Die Nutzung der neuen Medien hat ein ernormes Suchtpotential. Das ist schon länger bekannt. Heise Online berichtet 2004 bereits:
Immer mehr Menschen in Deutschland sind […] einer krankhaften SMS-Sucht verfallen. Der Psychotherapeut und Buchautor Andreas Herter aus Hannover schätzt die Zahl der Menschen, die zwanghaft Handy-Kurzmitteilungen verschicken und empfangen, auf 380.000.
Seit dieser Zeit hat sich das wohl eher nicht gebessert. Im Gegenteil. Jetzt simsen nicht nur pubertierende Schüler im Unterricht, sondern neuerdings wird auch auf der Richterbank gedaddelt – während laufender Hauptverhandlung.
Aus der Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshof Nr. 059/2015 vom 15.04.2015:
Nach dem Revisionsvortrag hatten die Angeklagten in der Hauptverhandlung eine besitzende Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da diese während der Vernehmung eines Zeugen über einen Zeitraum von 10 Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon bedient habe. Die abgelehnte Richterin räumte die Nutzung ihres Mobiltelefons „als Arbeitsmittel“ ein, gab aber an, nur zwei Kurzmitteilungen versandt zu haben; einen zuvor eingegangen Anruf habe sie nicht angenommen. Die Befangenheitsgesuche richteten sich außerdem gegen den Vorsitzenden Richter, der das Verhalten der Beisitzerin bemerkt, aber nicht unterbunden habe. Das Landgericht hatte die Gesuche als unbegründet zurückgewiesen; insbesondere sei die beisitzende Richterin durch die Bedienung des Mobiltelefons nicht wesentlich in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkt gewesen.
Die Entscheidung – in dieser Sache findet der Hauptverhandlungstermin am 17. Juni 2015 statt – wird in Schülerkreisen mit Spannung erwartet. Das Ergbnis ist allerdings vorhersehbar.
Bei Heise heißt es weiter:
Viele Patienten seien auch am Arbeitsplatz auffällig geworden. Bei den Erwachsenen seien häufig allein stehende und einsame Menschen oder so genannte „soziale Absteiger“ betroffen, sagte Herter.
Ich denke, selbst nach einer für die Richterin günstigen Entscheidung wird die Karriere der Richterin am Landgericht Frankfurt am Main eher nicht steil nach oben zeigen.
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Bild: © Paul-Georg Meister / pixelio.de
Eine spannend erwartete Entscheidung. Darf ich dann damit rechnen, auch als Schöffe Tätigkeiten durchführen zu dürfen, die meine „Aufmerksamkeit nicht wesentlich einschränken“? Also stricken, Musik hören, essen und so?
Ich muss schon sagen, das dann schon eine ziemliche Haarspalterei, ab wann ist man denn nicht abgelenkt wenn man etwas mit dem Handy macht.
Dann darf ich beim Autofahren SMS schreiben, weil wenn man ja „durch die Bedienung des Mobiltelefons nicht wesentlich in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkt“ ist sollte das doch kein Problem sein.
Ganz zu schweigen dass der Anstand etwas anderes gebietet.
Die Frage der Abgelenktheit ist ein Thema – ich persönlich sehe da durchaus ein Problem, aber da mag man noch zwei Meinungen haben. Wenn schlafende Richter ausreichen, sollten es SMS-tippende Richter wohl auch.
Wichtiger aber finde ich die Frage, ob aus Handy-Tippen nicht eine gewisse Missachtung des Verfahrens spricht. Würde der Angeklagte auf seinem Mobiltelefon herumspielen, wenn der Richter mit ihm spricht, gäbe es sicherlich sehr schnell eine Ermahnung. Umgekehrt sollte mindestens dasselbe gelten; im Gegensatz zum Angeklagten – der selbst entscheiden kann, ob er die Angelegenheit aktiv verfolgt oder nicht – haben die Richter dort die Aufgabe, wachsam die Vorgänge zu beachten. Unwillentlich einzunicken, mag man ja noch hinnehmen, aber willentlich SMSe schreiben… bitte, bitte nicht.
„…wenn schlafende Richter ausreichen… “
Sekundenschlaf jedenfalls reicht nicht aus, siehe BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2001, Az. 5 B 105/00.
Mal eben kurz die sms „checken“ dauert sicher auch nicht länger. Jedenfalls dann nicht, wenn es keine 148 oder 148713 sind.
SMS tippen während der Sitzung ist eine Unverschämtheit gegenüber den Kollegen, der StA, der Verteidigung, dem Angeklagten und gegenüber dem Zeugen, der gerade aussagt. Und deshalb ist es auch völlig wurscht, wie lange das Schreiben einer SMS gedauert hat. Selbstverständlich muss ein Angeklagter bei einem solchen Verhalten den Eindruck gewinnen, dass so jemand das Verfahren nicht ernst nimmt.
Herzlichen Glückwunsch dem Personalreferenten zum glücklichen Händchen bei der Einstellung dieser „Kollegin“.
Zahlreiche Strafverteidiger am LG Hamburg spielen permanent in der Hauptverhandlung an ihren Handys rum. Mehrfach klingelte sogar das Handy.
SMS-tippende Verteidiger gab es auch schon im LG Potsdam (nicht im Pillenprozess, an dem Herr RA Hoenig beteilgt ist).
Vor einem halben Jahr stand einer auf, ging zur Tür, drehte sich um und sagte dem Vorsitzenden wörtlich: „Ich muss mal eben weg. Macht mir aber nichts aus, wenn das hier ohne mich weitergeht.“
Er blieb dann tatsächlich eine halbe Stunde oder so fort. Sein Kollege verteidigte weiter, saß da und tippte SMS wie zuvor.
Ich fragte mich, welcher Mandant zahlt für so etwas Geld? Später erst kam heraus, dass der Anwalt sein Honorar aus der brandenburgischen Justizkasse erhielt.