Peinliche Befragungen nach dem Lustprinzip

695211_web_R_K_B_by_Timo Klostermeier_pixelio.deIn dem Potsdamer Pillendienst-Verfahren waren insgesamt acht Zeugen geladen. Drei waren nicht erschienen, zwei davon „unentschuldigt“. Die Ladungen haben bei allen Zeugen sicherlich (erneut) zu erhöhtem Blutdruck geführt.

Den Angeklagten in diesem Verfahren wird u.a. vorgeworfen, unter anderem Potenzmittel wie Viagra, Levitra und Cialis vertrieben zu haben, ohne über die erforderlichen Lizenzen und Rechte zu verfügen.

Bei den Zeugen handelte es sich um Käufer dieser lokal den Blutdruck steigernden Medikamente, die im Normalfall ein Arzt verschreibt, wenn der Patient über Schwierigkeiten mit seiner sexuellen Leistungsfähigkeit klagt.

Den Käufern stand also eine hochnotpeinliche Befragung in einer öffentlichen Hauptverhandlung bevor. Sie hatten aber Glück: Die Idee, einer Hauptschulklasse – am besten 9. Schuljahr, überwiegend Mädchen – rechtzeitig den Besuch einer Gerichtsverhandlung zu empfehlen, kam zu spät. Den kalten Angstschweiß auf der Stirn wurden sie nacheinander mitten in den Gerichtssaal gesetzt und von 21 interessierten Prozeßbeteiligten herzlich begrüßt. (Was jetzt noch fehlte, war das Popcorn für die Verteidiger.)

Die Belehrung durch den Vorsitzenden, nun aber wirklich „die Wahrheit zu sagen und nichts als Wahrheit“, trug eher nicht zur Entspannung bei. Ich hatte nicht das Gefühl, als hätten die aber wirklich bedauernswerten Zeugen diese Medizin nötig gehabt, so steif wie sie auf dem Stuhl saßen.

Sogar der Vorsitzende zeigte echtes Mitleid. Und ohne einen Anflug von Sarkasmus fragte er die Verfahrensbeteiligten, ob daß sie auf die erneute Ladung der ausgebliebenen Zeugen verzichten würden werden.

Ich habe keine Lust, gegen sie ein Ordnungsgeld zu verhängen!

Selbst der ansonsten stets knarrende Staatsanwalt hatte gegen diesen Verzicht nach dem Lustprinzip keine Einwände.

Eine Beweisaufnahme mit echtem Unterhaltungswert, die auch noch vorteilhaft für die Angeklagten ausging. So macht Strafverteidigung Spaß.

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Bild: © Timo Klostermeier / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Potsdam, Prozeßbericht (www.prozessbericht.de), Zeugen veröffentlicht.

17 Antworten auf Peinliche Befragungen nach dem Lustprinzip

  1. 1
    kaputnik says:

    Es macht ihnen Spass Personen zu verspotten und hier der Lächerlichkeit preis zu geben, nur zweidie sich Viagra oder Potenzmittel bestellen? Vielen dank für den tiefen Einblick in ihre Persönlichkeit

    • Ich weiß nicht, wie Sie an die rezeptpflichtigen Medikamente kommen, die Sie – etwa für Ihre Durchblutung – brauchen. Sinnvoll ist auf jeden Fall der Bezug aus einer Apotheke nach ärztlicher Beratung und Verordnung. Wer ohne einen Arzt oder Apotheker zu fragen, im Netz auf Schnäppchenjagd geht, darf sich nicht wundern, wenn sich hinterher die Justiz für seine Erfahrungsberichte (beim Kauf und nach der Einnahme) interessiert.

      Nebenbei: Es ging auch um Schlankheitsmittel, die über denselben Kanal vertrieben wurden. Die entsprechende Vernehmung der übergewichtigen Zeuginnnen habe ich hier ausgelassen, um der naheliegenden Kritik aus den einschlägig bekannten Kreisen zu entgehen. Den Job haben Sie jetzt in entsprechender Form übernommen. crh

  2. 2
    Nemo says:

    Eine verwirrende Überschrift, denn es wurde ja anscheinend niemand gefoltert.

    • Das ganze Weblog ist eine Verwirrung. Jedenfalls für den Einfältigen, der die vielfältigen Möglichkeiten unserer Sprache nicht erkennen mag (oder kann). crh
  3. 3
    kaputnik says:

    … hier nichts mehr. crh

  4. 4
    adlatus des advokatus says:

    Im Prinzip muss man Herrn Hoenig verstehen. Er muss doch als Strafverteidiger ganz oft Menschen beistehen, denen im Leben gar nichts mehr peinlich ist. Zum Beispiel solche Leute, die mit menschlichen Nöten illegal Geschäfte machen. Und auch nicht jedem Anwalt ist bewusst, dass es Menschen gibt, die mit bestimmten Problemen nicht zum Doc gehen wollen sondern versuchen -vermeintlich- anonym an solche Sachen heranzukommen.

  5. 5
    Mitleser says:

    @1-4:
    OMG?! Was ist denn hier passiert?
    Da ist man 2 Tage offline und dann treiben sich hier auf einmal geschlechtsneutrale vegane allegleichberechtigende Pseudoweltvebesserer herum? Packt Euch in Eure Gesellschaftsuntergraberforen!

  6. 6
    Martin says:

    @Hoenig&Adlatus: Den Kundentyp, der sich bei dieser Sorte von Versandhändlern Viagra und Co. bestellt, würde ich als Apotheker grob folgendermaßen charakterisieren: Die sehen alleine den Preis, der dort deutlich günstiger ist als in der Apotheke. Anschließend muss bei denen komplett der Verstand aussetzen. Den Gedankengang, dass Medikamente hochkomplexe Chemikalien sind, die man in der erforderlichen Qualität nicht mal eben im Hinterhof synthetisieren und herstellen kann, kann dieser Kundentyp nicht nachvollziehen.

    Andererseits erlebe ich gleichzeitig regelmäßig Kunden, die mich manchmal 10 Minuten anquatschen, ob ich ihnen das Viagra nicht ohne Rezept abgeben würde, man würde ja eh selbst zahlen. Die lassen nicht locker, obwohl man ihnen erzählt, dass das ohne Rezept nicht passieren wird. Ich erlebe da durchaus eine gewisse kriminelle Energie bei diesen Leuten, wenn sie mich da überzeugen wollen, ihnen das Medikament ohne Rezept zu geben. Bestechungsgelder in der Höhe von 5 Euro (süß… :-) ) wurden mir da schon öfters angeboten.

  7. 7
    Blubb says:

    Wer kennt den nicht „Tina watt kosten die Kondome?“.
    Ich kann schon nachvollziehen, warum man so etwas über Umwege beziehen möchte. Der Preis wird bestimmt nicht so eine große Rolle spielen.
    Etwas Empathie schadet nie.

  8. 8
    Martin says:

    @blubb: Sie spielen den Punkt Diskretion als Grund an, bei solchen illegalen Versendern zu bestellen. Glauben Sie mir bitte, dass Viagra und Co. in der Apotheke auch nicht „peinlicher“ sind als Antidepressiva, Scheidenpilz, Mittel gegen Alkoholismus oder ADHS. Das gibt man in einer Apotheke täglich ab, da lästert kein Mensch. Abgesehen davon unterliegt man der gesetzlichen Schweigepflicht ebenso wie ein Anwalt oder ein Arzt, so dass auch daher nichts weitergeplappert wird.
    Aber wenn einem der Versand schon lieber ist. Warum bestellt man nicht bei einer Apotheke, die sich auf Versand spezialisiert hat? Da gibt es doch genügend seriöse Versender, teilweise auch durch Stiftung Warentest getestet?

    Nene, da gehört schon ein gehöriges Maß an Dummheit dazu, sich Medikamente über eine illegale Quelle zu beziehen.

  9. 9
    Al Koholiker says:

    @Martin:
    Mittel gegen Alkoholismus? Was und warum empfehlen Sie denn? Meine Ärzte weigern sich zwar beharrlich, A. zu diagnostizieren, aber ich möchte das Kind nicht erst aus dem Brunnen holen müssen.

  10. 10
    Martin says:

    @Alkoholiker: Als Apotheker bin ich nicht kompetent, da Behandlungsempfehlungen zu geben. Medizin und Pharmazie sind zwei unterschiedliche Paar Stiefel. Unabhängig davon, ist es schwierig, übers Internet Ratschläge zu geben.

    Eine Übersicht der erhältlichen Medikamente finden Sie auf https://de.wikipedia.org/wiki/Alkoholkrankheit#Medikamente_bei_der_Alkoholentw.C3.B6hnung . Die sind alle aufgrund der Indikation/des Anwendungsgebiets verschreibungspflichtig.

    Wenn Sie mit Alkohol ein Problem erkennen, würde ich Ihnen zum Besuch eines Arztes raten, der sich darauf spezialisiert hat (wahrscheinlich ein Facharzt für Nervenheilkunde/Psychotherapeut). Vielleicht hilft Ihnen auch ein Besuch bei entsprechenden Selbsthilfegruppen (Anonyme Alkoholiker u.ä.).

  11. 11
    Al Koholiker says:

    @Martin:
    Schade, dass es kein Wundermittel gibt, aber Danke, lese ich.
    Die PTs muss man zahlen (können und wollen(!, Vertrauen – sie arbeiten nicht auf Erfolgsbasis :( )), die AAs schliessen sich für mich schon auf Grund der Psychohygiene als Partner aus: Die 2x (im Abstand von 10 Jahren) die ich da war standen die Teilnehmer vor dem Treffen auf der Strasse und prahlten mit ihren Vermeidungsstrategien (immer noch nicht erwischt zu werden). Mit solchen Leuten muss ich nicht diskutieren.
    Davon abgesehen bin ich als fauler, bequemer Mensch eher der Hypnosetherapie („Umprogrammierung“) als Wunschtraum zugeneigt, notfalls der Medikamentösen. Nur ist der Leidensdruck noch nicht so hoch, mich treibt eher die Sorge wegen Extrapolation vergangener/n Entwicklung/Verhaltens.

  12. 12
    Viktor says:

    @Al Koholiker:

    Die von Martin erwähnten Fachärzte muss man wohl im allgemeinen nicht selbst zahlen, wenn man gesetzlich oder privat krankenversichert ist (bei Ihnen hoffentlich der Fall).

    Inwieweit Psychotherapeuten hier helfen können, kommt auf den Einzelfall an. Nicht jeder Alkoholiker hat ein Trauma oder Vermeidungsverhalten, sondern ist eventuell ganz einfach davon abhängig.

    Versuchen Sie es einfach mal! ;-)

  13. 13
    Al Koholiker says:

    @Viktor:
    Voraussetzung für jede Kostenübernahme ist die Diagnose. Solange sich die Ärzte beharrlich weigern zu diagnostizieren geht da wenig – im Gegensatz zu z.B. der Krebsfrüherkennung muss man wohl erst unrettbar krank sein, bevor die Kasse Kosten für Behandlungen (dann auch der Begleiterkrankungen) übernimmt.
    Einen erfolgsorientierten Arzt zahlte ich auch gerne selbst. Aber die PTs sind wohl eher wie Versicherungsvertreter: Versprechen das Blaue vom Himmel, bis man es schriftlich haben will (bzw. die Honorierung des Erfolges vereinbaren).

  14. 14

    […] in der ersten Reihe; wir schauten mal nach links, mal nach rechts und hatten gute Unterhaltung (und schon wieder kein Popcorn dabei). Bis dem Vorsitzenden der Kragen platzte und die Streithähne durch eine […]

  15. 15
    Martin says:

    @Alkoholiker:
    Sie täuschen sich. Mit dem Krankenkassenkärtchen haben Sie freie Arztwahl. Sie können ohne weiteres auch ohne Überweisung vom Hausarzt von sich aus einen Facharzt für Nervenheilkunde aufsuchen. Sofern der eine Kassenzulassung hat und sie als Patient annimmt, kann der sie ohne weiteres behandeln. Behandlung ist es aber durchaus auch, wenn er ihnen ein paar Adressen gibt, an die sie sich wenden können. Behandlung ist es auch, wenn er Ihnen den Rat gibt, Ihren Alkoholkonsum zu reduzieren.

    Die von mir verlinkten Medikamente setzt man bei wirklich schweren Alkoholikern ein. Das sind grob Medikamente, die das Zittern infolge der fehlenden Alkoholzufuhr aufheben (Craving / den „Turkey“) oder im Falle von Disulfiram ein Medikament, welches dafür sorgt, dass es Ihnen nach einem leichten Alkoholgenuss dermaßen kotzübel wird, dass sie das freiwillig bleiben lassen. Antidepressiva werden verschrieben, wenn eine Depression der Grund Ihres Fehlgebrauchs ist.

    Sie schreiben ja selbst, dass sie eher ein fauler und bequemer Mensch sind (der Satz beinhaltet keine Wertung durch meine Person). Medikamente sind nicht immer eine Lösung. So einfach geht es leider nicht immer, dass man jedes Problem einfach durch Schlucken einer Tablette lösen kann. Auch Hypnose halte ich nicht für eine erfolgsversprechende Möglichkeit (die Wertung zu Hypnose überlasse ich aber dann doch lieber dem Arzt, der da mehr Erfahrung hat als ich). Letztlich müssen sie es wollen.

    Vielleicht noch ein Tipp, wenn Sie schon keinen Arzt aufsuchen möchten: Rufen Sie mal ihre Krankenkasse an (oder sehen sie vorbei) und schildern denen das Problem. Wahrscheinlich haben die ebenfalls Adressen, wo man einem Menschen, der ein leichtes Problem mit Alkohol hat, helfen kann.

    Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

  16. 16
    Martin says:

    @Alkoholiker:
    Zum letzten Tipp mit der Krankenkasse noch ein Tipp: Machen Sie das anonym und hauen sie die Rufnummerunterdrückung beim Anruf rein. Nicht, dass die Jungs in ihre Akte noch einen Vermerk reinsetzen. Die haben nämlich im Gegensatz zu einem Arzt, einem Apotheker oder einem Juristen keine Schweigepflicht.

  17. 17
    Al Koholiker says:

    Lieber Martin,

    zunächst ehrlichen Dank für Ihr Engagement und Ihren zeit- und gedanklichen Aufwand für mich!!
    Hypnose wäre mein Traumweg, der stünde ich extrem positiv gegenüber (da keine medikamentösen Nebenwirkungen) – ergo wollte ich das wirklich.

    Als persönliches Feedback, zur Hinzufügung zu Ihrem Erfahrungsschatz, an dem Sie auch mich teilhaben liessen:
    Mein langjähriges „Problem“ mit Alkohol ist das immer gleiche Verlangen (primär: „abschalten“), das sich aber über die Jahre verstärkte: Ich brauche immer stärkere Motivatoren („nüchtern sein um 07:30 nächsten Morgen“ (Arbeitsbeginn)) etc, die klassischen sozialen Begrenzer.
    Meine Furcht ist grob gesagt, irgendwann einen Weg zu finden, das mit Hartz-IV zu realisieren und dem nachzugeben. Oder nur anzufangen „krank zu melden“, das auszuweiten und dann abzurutschen.

    Wie auch immer: Herzlichen Dank!

    Happy and successful apotheking, dear Martin :)

    P.S. „Behandlung ist es auch, wenn er Ihnen den Rat gibt, Ihren Alkoholkonsum zu reduzieren.“ ist trotzdem witzig, das weiss (halte für wahr/zutreffend/notwendig) ich ja schon aktiv (siehe Vorposts). Ich müsste mich halt noch hinreichend dazu motivieren ;)
    Vorhin habe ich mein 5. grosses Bier geleert, mehr geht heute nicht (Abbau auf „nüchtern“ – morgen 07:30 Dienstbeginn). Dieses Limit halte ich also noch, das aber (fast) jeden Tag. Schlimmer: Ich brauche einen äusseren Anlass, um zu limitieren, und genau das halte ich für ein(es der letzten) Warnsignale.

    • Vorschlag eines Menschen, der in einer Stadt mit 50.000 Einwohnern und 6 Brauereien groß geworden ist: Kaufen Sie sich ein Mountainbike und trainieren Sie für die Heckmair-Route von Oberstdorf nach Riva. Funktioniert! 8-) crh