Prinzipienrichter

Es geht um eine kleine Strafsache. Irgendwas mit Drogen. Der Beschuldigte ist zur Zeit aber nicht … sagen wir mal … zustellfähig. Und weil ich nun mal keine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht habe – und das obwohl mich der Richter dringend dazu aufforderte -, kann man mir als Verteidiger auch nichts zustellen, was eigentlich an den Beschuldigten gerichtet ist. Das hatte der Richter nach einigem Hin und Her dann auch akzeptiert.

Der zweite Versuch des Richters, beim Einwohnermeldeamt eine aktuelle Anschrift zu bekommen, um das Verfahren voran zu bringen, scheiterte: Unbekannt verzogen, hieß es dort.

Danach kam dann der richterliche Anruf in unserer Kanzlei.

Richter
Könnten Sie mir bitte mal eben die aktuelle Anschrift Ihres Mandanten D. mitteilen?

Assistentin des Strafverteidigers
Nein!

Richter
Warum nicht? Wissen Sie nicht, wo er sich aufhält.

Assistentin des Strafverteidigers
Mein Chef hat mir gesagt, solche Fragen soll ich mit dem Hinweis auf das Mandatsgeheimnis und § 203 StGB nicht beantworten.

Richter
Ihr Chef ist ein weiser Mann.

Und der Richter ist ein zielstrebiger, der nicht locker läßt. Er startet den vierten Versuch:

Informatorische Befragung

Ich habe dem Vater meines Mandanten § 52 StPO vorgelesen, als er mich angerufen hat. Der Richter hatte wohl völlig vergessen, dem Vater auch zu schreiben, daß er die Frage nicht beantworten muß.

Wie nicht anders zu erwarten, gibt der Richter nicht auf:

HB beantragen

Er schickt also die Akten an die Staatsanwaltschaft und regt den Erlaß eines Haftbefehls an. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Glücklicherweise gibt es in Moabit aber auch Staatsanwälte mit Augenmaß:

HB nicht verhältnismäßig

Worum ging es? Was hat diesen offenbar völlig unterbeschäftigten Richter zu diesem Aktionismus getrieben. Die Akte ist zwischenzeitlich auf knapp 150 Blatt angewachsen.

Zur Last gelegt

Tja, wen dieser Richter einmal am Wickel hat, den läßt er nicht mehr los. Es geht schließlich um’s Prinzip.

Dieser Beitrag wurde unter Betäubungsmittelrecht, Richter veröffentlicht.

12 Antworten auf Prinzipienrichter

  1. 1
    Alles Wuscht says:

    Mit solchen Bluthunden kann ich endlich in Ruhe schlafen. ;)

    0,864g… Da hat aber jemand die Edelsteinwaage ausgepackt. Möchte man mit der dritten Nachkommastelle unterstreichen wie korrekt man ist?

    Es sollte im Endergebnis ja wurscht sein, ob es 0,9g, 0,86g oder 0,864g sind.

  2. 2
    Leser says:

    „Amfetamin“. :-)

    Würde der StV die Adresse seines Mandanten verraten in bewusstem Bruch seiner Verschwiegenheitspflicht, wäre dies wohl eine Tat nach § 203 StGB. Wäre die Aufforderung eines Richters, diese Handlung zu umgehen, wiederum in voller Kenntnis der Verschwiegenheitspflicht und in genau der Absicht, den StV (bzw. dessen Assistentin) zum Bruch dieser Pflicht zu verleiten, Anstiftung dazu?

  3. 3
    Schultern says:

    Der Richter will einen „Haftbefehl zur Zustellung des Strafbefehls“ erlassen. Das ist doch kein Haftgrund, oder?

  4. 4
    Judex non calculat says:

    @Schultern: Doch. Grundsätzlich schon. Siehe nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.02.1997 – 1 Ws 127/9. Die Maßnahmen des Richters waren dementsprechend auch der notwendige Versuch, den Strafbefehl mit einem milderen Mittel zuzustellen.

  5. 5
    Kurti says:

    Crh wird die in der Entscheidung des OLG Düsseldorf dargestellte Rechtslage sicherlich mit seiner Mandantschaft erörtert haben. Der Richter kann einen HB ja auch ohne Miteirkung der StA erlassen.

    Alternativ (oder gleichzeitig) kann man das Verfahren gem. 205 StPO auf Halde legen. Irgendwann kommt jeder wieder an die Oberfläche, und sei es beim nächsten Bruch.

  6. 6
    Lord says:

    Wegen noch nicht mal EIN Gramm Speed so ein Aufriß?
    Als ob die Justiz in Berlin sonst nix zu tun hätte. Aber verm. ist sowas einfacher als getgen die Albanische Mafia zu ermitteln…..

  7. 7
    RA JM says:

    Mal angenommen, der HB würde erlassen, was dann? Deutschlandweite Großfandung zwecks Vollstreckung desselben – also (nur) Zustellung des Strafbefehls?

  8. 8
    jj preston says:

    „Amfetamin“ – das Bemühen des Richters klingt tatsächlich nach Käse.

  9. 9
    WPR_bei_WBS says:

    Manchmal bin ich ja froh ob meiner Erziehung. In diesem Fall: „Erst denken, dann reden.“ was heißt, dass ich, bevor ich wie meine beiden Vorredner, hier über Amfetamin rede, ersteinmal bei Wikipedia nachgeguckt habe. Und siehe da: Amfetamin ist der Freiname von Amphetamin :-D.

  10. 10
    Mr. Gaunt says:

    @ Leser und jj preston
    Das „Amfetamin“ steht so in der Schreibweise in der Anlage 3 zum BtMG und ist vollkommen korrekt. Üblich ich sicher die Version mit ph, aber deutsche Beamte nehmen brav das, was links in der Tabelle fettgedruckt steht und nicht das unter „andere nicht geschützte oder Trivialnamen“. ;-)

  11. 11
    Subsumtionsautomat says:

    Man kann durchaus mal nachfragen, ohne dass das eine Anstiftung zu irgendetwas ist. Schließlich kann man von einem Rechtsanwalt durchaus erwarten, dass er seine rechtlichen Grenzen prüft, bevor er etwas sagt. Wobei ich die Frage schon neutraler formuliert hätte. Trotzdem ist es in solchen Fällen sicher besser, sich erst an den Verteidiger zu wenden, bevor man einen Haftbefehl erlässt. Schließlich kann dann der Angeklagte selbst entscheiden, ob er seine Adresse preisgibt oder die Inhaftierung in Kauf nimmt – die Verhältnismäßigkeit mal außer Acht gelassen. Die Regel dürfte aber die Einstellung nach § 205 StPO sein. Irgendwann tauchen sie alle wieder auf…

  12. 12
    Grinsebacke says:

    Der Kommentar des Richters auf die Ablehnung durch die Assistentin von crh hat zumindest Stil.