündlich eine so genannte „Lebendkontrolle“ vorzunehmen haben. Rund 200 Türen der JVA Moabit sind mit einem roten Punkt versehen. In den Zellen brennt außerdem während der ganzen Nacht das Licht.

Dem Essener Herrn Direktor – hoffentlich im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem Anstaltsarzt – reichte die Stunde aber nicht: Der Gefangene soll während seiner Untersuchungshaft mehr als 28 Tage lang alle 15 Minuten einer solchen Lebendkontrolle unterzogen worden sein: Und zwar rund um die Uhr, tags und nachts. Da versuche man mal, ein Auge zu zu kriegen!

Und nun?
Es ist und bleibt eine ganz schwierige Abwägung. Selbstverständlich ist es geboten, einen verzweifelten Untersuchungsgefangenen davon abzuhalten, sich das Leben zu nehmen. Aber ihn dabei in den Tod (zumindest aber in die Krankheit) zu treiben, indem man ihm den Schlaf „raubt“? Stehen der JVA keine anderen Möglichkeiten der Suizid-Vorbeugung zur Verfügung? Mir fallen da durchaus einige ein, die weniger einschneidend wirken: Unterbringung in Doppelzellen, sozialpsychiatrische Betreuung, Arbeit, Sport, Freigang, Besuch …

So, wie das – für Außenstehende wie mich – aussieht, scheint es aber nicht gewollt zu sein. Der Häftling ist laut Medienberichten aber offenbar kein Sympathieträger. Liegt es daran?

Ergänzendes Schwieriges
Wie verhält sich ein Verteidiger eigentlich, wenn er den Verdacht – oder auch nur die Vermutung – hat, sein inhaftierter Mandant ventiliert (ernsthaft?) den Gedanken, sich mit dem Bettuch am vergitterten Fenster aufzuhängen? Meldet er die Suizid-Gefahr den Wachtmeistern? Was ist, wenn er sich täuscht? Darf er das überhaupt (§ 203 StGB)? Macht er sich im Ernstfall „mitschuldig“, wenn er seine Befürchtung nicht mitteilt? Kann er die Verantwortung dafür tragen, daß alle 15 Minuten kontrolliert wird, ob sein Mandant noch atmet? Diese Fragen habe ich mir mehr als einmal stellen müssen – mit meinen Antworten habe ich bisher noch nicht daneben gelegen. Bisher.

Sage mir, wie ein Land mit seinen Gefangenen umgeht, und ich sage dir, wie es um den zivilisatorischen Fortschritt steht.

Quelle: Michel Foucault „Überwachen und Strafen“ (Sponsored Link)

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Bild Zellentür: © Peter Reinäcker / pixelio.de

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Trögida und die Nazis

Die Folgen für das kleine Städtchen im Burgenlandkreis sind katastrophal, der Name wird nun in eine Reihe gestellt mit Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln, Solingen

In der Nacht zum Samstag hat das zukünftige Asylbewerberheim in Tröglitz in Sachsen-Anhalt gebrannt. Die Polizei ermittelt jetzt wegen des Verdachts auf Brandstiftung.

berichtete der Berliner Tagesspiegel 04.04.2015.

Vielleicht sollte man die Nazis mal darauf hinweisen, daß der Strafrahmen der Besonders schweren Brandstiftung (§ 306b StGB) zwischen fünf und fünfzehn Jahren liegt. Hinderlich bei den Ermittlungen könnte hier allenfalls die Solidarität der zahlreichen Mitgliedern einer Trögida sein.

Aber vielleicht gibt es ja auch noch ein paar andere dort, die sich sowas wie die Dortmunder einfallen lassen:

Nazis_Raus_Tröglitz

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Bild: © Dortmund stellt sich quer

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Kiffen unter den Augen der Polizei

Am 1. April haben sich etwa 700 Menschen im Görlitzer Park getroffen, um gegen die Null-Toleranz-Verfügung des Berliner Innensenats zu demonstrieren und für höhere Akzeptanz von Marihuanakonsum und vor allem für ein solidarisches Miteinander mit Flüchtlingen werben.

Erwartungsgemäß waren auch reichlich Ordnungshüter anwesend, die sich das bunte Treiben angeschaut haben. Das war’s dann aber im Wesentlichen auch schon. Mal abgesehen von zwei, drei Einzelfällen, haben sich die Polizeibeamten im Hintergrund gehalten – obwohl es de lege lata auch möglich gewesen wäre, 700 Leute wegen des Verdachts zu verhaften, gegen das BtMG verstoßen zu haben. Aber offenbar wollten die Beamten vor Ort die Bereitschaftsrichter und die Beamten in der Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm nicht noch mehr überfordern.

Deswegen von hier aus ein Lob für die zurückhaltende Polizeitaktik. Es wird eben nicht alles so heißt geraucht, wie es angezündet wird. Hier mal ein bewegter Bericht über das Kiff-in.

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Zugangsdaten von KinoX.to gesucht

Die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden ermittelt. Zum einem immer noch gegen die Betreiber von kino.to. Aber auch das Nachfolge-Ermittlungsverfahren ist genauso noch nicht abgeschlossen, wie der Betrieb von

kinox_to

Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden, Wolfgang Klein, bedauert:

Wir konnten es nicht abschalten, weil wir die Zugangscodes nicht haben.

Nicht abgeschlossen ist außerdem die Fahndung nach den beiden 22 und 25 Jahre alten Brüdern aus Lübeck, denen vorgeworfen wird, die Betreiber des Streaming-Portals Kinox.to zu sein. Die bisherigen Hinweise auf den Aufenthaltsort seien bisher „nicht zielführend“ gewesen, heißt es in einer Agenturmeldung.

Nun, die Ermittler haben ja auch noch reichlich Zeit. Die Straftaten, um die es hier geht, verjähren nach 5 Jahren (§ 78 III 4 StGB iVm. § 108a UrhG). Wegen des noch laufenden Betriebs könnte man hier auch auf den Gedanken kommen, daß die Frist noch gar nicht begonnen hat (§ 78a StGB). Aber die Strafverfolgungsbehörden werden ohnehin den § 78c StGB lesen und anwenden können; dann sind die beiden Jungs bereits in ihren Mittdreißigern, bevor sie sich wieder frei bewegen können.

Vielleicht wäre eine Selbststellung daher eine Alternative: Bei der Verurteilung zur Höchststrafe, die bei entsprechendem Coaching völlig entspannt und nur zu Zweidritteln abzusitzen wäre, könnte der jüngere der beiden seinen 26. Geburtstag ganz offiziell wieder in einem Dresdner oder Lübecker Club feiern.

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Ein ehrloser Steuersparer und der Strafbefehl

Den Steuerfahnder hat’s erwischt. Irgendwie ist es ihm durchgerutscht, daß auf seinem Einkaufswagen mehr Sachen lagen, als er – und seine Partnerin – bezahlt hat. Es gab das Standard-Programm „Ladendiebstahl“, dann der gescheiterte Versuch, sich gegen die Vorwürfe selbst zu verteidigen und schließlich das hier:

Schuhschränke

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er es erfolgreich vermeiden können, daß sein Job bei der Strafverfolgungsbehörde bekannt wurde. Auch seine Partnerin, die von derselben Gebietskörperschaft alimentiert wurde, konnte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens verhindern.

Gegen den Strafbefehl haben der Fahnder und die Fahnderin Einspruch eingelegt. Das führte dann zu dieser wenig freundlichen Einladung:

Schuhschränke Ladung

Das war dem Steuerjuristen dann doch zuviel und er beauftragte den Strafjuristen mit der Verteidigung.

Die Aussichten waren gar nicht so schlecht, als daß man es nicht hätte versuchen können mit einer Freispruchverteidigung. An der Kaufhauskasse hat es seinerzeit ein kleines Durcheinander gegeben. Alles ein wenig unübersichtlich.

Trotzdem: Eine öffentliche Hauptverhandlung, bei der dann zu erwarten war, daß der Beruf des Angeklagten (und seiner Partnerin) bekannt wurde, war zu riskant. Aber der rechtskräftige Strafbefehl hätte dem Dienstherren auch keine rechte Freude bereitet. Ich habe daher auf außergerichtlichem Wege und mit reichlich Mühen versucht, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage in akzeptabler Höhe nach § 153a StPO zur Einstellung zu bringen. Keine leichte Aufgabe nach dem Erlaß eines Strafbefehls und vor der Hauptverhandlung. Es hat jedoch funktioniert, wenn auch knapp.

Weil die beiden Verfahren – gegen den Fahnder und die Fahnderin – nicht voneinander zu trennen waren, konnte ich den beiden bereits zu Beginn das Sonderangebot machen: Ich verteidige den Mann, und die Frau hängt sich einfach hinten dran. Die paar dann immer noch vorhandenen Überschneidungen konnten noch knapp vor der Grenze zum Doppelvertretungsverbot gehalten werden. Beide haben also defacto zwei Verteidigungen zum Preis von einer bekommen. Feine Sache.

SparsamFür das gesamte Paket habe ich – mich irrümlich auf kollegialer Ebene wähnend – lediglich eine Rechnung gestellt, die sich exakt auf der Mitte des Möglichen bewegt. Argumente, die der § 14 RVG bietet und die für eine Liquidation an der oberen Grenze bequem ausgereicht hätten, lagen säckeweise vor. Statt sich darüber zu freuen, daß das Ding für ihn und seine Partnerin nun einigermaßen glimpflich zuende gegangen ist, kürzt der Steuerhinterziehungsfinder meine Kostenrechnung um 30 Prozent. Man spart, wo man kann, nicht wahr?

Schade, es hätte ein schönes Mandat mit einem guten Erfolg werden können. Ich würde schwindeln, wenn ich abstreiten würde, solch ehrlosem Pack Pest und Cholera ins Haus zu wünschen – nicht wegen der Kohle, die tut mir nicht weh. Aber für die Enttäuschung, die mit einer solchen Mißbilligung meiner Arbeit verbunden ist.

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Kalte Enteignung durch GWG und EZB?

SONY DSCWelche Konsequenzen die Niedrig- bis Minuszinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat, wenn man sie im Lichte des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (GWG) betrachtet, das tendenziell ein weitgehendes Verbot von Bargeldzahlungen im Blick hat, zeigt Prof. Dr. Robert Freitag, Maître en Droit (Bordeaux), Professor für deutsches, europäisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.

In seinem Blogbeitrag für das Verfassungsblog thematisiert Prof. Dr. Freitag eine interessante Überlegung zu der Kombination aus negativen Guthabenzinsen und Bargeldverbot:

Lagert der Sparer sein Geld auf einem BankKonto, muß er damit rechnen, in Kürze dafür Lager-Zinsen zu zahlen. Also lagert er es Zuhause unter der Matratze, wenn er es nicht ausgeben will. Je nach Menge wird er mit dem Bargeld jedoch nichts mehr anfangen können, weil die Barzahlung wegen der Geldwäsche-Vorschriften geächtet ist.

Also: Entweder die Kohle verjubeln oder verlieren. Schöne Alternative …

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Bild: © Bernd Kasper / pixelio.de

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Meditationsempfehlung für den Staatsanwalt

702736_web_R_by_Uwe Wagschal_pixelio.deEine unterhaltsame und kurzweilige Beweisaufnahme stand auf dem Programm, an der ich als Zeugenbeistand teilnehmen durfte. Von Anfang an war eine elektrisierende Atmosphäre im Saal zu verspüren, die ihre beiden Pole auf den Verteidigerbänken einerseits und bei den beiden Staatsanwälten andererseits hatte.

Es begann damit, daß der Herr Staatsanwalt lauthals einen der Angeklagten rügte. Er hatte den Vorsitzenden nicht mit seinem Titel, sondern mit seinem Nachnamen angesprochen. In den Augen des Herrn Staatsanwalts wohl ein Sakrileg und aus seiner Sicht ein Fall der Nothilfe für den hilflos der Respektlosigkeit ausgesetzten, bedauernswerten Vorsitzenden.

Anschließend wurde ausführlich diskutiert, welche Rechte ein Herr Staatsanwalt hat, wenn er die Ansicht vertritt, daß es in der Hauptverhandlung drunter und drüber geht. Das Ergebnis: Ja, er darf – Ziffer 128 RiStBV. Ob die höfliche(!) Anrede eines Vorsitzenden mit seinem Namen allerdings ein Einschreiten des schneidigen Herrn von der Kavallerie bedarf, ist keine Geschmackssache.

Nun, die Spannung stieg, wechselseitige Rügen bei der Befragung, turbulente Stimmung und verbale, aber lautstarke Auseinandersetzungen. Ich saß mit meinem Mandanten zwischen den Fronten in der ersten Reihe; wir schauten mal nach links, mal nach rechts und hatten gute Unterhaltung (und schon wieder kein Popcorn dabei). Bis dem Vorsitzenden der Kragen platzte und, um die Streithähne durch eine Zwangspause wieder auf Normaltemperatur zu bringen, die Unterbrechung für 10 Minuten anordnete.

Von der Verteidigerbank kam der Vorschlag in Richtung des Herrn Staatsanwalts:

Mach Yoga!

Was sofort zu einem #Aufschrei führte – der Herr Staatsanwalt forderte den Vorsitzenden auf, diese Aufforderung zu protokollieren:

Der hat mich geduzt! Der hat „Mach Yoga!“ zu mir gesagt! Ich will, daß das protokolliert wird!

Protokolliert wurde nichts, weil sich irgendwie kein Zeuge gefunden hatte, der – außer dem Adressaten – diese Ungeheuerlichkeit gehört haben will. (Ich auch nicht, man hat mir nur davon berichtet.)

Ein jeder blamiert sich so gut er kann. Aber so sind manche Menschen eben: Im Schlußvortrag vor voll besetzter Galerie mit großer Selbstverständlichkeit einen Nazivergleich zu einer Verteidigungsstrategie ziehen, aber dann „Rabääh!“ schreien, wenn ein freundlicher und hilfsbereiter Verteidiger eine im Grunde nützliche Empfehlung ausspricht.

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Bild: © Uwe Wagschal / pixelio.de

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