Sie sind gefeuert!

Einmal im Monat kündige ich meinem Buchhalter. Nämlich immer dann, wenn er mir das Ergebnis der Umsatzsteuer-Voranmeldung vorlegt und ich wieder einmal einen dicken vierstelligen Betrag an das Finanzamt zahlen muß. Wir vertragen uns dann aber ein paar Tage später wieder, wenn er die Löhne und Gehälter unserer Mitarbeiter abrechnet – da sehe ich wenigstens die Leistung, die ich gern bezahle. Anders ist das mit den Steuern. Da sehe ich nur, wie irgendwelche öffentlich-rechtlich alimentierte Leute die Kohle verbrennen, die wir an den Fiskus abführen.

Ein schönes Beispiel für das Fenster, aus dem die Steuergelder zur Zeit geworfen werden, ist die Causa „netzpolitik.org“ bzw. „Range“.

Der 67-jährige Harald Range war „im dienstlichen Interesse“ noch nicht in den Ruhestand geschickt worden. Man braucht ihn noch für die Einstellung des Verfahrens in der Kanzlerinnenabhöraffäre. Dieses Interesse ist heute Vormittag aber irgendwie abhanden gekommen.

Herr Range hat nämlich ein Stück Papier vorgelesen (die freie Rede ist nicht so das Ding von Staatsanwälten, habe ich den Eindruck). Zuhörer war so ziemlich alles, was Rang und Namen in der Medienwelt hat. Den Wortlaut dieser Presseerklärung hat das Interesse des Bundesjustizministers an der Fortsetzung dschlagartig schwinden lassen.

Im Streit über umstrittene Ermittlungen gegen den Internetblog netzpolitik.org entlässt Bundesjustizminister Heiko Maas Generalbundesanwalt Harald Range. […] Range habe in seiner Pressekonferenz am Dienstag Tatsachen verdreht, sagte Maas.

So lautet eine Agenturmeldung in der taz.

Sich gegenseitig über die Medien irgendwelche Grobheiten um die Ohren zu hauen, gehört nur wirklich nicht zu dem, was ich gern mit meinen Steuerzahlungen finanziere. Auch die Aufwendungen für strafrechtliche Ermittlungen, an deren Ende von Anfang an nichts hinten raus kommen wird und kann, könnten besser diejenigen finanzieren, die Spaß an solchen sinnlosen (aber gefährlichen) Tätigkeiten haben. Den gemeinen Steuerzahler hingegen sollte man vor so einem Unsinn verschonen.

Aber was rede ich hier, auf einen kleinen Kreuzberger Strafverteidiger hört ja sowieso keiner …

Dieser Beitrag wurde unter Politisches, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

38 Antworten auf Sie sind gefeuert!

  1. 1
    Miraculix says:

    Es gibt also tatsächlich noch einen Politiker mit Eiern.
    Chapeau!

  2. 2
    Chris says:

    Ich muss immer grinsen, wenn es heißt „ICH muss Umsatzsteuer bezahlen“..

  3. 3
    RA Müller-Blohfeld says:

    Herr Range ist der Meinung, die „Unabhängigkeit der Justiz sei ebenso geschützt wie die Presse- und Meinungsfreiheit“.

    Offenbar hat der Mann in seiner fast 50-jährigen Justizausbildung / -tätigkeit nicht kapiert, daß das nur für Richter, nicht aber für Staatsanwälte gilt, schon gar nicht für den politischen Beamten namens Generalbundesanwalt. Man sollte ihm für diesen Satz nachträglich beide Staatsexamina aberkennen.

    Peinlicher geht es kaum.

  4. 4
    luDa says:

    „Da sehe ich nur, wie irgendwelche öffentlich-rechtlich alimentierte Leute die Kohle verbrennen, die wir an den Fiskus abführen.“

    Pflichtverteidiger?

  5. 5
    Maik says:

    Mittlerer vierstelliger Betrag… Sagen wir 5.000€ macht Umsätze oberhalb von 30.000 € realistisch eher 40.000 €, da Sie ja die gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen.

    Und die armen Unschuldigen müssen das wirtschaftlich tragen, da der Unternehmer (Kapitalist!?) das ja auf den Endverbraucher überwälzt.

    Damit sind Sie mitfinanzierender Teil eines Systems das Sie zu bekämpfen behaupten.
    *Ironie off

  6. 6
    soso says:

    Pflichte RA Müller-Blohfeld uneingeschränkt, besonders hinsichtlich der StEx zu ;-)

  7. 7
    T.H., RiLG says:

    Losgelöst vom hier letztlich ausschlaggebenden Fall sollten nicht nur bei Richtern und Staatsanwälten, sondern auch bei (im Einzelfall gar nicht sooo kleinen) Kreuzberger Strafverteidigern alle Alarmglocken klingeln, wenn sich die Politik derart dreist in das Geschäft der Justiz einmischt. Das Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten ist ein Skandal und gehört abgeschafft.

    Niemand, egal an welchem Tisch im Sitzungssaal er seinen Platz hat, kann ein Interesse daran haben, dass Minister bestimmen, wer strafrechtlich verfolgt wird und wer nicht.

    Wer dem Maas-Männchen jetzt applaudiert, sollte vielleicht bedenken, dass es über das Weisungsrecht auch jederzeit möglich wäre, dass ein CSU-Minister Ermittlungen gegen, sagen wir mal prominente Fußballpräsidenten (Ähnlichkeiten mit real existierenden Rekordmeistern höchst zufällig), blockiert.

    Ich habe in meiner Zeit mehr als nur einen StA erlebt, der auf Druck von oben gegen seine eigene Überzeugung handeln musste.

  8. 8
    WPR_bei_WBS says:

    Oh oh, wie reagieren Sie dann erst bei der Einkommensteuer? Die ist ja nicht mal ein durchlaufender Posten :-).

  9. 9

    Pflichte T.H RiLG vollumfänglich zu. ICH finde es unerträglich, was das Maas-Männchen tut. Es kann nicht angehen, dass ein „Politiker“ entscheidet, ob und wie seitens der StA ermittelt wird (und zwar unabhängig, ob ICH es richtig und gut finde)…ICH mag keine politische Justiz (in jede Richtung!). Derartiges gab es und hat absolut nichts, aber auch gar nichts mit rechtsstaat zu tun (der immer weiter bröckelt). .. Wenn nichts dran ist, dann wird das auf den vorgesehenen Wegen geklärt, aber NICHT per politischen Erlasses!

  10. 10
    RA Tatouille says:

    Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ist zwar eine alte Forderung der StA. Sie gibt es aber nicht. Weder in Deutschland, noch – soweit mir bekannt – in anderen Staaten. Sie wäre auch mit dem System der „Staats“-Anwaltschaft schwerlich zu vereinbaren. Die Damen und Herren sind nun einmal Beamte und haben zu gehorchen.

    Herr Maas hat völlig rechtmäßig gehandelt, zumal gegenüber einem politischen Beamten. Wer als Beamter mit einer Weisung nicht einverstanden ist, kann remonstrieren, ggf. sogar das Verwaltungsgericht anrufen und am Ende vom BVerfG prüfen lassen, ob und inwieweit man als Staatsanwalt unabhängig ist. Der Beamte ist also nicht rechtsschutzlos. Den meisten fehlt es nur an cojones. Deshalb sind sie ja Beamte. Nach unten treten und nach oben buckeln.

    Wer in seiner Position gern und häufig die Muskeln der staatlichen Gewalt einsetzt und jeden verfolgt, der es wagt, sich zu „widersetzen“, muß auch damit leben, daß er diese Gewalt selbst einmal zu spüren bekommt. Wer damit ein Problem hat, soll Richter, Rechtsanwalt oder selbständiger Schreinermeister werden.

  11. 11
    Alex says:

    Liebe Volljuristen die Ihr hier schreibt – Ihr habt irgendwo und irgendwann nicht aufgepasst, vermutlich ganz am Anfang, in den ersten Semestern. Bei der Einführung. Oder später, im Verfassungsrecht. *Natürlich* entscheidet die Politik und *natürlich* ist ein politischer Beamter (rtfl, read the f* law) an die Weisungen der Politik gebunden. Maas hätte die Einstellung des Verfahrens viel früher und viel diskreter durchsetzen müssen – darüber solltet Ihr mal nachdenken. Und wer jetzt auf einer vermeintlichen „Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft“ rumpocht könnte auch von der „Unabhängigkeit der Anwälte“ palavern.

  12. 12
    BV says:

    @ Alex, # 9:

    Ich glaube, den Volljuristen hier ist ziemlich klar, dass der Bundesjustizminister de lega late ein Weisungsrecht hat, von dem er Gebrauch gemacht hat. Das bestreitet niemand, auch wenn man die Vorgehensweise durchaus kritisieren kann. Es geht um eine Abschaffung des Weisungsrechts de lege ferenda, über die man ja durchaus nachdenken kann. Es sollte ausreichen, wenn die Dienstvorgesetzten ein solches Weisungsrecht haben. Politiker verfolgen eben doch noch einmal ganz andere Interesse als die Fachbeamten der Ermittlungsbehörden.

    Rechtsanwälte sind übrigens tatsächlich unabhängig (§ 1 BRAO).

  13. 13
    Redakteurin says:

    Herr Maas wusste schon im Mai Bescheid. Damals unternahm er nichts, dies tat er erst gestern.
    Was hat sich in diesen Wochen geändert? Nicht die Gesetze. Vielmehr tobt seit Tagen ein Shitstorm, aufgenommen durch eine vollkommen hysterische Berichterstattung, in der viele Fakten durcheinander geraten sind.

    DAS ist der eigentliche Skandal: Dass ein Minister sich so sehr von der gefühlten öffentlichen Meinung hat leiten lassen, hat unter Druck setzen lassen.

    Maas fehlt eine Haltung, zu der er auch steht. Vielleicht ist er auch fachlich nicht gut, das kann ich leider nicht beurteilen.

  14. 14
    Hans Adler says:

    @RA Tatouille: Unabhängige Staatsanwaltschaften gibt es durchaus, nur halt nicht im deutschen Sprachraum. Der Europarat hat sich im Jahr 2000 mit der Frage beschäftigt und u.A. konstatiert, dass Europa in dieser Hinsicht gespalten ist:

    „Legal Europe is divided on this key issue between the systems under which the public prosecutor enjoys complete independence from parliament and government and those where it is subordinate to one or other of these author ities while still enjoying some degree of scope for independent action.“

    Quelle: https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=376859 Seite 22. Ein neueres Dokument (2010) zum Thema: http://www.coe.int/t/dghl/cooperation/capacitybuilding/Source/judic_reform/europeanStandards_en.pdf

    Soweit ich weiß gehört Frankreich zu den Ländern mit unabhängigen Staatsanwaltschaften. Es gibt Bestrebungen (Dresdner Plädoyer), das auch in Deutschland einzuführen.

  15. 15
    Miraculix says:

    @T.H., RiLG
    „Wer dem Maas-Männchen jetzt applaudiert, sollte vielleicht bedenken, dass es über das Weisungsrecht auch jederzeit möglich wäre, dass ein CSU-Minister Ermittlungen gegen, sagen wir mal prominente Fußballpräsidenten (Ähnlichkeiten mit real existierenden Rekordmeistern höchst zufällig), blockiert.“
    Nein, genau das wäre nicht möglich. Das sollten Sie aber wissen.

  16. 16
    Roland B. says:

    „DAS ist der eigentliche Skandal: Dass ein Minister sich so sehr von der gefühlten öffentlichen Meinung hat leiten lassen, hat unter Druck setzen lassen“
    Skandal? Das ist doch der Normalzustand im System Merkel–Gabriel–Seehofer.

  17. 17
    JK says:

    Bei mir läuten die “Alarmglocken”, wenn Ermittlungen aus populistischen Gründen nicht weiterverfolgt werden.

    MAAS & Co. hätte ein Imageschaden gedroht, denn man hätte sich in der SPD von der WIKILEAKS-Folklore verabschieden müssen.

    Damit ist das Weisungsrecht an Staatsanwälte ein politisches Mittel (bzw. eine Seuche), das eben auch eingesetzt wird.

  18. 18
    T.H, RiLG says:

    Miraculix, da irren sie. Die Einflussnahmemöglichkeiten auf ein Ermittlungsverfahren sind vielfältig, angefangen von Berichts-, Vorlage – und Gegenzeichnungspflichten bis hin zur Möglichkeit, jemand anders mit der weiteren Fallbearbeitung zu betrauen. Oder man erteilt eben eine Weisung.

    Sie haben vom Innenleben solcher Behörden keine Ahnung. Das schadet aber nicht, vermutlich schlafen sie so besser.

  19. 19
    Miraculix says:

    @T.H, RiLG
    Wenn eine Straftat vorliegt MUSS der zuständige StA ermitteln. Das steht im Gesetz und kann nicht durch eine Weisung geändert werden. Es kann allenfalls die Zuständigkeit geändert werden. Das Blockieren von Ermittlungen wegen einer Straftat wäre selbst wieder eine Straftat.

  20. 20
    T.H., RiLG says:

    Freilich wäre es das. Das schließt aber nicht aus, dass es so gemacht werden könnte. Ich kenne den Laden jetzt schon ein paar Jahre von innen, und von dem Gedanken, dass da keiner etwas macht, was das Gesetz nicht vorsieht, habe ich mich längst verabschiedet. Und wenn sich die Politik einmischt, wird es noch schlimmer.

    Es ist zB auch nicht vorgesehen, dass ein Landrat, der zugleich Landtagsabgeordneter ist, einen Staatsanwalt anruft und sich über ein Verfahren gegen einen Parteifreund beschwert, verbunden mit der Drohung, im Landtag Sparmaßnahmen anzuregen, da die Justiz ja wohl überbesetzt sei, wenn „für sowas“ Zeit ist. Passiert ist es trotzdem.

  21. 21
    Miraculix says:

    Es ist ein Unterschied ob unerlaubt Dinge passieren oder ob es zulässig ist.
    Daß sich nicht jeder an das Gesetz hält – am wenigsten diejenigen die es hüten sollten – ist ja bekannt und traurig genug.

  22. 22
    T.H., RiLG says:

    Das Weisungsrecht gehört abgeschafft. Es ist Aufgabe der Gerichte, nicht der Politik, einem Staatsanwalt eine nicht tragfähige Anklage um die Ohren zu hauen. Das wäre ein richtiges Zeichen gegen den Allmachtsanspruch der Politik, die mittlerweile nicht einmal mehr davor zurückschreckt, ein laufendes (!) Verfahren zu beeinflussen und, wie kürzlich in Brandenburg geschehen, während laufender Hauptverhandlung den Austausch des zuständigen StA zu verlangen. Und als Krönung wurde dann noch von der Kammer eine neue Beweisaufnahme gefordert, obwohl doch, jedenfalls nach meiner Kenntnis, das Beweisantragsrecht den Verfahrensbeteiligten vorbehalten ist.

    Ebenfalls untragbar ist der Zustand, dass der GBA ein politischer Beamter ist. Da sind die Länder weiter als der Bund; die haben ihre GenStAe von diesem Korsett befreit.

  23. 23
    WPR_bei_WBS says:

    Auch wenn ich das Ergebnis begrüße, bereitet der Weg mir dahin Bauchschmerzen. Wie immer wenn Staatsanwälte Weisungen aus der Politik erhalten, Ermittlungen entweder einzustellen oder aber doch bitte schön aufzunehmen.

    Da ist immer ein Geschmäckle, erst recht wenn’s ‚konspirativ‘ (was in solchen Fällen ja wohl die Regel ist) erfolgt. Was mir daher hier an dem Fall zumindest gefällt ist, dass die Weisung / Entlassung von Maas für die Öffentlichkeit transparent erfolgt ist.

    Dies gesagt stehe ich vor dem Problem, dass ich bei einer komplett unabhängigen Staatsanwaltschaft auch Bauchschmerzen habe. Denn so ein Ermittlungsverfahren kann eine Person schon ziemlich belasten, bis an den Rand einer Existenzvernichtung. Und im Gegensatz zu einem Gerichtsprozess (bzw. Instanzenzug) kann man sowas, zumindest mit den bestehenden Möglichkeiten, nicht wirklich steuern / unterbinden. Und unabhängig bedeutet ja nicht gut – auch ein unabhängiger Staatsanwalt / Generalanwalt kann Ermittlungen einstellen, obwohl das falsch ist, und er knn genau so amok laufen und einen Beschuldigten „zu Tode“ ermitteln, wo dass falsch ist.

    Summa sumarum bin ich für eine Kontrolle / Weisungsabhängigkeit von Staatsanwaltschaften. EInfach weil es mir in einer Demokratie unbehagen bereitet, wenn jemand so hohe Macht hat. Den einzigen, denen ich das zugestehen möchte sind Richter, und denen auch nur weil es einen Instanzenzug gibt.

    Allerdings könnte man sich überlegen, wie genau man diese Kontrolle ausgestaltet…

  24. 24
    Miraculix says:

    Darüber kann man diskutieren. Wie weit soll denn das Weisungsrecht abgeschafft werden?
    Nur für den GBA oder für alle StA? Die haben manchmal derartige Allmachtsphantasien daß ich froh bin wenn ein Vorgesetzter da mal etwas bremsen kann.
    Leider liegt seit der Zeit der Nazis viel in deren Händen ohne daß es eines Richters bedarf. Räumen wir diese Dinge bei der Gelegenheit mit auf?

  25. 25
    T.H., RiLG says:

    Oberste Priorität müsste die Abschaffung des Weisungsrechts für die Justizminister haben. Nächster Schritt wäre die Abschaffung von Berichts- und Vorlagepflichten an übergeordnete Behörden.

    Dann wären wir schon einen Schritt weiter.

  26. 26

    Die Gesetzeslage ermöglicht eine weitestgehende Anpassung der Ermittlungstätigkeit des Generalbundesanwalts an politische Erfordernisse. Daher ist der Generalbundesanwalt dem Justizminister gegenüber weisungsabhängig , Paragraf 152 GVG in Verbindung mit Paragraf 147 GVG . Aus Paragraf 150 GVG folgt eindeutig, dass die Staatsanwaltschaft gegenüber den Gerichten unabhängig ist. Nicht gegenüber der Exekutive, also der Regierung. Daher ist es jederzeit möglich, ein Verfahren nach Paragraf 153 d StPO einzustellen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Durchführung des Verfahrens für unzweckmäßig gehalten wird.

    Diese Dehnbarkeit der Rechtslage hat in der Vergangenheit bis heute zu den merkwürdigsten Ergebnissen geführt. Insofern ist es keine schlechte Idee, zumindest im Bereich des politischen Strafrechts die enge Anbindung der Staatsanwaltschaft und Generalbundesanwaltschaft an die Exekutive zu lockern.

    Die eindeutig dominante Tendenz in der Rechtspolitik der letzten etwa 30 Jahre bestand allerdings darin, eine Stasi 2.0 zu installieren. Im Ergebnis wird also ermittelt, wenn es politisch erwünscht ist. Nahe liegend ist, dass allerdings meistens nicht ermittelt wird, wenn das politisch erwünscht ist.

  27. 27
    Redakteurin says:

    @T.H., RiLG

    Welcher Landrat war das? Ist er ein Brandenburger? Wie lange liegt das Vorkommnis zurück?

  28. 28
    RA de Berger says:

    @ T.H. RiLG

    Solange die Staatsanwaltschaften sich vielfach selbst nicht an Gesetze halten und für mein Empfinden schon viel zu viel unkontrollierte Macht besitzen und ausüben, kann ein Berichts- und Vorlagewesen ebenso wenig schaden wie ein Weisungsrecht.

    Wer glaubt, daß die Gerichte eine hinreichende Kontrollinstanz für Machtüberschreitungen der Staatsanwaltschaften sind, ist ziemlich naiv. Viele Ermittlungsrichter und die ihnen übergeordneten Beschwerdekammern sehen sich mehr als Gehilfen der Staatsanwaltschaft denn als Rechtsschutzinstanz für die Bürger.

    Eine Unabhängigkeit für die Staatsanwaltschaft wäre nur dann wünschenswert, wenn sich die Strafgerichte mehr – wie etwa im angloamerikanischen Rechtskreis – den Bürgerrechten verpflichtet fühlten und nicht als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaften agierten (viele lobenswerte Ausnahmen bestätigen die Regel).

    Ferner müßte mit der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften die Abschaffung des Inquisitionsprinzips einhergehen, gleichermaßen sollte im Zwischenverfahren ein anderes Gericht zuständig sein als das für das Hauptverfahren berufene Gericht.

    Es kann nicht sein, daß mit Zulassung der Anklage das Gericht völlig den Verfahrensgegenstand bestimmt und gleichsam Staatsanwaltschaft, Polizei, Gericht (und manchmal Verteidiger) in einem ist. Das Gericht sollte vielmehr neutraler Schiedsrichter im Parteiprozeß zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung sein. Im Zivilprozeß funktioniert die Objektivität und Neutralität des Gerichts überwiegend sehr gut. Offene Parteinahmen für den Kläger oder den Beklagten sind selten zu beobachten, da das Gericht zumeist kein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat. Ganz anders im Straf- und Verwaltungsprozeß. Hier wird ganz offen Partei für den Staat ergriffen.

    Solange das Inquisitionsprinzip nicht fällt (und ich sehe nicht im Ansatz Bestrebungen, den Untersuchungsgrundsatz abzuschaffen), bin ich auch gegen unabhängige Staatsanwaltschaften.

  29. 29
    T.H., RiLG says:

    Jemanden, der ernsthaft die Abschaffung des Untersuchungsgrundsatzes fordert, nehme ich nicht ernst.

  30. 30
    Miraculix says:

    @T.H., RiLG
    Ein großes Wort. Es gibt Rechtsstaaten in denen genau das nicht existiert. Das macht dann z.B. den Weg für Beweisverwertungsverbote frei wenn Beweise mit unzulässigen Mitteln erhoben wurden.
    Das ist wegen des Untersuchungsgrundsatzes hier schwierig und provoziert illegales Handeln von staatlichen Institutionen.
    Es scheint in diesen Ländern auch ganz gut zu funktionieren.
    Was ist daran also derart beängstigend an der Idee?

  31. 31
    T.H., RiLG says:

    Miraculix, die Bedeutung des Ermittlungsgrundsatzes für ein rechtsstaatliches Strafverfahren nach deutschem Verständnis (andere Rechtsordnungen interessieren mich da wenig) können Sie in mehreren Entscheidungen des BVerfG und des BGH nachlesen. Ebenso in sämtlichen einschlägigen Kommentaren. Ich muss das hier nicht wiedergeben und rege insoweit ein „Selbstleseverfahren“ an.

    Dabei wäre es für meine Zunft extrem arbeitserleichternd, wenn man, wie hier von einem der Vorredner zumindest indirekt verlangt, den Strafprozess nach den Grundsätzen des Zivilprozesses führen würde. Noch weit über die bisherige Rechtsprechung hinaus könnte Verteidigungsvorbringen als verspätet zurückgewiesen werden, und im Urteil könnte man sich auf folgende Ausführungen beschränken:

    „Der Angeklagte hat den von der StA erhobenen Tatvorwurf nicht substantiiert bestritten, weshalb er als zugestanden anzusehen ist (vgl. § 138 ZPO). Er wird zu 7 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt“.

    Ginge wesentlich schneller, als die Aufklärung möglicherweise komplexer Tatvorwürfe.

    Zugegeben, das ist jetzt überspitzt, daher noch der Hinweis, dass nicht nur ein kleiner R1-Eumel wie ich nicht am Ermittlungsgrundsatz rütteln lassen will, sondern auch bundesweit anerkannte Experten:

    http://blog.burhoff.de/2009/12/strafverfahren-quo-vadis-das-deutsche-strafverfahren-auf-dem-weg-in-den-parteiprozess/

  32. 32
    Miraculix says:

    Das ist nicht nur ein wenig sondern extrem überspitzt.
    Tatsache ist daß auch ein Strafverfahren nach dem Parteigrundsatz ganz gut funktioniert.
    Wir werden das hier nicht einführen – schon klar. Aber jemanden als Diskussionsteilnehmer nicht ernst zu nehmen weil er sich ein zweifelsfrei rechtsstaatliches Verfahren wünscht ist unangemessen.

  33. 33
    T.H., RiLG says:

    Ein Strafverfahren nach Beibringungsgrundsätzen ist alles, nur nicht „zweifelsfrei rechtsstaatlich“. Genau deshalb ist der Anspruch, dass sich die Beweisaufnahme auf alle (!) relevanten Beweismittel erstreckt, für die Verfahrensbeteiligten dann auch unverzichtbar.

    Damit beende ich dann auch diese Diskussion.

  34. 34
    Miraculix says:

    Rechtsstaatlichkeit bemisst sich nicht an deutschen Grundsätzen – eher im Gegenteil.

  35. 35

    Neueren Meldungen zufolge muss jetzt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Justizminister ermitteln, weil er wegen Strafvereitelung im Amt angezeigt wurde. Jedenfalls stand das im Tagesspiegel.

    Ich frage mich einstweilen, wer dem GBA den fatalen Zettel in die Hand gedrückt hat, von dem er ungeschickterweise abgelesen hat.

  36. 36
    RA de Berger says:

    Am deutschen (Rechts-) Wesen, soll die Welt genesen? Der Untersuchungsgrundsatz bringt auch keine Gerechtigkeit hervor, sind die meisten Strafrichter doch in erster Linie darauf aus, belastende Beweise beizubringen. Der Belastungszeuge wird von Amts wegen gerne auch mal aus Brasilien eingeflogen. Der Entlastungszeuge von Amts wegen schon mal gar nicht und auf Antrag der Verteidigung bestenfalls gegen größte Widerstände. Von wegen: die Beweisaufnahme wird auf alle relevanten Beweismittel erstreckt…. Von Amts wegen in der Regel nur auf solche, die die Anklage tragen und eine Verurteilung rechtfertigen.

    Ein „Parteiprozeß“ im Strafverfahren läuft freilich nicht nach ZPO-Grundsätzen ab. Etwas mehr Kenntnis von ausländischen Rechtssystemen, die nach diesem Prinzip sehr gut funktionieren, sollte man schon haben, bevor man herumtönt. Aber das ist auch irgendwie wieder typisch für einen deutschen Richter.

    Der Angeklagte muß nicht „substantiiert“ bestreiten, sondern nur auf „unschuldig“ plädieren und schon trifft die Staatsanwaltschaft die volle Beweislast. Der Richter wird nicht deren Hilfsbeamter, wie oftmals in der deutschen Hauptverhandlung. Den Angeklagten trifft auch keine sekundäre Darlegungslast im Sinne von § 138 Abs. 2 ZPO. Er muß sich zu dem Vorbringen der Staatsanwaltschaft nicht verhalten, sondern darf selbstverständlich schweigen. Ich rede dem us-amerikanischen Strafprozeß nicht das Wort, da liegt auch vieles im Argen. Aber der Inquisitionsprozeß ist nicht nur vom Namen her in vielfacher Hinsicht mittelalterlich.

  37. 37
    Steueranwalt says:

    Ich kann jeden verstehen der seine Steuern nicht zahlt, denn dieser Staat veruntreut die Steuern und begeht Steuerbetrug am Volk, durch massenhafte Steuerverschwendung.

    Darum: Steuerhinterziehung ist Notwehr!

  38. 38
    Engywuck says:

    @BV (#12): du forderst: „Es sollte ausreichen, wenn die Dienstvorgesetzten ein solches Weisungsrecht haben.“

    Nun ist aber im Falle des GBA dies passiert. Von der Webseite des GBA: „Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof untersteht der Dienstaufsicht des Bundesministers der Justiz (§ 147 Nr. 1 GVG). “ — https://www.generalbundesanwalt.de/de/stellung.php

    Ja, eine Aufsicht ist nicht in allen Fällen automatisch Vorgesetzter, aber wer die eigene Aufsichtsstelle öffentlich dermaßen kritisiert will einen Rauswurf provozieren (oder muss zumindest damit rechnen).

    Übrigens, von derselben Seite: “ Die beamtenrechtlichen Bestimmungen sehen vor, dass er sich in Erfüllung seiner Aufgaben in fortdauernder Übereinstimmung mit den für ihn einschlägigen grundlegenden kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Regierung befindet. Er kann jederzeit ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. “ Ganz offensichtlich war Range nicht (mehr?) in Übereinstimmung mit den Ansichten und Zielsetzungen der Regierung – und Maas hätte ihn zudem auch ohne Begründung in den einstweiligen Ruhestand verabschieden können.

    Damit ist alles formalrechtlich sauber gelaufen. Ob es auch sinnvoll war…

    Noch ein weiterer Punkt: solange es keinen neuen GBA gibt kann das Verfahren gegen netzpolitik.org auch nicht vom GBA eingestellt werden (oder?). Damit bleibt die Drohkulisse (inklusive aller Möglichkeiten wie Telefon abhören etc) weiterhin bestehen. War eventuell genau dies eine (mit-)Absicht bei dieser „Entlassung“?